— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Stadtbürgerschaft 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 39 S Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 1. September 2011 Umsetzung des Bremer Wohnungsnotstandsvertrags Die Stadt Bremen hat im Jahr 1981 einen Vertrag mit Bremer Wohnungsunternehmen geschlossen, der die vorrangige Berücksichtung von Wohnungsnotstandsfällen bei der Vermietung von öffentlich geförderten Wohnungen/Sozialwohnungen sicherstellen soll. Wohnungslose Personen ohne Unterkunft (Alleinstehende ohne Unterkunft), aber auch Drogenabhängige/Substituierte und Strafentlassene sollen sich ausreichend mit Wohnraum versorgen können. Wir fragen den Senat: 1. Ist der im Jahr 1981 geschlossene „Bremer Kooperationsvertrag“ zwischen den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und der Stadt Bremen nach wie vor gültig, und falls ja, in welcher Fassung? Falls nein, seit wann und warum nicht? 2. Wie viele Berechtigungsscheine sind in den Jahren 2005 bis 2010 erteilt worden, wie viele der Berechtigten wurden als Wohnungsnotstandsfälle anerkannt, und wie viele davon mit der Dringlichkeitsstufe 1? 3. Wie viel öffentlich geförderter Wohnraum/Sozialwohnungen stand zur Erfüllung des Wohnungsnotstandsvertrags noch zur Verfügung (bitte getrennt aufführen nach Wohnungsunternehmen und nach Jahren)? 4. Wie viele Wohnungen wurden von den Wohnungsunternehmen in den Jahren 2005 bis 2010 an benachteiligte Personen nach Wohnungsnotstandsvertrag noch vergeben (bitte differenziert aufführen nach Wohnungsunternehmen, öffentlich geförderten und freifinanzierten Wohnungen, Vergabe an Wohnungsnotstandsfällen insgesamt und an Fälle der Dringlichkeitsstufe 1)? 5. Entspricht dies, ausgedrückt im Vergleich der absoluten Zahlen und dem prozentualen Anteil, der zwischen den Kooperationspartnern vertragsmäßig vereinbarten Quote von 60 % bzw. 40 %? 6. Auf welche Weise beraten die Zentrale Fachstelle für Wohnungshilfe (ZFW) und andere Beratungsstellen (z. B. Sozialzentren, Bremische Straffälligenbetreuung, Innere Mission) Wohnungslose und Wohnungssuchende? 6.1 In wie vielen Fällen wurden Klienten der ZFW und der anderen Beratungsstellen von Wohnungsunternehmen im Zeitraum 2005 bis 2010 abgelehnt? 6.2 Welche Gründe liegen dafür vor? 6.3 Bestehen Wartezeiten für Kleinraum unterhalb der Mietobergrenze? Wenn ja, wie lange müssen die betroffenen Personen auf entsprechenden Wohnraum warten? Susanne Wendland, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen — 2 — D a z u Antwort des Senats vom 4. Oktober 2011 1. Ist der im Jahr 1981 geschlossene „Bremer Kooperationsvertrag“ zwischen den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und der Stadt Bremen nach wie vor gültig, und falls ja, in welcher Fassung? Falls nein, seit wann und warum nicht? Es gilt inzwischen der „Vertrag zur Verbesserung der Wohnungsversorgung von Haushalten mit Wohnungsnotstandsbescheinigungen“ in der Fassung vom 1. November 1993 (Wohnungsnotstandsvertrag). Er wurde zwischen dem Amt für Soziale Dienste (AfSD), dem Amt für Wohnung und Städtebauförderung (AWS, heute: Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr, SUBV) und den einzelnen Wohnungsunternehmen geschlossen. Inhalt des Wohnungsnotstandsvertrags Nach § 1 Abs. 1. Satz 2 des Vertrags sollen 60 % der frei gewordenen Sozialmietwohnungen an Wohnungsnotstandsfälle vermietet werden. In § 1 Abs. 2 Satz 3 erklären die durch den Vertrag gebundenen Wohnungsunternehmen, dass sie anstreben, mindestens 40 % der anrechenbaren frei werdenden Sozialmietwohnungen an Wohnungssuchende der Dringlichkeitsstufe 1 zu vermieten. Diese Regelungen sind nicht als Muss-, sondern als