BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/1024 Landtag 19. Wahlperiode 11.04.17 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU Verfahren nach häuslicher Gewalt beendet - Aber wie geht es weiter? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU vom 07.03.2017 „Verfahren nach häuslicher Gewalt beendet – Aber wie geht es weiter?“ Die Fraktion der CDU hat folgende Anfrage an den Senat gerichtet: „Aus der Antwort des Senats auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion (Drs.19/892) geht hervor, dass bei der Aufklärung von häuslicher Gewalt Geschädigte häufig von ihrem Zeugnisverweigerungsrechts Gebrauch machen oder ihre Anzeige zurückziehen. Personen, die nicht die Möglichkeit zur Zeugnisverweigerung haben, erscheinen nicht mehr zu Vernehmungen oder reagieren nicht auf Schreiben der zuständigen Behörden. Zurückgezogene Strafanzeigen werden durch die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nicht erfasst, was spätere Rückschlüsse auf den jeweiligen Fall erschwert. Der Senatsantwort ist nicht zu entnehmen, wie im Detail die weitere Kontaktaufnahme und optionale Unterstützungsstrategie mit den Opfern häuslicher Gewalt erfolgt, wenn diese ihre Anzeige zurückziehen, oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Eine weitere Begleitung der Opfer wäre wünschenswert und nötig, um Wiederholung, Traumata und negative Langzeitfolgen zu mindern oder zu verhindern. Die reaktiven Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind rechtlich und personell stark begrenzt. Im September 2007 hat die Bundesregierung den „Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ auf den Weg gebracht, der zum Ziel hat, die Hauptgruppe der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen möglichst effizient zu schützen. Dieser Aktionsplan enthält ein Handlungskonzept, das alle Maßnahmen der Bundesregierung zu diesem Themenfeld bündelt. In der Umsetzung ist der Bund auf die Kooperation mit Ländern und Kommunen angewiesen. Zur Realisierung von Prävention und Schutz im Falle häuslicher Gewalt ist daher das Land Bremen gefragt. Wir fragen den Senat 1. Mit welchen konkreten Maßnahmen und in welchem Zeitfenster werden die Sozialbehörden in Bremen und Bremerhaven aktiv, wenn Opfer häuslicher Gewalt ihre Anzeige zurückziehen oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen? Welche weiteren Behörden in Bremen und Bremerhaven werden gegebenenfalls durch welche Maßnahmen aktiv? 2. Welche Stellen innerhalb der Sozialbehörden erhalten auf welchen Wegen Kenntnis über Vorfälle von Zeugnisverweigerung und die Vorfälle, bei denen es dann auch zur Strafverfolgung kommt? 3. Unterscheiden sich die Aktivitäten seitens der Behörde bei Personen, zu denen bereits ein Kontakt besteht von denen, zu denen vor dem Vorfall noch kein Kontakt bestand in Art, Angebotsinhalt oder Dauer? 4. Welche Formen der Kontaktaufnahme zu Opfern häuslicher Gewalt wählt die Sozialbehörde in welcher Häufigkeit? Werden die Betroffenen von Männern oder Frauen kontaktiert und welches Setting wird gewählt? Wie wird jeweils auf die Kontaktaufnahmen reagiert? Wie hoch ist der Prozentsatz der Betroffenen, die trotz a) Zeugnisverweigerung und b) Anzeigenrücknahme positiv auf eine weitere Begleitung reagieren? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 5. Inwiefern werden weitere Familienangehörige, insbesondere Kinder, als indirekt Betroffene ebenfalls angesprochen? Falls ja, geschieht dies separat oder im Familienverbund? 6. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um kultursensibel am Migrationshintergrund der betroffenen Familien anzudocken, insbesondere, was Sprache, religiöse Verortung und Rollenbilder angeht? 7. Sieht der Senat die Formen bzw. Arten der Kontaktaufnahme als ausreichend an? Wie stellt der Senat die Wirkung und den Erfolg dieser Kontaktaufnahmen sicher? 8. Welche Strategien hat der Senat entwickelt und umgesetzt, um die sehr hohe Zahl von Opfern häuslicher Gewalt, die a) ihre Anzeige zurückziehen, b) von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen oder c) nicht mehr auf Anfragen der Polizei reagieren, zu reduzieren? 