— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 424 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 26. März 2012 Lohndumping durch Werkverträge verhindern Die inzwischen verbesserten, wenn auch längst nicht ausreichenden Regelungen zum Schutz von Leiharbeitnehmern/Leiharbeitnehmerinnen haben bewirkt, dass Unternehmen zunehmend Werkverträge zur Umgehung tariflicher und arbeitsrechtlicher Standards nutzen. Firmen übertragen wichtige Tätigkeiten, im Handel beispielsweise das Einräumen von Regalen, auf Subunternehmen, die pro „Werk“, also auftragsbezogen, z. B. pro Palette Ware, bezahlt werden. Damit vermeiden sie die Beschäftigung von Angestellten oder Leiharbeitnehmern/Leiharbeitnehmerinnen, die sie nach Tarif bezahlen und denen sie betriebliche Sozialleistungen gewähren müssten . Beschäftigten der Subunternehmen müssen auch nicht wie Leiharbeitnehmer/ Leiharbeitnehmerinnen über offene Stellen im Betrieb informiert werden, um sich dort gezielt bewerben zu können. Wie viele Menschen in Deutschland von Niedriglöhnen durch Werkverträge betroffen sind, ist offen, da keine Meldepflicht besteht. Ver.di schätzt die Zahl auf „Hunderttausende “, die IG Metall ermittelte in einer Umfrage unter 5 000 Betriebsräten, dass in jedem dritten Unternehmen Teile der Stammbelegschaft durch Werkvertragsbeschäftigte ersetzt werden. Laut „Lebensmittelzeitung“ beträgt der Anteil der Minijobber unter den Werkvertragsbeschäftigten im Handel ca. 80 %. Wie prekär die Lage ist, zeigt der 2011 zwischen dem von Werkvertragspartnern des Handels gegründeten Branchenverband ISL (Instore und Service Logistik) und der christlichen „Gewerkschaft“ DHV geschlossene sogenannte Tarifvertrag. Er sieht im Westen Stundenlöhne ab 6,50 ‡, im Osten ab 6 ‡ vor. Für Leiharbeitnehmer/Leiharbeitnehmerinnen gelten dagegen Mindeststundenlöhne von 7,89 ‡ bzw. 7,01 ‡. Wirksam verhindert werden können solche in keiner Weise existenzsichernden Entgelte nur durch einen gesetzlichen Mindestlohn. Weil die Bundesregierung diesen bislang verhindert hat, ist der Beitritt des Landes Bremen zur Entschließung des Bundesrates „Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten durch Werkverträge verhindern – jetzt“ sehr zu begrüßen. Zugleich gilt es jedoch, Lohndumping durch Scheinwerkverträge im Einflussbereich des Landes Bremen und seiner Stadtgemeinden aktiv zu verhindern. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. In welchem Umfang sind, nach Einschätzung des Senats, an der Abwicklung von Aufträgen und der Erbringung von Leistungen der öffentlichen Hand sowie von ihr maßgeblich beeinflussten Gesellschaften und Einrichtungen Beschäftigte beteiligt, die im Rahmen von Werkverträgen tätig sind? 2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, zu verhindern, dass Auftragnehmer der öffentlichen Hand sowie von ihr maßgeblich beeinflusster Gesellschaften und Einrichtungen die geschuldeten Leistungen auch mittels Scheinwerkverträgen erbringen? 3. Wie kann sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten, die an der Erbringung öffentlicher Aufträge beteiligt sind, die im Bremischen Tariftreue- und Vergabegesetz festgelegten Mindestlöhne erhalten? 4. Wie bewertet der Senat Wirkung und Praktikabilität folgender Vorschläge als Maßnahmen zur Eindämmung von Lohndumping durch Werksverträge: — 2 — a) eine freiwillige Verpflichtung von Verwaltungen, Gesellschaften und Einrichtungen im Einflussbereich des Landes und der Stadtgemeinden, Personal - und Betriebsräten beim Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten über die gesetzlichen Regelungen hinaus Mitwirkungsrechte einzuräumen, b) öffentlichen Auftragnehmern eine Meldepflicht darüber aufzuerlegen, in welchem Umfang, für welche Tätigkeiten sowie zu welchen Entgelt- und Sozialbedingungen Beschäftigte im Rahmen von Werkverträgen an der Auftragserbringung beteiligt werden? Dieter Reinken, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 22. Mai 2012 1. In welchem Umfang sind, nach Einschätzung des Senats, an der Abwicklung von Aufträgen und der Erbringung