Sollvorschriften ausgestaltet . Zu der Dringlichkeitsstufe 1 gehören: • Obdachlose (Alleinstehende) und Drogenabhängige, die in der Lage sind, einen eigenen Haushalt zu führen, • wohnungslose Einzelpersonen und Haushalte, die in Notunterkünften oder mangels Wohnung im Hotel, in Wohnheimen, in psychiatrischen Kliniken u. ä. leben oder als Strafgefangene vor der Entlassung stehen. Die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis wird vom SUBV bescheinigt. Nach § 3 des Vertrages hat sich das AfSD verpflichtet, die Mietzahlungen und die Zahlung eventueller Renovierungen sicherzustellen. Aufgrund von § 4 Abs. 1 ist das Amt verpflichtet, bei einer Vermietung an Personen mit besonderen sozialen Problemen einvernehmlich mit den Wohnungsunternehmen eine geeignete Betreuung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch § 4 Abs. 2, wonach im Interesse der Sozialstrukturen bei der Vermietung eine breite Streuung anzustreben ist. Daraus ergibt sich, dass die Erfüllung der Vermietungspflichten durch das jeweilige Wohnungsunternehmen immer nur in Kooperation mit dem AfSD erfolgen kann. Die Vertragspartner machen die Vermietung dabei in der Regel nicht davon abhängig, dass eine entsprechende Wohnungsnotstandsbescheinigung vorgelegt wird. Diese Vermittlungen sind deshalb in den Antworten zu Fragen 2 bis 5 genannten Zahlen nicht enthalten. Die Zahl der versorgten Fälle ist daher tatsächlich höher. Die oben genannten Aufgaben des AfSD hat die Zentrale Fachstelle Wohnen (ZFW) ab 2005 übernommen und arbeitet konstruktiv mit den Wohnungsunternehmen zusammen. Auch aufgrund der Konzeption der ZFW sind die Fallzahlen seitdem zurückgegangen. Diesbezüglich wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen . Exkurs: Hintergrund für den Abschluss des Wohnungsnotstandsvertrags Hintergrund für den Abschluss des Wohnungsnotstandsvertrags ist § 5 a des Wohnungsbindungsgesetzes des Bundes. Diese Vorschrift ermächtigte die Landesregierungen , für sogenannte Gebiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf eine Verordnung zu erlassen, die die Belegung von Sozialwohnungen regelt. Durch eine solche Verordnung hätte das Land Bremen bestimmen können, dass die Wohnungsunternehmen ihre geförderten Wohnungen nur an solche Haushalte hätten vermieten dürfen, die ihnen von der zuständigen Stelle im Rahmen eines sogenannten Dreiervorschlags genannt worden wären. — 3 — In den 80er- und 90er-Jahren konnte man in Bremen von einem Gebiet mit erhöhtem Wohnungsbedarf ausgehen. Deshalb hatte der Senat in Aussicht genommen , eine solche Verordnung zu erlassen. Die Wohnungswirtschaft hat sich dagegen jedoch vehement gewehrt. Als Kompromisslösung wurde im Interesse der Versorgung von Menschen mit besonderen Versorgungsschwierigkeiten der Wohnungsnotstandsvertrag abgeschlossen. Seit Ende der 90er-Jahre hat sich der Wohnungsmarkt entspannt. Seit ca. zehn Jahren kann im Land Bremen kein erhöhter Wohnungsbedarf mehr festgestellt werden. Aufgrund dessen sind auch andere Verordnungen, die einen solchen Bedarf voraussetzen (z. B. Zweckentfremdungsverordnung, Kündigungssperrfristverordnung ), nicht verlängert worden. 2. Wie viele Berechtigungsscheine sind in den Jahren 2005 bis 2010 erteilt worden, wie viele der Berechtigten wurden als Wohnungsnotstandsfälle anerkannt, und wie viele davon mit der Dringlichkeitsstufe 1? Anzahl Wohnungsnotstandsfälle Jahr B-Scheine Gesamt Stufe II Stufe I 2005 3 483 711 166 545 2006 3 472 482 107 375 2007 3 418 327 47 280 2008 2 651 350 34 316 2009 2 376 257 22 235 2010 2 203 204 28 176 3. Wie viel öffentlich geförderter Wohnraum/Sozialwohnungen stand zur Erfüllung des Wohnungsnotstandsvertrags noch zur Verfügung (bitte getrennt aufführen nach Wohnungsunternehmen und nach Jahren)? Wohnungs- 31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember unternehmen 2005 2006 2007 2008 2009 2010 BREBAU 712 709 709 703 703 703 BREMISCHE 2 217 1 561 1 560 1 544 1 439 1 439 ESPABAU 659 659 595 595 595 595 GAGFAH 958 549 760 647 583 535 GEWOSIE 270 125 116 116 108 108 Selbsthilfe 13 6 6 6 6 6 GEWOBA 3 643 3 524 2 831 1 125 1 109 1 093 Eug.