9. Welche Strategien können aufgrund welcher Kriterien als erfolgreich und effizient bewertet werden? Welche konnten als nicht hilfreich identifiziert werden? Welche sind nicht evaluiert? 10. Wie und anhand welcher konkreten Maßnahmen hat sich der Senat für eine Reduktion der Anzeigenrücknahmen eingesetzt? Wie bewertet der Senat den Erfolg dieser Maßnahmen? 11. Welche Aufklärungsangebote hält der Senat vor, um direkte und indirekte Opfer häuslicher Gewalt über ihre Rechte und über Unterstützungsangebote zu informieren?“ Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Mit welchen konkreten Maßnahmen und in welchem Zeitfenster werden die Sozialbehörden in Bremen und Bremerhaven aktiv, wenn Opfer häuslicher Gewalt ihre Anzeige zurückziehen oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen? Welche weiteren Behörden in Bremen und Bremerhaven werden gegebenenfalls durch welche Maßnahmen aktiv? Mutmaßliche Opfer von Straftaten können grundsätzlich ihre Möglichkeiten nutzen, auf einen Strafantrag zu verzichten, einen bereits gestellten Strafantrag zurückzunehmen oder von einem etwaig bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ohne dass dies an andere Stellen mitgeteilt wird oder werden kann. Die Polizei Bremen macht über derartige Fälle grundsätzlich keine Mitteilung an nicht an dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beteiligte Behörden. Sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls allerdings zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass der Verzicht auf einen Strafantrag, die Rücknahme eines bereits gestellten Strafantrages oder die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht freiwillig erfolgt, führt die Polizei entsprechende Ermittlungen durch. Darüber hinaus können Stellen in der Sozialbehörde Kenntnis erhalten, wenn der/die Geschädigte sich dahingehend selbst äußert und um Unterstützung nachfragt. Darüber hinaus werden von Gewalt in nahen Beziehungen Betroffene auf vielen unterschiedlichen Wegen – unabhängig von einer Strafverfolgung – und über unterschiedliche Angebote erreicht. Dies gilt auch für diejenigen, die ihre Anzeige zurückziehen oder vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. In Fällen der Häuslichen Gewalt erhalten Betroffene in Bremen systematisch niedrigschwellige Ansprache und die Möglichkeit einer vertraulichen psychosozialen Beratung nach Einsätzen der Polizei bei Häuslicher Gewalt (Wegweisung) sowie bei Anträgen nach Gewaltschutzgesetz. Das verabredete systematische Verfahren mit Meldung der Polizei an das Amt für Soziale Dienste (AfSD) sowie des Einholens des Einverständnisses zur Weitergabe der Daten an die Fachberatungs- und Interventionsstelle „Neue Wege, Wege aus der Beziehungsgewalt“ durch die Polizei befindet sich aktuell in der Erprobung. Die Auswertung der Testphase steht in Kürze an. In Fällen Häuslicher Gewalt werden seitens der Ortspolizeibehörde Bremerhaven die Gesellschaft für integrative soziale Beratung und Unterstützung (GISBU / Frauenberatungsstelle bei häuslicher Gewalt) und das Amt für Jugend, Familie und Frauen in diesem Falle die Stadtteilbüros, informiert. Dies geschieht unmittelbar nach dem Bekanntwerden eines solches Vorfalles. Über den weiteren Fortgang des Verfahrens informiert die Polizei die vorstehend genannten Einrichtungen grundsätzlich nicht noch einmal. Ausgenommen im Einzelfall, wenn der jeweilige Sachbearbeiter/die Sachbearbeiterin die Notwendigkeit ergänzender Informationsweitergaben bejaht. Nach einem Einsatz bei häuslicher Gewalt bekommt die Frauenberatungsstelle innerhalb eines Tages per Fax die Informationen durch die Polizei. Die Beratungsstelle schickt umgehend ein schriftliches Beratungsangebot. In Rücksprache mit dem zuständigen Kontaktpolizisten, der Kontaktpolizistin nimmt sie telefonischen Kontakt zu der Klientin auf. Das Jugendamt nimmt umgehend Kontakt auf, wenn Kinder betroffen sind. Das Sozialamt hat mit der GISBU eine vertragliche Vereinbarung zu dem o.g. Beratungsangebot geschlossen; damit ist die Frauenberatungsstelle bei häuslicher