— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 767 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8. Januar 2013 Bonus-Vereinbarungen in Krankenhäusern von Mindestfallzahlen entkoppeln An den gut 2 000 deutschen Krankenhäusern arbeiten mehr als 10 000 Chefärztinnen und -ärzte. Deren Bezahlung richtet sich immer öfter auch nach der Menge der abgerechneten Fälle und der Fallschwere (Case-Mix-Index). Die Sondervergütung für das Erreichen bestimmter Mindestfallzahlen oder Operationsmengen wird bereits in den Verträgen zwischen Krankenhäusern und den Ärztinnen und Ärzten festgelegt. Derartige Bonusregelungen bergen allerdings die Gefahr, dass unnötige Eingriffe durchgeführt werden. Sie gefährden die ärztliche Unabhängigkeit, da nicht mehr nach rein medizinisch-fachlichen Kenntnissen für oder gegen eine Operation entschieden wird, sondern die eigene ökonomische Situation in starkem Maße mit einfließt . Für das Vertrauensverhältnis zwischen Patientinnen/Patienten und Ärztinnen/ Ärzten ist dies eine fatale Entwicklung, es entstehen aber auch Mehrkosten zulasten der Kostenträger. Die rein auf Quantität und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Parameter im Bereich der variablen Vergütung müssen, so sehen es auch die Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin und der Marburger Bund, durch medizinisch-qualitative ersetzt werden. Im Vordergrund der Leistungsanreize müssen Qualitätsparameter wie Operationsergebnisse, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten bzw. deren Zufriedenheit, aber auch beispielsweise die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen. Vor allem aber sollen Krankenhäuser in ihren Qualitätsberichten das Bonus-System offenlegen, damit es auch für Patientinnen und Patienten transparent ist. Wir fragen den Senat: 1. Wie bewertet der Senat die Praxis, dass in Verträgen von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern Boni für die Erreichung von bestimmten Leistungsmengen, z. B. Operationen, als Teil des Gehalts gelten? 2. Sieht der Senat aufgrund der Koppelung der Vergütung an die Anzahl der durchgeführten Operationen die Gefahr, dass unnötige Eingriffe vorgenommen werden ? 3. Sind dem Senat Verträge von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern im Land Bremen bekannt, in denen eine solche Koppelung von Leistungsmenge und Vergütung vereinbart ist? Wenn ja, welche Zielvorgaben werden darin genannt? 4. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Entwicklung solcher Verträge innerhalb der letzten fünf Jahre? 5. Wie bewertet der Senat die Initiative der Bundesregierung, dass Krankenhäuser in ihren Qualitätsberichten in Zukunft darlegen müssen, welche Boni-Vereinbarungen sie mit ihren Ärztinnen und Ärzten getroffen haben? 6. Welche Zielvereinbarungen hält der Senat für das Vertragsrepertoire von Krankenhausdienstverträgen für sinnvoll? 7. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, auf Bundesebene tätig zu werden, damit es nur Anreizsysteme in Verträgen gibt, die nicht die Gefahr unnötiger Operationen bergen? Doris Hoch, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen — 2 — D a z u Antwort des Senats vom 12. Februar 2013 1. Wie bewertet der Senat die Praxis, dass in Verträgen von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern Boni für die Erreichung von bestimmten Leistungsmengen, z. B. Operationen, als Teil des Gehalts gelten? Grundsätzlich hält der Senat den Einsatz von derartigen Verträgen nicht für geeignet , das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Gesundheitsdienstleistungen der Krankenhäuser zu stärken. Zielvereinbarungen mit einer strikten