— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 972 Kleine Anfrage der Fraktion der CDU vom 15. Mai 2013 Gewalt in der Pflege – Was hat sich in Bremen seit November 2012 geändert? Gewalt in der Pflege ist ein Tabuthema, welches selten im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Trotzdem werden zu jeder Zeit Menschen, meistens in fortgeschrittenem Alter oder solche mit Behinderungen, in ambulanten oder stationären, aber auch in privaten Pflegeverhältnissen Opfer von unterschiedlich ausgeprägter körperlicher und psychischer Gewalt. Besonders problematisch ist in solchen Situationen, dass die Opfer ihre Notlage durch das zwischen Pflegenden und Gepflegten bestehende Abhängigkeitsverhältnis nur schwer zum Ausdruck bringen können. Die Entstehung von Gewalt in Pflegebeziehungen hat vielschichtige Ursachen. Diese reichen von hohen körperlichen und psychischen Belastungen, denen Menschen in Pflegeberufen oder pflegende Angehörige ausgesetzt sind, bis hin zu mangelnder Anerkennung der geleisteten Arbeit oder auch Schwierigkeiten in der Beziehungsdynamik zwischen Pflegenden und Gepflegten. Nicht selten beginnt sich die Gewaltspirale zu drehen, weil Pflegende zuerst durch die Gepflegten Druck, Zwang oder auch körperliche Gewalt erfahren haben. Durch fehlende oder nicht in Anspruch genommene Unterstützungsangebote für pflegende Menschen in Pflegeinrichtungen, im ambulanten Dienst oder privat wird das Entstehen von Gewalt in hohem Maße begünstigt. Selten finden Fälle von Gewalt in der Pflege den Weg in die Öffentlichkeit. Anfang November 2012 rief deshalb das Bekanntwerden der Misshandlung einer an Demenz erkrankten Frau in einem Pflegeheim in Bremen tiefe Bestürzung hervor. Es folgte eine lange und ausführliche Debatte und auf die Fragen, wie Menschen in Würde altern könnten und wie man Gewalt in der Pflege verhindern kann, wurden Antworten gesucht. In der Folge wurde in der Aktuellen Stunde am 22. November 2012 „In Würde altern – keine Gewalt in der Pflege“ eine Reihe von Vorschlägen gemacht, um besonders die Präventionsmechanismen in diesem Bereich in Bremen zu stärken. Die Kommunikation im Pflegebereich sollte verbessert und die Arbeit der Heimaufsicht sollte ausgebaut werden. Ebenso wurde zum Beispiel eine Verbesserung der (unabhängigen) Beratungsangebote für Personal, Angehörige und Betroffene , die in problematischen Situationen oder Verdachtsfällen in Anspruch genommen werden können, angemahnt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Welche Konsequenzen hat der Senat bisher aus der Debatte zum Thema Gewalt in der Pflege gezogen, und welche Maßnahmen sind bis Ende 2013 geplant? 2. Welchen Einfluss hat der Senat bisher auf die Verhandlungen zwischen Pflegekassen und Einrichtungsträgern zur Erhöhung des Personalschlüssels in den stationären und teilstationären Einrichtungen genommen, und plant er diesen zu verstärken? 3. Welche Maßnahmen im Bereich Beschwerdemanagement hat der Senat eingeleitet , um einen Verdacht von Gewalt in der Pflege für Betroffene und Angehörige unabhängig von der betroffenen Pflegeeinrichtung oder vom jeweiligen Pflegedienst melden zu können, und wie werden diese bekannt gemacht? 4. Welche Unterstützungsangebote gibt es für von Gewalt betroffene, demenziell erkrankte oder geistig behinderte Menschen, die in stationären Einrichtungen — 2 — oder ambulant von Pflegediensten gepflegt werden und um deren Alltagsangelegenheiten sich keine Angehörigen oder Bekannte kümmern, und gab es in diesem Bereich seit Herbst 2012 Veränderungen? 5. Welche Meldewege und Vernetzungen bestehen zwischen Sozialressort, Heimaufsicht und Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen, um Fälle von Gewalt in der professionellen Pflege vorzubeugen oder aufzudecken, und wie haben sich diese seit Herbst 2012 verändert? 6. Welche Maßnahmen hat der Senat seit Herbst 2012 ergriffen, um das Thema „Arbeitsbelastung in der Pflege“ in Bremen öffentlich und lösungsorientiert zu diskutieren, und welche sind bis Ende 2013 geplant (bitte aufgeschlüsselt nach Stadtgemeinden)? 