BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/1075 Landtag (zu Drs. 19/1016) 19. Wahlperiode 24.05.17 Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Verfolgt Bremen den richtigen Ansatz im Umgang mit Menschen mit Demenz? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) vom 23. Mai 2017 "Verfolgt Bremen den richtigen Ansatz im Umgang mit Menschen mit Demenz?" (Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 05.04.2017) Die Fraktion der CDU hat folgende Große Anfrage an den Senat gerichtet: „Die Begleitung und Pflege eines Menschen mit Demenz stellt Angehörige und Pflegekräfte vor besondere Herausforderungen. Während heute noch ca 70% der Betroffenen Zuhause versorgt werden, wird sich dieser Anteil in den nächsten Jahren aufgrund der steigenden Zahl älterer Menschen und mit zunehmenden Singlehaushalten verringern. Zeitgleich wird die Zahl der Erkrankungen steigen. Schon heute leben von rund 13000 Betroffenen in Bremen ungefähr 4000 in stationären Einrichtungen. Insbesondere der erhebliche Bewegungsdrang der Patienten führt im Alltag zu vielen Problemen und stellt ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential für die Betroffenen dar. In der Antwort auf eine Große Anfrage der CDU- Fraktion (Drs. 18/1720) aus dem Jahr 2014 gab der Senat an, dass eine Öffnung der Einrichtungen in den Stadtteil gegenüber einem geschlossenen Areal vorzuziehen sei, da so „aufwändige Imitationen von Lebenssituationen im Demenzdorf“ überflüssig gemacht werden könnten. Das Konzept der Öffnung in den Stadtteil verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Sensibilität, Engagement und Aktivität. Diesem Anspruch und den damit verbundenen Herausforderungen für die Betreuung von Menschen mit Demenz wird der Senat als ordnungspolitischer Rahmengeber aber offensichtlich nicht gerecht. Allein im vierten Quartal 2016 gab es 16 Meldungen zu orientierungslosen Personen im Stadtraum, wobei die Dunkelziffer, das heißt die Zahl der nicht gemeldeten Fälle , noch um einiges höher liegen dürfte. Zum Vergleich: In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion (Drs. 18/1720) gab der Senat an, dass es im ganzen Jahr 2014 zu insgesamt acht Fällen gekommen sei. Vor dem Hintergrund der negativen Entwicklung scheint eine Überprüfung und Anpassung der bisherigen Zielsetzung der Öffnung in den Stadtteil dringend geboten. Hier spielt für den Erfolg die Sensibilisierung der Bewohnerinnen und Bewohner des jeweiligen Stadtteils eine zentrale Rolle, um den Menschen mit Demenz, die Einrichtungen unbeaufsichtigt verlassen, verantwortungsvoll begegnen und begleiten zu können. Gleichzeitig gibt es keine Garantien, dass Stadtteilbewohner tatsächlich gewillt und in der Lage sind, Verantwortung für offensichtlich verwirrte Betroffene zu übernehmen. Durch das einseitige Vertrauen des Senats in die sogenannte „Öffnung zum Stadtteil“ wird bedauernswerterweise sogar eine nachahmende Lebenswirklichkeit in den bestehenden Pflegeheimen befördert. Menschen mit Demenz werden zu ihrem Schutz vom Verlassen der Einrichtung abgehalten, indem Türen als Bücherregale oder feste Wände getarnt werden. Des Weiteren wird unter anderem mit Tricks wie Rundläufen im Treppenhaus etc. versucht, dem Bewegungsdrang der Betroffenen Raum zu schaffen. Auch Medikamente und Zwang werden immer wieder genutzt, um demente Menschen an die Abläufe in den Pflegeheimen anzupassen . Mit der in den nächsten Jahren steigenden Zahl hochaltriger Menschen wird auch die Zahl derer steigen, die auf stationäre Betreuung angewiesen sind. Und obwohl aktuell noch mehr Menschen Zuhause von ihren Angehörigen versorgt werden als in den Pflegeheimen, ist perspektivisch auch wegen der stetigen Zunahme von Singlehaushalten eine Zunahme in der stationären Betreuung zu erwarten. