— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Stadtbürgerschaft 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 520 S Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 30. Januar 2014 Alte Menschen mit Suchtproblemen brauchen spezielle Unterstützung Wenn über suchtkranke Menschen gesprochen wird, denken viele vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. Nicht so bekannt ist, dass süchtig sein auch und gerade im Alter ein großes Problem ist. Dabei sind ältere und alte Menschen meistens nicht von illegalen Drogen abhängig, sondern es geht vor allem um Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol und von Medikamenten. Häufig spielt sich dies hinter verschlossenen Türen ab und wird nicht erkannt, verharmlost oder geleugnet – dies gilt sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Menschen in ihrem Umfeld, einschließlich der professionellen Helferinnen und Helfer. Alkohol zu trinken finden viele ganz normal, zu bestimmten Anlässen wird es geradezu eingefordert. Die gehäufte Einnahme von Medikamenten wird oft nicht als Problem erkannt, denn der Übergang zum gesundheitsschädlichen Missbrauch und zur Abhängigkeit kann fließend sein. Durch diesen Missbrauch schädigen Ältere aber ihre Gesundheit und oft auch ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Sucht im Alter unterscheidet sich jedoch sowohl im Umgang als auch in der Behandlung von der Sucht jüngerer Menschen, denn die Lebenslagen und der Lebensalltag alter Menschen weisen spezifische Risiken auf. Deshalb müssen bei der Suchthilfe auch unterschiedliche Anknüpfungspunkte gewählt werden für eine wirksame Prävention , Therapie und Rehabilitation. Damit eine wirksame Hilfe möglich ist, sollten Menschen, die in der Alten- und Krankenhilfe arbeiten, über die besonderen Erscheinungsformen der Sucht alter Menschen informiert sein und diese auch erkennen können. Andererseits sollten Menschen , die in der Suchthilfe arbeiten, spezielle Kenntnisse darüber haben, wie gerade alten Menschen aus ihrer Abhängigkeit herausgeholfen werden kann, was hier besonders zu beachten ist. Pflege- und Unterstützungspersonen für alte Menschen sollten auch schon in ihrer Ausbildung auf diese speziellen Fragen vorbereitet werden . Wir fragen den Senat: 1. Wo wird im Suchthilfesystem Bremens gezielte Unterstützung für ältere und alte Menschen angeboten? Welche Art von Beratung und Unterstützung, welche Therapieangebote gibt es? 2. Inwieweit sind Angebote der Altenhilfe und solche der Suchthilfe miteinander vernetzt? 3. Wie unterstützt der Senat eine solche Zusammenarbeit? 4. Welche weiteren Angebote zur Unterstützung von suchtkranken älteren Menschen sind nach Auffassung des Senats notwendig? 5. In welcher Form sind Inhalte der Suchthilfe für alte Menschen bereits in den Curricula der unterschiedlichen Pflegeausbildungen verankert? Sieht der Senat die Notwendigkeit von Verbesserungen? Welche anderen Wege sieht der Senat , um die Pflegeausbildungen in diesem Punkt zu verbessern? Dirk Schmidtmann, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Maike Schaefer, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen — 2 — D a z u Antwort des Senats vom 4. März 2014 1. Wo wird im Suchthilfesystem Bremens gezielte Unterstützung für ältere und alte Menschen angeboten? Welche Art von Beratung und Unterstützung, welche Therapieangebote gibt es? Im Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Standort Bremen -Ost und den dazugehörigen regionalen Behandlungszentren Mitte, West, Süd, Ost und am Behandlungszentrum