7. Welche zusätzlichen freiwilligen und verpflichtenden Weiterbildungsangebote wurden seit Herbst 2012 auf der Leitungs- und Pflegekräfteebene im ambulanten und stationären Bereich geschaffen, und wie viele Heimleitungen, Pflegeleitungen und Pflegekräfte haben diese bereits genutzt? 8. Welche zusätzlichen Supervisions- und kollegialen Beratungsangebote für Pflegende werden von welchen Trägern einrichtungsunabhängig seit Herbst 2012 angeboten, und wie häufig werden diese von wie vielen Pflegenden genutzt? 9. Welche zusätzlichen Kontrollen wurden zur Prävention von Gewalt in der Pflege im Bereich der Heimaufsicht seit dem Herbst 2012 realisiert, und wie wurde die Heimaufsicht dazu personell verstärkt? 10. Wie werden Weiterbildungs- und Beratungsangebote zu diesem Thema für Pflegende beworben, und wird die Teilnahme an freiwilligen Angeboten als Arbeitszeit gewertet? 11. Hat die Diskussion zum Thema „Gewalt in der Pflege“ zu Veränderungen in den unterschiedlichen Pflegeausbildungen geführt, wenn ja, in welchen, und ist geplant, diese Änderungen im jeweiligen Landesausbildungsgesetz zu verankern ? 12. Welche Maßnahmen zur Prävention von Gewalt in der Pflege wurden seit Herbst 2012 im ambulanten Pflegebereich umgesetzt, welche sind geplant, und gibt es in diesem Bereich besondere Probleme? 13. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht des Senats die finanzielle Situation der 17 Dienstleistungszentren in der Stadtgemeinde Bremen auf die Qualität und Quantität der Beratungsangebote gerade für Betroffene und Angehörige zum Thema Pflege? 14. Aus welchen Gründen lehnt der Senat die Einrichtung einer Pflegekammer, die in den Augen vieler Pflegenden zur Stärkung des Pflegeberufes führen würde, weiterhin ab? Sigrid Grönert, Rainer Bensch, Claas Rohmeyer, Sandra Ahrens, Silvia Neumeyer, Thomas Röwekamp und Fraktion der CDU D a z u Antwort des Senats vom 18. Juni 2013 1. Welche Konsequenzen hat der Senat bisher aus der Debatte zum Thema Gewalt in der Pflege gezogen, und welche Maßnahmen sind bis Ende 2013 geplant? Die Debatte wurde ausgelöst durch einen dramatischen Vorfall im Juni 2012, der von Angehörigen der betroffenen Person im November 2012 in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Der Vorfall hat seit dem Herbst 2012 bei Leistungsanbietern , Verbänden, Beratungsinstitutionen, Ämtern und Behörden zu einer erhöhten Aufmerksamkeit geführt. Es war und ist weiterhin Ziel des Senats und der anderen Akteure, in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen auf eine Gesprächsatmosphäre hinzuwirken, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglicht, besondere Belastungen und Risiken anzusprechen. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit gegenüber Gewalt in der Pflege, wie sie im Folgenden weiter beschrieben wird, wird ausdrücklich begrüßt. Die Akteure des Kontroll- und Beratungssystems und viele andere Ak- — 3 — teure in der Pflege haben bereits seit Jahren ihre Aufmerksamkeit auf Gewalt in der Pflege gelegt. Auch im Hinblick auf den oben genannten Vorfall und die stark erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit und Medienberichterstattung im Herbst 2012 gab es aus Sicht des Senats keinen Anlass zu schnellen gravierenden Umsteuerungen oder Umstrukturierungen, die dieser langfristigen Herangehensweise nicht entsprechen. Andere Veränderungen und Folgen, die sich aus dem Vorfall ergeben haben, werden in den Antworten auf die Fragen 3 bis 12 beschrieben . „Gewalt in der Pflege“ ist nicht erst seit November 2012 ein Thema für das Referat Ältere Menschen und die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht bei der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen. Aus einer Veranstaltung des Ökumenischen Stadtkirchentags 2004 in Bremen bildete sich die Initiative zu einem dauerhaften Arbeitskreis zu dem Thema. Die Unabhängige Patientenberatung und die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht (damals: Heimaufsicht ) initiierten die Gründung des „Forums gegen Gewalt in Pflege und Betreuung “, das sich seitdem zwei bis drei Mal im Jahr trifft. Im „Forum gegen Gewalt in Pflege und Betreuung“ arbeiten