— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 708 (zu Drs. 18/640) 18. 12. 12 Mitteilung des Senats vom 18. Dezember 2012 Prävention von Säuglingssterblichkeit im Land Bremen Die Fraktion der CDU hat unter Drucksache 18/640 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Welche Angebote zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften bestehen in Bremen und Bremerhaven (bitte aufgeschlüsselt nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen, Frauen mit Migrationshintergrund und Stadtgemeinden)? Das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) regelt das Recht auf Anspruch auf umfassende Beratung und Information zu den Themen Partnerschaft, Familienplanung , Sexualität, Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft. Die Länder sind verpflichtet, ein ausreichendes Angebot wohnortnaher Beratungsstellen für die Beratung sicherzustellen. Im Land Bremen wird an drei Standorten in Bremen, Bremen-Nord und Bremerhaven über folgende staatlich anerkannte und geförderte Beratungsstellen Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung angeboten: Die pro familia, die Bremische Evangelische Kirche und Cara (Beratungsstelle zu Schwangerschaft und vorgeburtlicher Diagnostik) sowie der Caritasverband (mit dem Sozialdienst Katholischer Frauen). Zudem bietet die Innere Mission Schwangerenberatung an. Die pro familia hat an ihren drei Standorten in Bremen, Bremen-Nord und Bremerhaven spezifische sexualpädagogische Präventionsseminare für Schülerinnen und Schüler implementiert (Jungen und Mädchen ab der 6. Klasse mit und ohne Migrationshintergrund). Ebenso wurde eine Einzelberatung rund um Schwangerschaftsverhütung bei rund 128 Minderjährigen durchgeführt. Einzel- und Paarberatungen zu sozialen und finanziellen Leistungen in der Schwangerschaft und bei Familiengründung sowie für Schwangere in Krisen finden statt. Ebenso Beratung und Begleitung von schwangeren Frauen, die die Schwangerschaft bis in hohe Schwangerschaftswochen verdrängt haben und die das Kind nicht wünschen. Dies sind vor allem sehr junge Frauen mit einer schwierigen Lebensgeschichte. In der Regel ist kein Abbruch mit medizinischer Indikation möglich, sodass die Frau in ein Adoptionsverfahren begleitet wird, ein Beratungsprozess über viele Wochen, an dem auch viele andere Professionelle beteiligt sind. In der pro familia Beratungsstelle Bremen-Nord wird seit 2007 eine spezielle Geburtsvorbereitung für unter 20-jährige Schwangere angeboten . Eine weitere Differenzierung nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen und Frauen mit Migrationshintergrund ist nicht verfügbar. 2. Welche Prozentzahl von Schwangeren besuchte in den Jahren 2008 bis 2011 in Bremen und Bremerhaven regelmäßig die vorgesehenen Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen (bitte aufgeschlüsselt nach Altersgruppen, Frauen mit und ohne Migrationshintergrund und Stadtgemeinden)? Dem für die Auswertung von Geburtsdaten zuständigen Qualitätsbüro der Bremer Krankenhausgesellschaft liegen hierzu keine Angaben vor, da diese Daten — 2 — über das Verfahren der externen Qualitätssicherung zur Geburtshilfe nicht erhoben werden. 3. Durch welche Maßnahmen und lebenspraktisch ausgerichteten Projekte wurden Schwangere, insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen, seit 2008 vom Senat auf die Vorteile eines gesunden Lebensstils bzw. auf die Folgen des Konsums legaler Suchtmittel wie Zigaretten und Alkohol aufmerksam gemacht (bitte aufgeschlüsselt nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen, Frauen mit Migrationshintergrund und Stadtgemeinden)? Die Elemente einer schwangerschaftskonformen Lebensweise sind Gegenstand der Gesundheitsberatung im Rahmen der Schwangerenvorsorge gemäß SGB V durch niedergelassene Gynäkologen und Hebammen. Darüber hinaus ist schwangerschaftsgerechtes