— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 547 (zu Drs. 18/462) 21. 08. 12 Mitteilung des Senats vom 21. August 2012 Genehmigungsverfahren im Baurecht Die Fraktion der SPD hat unter Drucksache 18/462 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Wie beurteilt der Senat die in der angeführten Studie zum Ausdruck gebrachte Kritik, dass die Empfehlungen der Mittelstandsenquête 2002/2004 in den Bereichen Baugenehmigungsverfahren und Baurecht nicht umgesetzt worden seien? Der Senat hat bei der Bearbeitung von Genehmigungsverfahren im Baurecht grundsätzlich ein hohes Interesse, diese serviceorientiert, rechtssicher und in möglichst kurzer Bearbeitungszeit abzuwickeln. Mit der Studie wird zutreffend ausgeführt, dass im ersten Referentenentwurf zur LBO-Novelle 2007 vorgesehen war, den Anwendungsbereich des Genehmigungsfreistellungsverfahrens und des vereinfachten Genehmigungsverfahrens auf alle baulichen Anlagen, die keine Sonderbauten sind, auszuweiten. Obwohl dies zu einer relevanten Entlastung der Verwaltung und zu einer deutlichen Verfahrensbeschleunigung geführt hätte, wurde seiner Zeit in der Gesamtbeurteilung anerkannt, dass Investoren und Architekten vielfach dem Aspekt der Rechtssicherheit Vorrang gegenüber einer schnelleren Umsetzungsmöglichkeit von Bauvorhaben einräumen. Senat und Bürgerschaft haben aus diesen Gründen und im Interesse einer umfassenden Beteiligung der Beiräte mit der im Jahr 2009 beschlossenen LBO-Novelle daher davon abgesehen, die genannte Deregulierung auch auf gewerbliche Vorhaben auszudehnen. Warum die Gutachter trotz des geschilderten Evaluierungsergebnisses nunmehr erneut vorschlagen, die Verfahrensderegulierung auch auf gewerbliche Vorhaben auszuweiten, ist für den Senat nicht verständlich. Außerdem wird in der Studie kritisch bewertet, dass die Selbstverpflichtung der stadtbremischen Bauaufsichtsbehörden, alle gewerblichen Baugenehmigungsverfahren (außer Sonderbauten) innerhalb von acht Wochen zum Abschluss zu bringen, 2009 wegen Personalmangel ausgesetzt worden ist. Andererseits erkennt das Gutachten an, dass die mit dem Inkrafttreten der novellierten BremLBO eingeführte Bearbeitungsfrist von drei Monaten auch unter dem Aspekt eines durch die Novelle erhöhten Prüfaufwandes zu beurteilen ist. Dieser erhöhte Aufwand resultiert z. B. daraus, dass die Baugenehmigung jetzt ausdrücklich als „Schlussstein“ aller öffentlich-rechtlichen Prüfungen, die für die Ausführung des Vorhabens neben der Baugenehmigung erforderlich sind, ausgestaltet worden ist (Schlusspunktfunktion). Damit hat die Baugenehmigungsbehörde die Koordination aller öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahren für das Vorhaben wahrzunehmen . Diese Dienstleistungsfunktion führt für die bauantragstellenden Unternehmen zu Verfahrensvereinfachungen und in Einzelfällen auch zu einer Beschleunigung im Gesamtablauf einer Antragstellung. Von den Gutachtern wird außerdem kritisch angemerkt, dass eine Überschreitung der gesetzlichen Bearbeitungsfrist von drei Monaten keine Rechtsfolgen hat. Dies ist allerdings kein Unterschied zur Überschreitung der ausgesetzten Acht-Wochen-Frist im Rahmen der Selbstverpflichtung. — 2 — Nach Auffassung des Senats kommt insbesondere die Festschreibung einer Genehmigungsfiktion bei Fristüberschreitung nicht in Betracht. Da in diesen Fällen der gesetzliche Prüfauftrag nicht erfüllt ist, kann sich die Frage nach der Rücknahme einer rechtswidrigen Baugenehmigung stellen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit liegt nicht im Interesse des Bauherrn und durch die Rücknahme würde im Einzelfall ein hoher Verwaltungsaufwand erzeugt. Vor diesem Hintergrund entscheidet sich die Neufassung der BremLBO bewusst gegen fiktive Baugenehmigungen. Das Gutachten empfiehlt zwar eine Abwicklung aller gewerblichen Baugenehmigungsvorhaben innerhalb von acht Wochen , verbindet diese Empfehlung aber ebenfalls nicht mit der Forderung nach einer Genehmigungsfiktion bei Fristüberschreitung. 