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 1 Alternative Einrichtungen wie das Demenzdorf im niedersächsischen Hameln verfolgen hingegen eine entgegengesetzte Strategie und erleben regen Zuspruch. Hier wurden andere praktikable Lösungen im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Bewohner gefunden. Diese werden von Seiten der Pflegekräfte und auch von der lokalen Politik begrüßt und unterstützt. Der Erfolg der Hamelner Einrichtung zeigt beispielhaft, dass im Umgang und bei der stationären Unterbringung von Menschen mit Demenz Flexibilität und Kreativität gefragt ist. Die Frage , wie ihre Würde und ihr Schutz auch in der letzten Lebensphase gewahrt bleiben kann, darf nicht verdrängt werden. Verbesserungen in der Betreuung dieser Gruppe werden aktuell auch durch bundesgesetzliche Änderungen (Pflegestärkungsgesetz) ermöglicht. Wir fragen den Senat: 1. Wie hat sich die Situation der stationären Pflegeeinrichtungen, die besonders auf Menschen mit Demenz spezialisiert sind, in Bremen und Bremerhaven seit 2014 entwickelt ? Wie viele Plätze für Menschen mit Demenz sind dort mittlerweile vorhanden? (bitte aufgeschlüsselt nach Stadtgemeinden und Stadtteilen) 2. Wie viele auf die Versorgung und Begleitung von Menschen mit Demenz spezialisierte Wohngemeinschaften mit wie vielen Plätzen gibt es in Bremen? Welche Vorteile bieten diese Wohngemeinschaften, welche Nachteile werden in dieser Betreuungsform ausgemacht ? Wie sind sie organisiert und wie werden sie durch die Wohn- und Betreuungsaufsicht kontrolliert? 3. Hält der Senat die unter 1. und 2. genannten Platzanzahlen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung für ausreichend? Wie wird sich die Zahl der Demenzneuerkrankungen in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich entwickeln? 4. In wie vielen Fällen wurde seit 2014 durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht bei Kontrollen ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der an Demenz erkrankten Pflegeheimbewohner festgestellt? Um welche Art von Verstößen handelt es sich jeweils? Wie viele Beschwerden gab es dazu von Angehörigen bei welchen Stellen ? (bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren) 5. Wie bewertet der Senat die Verstöße gegen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Demenz gegenüber möglicher Gefährdungen, welche durch das Verhalten der Erkrankten für sich selbst oder für Dritte entstehen könnten? 6. Welche Gründe sieht der Senat für das Ansteigen der Fallzahlen bei vorübergehend vermisst gemeldeten Menschen mit Demenz? Wo wohnten die vermisst gemeldeten Personen? (in auf Demenz spezialisierte Einrichtungen, andere Einrichtungen oder privat ?) Welche konkreten Schritte sind bis wann und in welchen Statteilen geplant, um ein weiteres Ansteigen dieser Zahlen zu verhindern, ohne die Betroffenen zur eigenen Sicherheit in Zimmer und Häusern festzuhalten? 7. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Menschen mit Demenz in Bremen immer häufiger vermisst werden: Wie bewertet der Senat die Wirksamkeit vorhandener, auch stadtteilübergreifender Strategien, die helfen sollen Menschen mit Demenz aufzufinden und angemessen zu betreuen, wenn Sie nicht mehr aus eigener Kraft in ihre Einrichtungen zurückgelangen? Welche Weiterentwicklung gab es hier seit 2014 und welche Entwicklungen plant der Senat bis 2020 konkret zu fördern? 8. In wie vielen Fällen hatte das unbegleitete Verlassen einer Einrichtung für Menschen mit Demenz 2015 und 2016 Folgen, die zu körperlichen Schäden bzw. zum Tod führ- Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 ten? (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Art des Falles). Wie lange galten die Betroffenen jeweils als vorübergehend vermisst? 9. Wie und anhand welcher Maßnahmen wird sichergestellt, dass Menschen mit Demenz ihrem Bewegungsdrang ohne Eigengefährdung nachkommen können? Wie wird dies insbesondere in den Nachtstunden sichergestellt? 10. Wie und anhand welcher konkreten Maßnahmen hat der Senat 2015 und 2016 die Entstehung oder Weiterentwicklung spezialisierter Pflegeeinrichtungen unterstützt, Welche weiteren Maßnahmen sind für die menschenwürdige stationäre Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen für die kommenden Jahre geplant? 11. Welche Anfragen oder Angebote gab es seit 2014 von Investoren, die Wohn- und Pflegeeinrichtungen speziell für Menschen mit Demenz errichten wollten? Welche Angebote beziehungsweise Anfragen wurden hier im Einzelnen vorgelegt und wie hat der Senat oder wie haben andere Stellen jeweils reagiert? 12. Hat der Senat oder haben andere Stellen in Bremen Anfragen von Investoren bekommen , die die Errichtung einer spezialisierten Pflegeeinrichtung nach dem Vorbild der Einrichtung in Hameln oder De Hogewey in den Niederlanden planten? Wie hat der Senat auf solche Anfragen reagiert? 