Verhalten Thema von Kursen zur Vorbereitung auf Geburt und Elternschaft, die ebenfalls auf Basis des SGB V angeboten werden . Daneben werden Schwangere, die aufgrund schwieriger sozialer Umstände oder riskanter Lebensweisen in die Betreuung der Bremer Familien-Hebammen gelangen , in diesem Rahmen gezielt über die schädlichen Folgen des Konsums legaler und illegaler Suchtmittel informiert. Schließlich sind die niedrigschwellige sozialmedizinische Beratung und Betreuung von Schwangeren und Familien mit Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ein Schwerpunkt der Familienberatung und frühkindlichen Gesundheitsförderung . Insbesondere im Rahmen von Hausbesuchen wird den werdenden Eltern auch lebenspraktische Hilfe angeboten. Eine Differenzierung von Angaben nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen und Frauen mit Migrationshintergrund ist nicht verfügbar. 4. Welche Schwangerschaftskonfliktberatungen und erweiterte Hilfen für junge werdende Mütter bestehen in Bremen und insbesondere in Bremerhaven, wo überdurchschnittlich viele minderjährige, alleinerziehende Mütter leben, und von welchem Prozentsatz der Schwangeren werden sie wahrgenommen (bitte aufgeschlüsselt nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen, Angeboten mit und ohne Migrationshintergrund und Stadtgemeinden)? Siehe Antwort zu Frage 1. 5. Bestehen bei der Beratung von Schwangeren im Land Bremen, ähnlich wie bei der Kinder- und Jugendhilfe, auch aufsuchende Angebote, die die „KommStrukturen “ für Risikogruppen durchbrechen, oder ist die Einrichtung solcher Angebote geplant (bitte aufgeschlüsselt nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen , Angeboten mit und ohne Migrationshintergrund und Stadtgemeinden )? Die Bremer Familien-Hebammen der Stadtgemeinde Bremen arbeiten seit über 30 Jahren aufsuchend, die Hälfte der jährlich im Schnitt 150 Betreuungen hat ihren Anfang bereits in der Schwangerschaft. Die individuelle häusliche Betreuung richtet sich an Frauen jeden Alters und Herkunft. Die Familienberatung und frühkindliche Gesundheitsförderung der Stadtgemeinde Bremerhaven arbeitet ebenfalls seit über 30 Jahren auch aufsuchend. Die Arbeit erfolgt stadtteilorientiert in den drei Beratungsstellen in Bremerhaven. Die sozialmedizinische Beratung steht allen Schwangeren und Familien mit Kindern bis zum dritten Geburtstag unabhängig von ihrer Herkunft zur Verfügung. Der Anteil der betreuten Familien mit sozialen und medizinischen Risiken ist hoch. Eine Differenzierung der Daten nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen und Frauen mit Migrationshintergrund ist nicht verfügbar. 6. Plant der Senat im Rahmen der Umsetzung der Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ ein altersspezifisches Fachkonzept zur Jugendhilfe- und Gesundheitsplanung, welches auch die Altersgruppe der Säuglinge einschließt, zu entwickeln, und wenn ja, wann wird dieses vorgelegt? — 3 — Das zum 1. Januar 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz richtet sich weder auf den Bereich der gesundheitlichen Regelversorgung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) noch auf allgemeine Aufgaben oder Handlungsfelder der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Entsprechendes gilt auch für die Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“. Förderbereiche der Bundesinitiative sind ausschließlich die in der Verwaltungsvereinbarung des Bundes und der Länder zu Artikel 1 Bundeskinderschutzgesetz (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz, KKG) definierten Schwerpunkte (Förderung der interdisziplinären Netzwerkarbeit, Förderung von Familienhebammenprojekten und die Förderung von ehrenamtsbasierten Hilfen für Familien). Dementsprechend sind allgemeine Fragen der Gesundheitsversorgung oder der medizinischen/psychosozialen Prävention