— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 537 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. Juni 2012 Unterstützung für intersexuelle Menschen und deren Angehörige Seit langem ist bekannt, dass Kinder, deren Körper unterschiedliche Geschlechtsmerkmale aufweisen, nach ihrer Geburt häufig chirurgischen Eingriffen ausgesetzt sind, die zu einer „eindeutigen“ Zuordnung des Geschlechts führen sollen. Diese Zuweisung bringt die Betroffenen spätestens in der Pubertät nicht selten in eine heftige Identitätskrise und kann schwerwiegende psychische Folgen haben. Das Thema Intersexualität wurde in den letzten Jahren insbesondere durch die Aktivitäten von Betroffenengruppen, aber auch durch Diskussionen im Bereich des Sports in den Medien stärker wahrgenommen als früher. Die Bürgerschaft (Landtag) hatte im Februar 2011 einstimmig einen Antrag (Drs. 17/1561) beschlossen, der sich dieser Problematik annahm. Die im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Stellungnahme des Deutschen Ethikrates vom 23. Februar 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass intersexuelle Menschen den Respekt und die Unterstützung der Gesellschaft benötigen . Dazu gehört, dass für sie und ihre Angehörigen eine professionelle Beratung und Hilfestellung sichergestellt werden muss. Betroffene Eltern müssen von dem Zeitdruck befreit werden, wenige Tage nach der Geburt beim Standesamt das Geschlecht des Kindes anzugeben. Eine umfassende Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema in Schulen sowie ein entsprechendes Fortbildungsangebot für Hebammen , Ärzte, Ärztinnen und weiteres medizinisches Fachpersonal sind ebenfalls notwendig. Wir fragen den Senat: 1. Welche konkreten Maßnahmen plant der Senat, um das Selbstbestimmungsrecht intersexueller Menschen zu stärken und sie in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen (siehe auch Drs. 18/307, Mitteilung des Senats vom 20. März 2012, „Entwicklungsplan Partizipation und Integration“, Seite 23)? 2. Welche Schritte hat der Senat bereits unternommen, um a) zu prüfen, ob Eltern künftig die Möglichkeit eingeräumt werden kann, das Geschlecht eines neu geborenen Kindes nicht mehr zwingend mit „weiblich “ oder „männlich“ anzugeben; b) eine entsprechende Beratung für Erziehungsberechtigte von intersexuellen Kindern und für die betroffenen Kinder und Erwachsenen sicherzustellen ; c) zu prüfen, wie Lehrkräfte für das Thema sensibilisiert werden können, und welche Ergebnisse wurden dabei erzielt? 3. Welche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte, Ärztinnen, Hebammen und anderes medizinisches Fachpersonal sind dem Senat bekannt? 4. Steht der Senat in Bezug auf entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote im Dialog mit den zuständigen Kammern und Verbänden (z. B. Ärzten, Ärztinnen , Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Hebammen), und wenn ja, was haben die Gespräche ergeben? — 2 — 5. Auf welche Weise plant der Senat, sich auf Bundesebene für die Beseitigung jeglicher rechtlichen Diskriminierung intersexueller Menschen einzusetzen bzw. ist dies bereits geschehen? Doris Hoch, Björn Fecker, Dr. Stephan Schlenker, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 7. August 2012 1. Welche konkreten Maßnahmen plant der Senat, um das Selbstbestimmungsrecht intersexueller Menschen zu stärken und sie in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen (siehe auch Drs. 18/307, Mitteilung des Senats vom 20. März 2012, „Entwicklungsplan Partizipation und Integration“, Seite 23)? Der Senat unterstützt das Selbstbestimmungsrecht intersexueller Menschen. Die komplexe Lebenssituation von intersexuellen Menschen in einer zweigeschlechtlich fixierten Gesellschaft zeigt die notwendigen Schritte: Mit dem langfristigen Ziel einer Beseitigung von Diskriminierung geht es vorrangig um eine Änderung des Personenstandsrechts, um die Vermeidung frühzeitiger operativer Eingriffe, um die Beratung von Erziehungsberechtigten und Lehrkräften sowie um Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung. Die konkreten Maßnahmen im Land Bremen sind in den Antworten zu den Fragen 2 a), 2 b) und 2 c) sowie 3 und 4 dargestellt. Darüber hinaus wird derzeit ein Kooperationsangebot der Bremer Universität zur vertiefenden Forschung geprüft. Siehe auch die Antwort zu Frage 5 zu den geplanten Aktivitäten auf Bundesebene . 2. Welche Schritte hat der Senat bereits unternommen, um a) zu prüfen, ob Eltern künftig die Möglichkeit eingeräumt werden kann, das Geschlecht eines neu geborenen Kindes nicht mehr zwingend mit „weiblich “ oder „männlich“ anzugeben? Der Senator für Inneres und Sport weist darauf hin, dass nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 des Personenstandsgesetzes das Geschlecht des Kindes im Geburtenregister beurkundet wird. Es ist nach Nr. 21.4.