Gewalt zuständig. Sind Kinder und Jugendliche betroffen, wird das Amt für Jugend, Familie und Frauen in Bremerhaven weiterhin im Auftrag des Kinderschutzes und des SGB VIII aktiv. Nehmen von häuslicher Gewalt betroffene Frauen die Angebote psychosozialer Beratung und Unterstützung an, besteht der Beratungskontakt solange es die Betroffenen wünschen, unabhängig vom strafrechtlichen Verfahren. Gerade in der psychosozialen und vertraulichen Beratung finden Frauen Unterstützung, für die eine Strafverfolgung (noch) nicht in Frage Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 kommt. Eine Statistik über Betroffene, die von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht oder einer Anzeigenrücknahme Gebrauch machen, wird nicht geführt. Viele finden darüber hinaus ihren eigenen Weg in die Beratungsstellen und holen sich die Unterstützung, die sie brauchen. Auch in den Frauenhäusern und in den Sozialen Diensten werden betroffenen Frauen und ihre Kinder unabhängig von Strafverfahren erreicht und unterstützt. Niedrigschwellige psychosoziale Beratung und Unterstützung ist zentraler Bestandteil der Interventionskette bei Gewalt in nahen Beziehungen, die Sicherung der Angebote ist ein wichtiges Ziel des Senats und wird in den Haushaltsberatungen beachtet. 2. Welche Stellen innerhalb der Sozialbehörden erhalten auf welchen Wegen Kenntnis über Vorfälle von Zeugnisverweigerung und die Vorfälle, bei denen es dann auch zur Strafverfolgung kommt? Siehe Antwort Frage 1. 3. Unterscheiden sich die Aktivitäten seitens der Behörde bei Personen, zu denen bereits ein Kontakt besteht von denen, zu denen vor dem Vorfall noch kein Kontakt bestand in Art, Angebotsinhalt oder Dauer? Die Aktivitäten der Polizeien orientieren sich am Einzelfall und sind maßgeblich von der Intensivität der Übergriffe beeinflusst. Auch das Vorliegen von Wiederholungsfällen kann dabei zu intensiveren Maßnahmen führen. Grundsätzlich gibt es keine unterschiedlichen Angebote, die auf dem Kriterium eines bereits bestehenden Kontaktes beruhen. Alle Hinweise/Meldungen über häusliche Gewalt in Familien, in denen Minderjährige betroffen sind, lösen als sog. Gefährdungsmeldung ein Verfahren im Rahmen des Kernprozesses nach § 8a SGB VIII aus. Das konkrete Vorgehen wird jedoch sinnvoller Weise der jeweiligen Situation angepasst. Hier spielt für die Einschätzung der Situation und die Wahl der Maßnahmen auch eine Rolle, ob bereits Kontakt zu der Familie besteht und beispielsweise schon Hilfen zur Erziehung gewährt wurden. 4. Welche Formen der Kontaktaufnahme zu Opfern häuslicher Gewalt wählt die Sozialbehörde in welcher Häufigkeit? Werden die Betroffenen von Männern oder Frauen kontaktiert und welches Setting wird gewählt? Wie wird jeweils auf die Kontaktaufnahmen reagiert? Wie hoch ist der Prozentsatz der Betroffenen, die trotz a) Zeugnisverweigerung und b) Anzeigenrücknahme positiv auf eine weitere Begleitung reagieren? Zum Hilfesystem und deren Fachlichkeit siehe 6. Bericht der ressortübergreifenden AG Häusliche Beziehungsgewalt sowie die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU (Drs.19/892). Die Frauenberatungsstelle der GISBU in Bremerhaven nimmt schriftlich und telefonisch Kontakt auf. Die Beratung von betroffenen Frauen erfolgt durch Beraterinnen. Die Erstberatung umfasst konkrete Informationsvermittlung, Unterstützung in lebenspraktischen Fragen sowie Aufarbeitung individueller Probleme. Dazu gehört auch eine Weitervermittlung an Polizei, Gerichte, Amt für Jugend, Familie und Frauen, Rechtsanwaltspraxen, Ärztinnen und Psychologinnen. Die Fachberatungs- und Interventionsstelle „Neue Wege, Wege aus der Beziehungsgewalt“ in Bremen bietet Beratung für von Gewalt in nahen Beziehungen betroffener Frauen durch Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 Beraterinnen sowie Beratung für von Männern, die gewalttätig sind, durch Berater. Von Gewalt betroffene Männer können ebenfalls von einem Berater beraten werden. Die Beratung richtet sich nach den Bedarfen der Betroffenen und umfasst alle Fragestellungen, die mit der Thematik verbunden sein können. Die für Bremerhaven aufgeführten Aspekte gehören dazu. Die erste Kontaktaufnahme erfolgt telefonisch und ggf. schriftlich. Nach Bekanntgabe einer möglicherweise gegebenen Kindeswohlgefährdung nehmen der ASD in Bremerhaven und das AfSD in Bremen im „Vier Augen Prinzip“ Kontakt auf. Die Fachkräfteteams sind je nach Einsatzort und Meldesituation unterschiedlich zusammengesetzt. Eine Erfassung von Rückmeldungen bezogen auf Zeugnisverweigerung und Anzeigenrückname gibt es nicht. 