Nord wird grundsätzlich eine suchtmedizinische Versorgung, insbesondere für Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit, angeboten. Für drogenabhängige Menschen stehen die Angebote der Drogenhilfezentren Mitte und Nord und des Kontakt- und Beratungszentrum Tivoli zur Verfügung. Die personenzentrierten Hilfen sind auf die jeweilige Situation ausgerichtet , spezifische Angebote für „alte Menschen“ werden nicht vorgehalten. In der medizinischen Rehabilitation der in Bremen tätigen Träger gibt es Altersund Lebensphasen bezogene Therapiegruppen. Weiter hält Bremen im Rahmen der Eingliederungshilfe ca. 240 Plätze im betreuten Wohnen und 170 Plätze im Wohnheimbereich für sucht- und drogenkranke Menschen bereit. Über 50 % der belegten stationären Heimplätze für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitserkrankte (CMA) Personen werden durch über 60-jährige Personen belegt , beim betreuten Wohnen für Suchtkranke sind es über 20 %. 2. Inwieweit sind Angebote der Altenhilfe und solche der Suchthilfe miteinander vernetzt? Über die Einzelfallarbeit hinaus ist es in den letzten Jahren gelungen, Altenhilfe und Suchthilfe in unterschiedlichem Maße miteinander zu vernetzen. Die stadtteilorientierte Altenhilfe gewährleistet mit ihren Angeboten einen wichtigen Anteil an der Gesundheitsprävention und damit auch an der Suchtprävention. Diese Ansätze bieten die Grundlage für eine zukünftige Weiterentwicklung, die auf der Grundlage der demografischen Entwicklung das Suchtproblem als eines der Hindernisse für Selbstbestimmung und Gesundheit im Alter berücksichtigen muss. Selbsthilfegruppen älterer Menschen Die Förderung von Selbsthilfe gehört zu den expliziten Zielbestimmungen bremischer Altenpolitik. Sie zielt auf die Unterstützung der lebensweltbezogenen gegenseitigen Hilfe von Betroffenen. Die Initiierung der Selbsthilfepotenziale soll das freiwillige Engagement älterer Menschen anregen. Damit sich die gesellschaftliche Teilhabe erhöht, fördert Bremen im Rahmen der Altenhilfe Selbsthilfegruppen, die vorwiegend in nachbarschaftlichen Zusammenhängen zu finden sind. Aktuell werden im Rahmen der Selbsthilfeförderung 22 Nachbarschaftsinitiativen , Bewohnertreffs, Altenclubs und weitere Gruppen gefördert . Diese Aktivitäten sind als primäre Prävention zu werten, weil sie der Vereinsamung älterer Menschen entgegenwirkt. Suchterkrankungen können eine Folgeerscheinung von Isolierung und gesundheitlichen Problemen sein. Eine Kooperation von Selbsthilfegruppen älterer Menschen mit Suchthilfegruppen ist nicht bekannt. Der Grundsatz der Neutralität gebietet es, nicht regelnd auf Organisationsstrukturen der Selbsthilfeinitiativen einzuwirken. Amt für Soziale Dienste Das Amt für Soziale Dienst ist zuständig für die Beratung und Unterstützung alleinstehender Erwachsener ab dem 18. Lebensjahr über den Sozialdienst Erwachsene (SD E), der dezentral in allen Sozialzentren verortet ist. Im Rahmen dieser Aufgabenstellung kommt es natürlich auch zu Kontakten und Beratungen von älteren Menschen mit einem Alkoholproblem. In diesen Fällen erfolgt eine Weitervermittlung an die regionalen Behandlungszentren. Pflegestützpunkte Die Pflegestützpunkte sind trägerübergreifende Einrichtungen des Landes, der beiden Städte und der Kranken- und Pflegekassen mit der Zielsetzung einer wohnortnahen und wettbewerbsneutralen Beratung. Als Beratungs- und An- — 3 — laufstellen konzentrieren sich die Pflegestützpunkte auf die Hilfestellung bei der Inanspruchnahme der Leistungen und Einzelfallberatung sowie auf