13. Wie hat sich der Senat in den vergangenen Jahren gegenüber den Trägern oder Betreibern von Pflegeeinrichtungen dafür eingesetzt, dass ausreichend Pflegepersonal vorhanden ist? Wie bewertet der Senat den Erfolg seiner Aktivitäten? Wie ist im Land Bremen der Personalschlüssel für Pflegeinrichtungen und seit wann gilt er? Sind hier wegen der Zunahme von hochaltrigen Bewohnern und dadurch auch der Demenzerkrankungen , oder aus anderen Gründen, bis 2019 Veränderungen geplant? 14. Wie oft wurde die Sozialbehörde seit 2011 von auf für Menschen mit Demenz spezialisierten Einrichtungen mit nachgewiesener Notwendigkeit zu einer Erhöhung des Personalschlüssels aufgefordert? Wie oft wurde diesem Anliegen zugestimmt? Wie wurden Ablehnungen von der Sozialbehörde begründet? Sind hier in absehbarer Zeit Veränderungen geplant? Wenn ja, welche?“ Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Demenz geht uns alle an. Neben den vielfältigen Hilfestellungen für Erkrankte und Angehörige steht im Vordergrund der Aktivitäten in Bremen und Bremerhaven, das Thema Demenz durch Aufklärung und Information zu enttabuisieren. Der Schwerpunkt der Initiative ist, einen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel zu erreichen. Um am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können, sind Menschen mit Demenz auf ein demenzfreundliches Umfeld angewiesen. Entsprechendes Wissen über Demenzerkrankungen und die Besonderheiten im Umgang und der Kommunikation mit den Demenzkranken sind in der Bevölkerung nötig, um den Betroffenen angemessen und angstfrei begegnen zu können. Bremen und Bremerhaven haben sich auf den Weg gemacht, demenzfreundliche Kommunen zu werden, um Demenzerkrankten möglichst lange ein Leben innerhalb ih- Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 rer Quartiere zu ermöglichen. ‘Dafür gilt es, breite Bevölkerungsschichten zu erreichen sowie Organisationen und Institutionen aller Art auf den Umgang mit Demenzerkrankten vorzubereiten. 1. Wie hat sich die Situation der stationären Pflegeeinrichtungen, die besonders auf Menschen mit Demenz spezialisiert sind, in Bremen und Bremerhaven seit 2014 entwickelt? Wie viele Plätze für Menschen mit Demenz sind dort mittlerweile vorhanden? (bitte aufgeschlüsselt nach Stadtgemeinden und Stadtteilen) Die Entwicklung der stationären Pflegeeinrichtungen, die besonders auf Menschen mit Demenz spezialisiert sind, unterscheidet sich nicht signifikant von der generellen Entwicklung der Pflegeeinrichtungen. Diese ist sowohl in 2014 als auch heute davon gekennzeichnet, dass Menschen mit immer höherem Alter und daher mit höheren Pflegebedarfen in die Einrichtungen einziehen . Unter den Menschen mit Demenz, für die stationäre Unterstützung gesucht wird, gibt es unterschiedliche Gruppen. Ein großer Teil von ihnen kann gut in allgemeine Pflegeeinrichtungen integriert werden, die nicht ausschließlich auf Menschen mit Demenz spezialisiert sind. Die speziellen Einrichtungen für Menschen mit Demenz werden von Angehörigen dann angewählt, wenn die ihnen nahestehenden Menschen mit Demenz in das Angebot einer allgemeinen Pflegeeinrichtung schwer integrierbar sind, bzw. von Angehörigen, die sich durch eine spezielle Einrichtung eine gezieltere Unterstützungsleistung versprechen. Der Arbeitsmarkt in der Pflege erlaubt es zurzeit, dass Pflegekräfte ihren Arbeitsplatz relativ frei wählen können. Es kann daher angenommen werden, dass das Personal in speziellen Einrichtungen für Menschen mit Demenz eine höhere Motivation hat, sich den besonderen Herausforderungen von Menschen mit Demenz zu stellen. Die bundesgesetzlichen leistungsrechtlichen Rahmensetzungen sind die entscheidenden Determinanten für die Entwicklung in den Pflegeeinrichtungen. Landesrechtlich beeinflussbar ist die Ausbildung für die Altenpflege. Diesen Spielraum hat Bremen durch eine massive Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze ausgestaltet. Daneben nutzt Bremen die landesrechtlichen Möglichkeiten durch ordnungsrechtliche Qualitätsstandards und deren Überwachung. Eine Weiterentwicklung dieser landesrechtlichen (heimrechtlichen) Einflussmöglichkeiten befindet sich mit der Novellierung des Brem- WoBeG derzeit in der politischen Abstimmung. Es gibt in Bremen und Bremerhaven acht stationäre Pflegeeinrichtungen mit rund 510 Plätzen, die eine spezielle Betreuung von Menschen mit Demenz und besonderen Verhaltensauffälligkeiten anbieten. Die Übersicht ist gegenüber der Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion vom 27.01.15 (Drs. 18/1720) um zwei