-Kulenk.-St. 90 90 92 90 90 90 Schön. Zukunft 17 17 17 17 17 17 Gesamt 8 579 7 240 6 686 4 843 4 650 4 586 4. Wie viele Wohnungen wurden von den Wohnungsunternehmen in den Jahren 2005 bis 2010 an benachteiligte Personen nach Wohnungsnotstandsvertrag noch vergeben (bitte differenziert aufführen nach Wohnungsunternehmen, öffentlich geförderten und freifinanzierten Wohnungen, Vergabe an Wohnungsnotstandsfällen insgesamt und an Fälle der Dringlichkeitsstufe 1)? Nachfolgend sind die Fälle aufgeführt, in denen Wohnungsnotstandsfälle aufgrund der Wohnungsnotstandsbescheinigung versorgt wurden. In den Zahlen sind nicht die Fälle enthalten, in denen dieser Personenkreis zunächst eine entsprechende Bescheinigung beantragt hat (siehe Antwort zu Frage 2), diesen dann aber nicht verwendet hat oder aufgrund der Zusammenarbeit zwischen der ZFW und der Wohnungswirtschaft ohne Vorlage einer Wohnungsnotstandsbescheinigung versorgt werden konnte (siehe die Antworten zu Frage 1 und zu Frage 6). Der Versorgungsgrad des betroffenen Personenkreises ist also deutlich höher als aus der Tabelle ersichtlich. — 4 — Wohnungs- 2005 2006 2007 2008 2009 2010 unternehmen (Gesamt/II/I) (Gesamt/II/I) (Gesamt/II/I) (Gesamt/II/I) (Gesamt/II/I) (Gesamt/II/I) BREBAU 9/2/7 0/0/0 1/0/1 0/0/0 2/1/1 0/0/0 BREMISCHE 49/14/35 25/4/21 13/3/10 19/5/14 17/3/14 13/3/10 ESPABAU 2/1/1 5/2/3 4/1/3 1/1/0 3/1/2 1/0/1 GAGFAH 5/0/5 6/5/1 1/0/1 0/0/0 1/1/0 0/0/0 GEWOSIE 2/0/2 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 Selbsthilfe 1/0/1 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 GEWOBA 46/18/28 27/12/15 17/6/11 8/3/5 2/1/1 2/1/1 Eug.-Kulenk.-St. 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 0/0/0 Schön. Zukunft 0/0/0 0/0/0 0/0/0 1/0/1 0/0/0 0/0/0 Gesamt 114/35/79 63/23/40 36/10/26 29/9/20 25/7/18 16/4/12 Zusätzlich wurden in den Jahren 2005 bis 2010 insgesamt drei Wohneinheiten (davon zwei ESPABAU, eine Gewoba) im frei finanzierten Bestand an Wohnungsnotstandsfälle gemeldet, davon zwei an Fälle der Dringlichkeitsstufe 1. 5. Entspricht dies, ausgedrückt im Vergleich der absoluten Zahlen und dem prozentualen Anteil, der zwischen den Kooperationspartnern vertragsmäßig vereinbarten Quote von 60 % bzw. 40 %? Nach den oben genannten Zahlen hat es den Anschein, dass die von den Vertragspartnern angestrebten Quoten nicht erfüllt werden und dass Wohnungsnotstandsfälle somit nicht ausreichend mit Wohnraum versorgt würden. Es ist jedoch so, dass die Versorgung von Wohnungsnotstandsfällen mit Wohnraum im Jahr 2005 auf neue Beine gestellt wurde. Seitdem arbeitet die ZFW im Rahmen eines integrierten Konzepts mit den (potenziellen) Wohnungsnotstandsfällen und der Wohnungswirtschaft zusammen. Dadurch gelingt es in der Regel, Wohnungsnotstandsfälle auch ohne Vorlage einer Wohnungsnotstandsbescheinigung mit Wohnraum zu versorgen (siehe Antwort zu Frage 6). 6. Auf welche Weise beraten die Zentrale Fachstelle für Wohnungshilfe (ZFW) und andere Beratungsstellen (z. B. Sozialzentren, Bremische Straffälligenbetreuung, Innere Mission) Wohnungslose und Wohnungssuchende? Die Trägerschaft der ZFW ist seit 2005 als Kooperationsmodell zwischen der Stadt Bremen (Kommune) und freien Trägern der Wohlfahrtspflege konzipiert. Alle an der Fachstelle teilhabenden Partner sind unter einem Dach im Tivolihochhaus /AfSD tätig. Die ZFW und die in ihr zusammengeführten Träger Innere Mission, Bremische Straffälligenbetreuung, Hohehorst GmbH und der Arbeiter Samariter Bund haben einen präventiven Ansatz. Der Erhalt des Wohnraums soll immer vorrangig betrieben und unterstützt werden. