— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 472 (zu Drs. 18/385) 26. 06. 12 Mitteilung des Senats vom 26. Juni 2012 Industrielle Massentierhaltung und verantwortungsvolle Beschaffung in öffentlichen Kantinen Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat unter Drucksache 18/385 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, kurzfristig die Herkunft (Produktionsbetrieb ) und die Menge tierischer Produkte in den öffentlichen Einrichtungen Bremens und Bremerhavens zu dokumentieren? In den öffentlichen Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung liegen lediglich Informationen über die Lieferanten der verwendeten Lebensmittel oder Stoffe, die dazu bestimmt sind, in einem Lebensmittel verarbeitet zu werden, vor. Der Betreiber einer solchen Einrichtung ist als Lebensmittelunternehmer zur Dokumentation im Rahmen der rechtlichen Vorgaben zur Rückverfolgbarkeit verpflichtet . Darüber hinausgehende Informationen werden in den Betrieben nicht erhoben . Der Senat sieht eine Dokumentation nur dann als möglich an, wenn tierische Lebensmittel direkt in einem Produktionsbetrieb oder einer Vermarktungskette erworben werden, über deren Tierhaltung entsprechende Kenntnisse vorliegen. Da der Erwerb von Lebensmitteln für öffentliche Kantinen jedoch überwiegend über den Zwischenhandel erfolgt, lässt sich eine Dokumentation gar nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohem Aufwand realisieren. So wären beispielsweise für eine aufbereitete Gesamtübersicht der Herkunft tierischer Lebensmittel , die in der Schulverpflegung eingesetzt werden, je Schule und Jahr etwa 300 bis 1 500 Seiten an Lieferscheinen zu sichten und zu erfassen. In zahlreichen öffentlichen Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten in Bremerhaven ) ist die Essenszubereitung dezentral organisiert, sodass keine Rahmen-/ Lieferverträge bestehen, insoweit werden die Nahrungsmittel durch die Mitarbeiter der Einrichtungen beschafft. Eine Dokumentation in Hinblick auf Herkunft und Produktionsprozess erfolgt in diesen Fällen nicht. Künftig könnte jedoch zumindest im Bereich der Einrichtungen von KiTa Bremen eine Erfassung der Daten Mittels einer Abfrage in den einzelnen Einrichtungen erfolgen. Eine solche Abfrage und die anschließende Auswertung wären innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens realisierbar. Für die übrigen Einrichtungen der öffentlichen Verpflegung erscheint eine Dokumentation und Rückverfolgung auf den Ursprung tierischer Erzeugnisse nur möglich, soweit besonders zertifizierte Produkte, also in der Regel Bioprodukte, betroffen sind (z. B. Neuland, Demeter etc.). Nur für den Bereich Bio oder besonders zertifizierte Betriebe mit artgerechter Haltung ist eine Auswertung über Lieferscheine oder Rechnungen mit vertretbarem Aufwand möglich. 2. Wie weit ist die Prüfung der Möglichkeit einer verstärkten Berücksichtigung der Herkunft von Lebensmitteln tierischen Ursprungs in Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von Aufträgen zur Gemeinschaftsverpflegung vorange- — 2 — schritten, und wann ist mit deren Abschluss zu rechnen (vergleiche Antwort des Senats vom 1. November 2011 auf Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 18/88)? Eine verstärkte Berücksichtigung des Ursprungs von Lebensmitteln tierischer Herkunft im Rahmen von Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von Aufträgen zur Gemeinschaftsverpflegung ist vor dem Hintergrund des geltenden Vergaberechts grundsätzlich möglich. Eine artgerechte Tierhaltung ist Bestandteil des ökologischen Landbaus sowie besonders artgerechter und umweltschonender Tierhaltungsformen, wie z. B. aus „Neuland“-Betrieben. Die Möglichkeit , Waren aus dem ökologischen Landbau einzukaufen, ergibt sich