Vertreterinnen/Vertreter von Senioren- und Selbsthilfeorganisationen, Fachleute von Leistungsanbietern, Vertreterinnen/ Vertreter von Krankenkassen und Polizei daran, zu dem Thema Aufklärungsarbeit zu betreiben. Wesentliche Ergebnisse dieser Arbeit sind eine sehr viel nachgefragte Informationsbroschüre 1), die in regulärer und für Menschen mit Behinderungen in leichter Sprache erschienen ist und schließlich eine Preisverleihung2), mit der im Januar 2013 Ideen zur Gewaltprävention gefördert wurden. Außerdem hat das „Forum gegen Gewalt in Pflege und Betreuung“ an diversen Fachveranstaltungen teilgenommen und über das Thema informiert. Die Aktivitäten des „Forum gegen Gewalt in Pflege und Betreuung“ wurden teilweise von der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen gefördert; das Forum wurde durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht bei der Senatorin für Soziales, Kinder , Jugend und Frauen kontinuierlich personell unterstützt. Im Ergebnis dieser Arbeit wurde das Thema „Gewalt in der Pflege“ so sehr in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit gebracht, dass kaum noch eine Fachveranstaltung stattfindet, die dieses Thema nicht aufgreift. Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen betrachtet diese erhöhte Aufmerksamkeit als ein wesentliches Element der Gewaltprävention: nur da, wo eine Sensibilität für die verschiedenen Formen von Gewalt besteht, kann sie frühzeitig erkannt und verhindert werden. Gewalt ist ein Phänomen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. In Bereichen , in denen Menschen mit beeinträchtigten Selbstschutzkompetenzen und in Abhängigkeitsverhältnissen von Gewalt bedroht sind, ist auf die Möglichkeit der Prävention ein besonderes Augenmerk zu richten. Dabei ist realistisch zu sehen, dass Gewalt auch in diesem Bereich nicht zuverlässig völlig zu verhindern ist. Nicht zuletzt der oben genannte Vorfall zeigt, dass die bisherigen Bemühungen zur Gewaltprävention fortzusetzen und zu intensivieren sind. 2. Welchen Einfluss hat der Senat bisher auf die Verhandlungen zwischen Pflegekassen und Einrichtungsträgern zur Erhöhung des Personalschlüssels in den stationären und teilstationären Einrichtungen genommen ,und plant er diesen zu verstärken? Die Höhe der Pflegesätze für Altenpflegeheime wird nicht von einer Landesregierung oder Landessozialbehörde, sondern in Verhandlungen zwischen den Kostenträgern und Pflegeeinrichtungen bestimmt. Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen ist hieran als Sozialhilfeträger beteiligt. Diese Rolle wird vom Pflegesatzreferat der Behörde wahrgenommen. Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen wird ihre Möglichkeiten nutzen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln im Land Bremen einen angemessenen finanziellen und rechtlichen Rahmen für den Personaleinsatz in den Pflegeeinrichtungen zu schaffen. An einer Nachfolgeregelung zur Heimpersonal- ––––––– 1) Vergleiche „Informationen zu Gewalt in Pflege und Betreuung“ http://www.soziales.bremen.de/ sixcms/detail.php?qsid=bremen69.c.2373.de 2) Vergleiche Pressemitteilung „Bremer Preis gegen Gewalt in Pflege und Betreuung erstmals ver- liehen“ http://senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?id=61048 — 4 — verordnung, die entsprechende Anforderungen an die Leistungsanbieter stellt, wird zurzeit gearbeitet. Ein Element des vorliegenden Entwurfs ist es, im Unterschied zu vielen anderen Länderverordnungen auch Bestimmungen zur jeweiligen Präsenz des Personals insbesondere in Pflegeeinrichtungen aufzunehmen. Änderungen in der Pflegeversicherung, die den finanziellen Rahmen für die Pflege generell erweitern, können nicht auf Landesebene, sondern nur bundespolitisch erreicht werden. Die Bundesregierung hat die Beiträge zur Pflegeversicherung in den letzten Jahren nur in geringem Maß erhöht. Während einerseits in der Öffentlichkeit vielfach höhere Leistungen, mehr Personal und bessere Bezahlung in der Pflege gefordert werden, gibt es andererseits über die Finanzierung dieser Leistungen keinen gesellschaftlichen Konsens. Ein Beispiel hierfür ist die seit langem