— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 607 (zu Drs. 18/576) 16. 10. 12 Mitteilung des Senats vom 16. Oktober 2012 Mehr männliche Lehrkräfte in die Grundschulen Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben unter Drucksache 18/576 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: Noch vor 50 Jahren waren in den Grund- und Hauptschulen in der damaligen Bundesrepublik über 50 % der Lehrkräfte männlich. Heute bewegt sich die Männerquote im Grundschulbereich bundesweit zwischen 12 und 14 %. Zu Beginn des Grundschulstudiums liegt die Quote der Männer noch bei ca. 20 %, verringert sich aber bis zum Bachelor bis zu einem Anteil von ca. 10 % bei den Masterabsolventen. Aus diesem Grund hat die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit ein Projekt „Männer in die Grundschule“ eingerichtet. Für dieses Projekt war folgende Grundüberlegung leitend: „Eine heterogene Schülerinnen/-Schülerschaft benötigt ein heterogenes Lehrpersonal , und auch Kollegien brauchen für die Heterogenität ihrer Aufgaben heterogene Teamstrukturen. Schulen ohne einen einzigen professionell geschulten männlichen Ansprechpartner sind – nicht nur, aber besonders für Jungen – kein akzeptabler Dauerzustand . Das Fehlen der Männer wirkt hochgradig stereotypisierend, da Jungen und Mädchen bewusst oder unbewusst den Rückschluss ziehen müssen, dass die Arbeit mit Kindern ‚nichts für Männer’ ist.“ 1. Hat der Senat gesicherte Erkenntnisse darüber, warum der Männeranteil in pädagogischen Berufen, und insbesondere im Grundschulbereich, in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken ist, und wenn ja, welche? Gesicherte Erkenntnisse darüber, warum der Männeranteil in pädagogischen Berufen kontinuierlich sinkt, liegen nicht vor, wohl aber eine Reihe von Untersuchungen und Veröffentlichungen, die dieses Phänomen thematisieren und versuchen, Erklärungshinweise zu geben. Neben einer Umstellung der Ausrichtung und der Inhalte des Studiums, die zu einer Zunahme des Anteils an weiblichen Studierenden geführt haben könnte, wird die Wahrnehmung des Grundschullehramtes in der Öffentlichkeit als wesentlicher Grund vermutet. Zudem werden die vermeintlich unzureichenden Karrierechancen und die gegenüber den weiterführenden Schulen geringere Besoldung im Einstiegsamt häufig als Ursache für geringe Männeranteile im Grundschulberuf genannt. 2. Welche Bedeutung hat das Geschlecht der Lehrkraft nach Kenntnis des Senats für die Entwicklung der unterrichteten Schülerinnen und Schüler? Internationale Studien beschreiben, dass es keinen Beleg für einen Zusammenhang von besseren Schulleistungen und dem Geschlecht der Lehrenden gibt. Andere Forschungsansätze stellen zwar fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Quantität von Grundschullehrern und dem Abschneiden, besonders von Jungen bezogen auf die Sekundarschulabschlüsse, gibt, allerdings ist dies auch abhängig von anderen sozioökonomischen Faktoren. Relevant für die Forderung, dass Kinder auch von Männern unterrichtet werden sollten, ist jedoch nicht in erster Linie der Leistungs-, sondern vor allem auch der — 2 — soziale Aspekt. Immer mehr Kinder wachsen bei ihren alleinerziehenden Müttern auf. Es gibt in ihrem Umfeld keine männlichen Personen, die sich mit ihrer Erziehung Verantwortung übernehmen, weder in der Kita noch in der Grundschule . Dies ist ein fatales Signal, da es den Schluss nahelegt, Erziehung sei Frauensache. Hinzu kommt, dass das Männerbild in den Familien und in vielen Medienbeiträgen teilweise geprägt ist von Stereotypien des „starken Mannes“. Dass auch Empathie und soziale Kompetenzen zum Repertoire von Männern gehören, wird selten vermittelt und wirkt sich auf die Entwicklung der Kinder, Jungen wie Mädchen, negativ aus. Hier Vorbilder zu haben, die ein facettenreicheres Repertoire an Verhaltensmustern bieten können und vermitteln, ist besonders in diesen schwierigen sozialen Gebieten relevant und notwendig. Wie eingangs zitiert, sollte man generell den Diversity-Aspekt auch in der Erziehung mit in den Blick nehmen. Logische Konsequenz aus der Heterogenität der Schülerschaft ist es, bei der Zusammensetzung der Lehrerschaft diese Heterogenität ebenso abzubilden, sowohl durch einen höheren Anteil an Männern als auch durch einen höheren Anteil an Lehrerinnen/Lehrern mit Migrationshintergrund . Diese beiden Aspekte werden zurzeit bei der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit aktiv bearbeitet, um hier Verbesserungen zu erzielen . 