5. Inwiefern werden weitere Familienangehörige, insbesondere Kinder, als indirekt Betroffene ebenfalls angesprochen? Falls ja, geschieht dies separat oder im Familienverbund? Meldungen der Polizei über Wohnungsverweise und über Gewaltschutz sowie Mitteilungen des Familiengerichts über Gewaltschutz werden, wenn Kinder oder Jugendliche in der Familie leben, im Rahmen des Kernprozesses § 8a SGB VIII im Sozialdienst Junge Menschen Bremen sowie im ASD Bremerhaven grundsätzlich als Gefährdungsmeldungen aufgenommen und schriftlich im Falleingangsbogen Gefährdungsmeldung dokumentiert sowie in Form einer Dringlichkeitsfeststellung bearbeitet. Die Erörterung des Hinweises / der Meldung erfolgt mit mindestens einer weiteren Fachkraft und ggf. der Referatsleitung. Häusliche Gewalt wird dabei als Gefährdungsmerkmal bewertet. Einzelfallabhängig wird entschieden, ob ein sofortiges Handeln oder zügiges Handeln erforderlich ist. Kinder werden als indirekt Betroffene altersangemessen einbezogen und separat angehört. Ebenso werden weitere Familienangehörige im Einzelfall insbesondere zum Schutz des Kindes mit einer Schweigepflichtentbindung angesprochen. Dies erfolgt fallspezifisch unter Berücksichtigung des Alters der Kinder/ des Kindes bzw. der Jugendlichen. Die Begleitung erfolgt somit je nach Ausgangslage separat oder unter Einbeziehung einzelner Familienangehöriger oder des gesamten Familienverbundes. Ansprachen durch die Polizei sind abhängig vom Einzelfall, insbesondere bezogen darauf, welchen Beitrag die Angehörigen zur Sachverhaltsklärung oder Intervention leisten können. 6. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um kultursensibel am Migrationshintergrund der betroffenen Familien anzudocken, insbesondere, was Sprache, religiöse Verortung und Rollenbilder angeht? Eine kultursensible und transkulturelle Arbeit ist Bestandteil des Studiums und von Fortbildungen von Fachleuten in den Sozialbehörden als auch in den Fachberatungsstellen. Zunehmend können die Ressourcen von mehrsprachigen Mitarbeitenden genutzt werden. Bei Bedarf kann übersetzt und über die Performa Nord können entsprechende Fachleute angefragt werden. Die Finanzierung der Übersetzungsdienste soll verbessert werden. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 7. Sieht der Senat die Formen bzw. Arten der Kontaktaufnahme als ausreichend an? Wie stellt der Senat die Wirkung und den Erfolg dieser Kontaktaufnahmen sicher? Der Senat sieht die Formen der Kontaktaufnahme als ausreichend an. Allerdings wird die Arbeit im Feld kontinuierlich weiterentwickelt und systematisch überprüft. Die nächste Überprüfung steht dem Auftrag der Bürgerschaft folgend mit der Erstellung des 7. Berichts der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Häusliche Beziehungsgewalt“ 2018 an. In Kürze wird es für Bremen eine erste Überprüfung der niedrigschwelligen Kontaktaufnahme nach Polizeieinsätzen geben. Danach wird der Bedarf sowie die Umsetzung evaluiert und ggf. eine Nachbesserung in diesem Bereich angeregt. 