allgemeine Information rund um die Pflege für alle hilfe- und ratsuchenden Menschen . Hierzu gehört die Erstberatung und Weiterleitung an Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Behandlungszentren. Ihr Angebot richtet sich nicht nur an Betroffene, sondern auch an deren Angehörige. Auch zum Thema Sucht im Alter bieten die Pflegestützpunkte im Land Bremen Information und Beratung an, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Selbsthilfegruppen oder anderer qualifizierter Dienste vor Ort und/oder spezieller zentraler Dienste. Dienstleistungszentren Die 17 Dienstleistungszentren der Stadtgemeinde Bremen halten ein umfassendes Informations- und Beratungsangebot insbesondere für ältere Menschen vor. Sie sind über das ganze Stadtgebiet verteilt und stellen, räumlich zugeordnet, Erstanlaufstellen für Rat-und Hilfesuchende dar. Die qualifizierten Beraterinnen/ Berater sind auf alle Themenbereiche älterer Menschen vorbereitet. Ihr Angebot richtet sich sowohl an Betroffene als auch an deren Angehörige. Das Angebot der Dienstleistungszentren beinhaltet das Thema Sucht im Alter, wobei sie auch die Unterstützung von spezialisierten Diensten in Anspruch nehmen bzw. auf diese verweisen. Die Schulung, Vermittlung und Betreuung von Nachbarschaftshelferinnen/Nachbarschaftshelfern ist ein Angebotsschwerpunkt der Dienstleistungszentren. Das Thema Sucht im Alter ist in die Schulungen integriert. Zugleich werden die Nachbarschaftshelferinnen /Nachbarschaftshelfer bei Kontakt mit dem Thema vor Ort entsprechend unterstützt und begleitet. Stationäre Altenpflegeeinrichtungen Insgesamt gibt es im Land Bremen 199 Plätze in speziellen stationären Pflegeeinrichtungen für ältere suchtkranke Menschen: 1. Verein für Innere Mission in Bremen, Isenbergheim, Kornstraße 209/2011, 28201 Bremen, 35 Plätze, 2. Verein für Innere Mission in Bremen, Adelenstift, Am Heidbergstift 36, 28717 Bremen, 60 Plätze, 3. Christliches Reha-Haus Bremen e. V., Kattenturmer Heerstraße 156, 28277 Bremen, 69 Plätze, 4. Friedehorst gGmbH, Bodo-Heyne-Haus, Hohentorsheerstraße 9-10, 28199 Bremen, 20 Plätze, 5. AWO Bremerhaven, Haus Anker, Zoppoter Straße 4, 27576 Bremerhaven, 15 Plätze. Außerhalb dieser spezialisierten Einrichtungen werden in den Altenpflege- und Altenheimen in einzelnen auffälligen Fällen spezialisierte Dienste (Behandlungszentren ) eingeschaltet. Insgesamt sind hier Initiativen notwendig, sich der Suchtproblematik mehr zu öffnen. Ambulante Pflegedienste Was für den stationären Bereich bekannt ist, gilt auch für die ambulanten Pflegedienste . Um in der Pflege und Betreuung von pflegebedürftigen älteren Menschen frühzeitig eine Suchtproblematik erkennen zu können, sind weitere Fortbildungsinitiativen notwendig. Bisher wird bei einer erkennbaren Suchtproblematik das Behandlungszentrum eingeschaltet. Für die Drogenhilfe hat sich im Zusammenhang mit einer AIDS-Erkrankung ein Pflegedienst spezialisiert. Begegnungsstätten Die Begegnungsstätten der Stadtgemeinde Bremen halten ein individuelles vielfältiges Beratungsangebot vor. Sie stellen einen ersten Anlaufpunkt im Stadtteil bzw. im Quartier auch für ältere Menschen mit Suchtproblemen bzw. Menschen im Umfeld von Suchtverhalten dar. In der vertrauensvollen Atmosphäre der Begegnungsstätten , aber auch im geschützten Rahmen kann eine Problemannahme, — 4 — Erstberatung und Information zu konkreten Beratungs- und Hilfsangeboten erfolgen . Mit Zustimmung der/des Betreffenden ist eine ehrenamtliche Begleitung möglich. Zudem stellen die Begegnungsstätten einen Ort