von Leistungen der öffentlichen Hand sowie von ihr maßgeblich beeinflussten Gesellschaften und Einrichtungen Beschäftigte beteiligt, die im Rahmen von Werkverträgen tätig sind? Die öffentliche Hand – hier und im Weiteren immer einschließlich der ihr zuzuordnenden Gesellschaften und Einrichtungen – schließt grundsätzlich in großem Umfang Werkverträge ab, also Verträge, worin die Vertragspartner verpflichtet werden, für die öffentliche Hand ein bestimmtes Ergebnis zu erbringen . Unter den Begriff des Werkvertrags fallen beispielsweise Installations-, Reparatur-, oder Bauleistungen. Ob die Durchführung dieser Leistungen von Beschäftigten ausgeführt werden, die im Rahmen von sogenannten Scheinwerkverträgen tätig werden, also Arbeitsverhältnisse, die eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung darstellen, ist dem Senat nicht bekannt. Der Senat lehnt solche Arbeitsverhältnisse kategorisch ab und geht auch davon aus, dass öffentliche Auftraggeber in Bremen ihre Verträge rechtskonform gestalten . Bei den von der Sonderkommission Mindestlohn angeordneten Kontrollen können diese Scheinwerkverträge – auch als Unterverträge mit Nachunternehmern – nicht identifiziert werden, da sich die Mindestlohnkontrollen in der Regel ausschließlich auf das den Beschäftigten gezahlte Entgelt konzentriert. Ob ein als Werkvertrag deklariertes Vertragsverhältnis im Einzelfall tatsächlich den hierfür maßgeblichen rechtlichen Anforderungen genügt, wird den kontrollierenden Stellen daher nicht bekannt. Entscheidend ist für die kontrollierende Stelle allein die Zahlung des Mindestlohnes (Näheres in den Antworten zu den Fragen 2 und 3). 2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, zu verhindern, dass Auftragnehmer der öffentlichen Hand sowie von ihr maßgeblich beeinflusster Gesellschaften und Einrichtungen die geschuldeten Leistungen auch mittels Scheinwerkverträgen erbringen? 3. Wie kann sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten, die an der Erbringung öffentlicher Aufträge beteiligt sind, die im Bremischen Tariftreue- und Vergabegesetz festgelegten Mindestlöhne erhalten? Die Antworten zu 2. und 3. werden zusammengefasst. Denn gerade die Regelungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes, wonach jeder Beschäftigte, der an der Erbringung einer Leistung für die öffentliche Hand beteiligt ist, den Mindestlohn erhalten muss, ist geeignet, den Abschluss von Scheinwerkverträgen zu verhindern. Das Tariftreue- und Vergabegesetz vom 29. November 2009 bestimmt, dass nicht binnenmarktrelevante öffentliche Aufträge über Dienst- und Bauleistungen nur unter der Maßgabe vergeben werden dürfen, dass wenigstens ein Mindestlohn von 8,50 ‡ je Stunde gezahlt wird. Unter den Begriff der Bau- und Dienstleistung fallen in diesem Zusammenhang auch Werkverträge, sodass ein Auftragnehmer zur Zahlung des Mindestlohnes verpflichtet ist, und zwar unabhängig von der weiteren Vertragsgestaltung. In Bremen besteht also keine — 3 — Möglichkeit, die Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung (zurzeit 7,89 ‡ je Stunde) durch den Abschluss eines Scheinwerkvertrages zu umgehen. Denn sowohl Werkvertragsbeschäftigte als auch Leiharbeiter/Leiharbeiterinnen erhalten bei der Ausführung öffentlicher Aufträge in Bremen wenigstens einen Mindestlohn von 8,50 ‡ je Stunde. Etwas anderes gilt zwar bei öffentlichen Aufträgen , deren Auftragswert die EU-Schwellenwerte überschreitet, dies ist jedoch nur bei einem sehr geringen Anteil der in Bremen vergebenen öffentlichen Aufträge der Fall. Größere Schwierigkeiten sieht der Senat bei der Verhinderung des Einsatzes sogenannter Scheinselbstständiger, also von Einzelpersonen, die zum Schein einen Werkvertrag ausführen, in Wahrheit aber ein befristetes Arbeitsverhältnis eingehen. Bei diversen Mindestlohnkontrollen bestand für die Sonderkommission Mindestlohn der Verdacht, dass Scheinselbstständige eingesetzt wurden. Da die betroffenen Selbstständigen aber die formalen Voraussetzungen – etwa die Gewerbeanmeldung – erfüllten, konnte lediglich eine Verdachtsmeldung