3. Welche Maßnahmen hält der Senat für geeignet, den Anteil männlicher Lehrkräfte , insbesondere in den Grundschulen, im Land Bremen zu erhöhen? Um den Anteil der männlichen Kollegen an den Grundschulen zu verbessern, sieht der Senat verschiedene Maßnahmen als erfolgversprechend, die jeweils Eingang in das Projekt „Männer an die Grundschulen“ gefunden haben. Ausgehend von der Annahme, dass der Grundschullehrerberuf für Männer ein Imageproblem haben könnte, wurde die Berufsperspektive Grundschullehrer, insbesondere jungen Schulabgängern, als eine mögliche Alternative nahe gebracht . Geeignete Maßnahmen wurden im Projekt entwickelt und sind in der Antwort 5 a) benannt. Aktuell gibt es im Grundschulstudium 31 männliche Studenten und 180 weibliche , das entspricht einer Quote von 17,2 %. Da die Abbrecherquote unter den männlichen Studierenden signifikant höher ist als bei den weiblichen, müssen hier die Ursachen noch weiter erforscht werden, um erfolgversprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln. 4. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, besondere praktische Erfahrungen und Kompetenzen in sozialen und pädagogischen Bereichen im Rahmen des Auswahlverfahrens an den Hochschulen zu berücksichtigen (z. B. durch eine Bonierung auf die Abiturnote), die Bewerberinnen und Bewerber für den Studiengang Grundschullehramt nachweisbar, z. B. im Rahmen einer Berufsausbildung, des Bundesfreiwilligendienstes oder des FSJ, erworben haben? Bereits jetzt sind besondere Kenntnisse oder Eingangsvoraussetzungen im Rahmen der erforderlichen Hochschulzugangsvoraussetzungen nach § 33 Abs. 7 Bremisches Hochschulgesetz (BremHG) besonders zu berücksichtigen. Darüber hinaus sieht auch das Hochschulzulassungsrecht, das die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber normiert, bereits vor, dass Studieninteressierte, die freiwillige Dienste welcher Art auch immer übernommen und abgeleistet haben, bevorzugt ausgewählt werden, § 8 Hochschulvergabeverordnung. Des Weiteren können im Auswahlverfahren neben der Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung und gewichteten Einzelnoten, die über die fachspezifische Qualifikation Auskunft geben, nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. c bis f des Bremischen Hochschulzulassungsgesetzes (BremHZG) auch schriftliche Auswahltests , eine Berufsausbildung oder -tätigkeit, ein Bewerbermotivationsgespräch, schriftliche Erläuterungen zur Begründung der Berufswahl und eine Kombination aus diesen Kriterien berücksichtigt werden. Es gibt also sowohl im Hochschulzugangs- als auch im Hochschulzulassungsrecht viele Möglichkeiten, nicht nur die Durchschnittsnote des Abiturs zu berücksichtigen . Für darüber hinausgehende Regelungen ist allerdings kein weiterer rechtlicher Spielraum mehr gegeben. Es gilt zudem der verfassungsrechtlich gesicherte Grundsatz, dass der Note der Hochschulzugangsberechtigung (HZB) — 3 — als Grad der Qualifikation immer die ausschlaggebende, nämlich überwiegende, Bedeutung beigemessen werden muss. Davon abgesehen, gilt die Durchschnittsnote der HZB immer noch als der zuverlässigste Gradmesser für den späteren Studienerfolg. Die Einzelheiten zu den in der Gesetzgebung vorgesehenen Möglichkeiten zu regeln, fällt in die Autonomie der Hochschulen, hier der Universität. Sie trifft die entsprechenden Regelungen durch ihr Satzungsrecht. Im Dialog mit der Universität und dort insbesondere dem Zentrum für Lehrerbildung und den betroffenen Fachbereichen kann daran gearbeitet werden, die vorhandenen rechtlichen Regelungen auch vollständig auszuschöpfen. 5. Welche konkreten Ergebnisse haben sich bislang aus dem Projekt „Männer in die Grundschulen“ ergeben, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Zielsetzung, mehr Männer für pädagogische Berufe zu gewinnen? Das Projekt „Männer an die Grundschulen“ wurde 2009 initiiert. In der Projektgruppe arbeiten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, Mitarbeiter der Universität Bremen, Mitarbeiterinnen/ Mitarbeiter des LIS, Schulpsychologen, Grundschullehrer und Schulleitungen zusammen. Die unter 3. genannten Faktoren wurden in der Arbeitsgruppe als Ursachen für den geringen Männeranteil an Grundschulen identifiziert und mit Maßnahmen hinterlegt: a) Der Beruf des Grundschullehrers hat ein Imageproblem. Aus diesem Grund wurde eine Imagekampagne für Schulabgänger gestartet . Um Jungen frühzeitig einen Zugang zum Beruf des Grundschullehrers zu ermöglichen, gleichzeitig kurzfristige Lösungen für Grundschulen zu finden , an denen es zurzeit keine Grundschullehrer gibt, wurden verschiedene Projekte initiiert: • Zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen entstanden Kooperationen nach folgendem