von Pflegeexperten geforderte Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Diese wird von der Bundesregierung auch grundsätzlich angestrebt, wie aus den entsprechenden neuen Übergangsparagrafen , die mit dem im Pflegeneuausrichtungsgesetz ins SGB XI aufgenommen wurden, deutlich wird. Diese Veränderung würde vor allem denjenigen Demenzkranken sehr zugute kommen, die nach heutigen Regelungen nicht oder nur begrenzt Leistungen der Pflegeversicherung beziehen können. Da allerdings bisher keine Einigung über die Finanzierung dieser überfälligen Reform zu erzielen war, wurde sie von der Bundesregierung nun schon seit Jahren nicht umgesetzt, was auch zur Kritik von Mitgliedern des von ihr eingesetzten Expertenrats führte. Jede finanzielle Verbesserung für die stationäre Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung soll gleichzeitig sicherstellen, dass diese auch real für die Pflegebedürftigen wirksam wird. Ziel muss sein, dass in Pflegeheimen mehr qualifiziertes Personal und ausreichend Zeit für die Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner vorhanden sind. Initiativen auf Bundesebene, die auf solche Regelungen für eine verbesserte Finanzierung der Pflegeeinrichtungen abzielen, werden von der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen unterstützt. 3. Welche Maßnahmen im Bereich Beschwerdemanagement hat der Senat eingeleitet , um einen Verdacht von Gewalt in der Pflege für Betroffene und Angehörige unabhängig von der betroffenen Pflegeeinrichtung oder vom jeweiligen Pflegedienst melden zu können, und wie werden diese bekannt gemacht? Zentrale Anlaufstelle für Beschwerden und die Meldung von Verdachten von Gewalt in der Pflege ist nach wie vor die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht (früher: Heimaufsicht). Außerdem können entsprechende Beschwerden u. a. bei den Pflegekassen, dem Sozialdienst des Amtes für Soziale Dienste, der Unabhängigen Patientenberatung, den Pflegestützpunkten und der Demenz Informations- und Koordinationsstelle (DIKS) vorgetragen werden. Von diesen Stellen werden die Beschwerden in der Regel an die Bremische Wohn-und Betreuungsaufsicht weitergeleitet und von dort geklärt. Der Senat hat nach der durch das Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz erweiterten Aufgabenstellung der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht das Personal angepasst, sodass diese Aufgaben dort auch wahrgenommen werden können. In jeder Pflege- und Betreuungseinrichtung ist die Adresse der Bremischen Wohnund Betreuungsaufsicht bekannt, in jedem Heimvertrag wird im Anhang auf die Bremische Wohn-und Betreuungsaufsicht hingewiesen. Obwohl vor diesem Hintergrund nach der öffentlichen Debatte Ende 2012 eine zusätzliche Öffentlichkeitsarbeit für die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht nicht zwingend erforderlich schien, ist die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht derzeit dabei, ihre Öffentlichkeitsarbeit weiterzuentwickeln. In Zusammenarbeit mit einer Fachschule werden entsprechende Materialien erstellt. Ein neues Faltblatt wird die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht darstellen. Der Internetauftritt der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht auf der Website der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen wird erweitert um eine ausführlichere Darstellung und um die Möglichkeit, Formulare herunterzuladen . — 5 — Das Beschwerdemanagement in den Einrichtungen liegt in der Verantwortung der Leistungsanbieter. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht prüft regelmäßig , ob ein Beschwerdemanagement besteht und für die Bewohnerinnen und Bewohner nachvollziehbar ist. Bei Bearbeitung konkreter Beschwerden durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht wird auch der Ablauf der Beschwerdebearbeitung durch den Leistungsanbieter im Einzelnen geprüft. 