zu Fragen der Säuglingssterblichkeit und/oder darauf bezogene Maßnahmenkataloge kein planerischer Bestandteil des zur Umsetzung der Bundesinitiative vorgelegten Länderkonzeptes Frühe Hilfen. Unabhängig davon wirken die zur Unterstützung von Schwangeren in besonderen psychosozialen Lebenslagen in beiden Stadtgemeinden eingesetzten Familienhebammen durch gezielte Information, Beratung und Begleitung für Mutter und Kind zu Fragen der Gesundheitsprävention (Ernährung, Rauchen, Suchtmittelmissbrauch , Stillen, Vorsorgemaßnahmen im Alltag etc.) auch gezielt darauf hin, die gesundheitliche Gesamtsituation von Eltern und Kindern zu fördern . Dies trägt im Einzelfall gegebenenfalls auch zur Verhinderung von Säuglingssterblichkeit bei. 7. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass in Bremerhaven derzeit nur eine Familienhebamme tätig ist, und wie passt dies mit der anerkannt besonderen Rolle von Familienhebammen für junge Familien im ersten Lebensjahr des Kindes und der vom Bundesgesetzgeber gewollten Rolle von Familienhebammen beim Kinderschutz zusammen? In der Familienberatung und frühkindlichen Gesundheitsförderung des Gesundheitsamtes Bremerhaven sind vier Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen , eine Gesundheits- und Krankenpflegerin mit der Zusatzausbildung Wochenbettpflegerin und eine Hebamme beschäftigt. Diese Mitarbeiterinnen bilden ein multiprofessionelles Team, das in seiner Zusammensetzung den Anforderungen des Bundeskinderschutzgesetzes und der Verwaltungsvereinbarung Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ entspricht. 8. Welcher Prozentsatz von Kindern hat seit 2008 in Bremen und Bremerhaven jährlich an den U1- bis U6-Untersuchungen teilgenommen (bitte aufgeschlüsselt nach Angeboten für verschiedene Altersgruppen, Eltern mit und ohne Migrationshintergrund und Stadtgemeinden)? Daten zur Beteiligung Bremer und Bremerhavener Kinder an der U1 sind nicht verfügbar. Es ist jedoch von einer 100-%-igen Beteiligung auszugehen, weil die U1 unabhängig vom Entbindungsort (Klinik/Hausgeburt) unmittelbar nach der Geburt von Arzt oder Hebamme durchgeführt wird. Für die Beteiligung an U3 bis U6 werden nachstehend die Quoten der Schulanfänger 2008 bis 2012 dargestellt (Daten über die Teilnahme an der U2 werden nicht erhoben; erfahrungsgemäß liegt die Teilnehmerquote in etwa auf dem Niveau der U3). Die Angaben über die Beteiligung wurden den vorgelegten U-Heften entnommen. Es ist hervorzuheben , dass es sich um die Beteiligung der Schulanfänger des jeweils angeführten Einschulungsjahres im Säuglingsalter (also etwa fünf Jahre zuvor) handelt. Zur Interpretation ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich bei den UUntersuchungen um ein nationales Krankheitsfrüherkennungsprogramm handelt und deshalb Kinder, die nach dem Säuglingsalter (= vollendetes erstes Lebensjahr ) nach Deutschland zugewandert sind, keine Möglichkeit hatten, an den Früherkennungsuntersuchungen U2 bis U6 teilzunehmen. — 4 — Seit 2008 erhalten die Gesundheitsämter Informationen über die Beteiligung an den Früherkennungsuntersuchungen ab U4 auf Basis des bremischen Kindeswohlgesetzes . Die Beteiligungsquoten decken sich nahezu mit den Quoten der obigen Tabelle. Realistischer dürften sie aber noch etwas höher sein, weil trotz aller Bemühungen die Rückmeldungen über die Untersuchungsteilnahme seitens der niedergelassenen Kinderärzte nicht vollständig sind. Lücken entstehen insbesondere, sofern Eltern Kinderärzte, die im Bremer Umland niedergelassen sind, zur Vorsorgeuntersuchung aufsuchen. Für Letztere gilt die bremische Meldeverpflichtung naturgemäß nicht. 