— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 848 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 4. März 2013 Werbetour eines Geheimdienstes durch zivilgesellschaftliche Institutionen in Bremen Spätestens nach den Ermittlungs- und V-Leute-Skandalen im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie sowie nach den geheimdienstlichen Aktenschredder- und Vertuschungsaktionen hat der „Verfassungsschutz“ mitsamt seinem unkontrollierbaren V-Leute-System seine Legitimation verloren und den Rest an Vertrauen in der Bevölkerung verspielt. Auf Bundesebene und in den Bundesländern reagieren die Verfassungsschutzbehörden in zunehmendem Maße mit einer Charme- und Propagandaoffensive. Ziel ist es, über eine Öffnung in die Zivilgesellschaft hinein, in der Bevölkerung „Vertrauen zurückzugewinnen“ (BfV-Chef Maaßen), also die verloren gegangene Legitimation für den Inlandgeheimdienst „Verfassungsschutz“ wieder aufzubauen. In Bremen besucht der Geheimdienst aktuell viele Ortsteilbeiräte, wird bei Vereinen und Initiativen vorstellig, sitzt auf Podien, organisiert die interkulturelle gesellschaftliche Debatte mit Muslimen (im Rahmen der Integrationswochen) und beteiligt sich an der Weiterbildung von Lehrerinnen/Lehrern und Pädagoginnen/Pädagogen, wo er in bestimmten Themenbereichen bereits eine dominierende Rolle einnimmt. So soll am 6. März 2013 im Landesinstitut für Schule eine Tagung für pädagogische Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendarbeit und aus Schulen zum Thema „I love my Prophet! Muslimisches Leben von Kindern und Jugendlichen in Bremen“ stattfinden – und zwar u. a. in direkter Kooperation mit dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), dessen Referent die beiden einleitenden Vorträge sowie eine Arbeitsgruppe (von vier) bestreiten wird (Thema 1: „Grundlagen des Islams und muslimischen Lebens in Deutschland“, Thema 2: „Ideologische Grundlagen des Salafismus und seine Attraktivität für Jugendliche“; AG 3: „Islamistische Szene in Bremen“). Wir fragen den Senat: 1. Welche eigenständigen öffentlichen Veranstaltungen zu welchen Themen hat das Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt (bitte jahrgangsweise Auflistung)? 2. An welchen Veranstaltungen im Sinne der Politikberatung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: Besuche bei Ortsteilbeiräten oder anderen Gremien)? 3. An welchen Veranstaltungen im Bereich der Weiterbildung und Qualifizierung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: Veranstaltungen des Landesinstituts für Schule)? 4. An welchen Veranstaltungen im Sinne der politischen Bildung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: öffentliche Podiumsdiskussionen und Veranstaltungsreihen)? 5. Welche Veranstaltungen oder Ausstellungen zu welchen Themen wurden vom LfV an welchen Schulen in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt (bitte nach Anzahl der Veranstaltungen, Anzahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, Veranstalter, Ort/Dauer, Thema/Titel, Anlass auflisten)? — 2 — 6. Welche Veranstaltungen oder Ausstellungen zu welchen Themen wurden vom LfV an Hochschulen und Universität in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt ? 7. Welche internen Richtlinien oder Leitfäden gibt es für die Durchführung von oder die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen im LfV? Was sehen diese vor hinsichtlich extremismustheoretischer Ansätze? 8. Bietet das LfV seine Angebote aktiv an, oder werden diese ausschließlich von Dritten angefragt? 9. Inwiefern lassen sich die Auftritte des LfV nach Informations- und Bildungsangeboten unterscheiden? Wie definiert der Senat diesen Unterschied, und welche Grenzen zieht das Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Bremen, dem gemäß § 4 „ergänzend“ zur Öffentlichkeitsarbeit des Innensenators allenfalls eine Mitwirkung an der „Aufklärung der Öffentlichkeit“ zugestanden wird? Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE D a z u Antwort des Senats vom 9. April 2013 Vorbemerkung Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ist kein Geheimdienst, sondern ein Nachrichtendienst , der die Aufgabe hat, Erkenntnisse und Unterlagen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende Tätigkeiten zu sammeln. Statistische Aufzeichnungen über die einzelnen Veranstaltungen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz liegen nicht vor. Auftrag des Verfassungsschutzes ist es, extremistische Bestrebungen, die unsere freiheitlich -demokratische Grundordnung gefährden, aufzuspüren und zu beobachten. Dabei hat sich das LfV bei der Beobachtung auf die extremistischen Bestrebungen im