2. Welchen Stellenwert räumt der Senat einer zügigen Bearbeitung von Baugenehmigungsverfahren ein? Der Senat hat ein großes Interesse an möglichst kurzen Verfahrenslaufzeiten. Die Verfahren sind allerdings hinsichtlich des Prüfprogramms so auszugestalten , dass eine möglichst hohe Planungs-, Investitions- und Rechtssicherheit sowie eine kundenorientierte Beratung gewährleistet bleibt. Zu dieser Investitions - und Rechtssicherheit gehört auch, dass Fragen der Bautechnik (Standsicherheit , Brandschutz) weiterhin hoheitlich geprüft werden, soweit dies zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit notwendig ist. 3. Welche Gründe haben dazu geführt, dass die 2004 vom Bauressort vorgenommene Selbstverpflichtung, alle gewerblichen Baugenehmigungsverfahren innerhalb einer Bearbeitungsfrist von acht Wochen abzuwickeln, im Jahr 2009 ausgesetzt wurde? Durch erhebliche Personalfluktuation konnte die Selbstverpflichtung nicht mehr eingehalten werden. Während es in den Jahren 2004 bis 2008 zahlreiche vor allem altersbedingte Personalabgänge in der Bauordnung Bremen-Stadt gegeben hatte, die aufgrund der Personaleinsparverpflichtungen zunächst nur teilweise ausgeglichen worden sind, sind im Jahr 2009 fünf Sachbearbeiterstellen und eine Abschnittsleitung neu besetzt worden. Insgesamt drei dieser Stellen waren zuvor eingespart und sind damit wieder Planstellen geworden. Allerdings sind in den Jahren 2008 bis 2010 fünf Ingenieure der Bauordnung unplanmäßig ausgeschieden, etwa weil sie eine entsprechende Aufgabe bei anderen Bauaufsichtsbehörden übernommen haben, zum Teil unmittelbar nach einer aufwändigen Einarbeitung. Alle unplanmäßig freigewordenen Stellen sind anschließend wieder ausgeschrieben und besetzt worden, allerdings nicht nur mit zeitlicher Verzögerung, sondern auch mit der Folge einer immer wieder notwendigen Einarbeitung, für die in der Bauaufsicht etwa ein bis zwei Jahre veranschlagt werden müssen. 4. Hält der Senat die Prüfung sämtlicher rechtlich relevanter Aspekte von Baugenehmigungsverfahren binnen einer Acht-Wochen-Frist grundsätzlich für möglich? Trotz mittlerweile verbesserter Personalausstattung zeigt sich in der Praxis, dass die Frist von acht Wochen nicht generell eingehalten werden kann. Wesentlich dafür sind die schon geschilderten Änderungen des gesetzlichen Prüfumfangs, der Zeitbedarf (und die Personalausstattung) anderer Stellen, die im Genehmigungsverfahren beteiligt werden sowie die immer wieder in einzelnen Arbeitseinheiten stattfindende Personalfluktuation. Voraussetzung für eine weitere Optimierung und Beschleunigung der Verfahren ist neben der genannten Personalausstattung der Behörden aufseiten der Antragsteller eine weitere Verbesserung der Vollständigkeit und Qualität der einzureichenden Bauvorlagen, auf die die Bauaufsichtsbehörden verstärkt hinwirken. Sobald eine ausreichende Anzahl von Prüfingenieuren für Brandschutz verfügbar ist, wird dies ebenfalls zu einer Beschleunigung der Verfahren beitragen, weil die Bauaufsicht insoweit von der eigenen Prüfung der Brandschutznachweise entlastet wird. 5. Welchen Zeitraum haben Baugenehmigungsverfahren im Zeitraum von 2004 bis 2009 