Prinzip: Schüler der weiterführenden Schulen gehen an die Grundschulen und arbeiten dort mit den Kindern in Projekten und Arbeitsgemeinschaften (z. B. Computer-AGs, Sportangebote) mit, die von Lehrerinnen/Lehrern geleitet werden. Eine Grundschule strebt aktuell eine Kooperation mit einer weiterführenden Schule an, um gemeinsam Fahrräder zu reparieren. Ziel ist es, dass die Schüler den Beruf des Grundschullehrers durch positive pädagogische Erfahrungen als Option für die eigene Berufsfindung mit in den Blick nehmen. • Auf mehreren Veranstaltungen zur Berufsorientierung (schulintern und stadtweit) wurden ausschließlich männliche Grundschullehrer und Studenten zur Information über diesen Beruf eingesetzt. Begleitet wurden sie von einem Dozenten der Universität Bremen und einem Mitarbeiter der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit. Diese für den Beruf ungewöhnliche Konstellation führte zu verstärkter Aufmerksamkeit besonders männlicher Interessenten. • Mit Flyern, Plakaten und Informationsmaterial zum Grundschullehramt wurden bewusst die männlichen Schulabgänger als erklärte Zielgruppe angesprochen. b) Grundschulen, an denen es keine männliche Lehrkraft gibt, müssen männliche Unterstützung bekommen. In Bremen gibt es 16 Grundschulen, an denen keine männliche Lehrkraft unterrichtet. Dies wird inzwischen von den betroffenen Schulleiterinnen dieser Schulen durchaus als Problem erkannt. Um dem entgegenzuwirken wurden verschiedene Maßnahmen aus dem Projekt heraus entwickelt: Auf der Steuerungsebene sollen diesen Schulen verstärkt männliche Kollegen bei Neubesetzungen zugeordnet werden, sofern deren Fachkombinationen zum Bedarf der Schule passen. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen und die Vorteile eines gemischten Kollegiums für die Schulen erfahrbar zu machen, wurde das Projekt „Rent a — 4 — teacherman“ gegründet. Hier gehen einzelne Lehramtstudierende an die Grundschulen, um diese zu unterstützen. Dabei geht es nicht nur um die Präsenz vor Ort mit der Botschaft: „Erziehung und Unterricht ist auch etwas für Männer“, sondern auch um die Miteinbeziehung in Unterrichtssequenzen , z. B. im Sexualkundeunterricht, um den spezifischen Bedürfnissen der Jungen nach einem gleichgeschlechtlichen Gesprächspartner in diesem sensiblen Bereich Rechnung zu tragen. Aber auch für die Kollegien wird deutlich , dass durch den männlichen Kollegen andere Aspekte in die Arbeit einfließen . Dieses Projekt wird von den Grundschulen und den Studierenden sehr positiv bewertet und ist als kurzfristige Soforthilfe für die betroffenen Grundschulen geeignet. Daher soll es auf weitere Schulen ausgeweitet werden . c) Die hohe Abbrecherquote unter männlichen Lehramtsstudenten muss gesenkt werden. Insbesondere im Grundschulbereich, ist die Abbrecherquote unter männlichen Lehramtsstudenten signifikant höher als bei weiblichen Studierenden. Durch gezielte Begleitung im Studium soll diese Quote gesenkt werden. d) Die bevorzugte Einstellung von weiblichen Bewerberinnen im Grundschulbereich verstärkt das Problem. Bei Neueinstellungen gab es bis vor kurzem auch für das Grundschullehramt noch den Passus, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen seien. Dies verschärft vor dem Hintergrund des dramatisch geringen Männeranteils an Grundschulen das Problem. Daher wurde dieser Zusatz auf Empfehlung der Arbeitsgruppe „Männer in die Grundschulen“, nach Rücksprache mit dem Personalrat und der Frauenbeauftragten , entfernt. Eine generelle Männerquote lehnt der Senat jedoch ab. Durch die Änderung des Ausschreibungstextes ist eine Bevorzugung von weiblichen Bewerberinnen in diesem Bereich nicht mehr vorgesehen. e) Die Note der Hochschulzugangsberechtigung berücksichtigt nicht die pädagogische Eignung. Um sicherzustellen, dass sich besonders die jungen Schulabgänger, männlich wie weiblich, für den Beruf des Grundschullehrers bzw. der Grundschullehrerin entscheiden, die bereits über Erfahrungen im pädagogischen Bereich verfügen und somit festgestellt haben, dass sie hier ihre berufliche Profession sehen, sollten sich pädagogische Vorerfahrungen positiv auf die Zugangsberechtigung zum Studium auswirken. Die Universität hat hierzu bereits ein gangbares Modell entwickelt, das vom Akademischen Senat verabschiedet wurde. Die hohe Relevanz des Themas, nicht nur für Bremen, zeigt sich auch in der Resonanz: Der von der Projektgruppe organisierte Fachtag in Bremen 2011 zum Thema „Männer in die Grundschulen“ war gut besucht, es gibt mehrere Presse-, Fernseh- und Radiobeiträge, die sich des Themas angenommen haben. Druck: Anker-Druck Bremen