unmittelbar aus dem Recht des Käufers, die Merkmale der einzukaufenden Ware zu definieren. Darüber hinaus verpflichtet § 19 des Tariftreue- und Vergabegesetzes (TtVG) die Vergabestellen zur Berücksichtigung von Umwelteigenschaften einer Ware, die Gegenstand der Leistung ist. Also kann auch bei der Beschaffung von Fleisch und sonstigen Fleischprodukten, die artgerechte Tierhaltung grundsätzlich gefordert werden. Ferner hat die EU-Kommission Vergabestandards für ein umweltorientiertes Beschaffungswesen entwickelt, die auf ihrer Homepage abgerufen werden können. (http://ec.europa.eu/environment/gpp/pdf/toolkit/food_GPP_product_sheet_de.pdf) Neben der rechtlichen Bewertung hat die Prüfung Folgendes ergeben: Gegenwärtig betreibt die Stadtgemeinde Bremen z. B. im Kontext der Schulverpflegung keine eigenen Verpflegungseinrichtungen. Die Grundversorgung der Schülerinnen und Schüler mit einem warmen Mittagessen setzen nach entsprechenden Ausschreibungen gewerbliche oder gemeinnützige Verpfleger um. Mit diesen bestehen keine Abreden über die Berücksichtigung des Ursprungs von Lebensmitteln tierischer Herkunft bei der Beschaffung. Im Segment des Studentenwerks Bremen wird bei der Vergabe von Aufträgen in der Verpflegung darauf Wert gelegt, dass Ursprungs- und Produktionsnachweise in den Lieferverträgen verankert werden, soweit es das Preis-LeistungsVerhältnis zulässt. In den Bereichen der Krankenhausverpflegung sowie in den öffentlichen Kantinen in Bremerhaven erfolgt im Rahmen von Vergabeverfahren bisher keine Berücksichtigung des Ursprungs von Lebensmitteln tierischer Herkunft. 3. Welche Maßnahmen unternimmt und/oder plant der Senat darüber hinaus, schnellstmöglich den Bezug von Fleisch und anderen Produkten aus Massentierhaltung in öffentlichen Einrichtungen Bremens und Bremerhavens kurzfristig zu senken und langfristig ganz auf Produkte aus artgerechter Tierhaltung umzustellen? Die Beschaffung von Fleisch und anderen Produkten erfolgt in Bremen dezentral , sodass in den Ressorts und den von diesen getragenen öffentlichen Einrichtungen unterschiedliche Ansätze und Maßnahmen existieren, den Bezug von Fleisch aus artgerechter Haltung zu erhöhen. Aus dem Bereich der KiTa Bremen ist bekannt, dass die Vorgabe besteht, mindestens 10 % des jährlichen Lebensmittelbudgets für Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft auszugeben. Das beinhaltet auch den Einkauf von Fleisch. Ein höherer Prozentsatz wird angestrebt und von vielen Einrichtungen inzwischen auch erreicht. Die Qualitätsvorgabe „10 % Bio“ ist 2009/2010 vom BIPS evaluiert worden. Demnach haben 78 % mindestens 10 % und mehr ihres Lebensmitteletats für Bio-Produkte ausgegeben. In der Werkstatt Bremen werden derzeitig geschätzt ca. 20 % des gesamten Bedarfs an tierischen Produkten aus ökologischer/biologischer Tierhaltung bezogen . Die Erkenntnisse des Senats aus der Schulverpflegung und den Mensen des Studentenwerks Bremen deuten darauf hin, dass die Sensibilität der Verbraucher im Hinblick auf den Ursprung von Fleisch und Fleischerzeugnissen zunimmt , sodass Einkauf und Angebot von tierischen Produkten in öffentlichen Kantinen eher rückläufig sind, allerdings werden die hierdurch eingesparten — 3 — Mittel gegenwärtig für eine Stabilisierung der Essenspreise verwendet, sodass kein Spielraum für einen verstärkten Bezug von Fleisch aus besonders artgerechter und umweltschonender Tierhaltung übrig bleibt. Ein langfristiger Übergang auf einen ausschließlichen Bezug von Fleisch aus besonders artgerechter und umweltschonender Haltung ist bisher nicht geplant. a) Wie hoch sind die geschätzten Kosten per anno für eine derartige Umstellung ? Eine Schätzung der Gesamtkosten für eine Umstellung auf Produkte aus artgerechter Tierhaltung für die