8. Welche Strategien hat der Senat entwickelt und umgesetzt, um die sehr hohe Zahl von Opfern häuslicher Gewalt, die a) ihre Anzeige zurückziehen, b) von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen oder c) nicht mehr auf Anfragen der Polizei reagieren, zu reduzieren? Wesentlicher Baustein der Bekämpfung Häuslicher Gewalt ist die Enttabuisierung der Thematik in der Öffentlichkeit, die breite Bekanntmachung von Unterstützungseinrichtungen sowie die Sicherung deren fachlicher und struktureller Arbeitsbedingungen. Hier sei auf den 6. Bericht der Ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Häusliche Beziehungsgewalt“ sowie auf die Antworten der Große Anfrage der CDU-Fraktion (Drs.19/892) hingewiesen. Mögliche Opfer häuslicher Gewalt, die mitgeteilt haben, ihre „Anzeige zurückziehen“ zu wollen, beziehungsweise die ihren Strafantrag zurückgezogen haben, werden in den Fällen, in denen es mangels eines (besonderen) öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zu einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft kommt, von den Dezernentinnen und Dezernenten des Sonderdezernats „Gewalt gegen Frauen“ in den erteilten Einstellungsbescheiden regelmäßig darauf hingewiesen, dass es ihnen selbstverständlich freistehe, sich im Wiederholungsfalle erneut an die Polizei zu wenden. Zudem werden den Einstellungsbescheiden in geeignet erscheinenden Fällen Informationsbroschüren von Beratungseinrichtungen beigefügt, sofern diese nicht schon durch die Polizei ausgehändigt wurden. Macht ein mögliches Opfer häuslicher Gewalt von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und ist allein dieser Umstand für die hieraus resultierende Verfahrenseinstellung ursächlich, wird das mögliche Opfer von den zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten im Einstellungsbescheid regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung wieder aufgenommen werden könnten, wenn es sich zu einem späteren Zeitpunkt entschließen sollte, doch eine Aussage zu tätigen. Der Verjährungszeitpunkt wird in diesen Fällen mit konkretem Datum mitgeteilt. In vergleichbarer Weise wird in den Fällen verfahren, in denen dem möglichen Opfer kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, es aber dennoch mitteilt, zu weiteren Angaben nicht bereit zu sein. Von einer staatsanwaltlichen Vorladung wird dann unter Hinweis auf die Zeugenpflicht und der Möglichkeit einer Androhung von Ordnungs- und Zwangsmitteln mit Blick darauf abgesehen, dass eine derart erzwungene Aussage einer vermeintlich geschädigten Person in der Regel nicht zum Tatnachweis geeignet sein wird. Denn es ist zu befürchten, dass die vermeintlich geschädigte Person den Vorfall verdrängen will, sich auf Gedächtnislücken beruft, ihr Gedächtnis nicht ausreichend anspannt, wichtige Details nicht erwähnt oder ein ähnliches Verhalten zeigt, das den Tatnachweis unmöglich macht. In den Fällen, in denen das mögliche Opfer nicht mehr auf Anfragen der Polizei reagiert, zu Vernehmungsterminen nicht erscheint oder Zeugenfragebögen nicht zurückschickt, wird es seitens der Sonderdezernentinnen und -dezernenten persönlich angeschrieben und auf die Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 7 drohende Verfahrenseinstellung bzw. die Zeugenpflichten hingewiesen. Bei Bedarf erfolgt in geeigneten Fällen wiederum ein Hinweis auf Beratungseinrichtungen oder die Möglichkeit, sich eines anwaltlichen Beistands zu bedienen. Den Polizeibehörden liegen keine Statistiken zur Höhe der Zahl von Opfern vor, auf die sich die Fragestellungen a) bis c) beziehen. Eine Schätzung der Dimension kann auf verlässlicher Grundlage nicht vorgenommen werden, da die Entwicklung starken Schwankungen unterliegt. Das Begehren von Opfern, Anzeigen zurückziehen zu wollen, die Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechtes sowie die Vernachlässigung des weiteren Verfahrens sind polizeilich als Problemstellungen erkannt worden. Vor diesem Hintergrund ermutigen Polizeibeamte verunsicherte Geschädigte und Zeugen zur Anzeigeerstattung und Zeugenaussage. Sofern sich konkrete Hinweise darauf ergeben, das Verhalten des möglichen Opfers sei darauf zurückzuführen, dass es unter Druck gesetzt wurde, prüft die Polizei diesen Umstand durch erneute Kontaktaufnahme mit dem möglichen Opfer. Die Polizei trifft in diesen Fällen regelmäßig auch die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wie (gegebenenfalls eine erneute) Gefährderansprache, Information der Sozialbehörden, Unterbringung in einem Frauenhaus oder Beratung im Hinblick auf Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz. 9. Welche Strategien können aufgrund welcher Kriterien als erfolgreich und effizient