— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 510 (zu Drs. 18/446) 10. 07. 12 Mitteilung des Senats vom 10. Juli 2012 Extremistische Straftaten im Land Bremen Die Fraktion der CDU hat unter Drucksache 18/446 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Wie entwickelte sich die Anzahl der extremistischen Straftaten seit 2009 bis heute im Land Bremen, aufgeteilt jeweils nach Jahren, Art und Anzahl der Delikte aus dem rechten Spektrum, dem linken Spektrum und denen mit religiösem Hintergrund? Straftaten der politisch motivierten sowie extremistischen Kriminalität werden nicht von der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst, sondern im Rahmen eines eigenständigen, bundesweit einheitlichen Meldesystems, dem Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) erhoben. Hierfür stellt die politische Motivation zur Tatbegehung das zentrale Erfassungskriterium dar. So gilt eine Straftat insbesondere dann als politisch motiviert, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung , Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet. Die Straftaten werden hinsichtlich der Motivation des Täters bzw. zur Tatbegehung analysiert und den jeweiligen Phänomen Bereichen „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ (PMK rechts) (kurz: Remo), „Politisch motivierte Kriminalität – links“ (PMK links) (kurz: Limo) sowie der „Politisch motivierten Ausländerkriminalität“ (PMK-Ausländer) (kurz: Aumo) zugeordnet. Deliktstatistik des LKA 2009 2010 2011 Remo Limo Aumo Remo Limo Aumo Remo Limo Aumo Tötungsdelikte §§ 211 ff. StGB 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Körperverletzungsdelikte §§ 223 ff. StGB 4 5 2 2 6 2 4 28 2 Brand- und Sprengstoffdelikte §§ 306 ff. StGB 0 4 0 0 15 0 0 9 0 Landfriedensbruch §§ 125 ff. StGB 0 2 0 0 2 2 1 31 2 Bildung krimineller Vereinigungen , §§129; 129a,b StGB 0 0 1 0 0 0 0 0 1 Gef. Eingr. in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr, § 315 ff. StGB 0 0 1 0 0 0 0 5 0 — 2 — Widerstandsdelikte §§ 113 ff. StGB 2 1 2 1 1 1 0 6 2 Propagandadelikte 97 0 2 87 1 1 102 0 0 Volksverhetzung § 130 StGB 28 0 2 16 0 0 17 0 0 Bedrohung / Nötigung §§ 240/241 StGB 0 0 3 2 1 2 0 0 0 Sachbeschädigung §§ 303 ff. StGB 1 38 1 2 50 0 1 107 0 Andere §§ StGB u. strafrechtliche Nebengesetze 8 15 11 3 20 3 7 55 19 Insgesamt 140 65 25 113 96 11 132 241 26 In 2011 sind die Fallzahlen im Phänomenbereich PMK – links – im Verhältnis zum Vorjahr signifikant angestiegen. Diese Zunahme ist im Wesentlichen auf Straftaten zurückzuführen, die thematisch mit der Bürgerschaftswahl im Mai und den damit verbundenen Veranstaltungen der NPD und deren Aufmarsch am 30. April zusammenhingen. In den Wochen vor der Wahl kam es zu einer Häufung von Sachbeschädigungen, insbesondere Farbvandalismus und Körperverletzungen sowie Landfriedensbrüchen und Verstößen nach dem Versammlungsgesetz anlässlich demonstrativer Aktionen im Rahmen einer Rechts-Links-Konfrontation. In diesem Kontext steht auch der Anstieg der Propagandadelikte und damit aller Straftaten des Phänomenbereichs PMK – rechts –. 