Verpflegung in allen öffentlichen Einrichtungen liegt dem Senat nicht vor. Insgesamt ist bei einer Umstellung aber von einer erheblichen Steigerung der Ausgaben für Fleischprodukte auszugehen. Die Mehrausgaben resultieren aus der drastischen Preisdifferenz von Fleisch aus konventioneller Tierhaltung (derzeit 1,61 ‡/kg) und Fleisch aus Betrieben mit besonders artgerechter und umweltschonender Haltung (derzeit 3,15 ‡/kg), hier jeweils bezogen auf Schweinefleisch der Handelsklasse E (Muskelfleischanteil von 55 % und mehr). Bei Geflügelfleisch ist die Preisdifferenz noch deutlich höher. Hier liegt die Differenz bei 5,31 ‡ pro Huhn. Geflügel der Handelsklasse E aus konventioneller Tierhaltung kostet derzeit 1,46 ‡ je Huhn, Geflügel aus Betrieben mit besonders artgerechter und umweltschonender Haltung 6,77 ‡ je Huhn. Real dürften die Mehrkosten jedoch höher liegen, da verbreitet Halbfertigoder Fertigprodukte eingesetzt werden, bei denen das Angebot aus Betrieben mit besonders artgerechter und umweltschonender Haltung beschränkt ist. Diese Mehrkosten könnten entweder durch einen höheren öffentlichen Zuschuss oder durch eine entsprechende Erhöhung der Essenspreise aufgefangen werden. Eine Bereitschaft, für Produkte aus besonders artgerechter und umweltschonender Haltung einen höheren Preis zu zahlen, ist aufgrund des schmalen Budgets der Nutzer (Schüler und Schülerinnen, Studierende und vieler Eltern von Kita-Kindern) nicht zwingend zu erwarten. Dies wird zum Beispiel durch die Ergebnisse der 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2009/2010 belegt, wonach Studierende bei der Wahl des Mensaessens in erster Linie darauf achten, dass es kostengünstig ist. b) Was wären die im Gegenzug zu erwartenden positiven Effekte einer sukzessiven Umstellung auf Produkte aus artgerechter Tierhaltung? Aus Sicht des Senats wären durch eine Umstellung auf Produkte aus besonders artgerechter und umweltschonender Tierhaltung im Land Bremen durchaus eine verstärkte Sensibilisierung in Bezug auf die Vor- und Nachteile konventioneller und alternativer Produktionsrichtungen zu erwarten. Positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Kantinenkunden sind dagegen nicht zu erwarten, da nach Kenntnis des Senats bislang keine epidemiologischen Daten über einen gesundheitlichen Mehrwert von Produkten in Abhängigkeit der Haltungsbedingungen vorliegen. 4. Wie schätzt der Senat die Erfolgsaussichten ein, auf Bundesebene rechtlich verbindliche Definitionen der unterschiedlichen Haltungsformen, eine gesetzliche Verpflichtung zur Kennzeichnung der Haltungsform – wie dies bei Eiern schon der Fall ist – auch für Fleisch und Milcherzeugnisse und die verpflichtende Kennzeichnung „mit/ohne Antibiotika-Behandlung“ zu schaffen? Vor dem Hintergrund gegenwärtiger rechtlicher Rahmenbedingungen sieht der Senat keine großen Erfolgsaussichten für eine bundesweite Realisierung einer zusätzlichen verpflichtenden Angabe für Fleisch und Milcherzeugnisse. Kaum ein Rechtsbereich ist sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene so detailliert geregelt wie das Lebensmittelrecht, in das auch die Primärproduktion eingebunden ist. Die landwirtschaftlichen Betriebe haben außerdem die rechtlich verbindlichen Vorgaben für die jeweiligen Nutztierhaltungen einzuhalten — 4 — und unterliegen den amtlichen Kontrollen, den in diesem Bereich durchgeführten EU-Inspektionen sowie dem freiwilligen nationalen Prüfsystem „QS“. Bei verschiedenen Tierarten bestehen aus tierschutzrechtlicher Sicht spezifische Anforderungen an bestimmte Produktionsrichtungen wie der Kälber- oder Schweinemast und nicht an bestimmte Haltungsformen. Verpflichtende Angaben zur Unterscheidung verschiedener Haltungsformen bestehen ausschließlich im Rahmen der