bewertet werden? Welche konnten als nicht hilfreich identifiziert werden? Welche sind nicht evaluiert? Das Land Bremen verfolgt eine Gesamtstrategie zum Umgang mit Gewalt in nahen Beziehungen. Eine eigenständige Strategie bezogen auf die in Frage 8 benannten Betroffenen wird als nicht sinnvoll erachtet. Eine Evaluation und durch qualitative Forschung gestützte Bedarfsplanung steht auf der Agenda der Arbeit der ressortübergreifenden AG Häusliche Beziehungsgewalt, konnte jedoch bislang aus Kostengründen nicht realisiert werden. Die oben aufgezeigten Vorgehensweisen werden von der Staatsanwaltschaft Bremen unter Berücksichtigung deren Funktion und faktischen Möglichkeiten einer repressiv tätigen Strafverfolgungsbehörde als überwiegend geeignet erachtet, die Zahl der Anzeigenrücknahmen zu reduzieren und die Aussagebereitschaft möglicher Opfer häuslicher Gewalt zu erhöhen. Eine Evaluation der tatsächlichen Auswirkungen auf die von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren ist jedoch nicht möglich, da dies einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern würde. 10. Wie und anhand welcher konkreten Maßnahmen hat sich der Senat für eine Reduktion der Anzeigenrücknahmen eingesetzt? Wie bewertet der Senat den Erfolg dieser Maßnahmen? Zur Reduktion der Anzeigenrücknahmen werden bei den Polizeien bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen. Für die Polizei Bremen wurde zwischen der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport und dem Senator für Inneres vereinbart, dass in Fällen Häuslicher Beziehungsgewalt eine Interventionsstelle mit einer aufsuchenden Arbeit betraut werden soll, um Geschädigten und auch Tätern Wege aus der Gewalt aufzuzeigen. Hierbei handelt es sich um den Verein „Neue Wege – Wege aus der Beziehungsgewalt“, der im Rahmen kostenfreier Beratungs- und Gruppenangebote für Frauen und Männer gleichermaßen tätig wird. Seit dem 01.10.2016 führt die Polizei Bremen einen sechsmonatigen Probelauf durch, bei dem die Einsatzkräfte im Zuge des Ersteinschreitens Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 8 den betroffenen Personen eine Einwilligungserklärung zur Übermittlung personenbezogener Daten seitens der Polizei an den Verein „Neue Wege“ sowie ein Informationsblatt dieser Interventionsstelle aushändigt. Eine Evaluation dieses Projekts ist nach Abschluss des sechsmonatigen Probelaufs beabsichtigt. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die kriminalpolizeilichen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter des Phänomenbereichs Stalking/Häusliche Beziehungsgewalt in Bremen und Bremerhaven speziell geschult sind und insofern ein sensibler Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt sowie das Aufzeigen staatlicher und nichtstaatlicher Hilfeeinrichtungen geübte Praxis im dienstlichen Alltag ist und folglich gewährleistet wird. Die Ortspolizeibehörde Bremerhaven informiert in eigener Zuständigkeit in Fällen der Häuslichen Gewalt die Gesellschaft für integrative soziale Beratung und Unterstützung (GISBU) und das Amt für Soziale Dienste, in diesem Falle die Stadtteilbüros. Dies geschieht unmittelbar nach dem Bekanntwerden eines solches Vorfalles. 11. Welche Aufklärungsangebote hält der Senat vor, um direkte und indirekte Opfer häuslicher Gewalt über ihre Rechte und über Unterstützungsangebote zu informieren? Für das Land Bremen gibt es über die in dieser Anfrage beschriebenen Beratungsangebote vielfältige Aufklärungsangebote: Flyer und Leporello in verschiedenen Sprachen und für Bremen und Bremerhaven zu Gewalt in nahen Beziehungen, Plakate und Dossiers für Fachleute sowie eine Website www.gewaltgegenfrauen.bremen.de mit allen wichtigen Informationen und Unterstützungsstellen. Zum Thema „Früh- und Zwangsverheiratung“ gibt es ebenfalls einen Aufklärungsflyer. Alle Materialien sind unter http://www.frauen.bremen.de/service/detail.php?gsid=bremen94.c.10948.de zu finden. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-1024 VB Verfahren nach häuslicher Gewalt beendet - Aber wie geht es weiter? 20170411_KA Verfahren nach häuslicher Gewalt