und im Zeitraum seit 2009 jeweils in Bremen-Stadt, Bremen-Nord und Bremerhaven durchschnittlich in Anspruch genommen? Die Baugenehmigungsverfahren hatten im Zeitraum 2004 bis 2009 eine durchschnittliche Laufzeit in Bremen-Stadt von 112,8 Tagen, in Bremen-Nord von 132,6 — 3 — Tagen und in Bremerhaven von 81,4 Tagen. Im Zeitraum ab 2009 lag die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei 106,5 Tagen in Bremen-Stadt, 107,7 Tagen in Bremen-Nord und 63,5 Tagen in Bremerhaven. Die Statistik unterscheidet nicht zwischen Wohnungsbau und gewerblichen Vorhaben. Wohnungsbauvorhaben im Rahmen der Genehmigungsfreistellung (Laufzeit maximal ein Monat) sind hier nicht berücksichtigt. Die durchschnittliche Laufzeit beschreibt die Dauer vom Antragseingang bis zur Entscheidung, einschließlich der zum Teil erheblichen Verzögerungen, die von der Behörde wenig zu beeinflussen sind. Dazu gehören häufig Zeitbedarfe, die dadurch entstehen, dass Unterlagen unvollständig eingereicht werden und ergänzende Unterlagen nachgefordert werden müssen, oder dass Anträge im Rahmen der Beratungen durch die Baugenehmigungsbehörde modifiziert werden, um eine Ablehnung zu vermeiden. In den Bauordnungsbehörden Bremen-Nord und Bremerhaven hat es im Zeitraum seit 2009 keine Personalaufstockung gegeben. Beide Behörden gehen davon aus, dass möglicherweise eine intensivere Beratung vor Antragstellung und ein konsequenteres Verfahrensmanagement, das stärker auf Prüffähigkeit und Vollständigkeit der Bauvorlagen achtet, zu der verkürzten Laufzeit beigetragen haben könnte. Ergänzend gilt jedoch, dass die effektiven Verfahrenszeiten auch von zahlreichen Faktoren abhängen, die nicht von den Bauordnungsbehörden beeinflusst werden können. 6. Liegen dem Senat Erkenntnisse über die durchschnittliche Genehmigungsdauer in den an Bremen und Bremerhaven angrenzenden niedersächsischen Nachbargemeinden vor? Hierzu liegen dem Senat keine Daten vor. 7. Befürchtet der Senat hinsichtlich des Standortwettbewerbs mit den benachbarten Gemeinden oder anderen norddeutschen Städten Nachteile für Bremen und Bremerhaven bei Vorliegen von im Vergleich durchschnittlich längeren Genehmigungsverfahren im Baurecht? Zur durchschnittlichen Genehmigungsdauer in den benachbarten Kommunen liegen dem Senat keine Daten vor. Die Dauer von Genehmigungsverfahren ist für Investoren allerdings auch nur ein Kriterium unter Vielen für die Standortwahl . Verfahrensrechtlich mindestens genauso nachgefragt sind Baugenehmigungen , die dem Investor durch einen entsprechenden Prüfungsumfang größere Rechtssicherheit vermitteln sowie eine begleitende kompetente Bauberatung und eine Lotsenfunktion in der Begleitung des Gesamtvorhabens. Es ist der Anspruch der Baugenehmigungsbehörden und der Wirtschaftsförderungen in Bremen und Bremerhaven, in diesem Sinne den Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden. 8. Welche Möglichkeiten sieht der Senat hinsichtlich einer Ausweitung des Anwendungsbereichs des vereinfachten Genehmigungsverfahrens bzw. des Genehmigungsfreistellungsverfahrens bei gewerblichen Baumaßnahmen? Die möglichen Varianten sind im Wesentlichen durch die Verfahrensmodule der Musterbauordnung (MBO) aufgezeigt. Danach bestehen zwei Möglichkeiten, gewerbliche Bauvorhaben in die Deregulierung einzubeziehen: • die moderate Ausweitung der Verfahren auf gewerbliche Vorhaben der Gebäudeklassen 1 bis 3 (geringe Höhe), außer Sonderbauten, oder die • maximale Ausweitung der Verfahren auf alle Vorhaben, die keine Sonderbauten sind. Jede Ausweitung der Genehmigungsfreistellung führt zwangsläufig