Vermarktung von Hühnereiern bei der Haltung von mehr als 350 Legehennen. Hinsichtlich der Kennzeichnung von Fleisch- und Milcherzeugnissen bestehen hingegen keine gesetzlichen Verpflichtungen zur Angabe der Haltungsform der Tiere des landwirtschaftlichen Erzeugerbetriebs . Hier erfolgen Angaben zur Tierhaltung lediglich auf freiwilliger Basis oder gegebenenfalls aufgrund der eingegangenen Selbstverpflichtung zu einer kontrollierten und artgerechten Tierhaltung, wie sie beispielsweise von Organisationen wie „Bioland“, „Demeter“ oder „Naturland“ praktiziert werden. Außerdem entstammen heute etwa 95 % des deutschen Schweine- und Geflügelfleisches und über 60 % des Rindfleisches aus deutscher Herstellung aus dem QS-System. Hierbei handelt es sich um ein stufen- und unternehmensübergreifendes Qualitätssicherungssystem für die Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln. Die Vermarktung von Eiern ist in der EU gemeinschaftsrechtlich geregelt. EUweit werden gemeinsame Vermarktungsnormen für die Vermarktung von Eiern vorgegeben, die u. a. die Kennzeichnung der Haltungsform vorsehen. Diese Regelung greift allerdings nicht für Lebensmittel, die unter Verwendung von Eiern hergestellt werden. In den lebensmittelkennzeichnungsrechtlichen Vorschriften gibt es darüber hinaus keine Verpflichtung zur Kennzeichnung der Haltungsform für Fleisch und Milcherzeugnisse. Seit 2011 ist die Kennzeichnung von Lebensmitteln EU-weit verbindlich harmonisiert (Verordnung [EU] Nr. 1169/2011). Diese Verordnung, betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, ist in Abwägung der Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes zu sehen und lässt demzufolge Veränderungen hinsichtlich der obligatorischen Angaben der Lebensmittelkennzeichnung nur unter bestimmten Voraussetzungen zu, d. h. neue Anforderungen können EU-weit nur aufgestellt werden, wenn sie notwendig sind und im Einklang mit den Grundsätzen der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der Nachhaltigkeit stehen. Darüber hinaus erlaubt die EU-Verordnung den Mitgliedstaaten nur, einzelstaatliche Vorschriften über zusätzliche verpflichtende Angaben hinsichtlich der verpflichtenden Angabe des Ursprungslandes oder des Herkunftsortes von Lebensmitteln zu erlassen. Voraussetzung hierfür sind die Darlegung der Gründe und der Nachweis, dass die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen wesentliche Bedeutung beimisst. Eine verpflichtende Kennzeichnung „mit/ohne Antibiotika-Behandlung“ erscheint weder aus Gründen des Verbraucherschutzes noch aus Gründen des Tierschutzes sinnvoll. Die Konsequenz daraus wäre, dass entweder erkrankten Tieren bei entsprechendem Bedarf eine Antibiotika-Behandlung verweigert werden müsste oder dass mit Antibiotika behandelte Tiere nicht bzw. nur begrenzt vermarktbar wären, auch wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Wartezeiten nach Applikation des Medikamentes eingehalten wurden. Sehr viel sinnvoller ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Arzneimitteln, speziell Antibiotika . Der geplante Aufbau eines Antibiotika-Monitorings bzw. einer Antibiotikaminimierungsstrategie unterstützt dies. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Antibiotika-Resistenzen nicht allein auf den AntibiotikaEinsatz in der Nutztierhaltung zurückgeführt werden können, sondern maßgeblich insbesondere im Bereich der Humanmedizin entstehen. 5. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der industriellen Massentierhaltung, und wie bewertet er diese? Dem Senat liegen keine Kenntnisse über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in sogenannten industriellen Massentierhaltungen vor, weil es im Land Bremen keine dieser infrage stehenden Betriebe gibt. Druck: Anker-Druck Bremen