der Zusammenkunft, der Kommunikation und damit auch der sozialen Kontrolle dar. In der vertrauensvollen Atmosphäre werden Verhaltensänderungen wahrgenommen und angesprochen. Bei Fernbleiben wird nachgefragt. Die Begegnungsstättenleiterinnen/Begegnungsstättenleiter sind mit ihrem Beratungsangebot einbezogen. Aufsuchende Altenarbeit – Hausbesuche Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der aufsuchenden Altenarbeit können bei Hausbesuchen auf eine Suchtproblematik treffen. Im Rahmen der stadtteilbezogenen aufsuchenden Altenarbeit werden ehrenamtliche Besucherinnen/Besucher auch auf den Kontakt vor Ort mit dem Thema Sucht vorbereitet und zur Rückmeldung angehalten. In Kooperation mit anderen Diensten vor Ort und, sofern vorhanden, Angehörigen wird gemeinsam nach individuellen Lösungen gesucht. Vertraulichkeit, sofern gewünscht, und Datenschutz werden gewahrt. 3. Wie unterstützt der Senat eine solche Zusammenarbeit? In der Aktionswoche Sucht 2012 der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit war „Suchtmittel im Alter“ Schwerpunktthema. Neben einer Fachtagung wurden elf Stadtteilveranstaltungen in Begegnungsstätten und Pflegestützpunkten und eine Veranstaltung für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer durchgeführt. Zielsetzungen dieser Veranstaltungen waren die Verbesserung des Erkennens eines problematischen Substanzkonsums bei älteren Menschen und des Umgang damit. Zielgruppen der Veranstaltungen waren Seniorinnen und Senioren, Angehörige und Fachkräfte der Altenhilfe. Fachliche Inputs kamen aus den Behandlungszentren, dem Gesundheitsamt und der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit. Ergänzungen fand diese Veranstaltungsreihe durch Informationsstände des „Bremer Aktionsbündnisses Alkohol: Verantwortung setzt die Grenze“ in der Innenstadt und auf der Veranstaltung „Bremen alt erleben“ im Rathaus. In der diesjährigen Suchtwoche greift eine Pflegeschule das Thema Sucht auf, die Verkehrswacht Bremen wird eine Informationsveranstaltung speziell zur Suchtproblematik älterer Menschen durchführen . 4. Welche weiteren Angebote zur Unterstützung von suchtkranken älteren Menschen sind nach Auffassung des Senats notwendig? Anknüpfend an die positiven Erfahrungen der Suchtwoche 2012 wird der Senat weiterhin alle Aktionen unterstützen, die die Bevölkerung für die Risiken erhöhten Alkohol- und Medikamentenkonsums im Alter sensibilisieren und bestehende Netzwerke stärken. Der Senat wird sich in Zusammenarbeit mit den zuständigen Einrichtungen und Kammern dafür einsetzen, dass „Substanzbezogene Störung“ in Aus-, Fort- und Weiterbildung der medizinischen Berufen integriert wird und das Medikamentenmanagement in der ambulanten und stationären Altenhilfe verbessert wird. 5. In welcher Form sind Inhalte der Suchthilfe für alte Menschen bereits in den Curricula der unterschiedlichen Pflegeausbildungen verankert? Sieht der Senat die Notwendigkeit von Verbesserungen? Welche anderen Wege sieht der Senat , um die Pflegeausbildungen in diesem Punkt zu verbessern? In der Krankenpflegeausbildung wird das Gesamtgebiet Sucht im Lehrplan behandelt. In der Altenpflegeausbildung ist das Thema Suchterkrankungen Bestandteil des theoretischen Rahmenlehrplans im Lernfeld 1.3/2. Ausbildungsjahr : „Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen“. Darüber hinaus kooperieren einige Schulen zusätzlich mit Selbsthilfegruppen. Das Thema Sucht wird im Rahmen der Aktualisierung des Rahmenlehrplans weiterhin Berücksichtigung finden. Druck: Hans Krohn · Bremen