Bundesland Bremen konzentriert, die einen Gewaltbezug aufweisen. Dazu zählen in Bremen in erster Linie der Rechtsextremismus und der Salafismus. In § 4 des Bremischen Verfassungsschutzgesetzes (BremVerfSchG) wird unter der Überschrift „Aufklärung der Öffentlichkeit“ im ersten Absatz der Senator für Inneres und Sport aufgefordert, die Öffentlichkeit Bremens über extremistische Bestrebungen im Bundesland auf der Grundlage der durch das LfV gewonnenen Erkenntnisse aufzuklären. Der zweite Absatz des § 4 BremVerfSchG dient explizit dazu, neben dem Senator für Inneres und Sport auch das LfV selbst zu verpflichten, durch „eigene Maßnahmen an der Aufklärung der Öffentlichkeit mitzuwirken“. Dem gesetzlichen Auftrag zur Öffentlichkeitsarbeit folgend und den Anstrengungen , das veränderte Selbstverständnis des Bremer Verfassungsschutzes auch „mit Leben zu erfüllen“, ist das LfV seit der Umstrukturierung im Jahr 2008 – und damit weit vor dem Bekanntwerden der schrecklichen Ereignisse um den „NSU“ – in besonderem Maße nachgekommen. Die Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit begann in Bremen unter anderem mit einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung auf Einladung der Fraktion DIE LINKE mit deren Parteimitgliedern am 8. Dezember 2008 in der Bremischen Bürgerschaft . Über die Veranstaltung berichtete die Partei DIE LINKE ausführlich auf ihrer Internetseite und lobte dabei die Aufgeschlossenheit und Offenheit des Bremer Verfassungsschutzes . Daran anknüpfend hat das LfV seine Öffentlichkeitsarbeit intensiviert und ist heute zuverlässiger und kompetenter Partner, auch für zivilgesellschaftliche Institutionen, bei der Bewertung extremistischer Bestrebungen im Bundesland Bremen. Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft ist nur eine von vielen Institutionen in Bremen , die auf die Expertise des LfV bei der Darstellung extremistischer Phänomene zurückgreift. 1. Welche eigenständigen öffentlichen Veranstaltungen zu welchen Themen hat das Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt (bitte jahrgangsweise Auflistung)? — 3 — Druck: Anker-Druck Bremen 2. An welchen Veranstaltungen im Sinne der Politikberatung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: Besuche bei Ortsteilbeiräten oder anderen Gremien)? 3. An welchen Veranstaltungen im Bereich der Weiterbildung und Qualifizierung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: Veranstaltungen des Landesinstituts für Schule)? 4. An welchen Veranstaltungen im Sinne der politischen Bildung hat das LfV in den vergangenen fünf Jahren teilgenommen (etwa: öffentliche Podiumsdiskussionen und Veranstaltungsreihen)? 5. Welche Veranstaltungen oder Ausstellungen zu welchen Themen wurden vom LfV an welchen Schulen in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt (bitte nach Anzahl der Veranstaltungen, Anzahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, Veranstalter, Ort/Dauer, Thema/Titel, Anlass auflisten)? 6. Welche Veranstaltungen oder Ausstellungen zu welchen Themen wurden vom LfV an Hochschulen und Universität in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt ? Zu den Fragen 1 bis 6 wird auf das Vorstehende verwiesen. 7. Welche internen Richtlinien oder Leitfäden gibt es für die Durchführung von oder die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen im LfV? Was sehen diese vor hinsichtlich extremismustheoretischer Ansätze? Für die Teilnahme an Vortragsveranstaltungen bzw. Durchführung von eigenen Veranstaltungen und Ausstellungen gibt es im LfV keine internen Richtlinien oder Leitfäden. 8. Bietet das LfV seine Angebote aktiv an, oder werden diese ausschließlich von Dritten angefragt? Die Teilnahme des LfV an Vortragsveranstaltungen erfolgt auf Anfrage der Veranstalter . Neben den Teilnahmen hat das LfV aber auch eigene Veranstaltungen oder Ausstellungen organisiert und durchgeführt. Dazu gehören auch Podiumsdiskussionen im Rahmen der Integrationswoche, die teilweise auch mit muslimischen Verbänden durchgeführt wurden. Dies ergänzt den im Jahr 2009 begonnenen Dialog zwischen dem LfV und weiteren muslimischen Verbänden in Bremen. 9. Inwiefern lassen sich die Auftritte des LfV nach Informations- und Bildungsangeboten unterscheiden? Wie definiert der Senat diesen Unterschied, und welche Grenzen zieht das Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Bremen, dem gemäß § 4 „ergänzend“ zur Öffentlichkeitsarbeit des Innensenators allenfalls eine Mitwirkung an der „Aufklärung der Öffentlichkeit“ zugestanden wird? Über die Weitergabe seiner Expertise hinaus nimmt das LfV weder Aufgaben bei der politischen Bildung noch bei der Präventionsarbeit wahr.