2. Wie sind die Strafverfahren, aufgeteilt nach Verurteilung, Freispruch, Einstellung usw., jeweils ausgegangen? In nachfolgender Tabelle des Justizressorts sind die Verfahrensausgänge dargestellt : Eingeleitete Ermittlungsverfahren 2009 2010 2011 §§ 86, 86 a StGB 87 87 107 §§ 125, 125 a StGB 1 0 0 §§ 130, 131 StGB 27 17 13 §§ 211, 212 StGB 0 0 0 §§ 223 ff. StGB 2 7 2 §§ 306 ff. StGB 0 0 0 Antisemitische Bestrebungen 0 2 1 Sonstige Delikte 5 13 5 Insgesamt 122 126 128 Beendete Strafverfahren 2009 2010 2011 Einstellung nach §§ 170 Abs. 2 StPO 68 82 75 Davon Täter nicht ermittelt 51 57 63 §§ 153 ff. StPO 10 4 12 §§ 45, 47 JGG 1 2 6 Verurteilte insgesamt 18 11 14 Freispruch 0 0 0 Sonstige Entscheidung 19 29 20 Deliktstatistik des LKA 2009 2010 2011 Remo Limo Aumo Remo Limo Aumo Remo Limo Aumo — 3 — 3. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat zu den jeweiligen Straftätern, aufgeteilt nach Alter, Geschlecht, Vorstrafen oder Zugehörigkeit zu politischen Vereinigungen , vor? 2009 2010 2011 TV gesamt 153 83 240 TV nach Geschlecht m w m w m w 140 13 79 4 196 44 TV nach Alter Bis 13 Jahre 1 0 0 0 3 3 14 bis 17 Jahre 19 2 12 1 30 13 18 bis 20 Jahre 36 3 15 0 44 10 21 bis 24 Jahre 26 3 10 0 36 7 25 bis 29 Jahre 12 2 22 1 15 3 Über 30 Jahre 46 3 20 2 68 8 Erkenntnisse zu Vorstrafen der festgestellten Tatverdächtigen sowie über die Zugehörigkeit zu politischen Vereinigungen werden statistisch nicht erfasst und liegen der Polizei nur fragmentarisch vor. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes lassen sich nur wenige Täter einer rechtsextremistischen Gruppe zuordnen (NPD-Anhänger, Neonazis und Subkulturellen, insbesondere Skinheads). Die linksmotivierten Delikte werden zumeist von Tätern aus dem autonomen Bereich begangen. Bei der politisch motivierten ausländerfeindlichen Kriminalität werden schwerpunktmäßig Delikte strafrechtlicher Nebengesetze aufgeführt. Bei Verstößen gegen das Vereinsgesetz ist eine Häufung bei Tätern aus dem Bereich der PKK festzustellen. 4. Welche überörtlichen Erkenntnisse zu Bremern, die in politisch motivierte Straftaten verwickelt waren, sind dem Senat bekannt? Bremer Tatverdächtige aus allen Kriminalitätsbereichen nehmen regelmäßig an überregionalen Veranstaltungen etc. teil. In diesen Zusammenhängen kommt es auch immer wieder zu Straftaten. Dieser Komplex wird bisher aber nicht gesondert erfasst und ausgewertet. 5. Wie beurteilt der Senat die Entwicklung der salafistischen Bestrebungen im Land Bremen? Der Verfassungsschutzverbund hat 2011 die „Salafistischen Bestrebungen“ zu einem eigenen Beobachtungsobjekt erklärt, da tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Träger salafistischer Bestrebungen in Deutschland gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen. Der Salafismus gilt sowohl in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Ihr werden in Deutschland derzeit ca. 3 800 und in Bremen ca. 350 Personen zugerechnet. In Bremen wird in zwei Moscheen, im „Islamisches Kulturzentrum e. V.