4. Welche Unterstützungsangebote gibt es für von Gewalt betroffene, demenziell erkrankte oder geistig behinderte Menschen, die in stationären Einrichtungen oder ambulant von Pflegediensten gepflegt werden und um deren Alltagsangelegenheiten sich keine Angehörigen oder Bekannte kümmern, und gab es in diesem Bereich seit Herbst 2012 Veränderungen? Ältere Menschen mit Pflegebedarf und Menschen mit Behinderungen, die in unterstützenden Wohnformen von Gewalt betroffen sind, bedürfen einer besonders aufmerksamen Betreuung nach entsprechenden Erlebnissen. Diese wahrzunehmen liegt in der Verantwortung des Leistungsanbieters und seines Personals . Im Rahmen dieser Verantwortung haben der Leistungsanbieter und sein Personal auch zu erkennen, wenn nach einer Gewalterfahrung Hilfen für die betroffene Person erforderlich sind, die über die Möglichkeiten der unterstützenden Wohnform hinausgehen (siehe Antwort auf Frage 3). Entscheidend ist hier die Sensibilität aller Beteiligten für den Unterstützungsbedarf und die individuelle Abstimmung der im Einzelfall erforderlichen Hilfen zwischen dem Fachpersonal der Einrichtung, Angehörigen, psychologischen Diensten oder Vereinigungen, wie dem „Weißen Ring e. V.“ 5. Welche Meldewege und Vernetzungen bestehen zwischen Sozialressort, Heimaufsicht und Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen, um Fälle von Gewalt in der professionellen Pflege vorzubeugen oder aufzudecken, und wie haben sich diese seit Herbst 2012 verändert? Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht (früher: Heimaufsicht) ist integriert in das Ressort der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen und bedarf insofern keiner besonderen Meldewege und Vernetzungen zum Sozialressort . Mit Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen ist die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht durch die regulären und anlassbezogenen Prüfungen sowie durch eine von den Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen relativ gut nachgefragte Beratung auf unterschiedlichen Kommunikationswegen vernetzt. Die neue Anzeigepflicht in § 16 Abs. 4 BremWoBeG (Anzeige besonderer, die Bewohner schädigende Vorkommnisse) hat sich bewährt. Wesentlich häufiger als vor Bestehen dieser Regelung wird die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht auch von Leitungspersonal der Einrichtungen auf Vorfälle von Gewalt hingewiesen. Diese Anzeigen sind eine geeignete Grundlage für die Beratung von Präventionsmaßnahmen. 6. Welche Maßnahmen hat der Senat seit Herbst 2012 ergriffen, um das Thema „Arbeitsbelastung in der Pflege“ in Bremen öffentlich und lösungsorientiert zu diskutieren, und welche sind bis Ende 2013 geplant (bitte aufgeschlüsselt nach Stadtgemeinden)? Mit dem Thema „Arbeitsbelastung in der Pflege“ befassen sich verschiedene Institutionen im Land Bremen, mit denen die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen direkt oder indirekt kooperiert: • Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die Beratungen und Fortbildungen für die Leistungsanbieter und ihre Beschäftigten anbietet. • Die Bremer Altenpflegeschulen, in deren Unterricht das Thema ständiger Bestandteil ist. • Das Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen, das an mehreren Projekten arbeitet, die u. a. das Thema „Arbeitsbelastung in der Pflege“ beinhalten. Dazu gehören z. B. „Gute Arbeit und Strukturwandel in der Pflege“ und „Verbesserung von Kommunikation, Kooperation und Qualifikation bei Partnern und Partnerinnen der Altenpflege (KoKoQ)“. — 6 — Die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen ist informativ und beratend , teilweise auch mit direkter personeller Beteiligung (KoKoQ) an den Projekten beteiligt. Die Ergebnisse werden in Fachveranstaltungen des IAW in der Fachöffentlichkeit kommuniziert. Sie fließen ferner in die Beratungsarbeit der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht ein. 7. Welche zusätzlichen freiwilligen und verpflichtenden Weiterbildungsangebote wurden seit Herbst 2012 auf der Leitungs- und Pflegekräfteebene im ambulanten und stationären Bereich geschaffen, und wie viele Heimleitungen, Pflegeleitungen und Pflegekräfte haben diese bereits genutzt? Eine entsprechend detaillierte Auswertung der Fortbildungsprogramme von Leistungsanbietern und Weiterbildungsangeboten ist in der gesetzten Frist und mit den vorhandenen Ressourcen nicht zu leisten. 