Koppelung an Patientenfallzahlen würden Fehlanreizen zu nicht medizinisch indizierten ärztlichen Leistungen Vorschub leisten. Die Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen stellt diese Vertragspraxis für Bremen insgesamt infrage. Sie weist zu Recht darauf hin, dass auch zur Vermeidung nicht indizierter medizinischer Leistungen Patienten in der Regel die Krankenhäuser über eine Einweisung eines niedergelassenen Arztes erreichen , somit das Vier-Augen-Prinzip in der Behandlung gilt und zudem durch Krankenkassen und ihren Medizinischen Dienst alle stationären Leistungsbereiche kritisch durchleuchtet werden und der in Berichten veröffentlichten, transparenten Qualitätssicherung unterliegen. 2. Sieht der Senat aufgrund der Koppelung der Vergütung an die Anzahl der durchgeführten Operationen die Gefahr, dass unnötige Eingriffe vorgenommen werden ? Der Senat hält es nicht für ausgeschlossen, dass für den Fall einer Vertrags- oder Vereinbarungspraxis, die die Vergütung mit einem relevanten Gehaltsanteil an die Zahl durchgeführter Operationen koppelt, die Gefahr von nicht medizinisch indizierten operativen Eingriffen besteht. Der Senat sieht nach bisherigem Erkenntnisstand jedoch keine nachweisbare Fehlentwicklung für Krankenhäuser im Land Bremen. 3. Sind dem Senat Verträge von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern im Land Bremen bekannt, in denen eine solche Koppelung von Leistungsmenge und Vergütung vereinbart ist? Wenn ja, welche Zielvorgaben werden darin genannt? Dem Senat sind aus datenschutzrechtlichen Gründen, u. a. mit dem Hinweis auf das bestehende Betriebsgeheimnis, keine Inhalte von Verträgen zwischen Klinikund Krankenhausleitungen übermittelt worden. Alle Krankenhäuser im Land Bremen haben jedoch auf eine Umfrage geantwortet und mit Ausnahme von zwei Krankenhäusern die Frage verneint, ob es Verträge mit Chefärzten gibt, in denen eine direkte Koppelung von Leistungsmenge und Vergütung vereinbart ist. Erläuternd wurde von den Geschäftsführungen der Krankenhäuser freigemeinnütziger und privater Träger darauf hingewiesen, dass das Führungsinstrument „Führen durch Zielvereinbarung“ genutzt werde und es sich hierbei um ein Bündel von Einzelfaktoren handele, die der inhaltlichen und qualitätssichernden Weiterentwicklung des Krankenhauses diene. In einem dieser Häuser gibt es in mehreren Chefarztverträgen ausschließlich nicht operativ tätiger Kliniken Zielvereinbarungen als Vertragsbestandteil, deren gehaltliche Auswirkungen im Vergleich zu den sonstigen Gehaltsbestandteilen von vergleichsweise geringer Bedeutung seien. Mengenvereinbarungen seien nur eine von vielen Zielkategorien. Die Vereinbarungen dienten überwiegend als Anreiz, sich jährlich über Strategie und hauptsächliche Ziele der Krankenhausentwicklung zu verständigen. Betont wird, dass auch die Wirtschaftlichkeit zum Zielkatalog gehöre und wirtschaftliche Zielgrößen, wie z. B. die Reduktion von Sach- und Personalkosten, Maßnahmen und Ergebnisse der Qualitätssicherung etc., nicht zwangsläufig auf Leistungsausweitungen abzielen. Klarstellend wurde von der Geschäftsführung des Klinikverbundes der Gesundheit Nord gGmbH hinzugefügt, dass sich die Zielvereinbarungen der Chefärzte an den Dimensionen „Finanzen und Konsolidierung“ „Leistung, Qualität, Markt“ „Organisation und Prozesse“ sowie „Kompetenz und Potenziale“ orientieren. — 3 — Es handele sich um Kriterien, die allesamt der Qualität der Versorgung dienlich seien. Innerhalb der Dimension „Finanzen und Konsolidierung“ sei in der Vergangenheit auch auf den Case-Mix Bezug genommen worden. Der Case-Mix beschreibt primär den Schweregrad der innerhalb eines Budgetjahres behandelten Erkrankungsfälle. Diese Kennzahl nimmt damit mittelbar auch Bezug zu erbrachten „Leistungsmengen“. Der Klinikverbund hat mitgeteilt, deshalb ab dem Jahr 2013 auf diese Kennzahl in den Verträgen mit Klinikleitungen zu verzichten . Es soll kein Verdacht aufkommen, dass die Kliniken zur Steigerung der Ergebnisse nicht medizisch indizierte Leistungen erbringen. Der Senat hält diese Praxis für angemessen und zielführend. 4. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Entwicklung solcher Verträge innerhalb der letzten fünf Jahre? Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 5. Wie bewertet der Senat die Initiative der Bundesregierung, dass Krankenhäuser in ihren Qualitätsberichten in Zukunft darlegen müssen, welche Boni-Vereinbarungen sie mit ihren Ärztinnen und Ärzten getroffen haben? Der Senat unterstützt grundsätzlich Transparenzinitiativen dieser Art in der Medizin . Sie können für den kundigen Leser der öffentlich zugängigen Qualitätsberichte hilfreich bei der Einzelbewertung sein. Der Senat hält es jedoch für erforderlich , die Ursachen der in dieser Anfrage dargestellten drohenden Fehlentwicklung im deutschen Krankenhauswesen durch eine auskömmliche, den Kostenfaktor voll berücksichtigende Krankenhausfinanzierung zu beseitigen. Entsprechende Bunderatsinitiativen Bremens und der A-Länder wurden jedoch noch im letzten Jahr in Zusammenhang mit der Gesetzgebung zum neuen Psychiatrieentgeltgesetz von der B-Länderseite und der Bundesregierung abgelehnt. 6. Welche Zielvereinbarungen hält der Senat für das Vertragsrepertoire von Krankenhausdienstverträgen für sinnvoll? Der Senat hält die unter der Antwort zu Frage 3 dargestellten Vereinbarungsoptionen für sinnvoll, soweit kein direkter oder mittelbarer Bezug zur Fallzahlentwicklung gegeben ist und die Qualitätsergebnisse medizinischer Leistungen im Vordergrund der Zielvereinbarung stehen. 7. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, auf Bundesebene tätig zu werden, damit es nur Anreizsysteme in Verträgen gibt, die nicht die Gefahr unnötiger Operationen bergen? Der Senat hält ein Verbot derartiger Verträge u. a. wegen der bestehenden Vertrags - und Vereinbarungsfreiheit für verfassungsrechtlich nicht geboten. Er unterstützt deshalb Überlegungen zur Verbesserung der Qualitätstransparenz, nach denen die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ihre Beratungs- und Formulierungshilfen für Verträge der Krankenhäuser mit leitenden Ärzten, bei denen sich finanzielle Anreize auf einzelne Leistungen beziehen, zu überarbeiten hat und die Einhaltung dieses neuen Vertragsstandards Gegenstand der Qualitätsberichterstattung wird. Darüber hinaus setzt sich der Senat für eine Bundesratsinitiative ein, zukünftig den Kostenfaktor im deutschen Krankenhauswesen mit einem sachgerechten Orientierungswert voll auf die Preisentwicklung der Landesbasisfallwerte anzurechnen. Die unzureichende Berücksichtigung der Kostenentwicklung im deutschen Krankenhauswesen ist ein „Geburtsfehler“ der neuen fallpauschalenbezogenen Krankenhausfinanzierung. Der Fehler wurde bis heute von der Bundesregierung nicht korrigiert und führt im gesamten Bundesgebiet mittlerweile zu einer hohen Insolvenzgefährdung von zur Versorgung der Bevölkerung bedarfsnotwendigen Krankenhäusern. Krankenhäuser sollen in Zukunft bei guter betriebswirtschaftlicher Führung in der Lage sein, hinreichende Erlöse zur Refinanzierung notwendiger Kosten zu generieren ohne dem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt zu sein, für dieses Ziel gegebenenfalls auch medizinisch nicht indizierte Leistungen erbringen zu müssen. Druck: Anker-Druck Bremen