“ (IKZ) und im „Kultur und Familien Verein“ (KuF), die salafistische Ideologie vertreten und weitere Moscheen werden von Salafisten frequentiert. Das IKZ ist mit 350 bis 400 Besuchern zum Freitagsgebet die größte salafistische Moschee in Bremen. Insgesamt lässt sich in den vergangenen Jahren eine Steigerung der Besucherzahlen im IKZ feststellen. In der Entwicklung ist seit 2011 eine verstärkte Hinwendung des IKZ in Richtung Saudi-Arabien zu beobachten, was vermutlich auch als Reaktion auf das Ermittlungsverfahren des BMI gegen das IKZ zurückzuführen ist. So treten z. B. vermehrt salafistische Referenten aus Saudi-Arabien bei Islamseminaren und Vorträgen im IKZ auf. Diese Veranstaltungen führen wiederkehrend zu hohen Besucherzahlen; zum Teil sogar aus dem Bundesgebiet oder dem angrenzenden Ausland (Frankreich, Belgien, Niederlande). Der KuF gründete sich nach einem Zerwürfnis mit dem IKZ im Jahre 2007. Mit seinen durchschnittlich etwa 30 bis 40 Besuchern beim Freitagsgebet ist er zwar zahlenmäßig kleiner als das IKZ, deren Anhänger aber stehen für eine besonders — 4 — radikale Strömung des Salafismus. Einzelne Vereinsanhänger können aufgrund ihrer grundsätzlichen Befürwortung von Gewalt zur Verwirklichung ihrer Ziele als jihadistische Salafisten bezeichnet werden. Seit der Gründung des Vereins ist ein steter Zulauf von insbesondere jungen Besuchern in die Moschee zu beobachten. Wirkten mit Gründung des KuF noch viele Elemente ihrer Aktivitäten unorganisiert und insgesamt zurückgezogen, so ist diesbezüglich seit Anfang 2010 eine „Öffnung“ und „Professionalität“ zu beobachten. Hier sind exemplarisch die Beteiligung an der Gründung eines islamischen Verlages, die Präsenz im Internet mit einer eigenen Homepage sowie der Aufbau von Infoständen zu nennen. Letztere wurden auch dazu genutzt, um bei der bundesweiten Aktion „LIES“ kostenlos Koranausgaben, salafistische Literatur und „hauseigene“ Flyer zu verteilen. Provokationen mit den „Mohammed-Karikaturen“ haben kürzlich in Bonn zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Bewegung „Pro NRW“, der Polizei und radikalen Salafisten geführt. An den gewalttätigen Protesten beteiligten sich auch Anhänger des KuF. Auch nach Köln waren einige gefahren, wurden jedoch frühzeitig mit einem Platzverweis belegt. Die kontinuierlich betriebene Da`wa-Arbeit (zum Islam rufen, zum Islam bekehren ) und Unterrichte im IKZ und KuF mit Erwachsenen, Jugendlichen und auch Kindern zeigen die besondere Anziehungskraft für junge Salafisten. 6. Wie bewertet der Senat die Aussage des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, dass man nicht über Verbote salafistischer Vereine redet, sondern diese macht? Auch wenn bislang keine schweren Straftaten der salafistischen Gruppierungen in Bremen ersichtlich geworden sind, werden deren Aktivitäten von der Staatsschutzdienststelle des LKA Bremen sowie dem Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten aufmerksam verfolgt. Vom LfV Bremen wurde 2010 darauf hingewirkt, dass das IKZ als Teil eines bundesweit agierenden salafistischen Netzwerkes in das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren des Bundesinnenministeriums gegen den Verein „Einladung zum Paradies e. V.“ (EZP) in Braunschweig und Mönchengladbach einbezogen wurde. Aufgrund der Selbstauflösung des Vereins „Einladung zum Paradies e. V.“ ruht das Verfahren auch gegen das IKZ seitens des BMI zurzeit in Gänze. 7. Inwiefern plant der Senat Verbote gegen salafistische Vereine auszusprechen? Der Senator für Inneres und Sport erhebt und bewertet Informationen zu salafistischen Vereinen in eigener Zuständigkeit. Die Prüfung etwaiger Verbotsgründe erfolgt in enger Abstimmung mit dem Bund und den Ländern. Druck: Anker-Druck Bremen