8. Welche zusätzlichen Supervisions- und kollegialen Beratungsangebote für Pflegende werden von welchen Trägern einrichtungsunabhängig seit Herbst 2012 angeboten, und wie häufig werden diese von wie vielen Pflegenden genutzt? Siehe Antwort auf Frage 7. 9. Welche zusätzlichen Kontrollen wurden zur Prävention von Gewalt in der Pflege im Bereich der Heimaufsicht seit dem Herbst 2012 realisiert, und wie wurde die Heimaufsicht dazu personell verstärkt? Für die Kontrollen zur Prävention von Gewalt ist weniger eine größere Anzahl, sondern vielmehr die Qualität entscheidend. Die Beratung zur Prävention von Gewalt in der Pflege ist ein fester Bestandteil der Prüfung und Beratung durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht (früher: Heimaufsicht). Der aktuelle Prüfleitfaden der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht umfasst 135 zu prüfende Aspekte. Es ist nicht sinnvoll, bei jeder Prüfung zu allen 135 Aspekten in gleicher Intensität zu beraten. Daher werden Schwerpunkte gesetzt. Die Schwerpunktsetzung richtet sich nach Art der unterstützenden Wohnform, nach der zu betreuenden Zielgruppe und den aus vergangenen Prüfungen und Beratungen bekannten Schwachpunkten – insbesondere nach vorhandenen Beschwerden oder anderen Problemmeldungen. Aus Anlass der Diskussion über Gewalt in der Pflege wurde das Thema in allen darauffolgenden Prüfungen aufgegriffen. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht ist unabhängig davon wegen des durch das Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes erweiterten Aufgabenbereiches personell um zwei Vollzeitstellen verstärkt worden. 10. Wie werden Weiterbildungs- und Beratungsangebote zu diesem Thema für Pflegende beworben, und wird die Teilnahme an freiwilligen Angeboten als Arbeitszeit gewertet? Die Werbung für Weiterbildungs- und Beratungsangebote liegt in der Verantwortung der Leistungsanbieter. Nach § 8 der geltenden Heimpersonalverordnung sind sie dazu verpflichtet. § 7 des Entwurfs für die neue Bremische Wohnund Betreuungspersonalverordnung betont diese Verpflichtung, indem danach der Leistungsanbieter nicht nur „Gelegenheit zur Fortbildung“ geben muss, sondern auch „auf die Wahrnehmung hinwirken“ muss. Die Anrechnung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen liegt ebenfalls in der Verantwortung der Leistungsanbieter. 11. Hat die Diskussion zum Thema „Gewalt in der Pflege“ zu Veränderungen in den unterschiedlichen Pflegeausbildungen geführt, wenn ja, in welchen, und ist geplant, diese Änderungen im jeweiligen Landesausbildungsgesetz zu verankern ? Die Ausbildung der Gesundheits- und Krankenpflege und der Altenpflege sind auf Bundesebene durch Berufsgesetze und durch Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen geregelt. Die Curricula, in denen die Inhalte der Theorieausbildungen beschrieben werden, werden von den Ausbildungsstätten selbst entwickelt . — 7 — In der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege haben die Bremer Krankenpflegeschulen die Inhalte zum Thema Gewalt in der Pflege im Curriculum in einem Lernfeld fest verankert. Zum Deeskalationstraining wird ein speziell geschulter Dozent herangezogen, die Inhalte zu Gewalt im Umgang mit Kindern und alten Menschen wird von Lehrern vermittelt. Das Thema „Gewalt in der Pflege“ wird insbesondere im Lernfeld „Pflegehandeln personenbezogen ausrichten“ besprochen. Hier werden insbesondere das Selbstbestimmungsrecht und die individuelle Situation der zu pflegenden Personen berücksichtigt. Zudem wird gelehrt, dass das Pflegehandeln in das soziale Umfeld von zu pflegenden Personen einzubeziehen ist und ethnische, interkulturelle, religiöse und andere gruppenspezifische Aspekte sowie ethische Grundfragen zu beachten sind. Das Thema „Gewalt in der Pflege“ wurde in der Altenpflegeausbildung bereits im Jahr 2010 ausführlich thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass die Altenpflegeschulen dieses Thema als wichtiges Element der Ausbildung sehen. Per Richtlinie ist geregelt, dass bei der Bewertung der praktischen Ausbildungsund Prüfungsleistung ein Fokus auf Kompetenzen wie Frustrationstoleranz, Bewohnerorientierung , angemessene Kommunikation, fachlich-kompetentes Arbeiten etc. gelegt wird und Gewalt in der Pflege in seinen verschiedenen Ausprägungen zum Nichtbestehen der praktischen Prüfung führt. Zusätzlich ist das Thema „Gewalt in der Pflege“ im theoretischen Unterricht sowohl im Lernfeld 1.3 (Personen- und situationsbezogene Pflege alter Menschen ) als auch im Lernfeld 4.3 (mit Krisen und schwierigen Situationen umgehen ) fest verankert und wird in Projekttagen zusätzlich vertieft. 