9. Durch welche Maßnahmen hat der Senat seit 2008 zur Senkung der Säuglingssterblichkeit beigetragen, und welche Maßnahmen plant er in Zukunft, um die Quote zumindest auf den Bundesdurchschnitt abzusenken? Säuglingssterblichkeit stellt ein multifaktorielles Problem dar. Im Bereich der Statistik haben kleine Fallzahlen und deren Schwankungen in Stadtstaaten wie Bremen – hier insbesondere die geringen Zahlen in der Stadtgemeinde Bremerhaven – erhebliche Auswirkungen auf übliche Messgrößen wie die „Raten“ zur Säuglingssterblichkeit. Sie ergeben somit nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur Einschätzung der Gesamtsituation und zur Identifizierung von Handlungsbedarfen . Darüber hinaus bestehen zahlreiche weitreichende und nachgewiesene Zusammenhänge zwischen Einkommen, sozialen Verhältnissen und gesundheitlichen Problemen. Hiervon ist auch die Säuglingssterblichkeit betroffen. Der Bericht „Lebenslagen im Land Bremen“ der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales von 2009 listet im Rahmen einer Bestandsaufnahme mit perspektivischer Ausrichtung bereits die vorrangigen Schwerpunkte zur Verbesserung der Kindergesundheit auf. Hiervon sind auch Säuglinge betroffen. Er zielt hierbei vorrangig auf die Vernetzung von Gesundheitsförderprozessen , insbesondere für risikobelastete Stadtteile, durch Kooperation der Hauptakteure aus Jugendhilfe, Gesundheit und Bildung. Diese Schwerpunkte wurden auch nach 2009 weiter verfolgt und werden aktuell wie auch in den Folgejahren fortgesetzt. Eine Neuauflage des Berichts ist vorgesehen und derzeit in Planung. Das Bremische Kindeswohlgesetz mit dem Ziel einer Erhöhung der Sensibilität der untersuchenden Ärzte, Vernachlässigung und Kindesmisshandlung früher und zuverlässiger zu erkennen (siehe auch die Antwort zu Frage 8) ist langfristig geeignet für einen Beitrag zur Senkung der Säuglingssterblichkeit. Eine Evaluation der Auswirkungen des Gesetzes im Sinne eines Überblicks über die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen mit Konsequenzen für das Kindeswohl ist für 2013 vorgesehen. Die Bremer Familienhebammen mit Beratung und Unterstützung von Schwangeren und Müttern mit Säuglingen mit hohem sozialmedizinischem oder psychosozialem Hilfebedarf stellen ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Kindeswohles dar. Das Angebot soll in den folgenden Jahren zeitlich ausgedehnt und im Sinne einer Vernetzung ausgebaut werden. Das Projekt „TippTapp – Gesund ins Leben“ des Bremer Gesundheitsamtes verfolgt bereits seit mehreren Jahren das Ziel eines frühen systematischen Zugangs zur Zielgruppe von Risikofamilien. Das Projekt ist ausgewertet und erfolgreich. Auch hier ist eine Erweiterung der Maßnahme durch Förderungen im Rahmen der Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ vorgesehen (siehe auch die Antwort zu Frage 6). Prozentuale Beteiligung im Jahresvergleich (nur Kinder mit vorgelegtem U-Heft) Früher- | Einschulungsjahrgang kennung | 2012 | 2011 | 2010 | 2008 | 2004 ----------+-------+-------+-------+-------+---------+ U3 | 97,1 97,2 97,4 97,1 96,7 U4 | 96,8 96,7 96,9 96,7 96,2 U5 | 95,9 96,0 96,0 95,5 94,7 U6 | 95,6 95,4 95,0 95,7 94,2 — 5 — Die Kinderkliniken des Landes Bremen haben in 2011 eine AG „Kinderschutzgruppe “ mit Beteiligung der für das Kindeswohl zuständigen Senatsressorts und Ämtern sowie dem Landesverband der Kinder- und Jugendärzte gegründet. Der innerhalb dieser Arbeitsgruppe erfolgende Erfahrungsaustausch sowie die gemeinsame Erarbeitung von Handlungsempfehlungen sind dem Kindeswohl gewidmet und können perspektivisch einen Beitrag zur Verbesserung der Säuglingssterblichkeit leisten. Schließlich sind die „Stillempfehlungen des Landes Bremen“ als Ergebnis eines runden Tisches unter Moderation der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit bereits in einer zweiten Auflage in 2012 erschienen. Die angestrebte konsequente Umsetzung der Empfehlungen kann ebenfalls perspektivisch zu einer Verbesserung der Säuglingssterblichkeit beitragen. Druck: Anker-Druck Bremen