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz mit „weiblich“ oder „männlich “ einzutragen. Ein anderer Eintrag ist gegenwärtig nicht zulässig. Der Senat teilt die Aussagen des Deutschen Ethikrates zum Personenstandsrecht , wonach die Eintragung „anderes“ im Personenstandsregister, für Personen , deren Geschlecht nicht eindeutig feststeht, ermöglicht und weiterhin geprüft werden sollte, inwieweit eine Eintragung des Geschlechts überhaupt notwendig ist. Bremen wird im Gesetzgebungsverfahren zum Personenstandsänderungsgesetz eine Aufforderung an die Bundesregierung unterstützen , mit der diese um Prüfung gebeten werden soll, inwieweit die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates im Gesetzesentwurf noch berücksichtigt werden können. b) eine entsprechende Beratung für Erziehungsberechtigte von intersexuellen Kindern und für die betroffenen Kinder und Erwachsenen sicherzustellen ? Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen wird in ihrem Zuständigkeitsbereich Beratungsstellen, bei denen Eltern um Unterstützung in ihrer Erziehungsverantwortung nachsuchen, auffordern, sich mit der Thematik der Intersexualität auseinanderzusetzen und – wo nötig und möglich – entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote zu besuchen, um auf diesem Wege dazu beizutragen, insbesondere Eltern die erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen. Ziel der Beratung sollte sein, dass Kinder im familiären Kontext unbeeinträchtigt aufwachsen können. Bei Bildung einer Selbsthilfegruppe von betroffenen Eltern kann die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen Unterstützung anbieten. — 3 — c) zu prüfen, wie Lehrkräfte für das Thema sensibilisiert werden können, und welche Ergebnisse wurden dabei erzielt? Die Lehrkräfte im Lande Bremen sind an die Vorgaben der Bildungspläne gebunden. In diesen wird in unterschiedlichen Fächern der Bereich „Sexualerziehung “ thematisiert, sodass eine Beschäftigung mit der Thematik der Intersexualität immanenter Bestandteil des Unterrichts ist. Alle Lehrkräfte sind an das Schulgesetz gebunden, in dem die Erziehungsziele Respekt und Toleranz deutlich vorgegeben sind. So steht in § 4: „Die Schule ist Lebensraum ihrer Schülerinnen und Schüler (. . .)“ und „hat die Aufgabe, gegenseitiges Verständnis und ein friedliches Zusammenleben in der Begegnung und in der wechselseitigen Achtung der sozialen, kulturellen und religiösen Vielfalt zu fördern und zu praktizieren. In § 5 heißt es, dass „die Schule (. . .) gefährdenden Äußerungen religiöser, weltanschaulicher oder politischer Intoleranz entgegenzuwirken“ hat. Des Weiteren soll die Schule insbesondere erziehen: „1. zur Bereitschaft, politische und soziale Verantwortung zu übernehmen; (. . .); 3. zur Bereitschaft, sich für Gerechtigkeit und für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen; (. . .); 6. zum Verständnis für Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen und zur Notwendigkeit gemeinsamer Lebens - und Erfahrungsmöglichkeiten (. . .)“. 3. Welche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte, Ärztinnen, Hebammen und anderes medizinisches Fachpersonal sind dem Senat bekannt? 4. Steht der Senat in Bezug auf entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote im Dialog mit den zuständigen Kammern und Verbänden (z. B. Ärzten, Ärztinnen , Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Hebammen), und wenn ja, was haben die Gespräche ergeben? Dem Senat liegt kein Überblick über Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten vor. Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit hat bereits im Frühjahr 2012 die Bremer Ärztekammer, die Psychotherapeutenkammer, den Hebammenlandesverband Bremen e. V. sowie sämtliche Krankenhäuser, auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen und entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote zu intensivieren, um auf diesem Wege dazu beizutragen, den betroffenen Menschen die erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen. 5. Auf welche Weise plant der Senat, sich auf Bundesebene für die Beseitigung jeglicher rechtlicher Diskriminierung intersexueller Menschen einzusetzen bzw. ist dies bereits geschehen? Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen hat auf der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen, -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder (GFMK) am 14. und 15. Juni 2012 in Nürnberg den Beschluss unterstützt, die Lebensbedingungen von intersexuellen Menschen zu verbessern. Die GFMK hat die Bundesregierung sowie die Fachministerkonferenzen der Länder, insbesondere die GMK, JFMK, JuMiKo, IMK und FMK aufgefordert, die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates umzusetzen. Dabei misst sie den Empfehlungen zur weitgehenden Unterlassung geschlechtsausgleichender medizinischer Eingriffe schon im Kindesalter, zu Änderungen der Ausweisung des Geschlechts in amtlichen Dokumenten sowie der Möglichkeit der Eingehung einer Ehe bzw. einer eingetragenen Partnerschaft besondere Bedeutung zu. Siehe auch die Antwort zu Frage 2 a). Ebenso hat die 85. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 27. und 28. Juni 2012 in Saarbrücken die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Thema Intersexualität einstimmig begrüßt. Die GMK würdigt auch den Weg, den der Deutsche Ethikrat zur Erfüllung seines von der Bundesregierung erteilten Auftrages gewählt hat: Mit einem fachlich weiten Blick, im Wege einer mehrdimensionalen Methodik unter Einbeziehung umfangreicher Expertise sowie der Betroffenen selbst ist er zu seiner Entscheidungsfindung gelangt. Druck: Anker-Druck Bremen