12. Welche Maßnahmen zur Prävention von Gewalt in der Pflege wurden seit Herbst 2012 im ambulanten Pflegebereich umgesetzt, welche sind geplant, und gibt es in diesem Bereich besondere Probleme? Die bereits beschriebenen Maßnahmen im Bereich der Aus- und Fortbildung, Gremienarbeit und Beratung gelten ebenso für den ambulanten Bereich. Für die Qualitätssicherung sowie die Entgegennahme und Bearbeitung von Beschwerden sind im ambulanten Bereich ausschließlich die Kranken- und Pflegekassen zuständig. Im Unterschied zur stationären Pflege existiert in der ambulanten Pflegesituation eine besondere Einbindung von (pflegenden) Angehörigen , die professionelle Pflege unterstützend in Anspruch nehmen und die damit in der Regel einen kritischen Blick auf das Pflegepersonal haben, sodass Probleme schnell erkannt werden können. Sind Angehörige mit dem entsandten Personal unzufrieden, wird das über das Beschwerdemanagement der Pflegedienste in der Regel zur Zufriedenheit der Angehörigen geregelt. Menschen, die ohne Angehörige sind oder deren Angehörige weit entfernt leben , werden – je nach Schwere der Pflegebedürftigkeit – oft auch von weiteren Diensten und Einrichtungen betreut (z. B. Essen-auf-Rädern, Nachbarschaftshilfe , Besuchsdienste), sodass die Versorgung und Betreuung nicht in Hand eines einzelnen Trägers liegt. Damit ist in einem gewissen Umfang eine gegenseitige Kontrolle gegeben. Menschen ohne Angehörigenunterstützung mit diagnostizierter schwerer Demenz , die rund um die Uhr betreut und gepflegt werden müssen, werden in der Regel nicht ambulant versorgt, da für das selbstbestimmte und selbstorganisierte Leben in der eigenen Häuslichkeit geistige Fähigkeiten und alltagspraktische Fertigkeiten als Voraussetzung gelten. 13. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht des Senats die finanzielle Situation der 17 Dienstleistungszentren in der Stadtgemeinde Bremen auf die Qualität und Quantität der Beratungsangebote gerade für Betroffene und Angehörige zum Thema Pflege? Die Senatorin für Kinder, Jugend und Frauen hat die Absicht, in den Haushaltsjahren 2014 und 2015 in diesem Bereich die Zuwendungen nicht zu kürzen. Die Dienstleistungszentren haben nach dem Zuwendungsvertrag zum Thema Pflege die Aufgabe, ältere, behinderte, chronische kranke Menschen, Menschen mit Demenzerkrankungen, psychisch kranke ältere Menschen und deren Angehörige zu informieren und zu beraten. — 8 — Dafür erhalten sie eine Zuwendung von der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen. In dem Zuwendungsvertrag sind Maßnahmen der Qualitätssicherung aufgeführt. Die Qualitätssicherung der Dienstleistungszentren wird auch durch einen Arbeitskreis unterstützt, dessen Federführung beim Referat Ältere Menschen der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen liegt. 14. Aus welchen Gründen lehnt der Senat die Einrichtung einer Pflegekammer, die in den Augen vieler Pflegenden zur Stärkung des Pflegeberufes führen würde, weiterhin ab? Der Senat sieht derzeit in der Einrichtung einer Pflegekammer kein geeignetes Instrument zur Stärkung des Pflegeberufes. Eine solche Stärkung wird vom Senat unterstützt, ist aber nicht durch die Einrichtung einer weiteren Institution zu erreichen. Die Erfahrungen anderer Bundesländer mit der Errichtung einer Pflegekammer sollen abgewartet werden. 2012 hat die Bürgerschaft (Landtag) den Antrag der Fraktion der CDU „Attraktivität der Pflegeberufe steigern – Einrichtung einer Pflegekammer prüfen“ (Drucksache 18/361) abgelehnt. Druck: Anker-Druck Bremen