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der ZFW liegt dabei auf dem Wohnungserhalt bzw. auf der Vermeidung neuer Fälle. Dabei werden finanzielle Ansprüche der Betroffenen geklärt, z. B. Unterhalt, Rente, Transferleistungen – auch des SGB II (bei Unterbringung/Anmietung und Mietschuldenübernahme) und des SGB XII. Außerdem nimmt die ZFW frühzeitig Kontakt mit den vom Wohnungsverlust bedrohten Haushalten, und unterstützt sie bei Verhandlungen mit Vermietern und bietet bei Bedarf auch eine Moderation an. Bei der Wohnungssuche werden die Klienten/-innen über ihre Ansprüche beraten (insbesondere im Hinblick auf Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII). Darüber hinaus werden sie bei der Beantragung von Wohnberechtigungsscheinen , Anerkennung als Wohnungsnotstandsfall unterstützt. Hinzu kommt die Vermittlung an potenzielle Wohnungsanbieter (private Vermieter, Wohnungsbaugesellschaften ), ein Training bei der Wohnungssuche und bei Bedarf auch die Gewährung finanzieller Hilfen zur Anmietung einer Wohnung (Deponat u. ä.). Bei der Versorgung mit Wohnraum kann die ZFW auf die Wohnungen des Vereins Wohnungshilfe zurückgreifen und auf den „normalen“ Angebotsmarkt aus — 5 — der Zeitung, dem Internet und privaten Angeboten an die ZFW. Der Wohnungsbestand der Wohnungshilfe umfasst am 12. September 2011: • Bremische Gesellschaft 50, • Gagfah 1, • Gewoba 28, • Pirelli 1, • Tecta 1, • Wohnraum für den Personenkreis der Asylbewerber 26. Bei Neuanmietungen bieten sich die Kollegen/-innen der ZFW für die Dauer des Mietverhältnisses auch als Ansprechpartner/-innen bei Problemen an, was auch seitens der Vermieter mittlerweile gern genutzt wird, um einer erneuten Obdachlosigkeit (durch Mietschulden oder mietvertragswidriges Verhalten) möglichst schon frühzeitig zu begegnen. Seit 2005 sind aufgrund des veränderten Ansatzes, Prävention vorrangig zu betreiben und gegebenenfalls bei erhaltenswertem Wohnraum Mietschulden zu übernehmen oder auch in Einzelfällen Deponate oder Maklercourtagen, sind immer weniger Einweisungen nach dem Obdachlosenpolizeirecht notwendig gewesen: • 2005 29, • 2006 14, • 2007 14, • 2008 2, • 2009 1, • 2010 2. 6.1 In wie vielen Fällen wurden Klienten der ZFW und anderen Beratungsstellen von Wohnungsunternehmen im Zeitraum 2005 bis 2010 abgelehnt? Dazu gibt es im AfSD bzw. bei der ZFW keine belastbaren Zahlen. Die Klienten/ -innen der ZFW werden häufig nicht ausdrücklich abgewiesen, sondern sie werden in Wartelisten aufgenommen. Sie bekommen lediglich den Hinweis, das zurzeit kein Leerstand bestehe oder angemessener Wohnraum zurzeit nicht verfügbar sei. 6.2 Welche Gründe liegen dafür vor? Gründe für Abweisungen sind z. B. Schufaeinträge, psychische Auffälligkeiten, äußeres Erscheinungsbild, welches auf Alkohol- oder Drogenkonsum schließen lässt oder große Familien mit Migrationshintergrund. Vielfach wird mit der fehlenden Einsicht der Klienten/-innen ihr Verhalten zu ändern, argumentiert. Häufiger ist dies auch bedingt durch kulturelle Verständnisprobleme (z. B.: Was bedeutet Zwangsräumung und was passiert da mit mir/meiner Familie?). 6.3 Bestehen Wartezeiten für Kleinwohnungen unterhalb der Mietobergrenze? Wenn ja, wie lange müssen die betroffenen Personen auf entsprechenden Wohnraum warten? Dazu haben weder das AfSD noch SUBV Informationen. — 6 — — 7 — — 8 —Druck: Hans Krohn · Bremen