dazu, dass im definierten Anwendungsbereich eine Beteiligung der Beiräte entfällt, die Beschleunigung also insbesondere durch eine Reduzierung der Beteiligungsrechte „erkauft“ wird. Hinzu kommt, dass auch die Schlusspunktfunktion der Baugenehmigung , also die Dienstleistung einer Koordinierungsfunktion (vergleiche zu Frage 1) durch die Ausweitung der Deregulierung entfällt. Die Koordinierungsfunktion hat sich jedoch bei gewerblichen Vorhaben als besonders bedeutsam herausgestellt, weil dort häufig baunebenrechtliche oder sonstige gesetzliche — 4 — Bestimmungen zu beachten sind. 2009 ist deshalb für alle gewerblichen Vorhaben am umfassenden Genehmigungsverfahren festgehalten und die Schlusspunktfunktion eingeführt worden. Im Jahr 2013 steht eine kleinere Novelle der Bremischen Landesbauordnung an, um sie an die fortgeschriebene MBO anzupassen. In diesem Rahmen ist dann – auch unter Berücksichtigung der sehr unterschiedlichen Rechtsentwicklungen in den anderen Bundesländern – neu zu entscheiden, ob die sogenannte Verfahrensprivatisierung auszuweiten ist und in welchem Umfang das gegebenenfalls erfolgen soll. Theoretisch wäre dann auch denkbar, mit der BremLBO von den Modul-Varianten der MBO abzuweichen und nur bestimmte gewerbliche Vorhaben – z. B. nur Büro- und Verwaltungsgebäude – oder nur gewerbliche Vorhaben in bestimmten Baugebieten (z. B. Gewerbe- und Industriegebieten) freizustellen bzw. vereinfacht zu prüfen. Das würde jedoch der bisherigen Grundhaltung widersprechen , mit der sich Bremen bewusst eng an der MBO orientiert hat. 9. Wie kann eine mögliche Kollision zwischen Beschleunigung der Antragsbearbeitung und politisch gewollten bzw. notwendigen umweltschutz- und beteiligungsrechtlichen Abstimmungsverfahren verhindert werden? Die Frage beschreibt einen Zielkonflikt, der sich in letzter Konsequenz nicht auflösen lässt. Wenn z. B. die Prüfung von Baunebenrecht (Naturschutzrecht, Wasserrecht etc.) oder die Beteiligung der Beiräte und Ortsämter an Baugenehmigungsverfahren politisch gewollt ist, scheidet eine Verfahrensbeschleunigung durch die mit der Genehmigungsfreistellung bzw. dem vereinfachten Genehmigungsverfahren verbundenen Prüfverzichte weitgehend aus. Dies aus folgenden Gründen: Im Falle der Genehmigungsfreistellung finden keine bauaufsichtlichen Prüfungen statt und die Ortsämter und Beiräte können schon wegen der sehr kurzen Verfahrenslaufzeiten nicht beteiligt, sondern nur im Nachhinein informiert werden . Im vereinfachten Genehmigungsverfahren wird zwar eine Beteiligung der Ortsämter und Beiräte an den Baugenehmigungsverfahren durchgeführt. Inhaltlich beschränkt sie sich jedoch auf die Anforderungen, deren Einhaltung im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen ist. Dazu gehört aber – mit Ausnahme der gesondert geregelten Prüfung der bautechnischen Nachweise – das gesamte Bauordnungsrecht nicht und das Baunebenrecht nur unter bestimmten Rahmenbedingungen. Wenn es politisch gewollt ist, auch zukünftig bei gewerblichen Bauvorhaben die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfänglich zu prüfen und in dieser Konsequenz auch die Verfahrensbeteiligung der Beiräte nicht zu beschränken , scheidet eine Ausweitung des Genehmigungsfreistellungsverfahrens und des vereinfachten Genehmigungsverfahrens als Mittel zur Verfahrensverkürzung weitgehend aus. Damit verbleibt zur Beschleunigung der Antragsbearbeitung nur die Optimierung der bestehenden Verwaltungsabläufe, die eine gute Personalausstattung aller am Genehmigungsverfahren beteiligten Stellen voraussetzt. Druck: Anker-Druck Bremen