an den Zoll weitergegeben werden. Eine Eindämmung der Scheinselbstständigkeit, insbesondere bei der Ausführung öffentlicher Bauaufträge, erhofft sich der Senat mit einer Neufassung der Leitlinien für die Durchführung von Mindestlohnkontrollen erreichen zu können, indem Auftragnehmer zukünftig verpflichtet werden, eine Mindestlohnvereinbarung mit jeden Nachunternehmer vorzulegen , bevor dieser Nachunternehmer mit der Erbringung der Leistung beginnt. Denn der Verdacht von Scheinselbstständigkeit entstand meist in Fällen, in denen eine Nachunternehmerkette bestand, die dem Auftraggeber nicht mitgeteilt war. 4. Wie bewertet der Senat Wirkung und Praktikabilität folgender Vorschläge als Maßnahmen zur Eindämmung von Lohndumping durch Werkverträge: a) eine freiwillige Verpflichtung von Verwaltungen, Gesellschaften und Einrichtungen im Einflussbereich des Landes und der Stadtgemeinden, Personal - und Betriebsräten beim Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten über die gesetzlichen Regelungen hinaus Mitwirkungsrechte einzuräumen? Zwar stellt die Nichtbeteiligung der Personalvertretungsorgane bei Abschluss eines Scheinwerkvertrages eine Rechtsverletzung dar, sodass dem Personal-/Betriebsrat freisteht, den Rechtsweg einzuschlagen und seine Beteiligungsrechte auf diesem Wege durchzusetzen. Gleiches gilt auch für den Abschluss eines Werkvertrages mit einem Scheinselbstständigen, was letztlich dem Abschluss eines Arbeitsvertrages gleichsteht. Allerdings sieht der Senat in der Möglichkeit der Personalvertretungsorgane, Informationen über mögliche verdeckte Arbeits- oder Arbeitnehmerüberlassungsverhältnisse rechtzeitig und zutreffend zu erhalten, ein mögliches Defizit. Da der Arbeitgeber den Vertragsschluss möglicherweise als nicht zustimmungspflichtigen Vorgang behandelt, werden die Personalvertretungsorgane nicht unterrichtet und können daher nicht rechtzeitig und nicht angemessen reagieren. Der Senat würde daher eine Vereinbarung begrüßen , wonach die Betriebs- und Personalräte von dem Abschluss bestimmter Werkverträge frühzeitig Kenntnis erhielten und so in die Lage versetzt würden, die Rechtsnatur des Vertrages zu prüfen. Dies würde jedoch voraussetzen , dass der Anwendungsbereich einer solchen Vereinbarung genau definiert wird, da eine Unterrichtung über den Abschluss aller Werkverträge nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel, der Verhinderung des Abschlusses von Scheinwerkverträgen, stehen würde. b) öffentlichen Auftragnehmern eine Meldepflicht darüber aufzuerlegen, in welchem Umfang, für welche Tätigkeiten sowie zu welchen Entgelt- und Sozialbedingungen Beschäftigte im Rahmen von Werkverträgen an der Auftragserbringung beteiligt werden? In Bremen werden, entsprechend den Vorgaben des Tariftreue- und Vergabegesetzes , die vergebenen Bau- und Dienstleistungsaufträge an die Sonderkommission Mindestlohn gemeldet. Aus dem Auftrag ergeben sich die zu erbringenden Tätigkeiten. Hinsichtlich der Entgeltbedingungen kennt der öffentliche Auftraggeber die von ihm selbst vorgegebenen Mindeststandards . Bei der Durchführung der von der Sonderkommission Mindestlohn — 4 — angeordneten Kontrolle informiert sich der Auftraggeber in Stichproben über die tatsächlichen Entgeltbedingungen seines Auftragnehmers. Allerdings erhalten die öffentlichen Auftraggeber im Rahmen dieser Stichprobenkontrolle keine Kenntnisse über andere soziale Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses. Das Tariftreue- und Vergabegesetz enthält keine Rechtsgrundlage zur Erhebung weiterer Informationen, ebenso wenig stehen dem öffentlichen Auftraggeber Möglichkeiten zur Verfügung, konkrete Bedingungen zu fordern oder durchzusetzen. An dieser Stelle könnte allenfalls der Gesetzgeber tätig werden, um die Forderung weiterer Sozialstandards bzw. deren Offenlegung zu definieren und zu legitimieren. Nach Einschätzung des Senats reichen die bestehenden Mindestlohnvorschriften des Tariftreue- und Vergabegesetzes aus, um Lohndumping im Rahmen von Werkverträgen zu unterbinden. Druck: Anker-Druck Bremen