weitere, zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls schon bestehende Einrichtungen ergänzt worden: Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 Haus Standort Platzzahl Egestorff-Stiftung, Haus Poppe Bremen-Osterholz 68 Haus Holter Fleet (ehem. Haus Hasch) Bremen-Osterholz 79 Haus O’land Bremen-Obervieland 82 Haus Seewenje Bremen-Gröpelingen 60 9 Plätze weniger als 2014 Friedehorst, Promente Bremen-Lesum 74 Haus im Park Bremerhaven- Geestemünde 62 Sozialwerk der Freien Christengemeinde , Haus Ohlenhof (ergänzt) Bremen- Oslebshausen 39 4 Plätze mehr seit 2014 Haus Am Sodenmattsee II (ergänzt) Bremen-Huchting 54 Darüber hinaus haben sich alle Einrichtungen der Altenpflege durch entsprechende Angebote grundsätzlich auf die Anforderungen in der Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen eingestellt. Für alle Pflegeeinrichtungen gilt, dass es zunehmend schwerer wird, ausreichend Personal anzuwerben. 2. Wie viele auf die Versorgung und Begleitung von Menschen mit Demenz spezialisierte Wohngemeinschaften mit wie vielen Plätzen gibt es in Bremen? Welche Vorteile bieten diese Wohngemeinschaften, welche Nachteile werden in dieser Betreuungsform ausgemacht? Wie sind sie organisiert und wie werden sie durch die Wohn- und Betreuungsaufsicht kontrolliert? Im Land Bremen bestehen zurzeit 27 Wohngemeinschaften mit insgesamt 224 Plätzen für ältere Menschen mit Pflegebedarf. In diesen Wohngemeinschaften leben sowohl pflegebedürftige Menschen mit Demenz als auch pflegebedürftige Menschen ohne Demenz. In der Stadtgemeinde Bremen sind von diesen 27 neun Wohngemeinschaften mit insgesamt 74 Plätzen ausschließlich auf pflegebedürftige Menschen mit Demenz spezialisiert. Die Wohngemeinschaften für ältere Menschen mit Pflegebedarf leisten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung von Menschen mit Demenz. Nachdem vor zwölf Jahren die erste Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz in Bremen ihren Betrieb aufnahm , sind bis heute 26 weitere Wohngemeinschaften entstanden. Diese Angebote werden von pflegebedürftigen Menschen nachgefragt, die unter den bisherigen Wohnbedingungen nicht mehr ausreichend unterstützt werden können und die statt des oft sehr institutionellen Charakters von stationären Pflegeeinrichtungen eine unterstützende Wohnform mit familiennäherem Charakter suchen. Oft werden sie von Angehörigen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 begleitet, die Interesse an größerer Mitwirkung und Mitgestaltung haben, als es in Pflegeheimen möglich ist. Diese unterstützende Wohnform bietet den Betroffenen die nötige Stabilität vor allem durch räumliche Überschaubarkeit und eine enge persönliche Begleitung. Alle 27 Wohngemeinschaften sind sogenannte trägergesteuerte Wohngemeinschaften. Diese haben das gemeinsame Merkmal der zwischen einem Leistungsanbieter und der Gruppe der Bewohnerinnen und Bewohner geteilten Gesamtverantwortung für das Wohnen und die Unterstützungsleistungen. Die Initiative zu einer trägergesteuerten Wohnform geht in der Regel von einem Leistungsanbieter aus, der Wohnräume ausdrücklich zum Zweck des gemeinschaftlichen Lebens in einem Haushalt und der gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Unterstützungsleitungen anbietet. Er gibt damit auch die räumliche Struktur der Wohnform vor und bestimmt die Zahl der darin aufzunehmenden Bewohnerinnen und Bewohner. Im laufenden Betrieb übernimmt der Leistungsanbieter die Abstimmung der verschiedenen dort erbrachten Unterstützungsleistungen . Dies gibt ihm den maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung des Wohnens und der Betreuung. Den Bewohnerinnen und Bewohnern bleibt dabei jedoch die freie Wahl, von welchen Anbietern sie Unterstützungsleistungen abnehmen. Entscheidend ist dabei , dass diese freie Wahl nicht nur per Vertrag besteht, sondern auch tatsächlich vorhanden ist. Die Wohngemeinschaft bietet überschaubare Strukturen mit mehr Möglichkeiten , sie an normalen Lebensbedingungen orientiert zu gestalten. Weiterhin bietet sie strukturell bessere Möglichkeiten der Angehörigenbeteiligung. Nachteilig zu bewerten ist, dass bei zunehmendem Pflegebedarf ein Umzug aus einer WG in eine stationäre Pflegeeinrichtung nötig werden kann. Bei Pflegeheimen mit ihrem umfassenden Leistungsangebot als „Rundum-Versorgung“ für Unterkunft, Verpflegung und Betreuung ist die höchstmögliche Grundfinanzierung durch den Kostenträger nach dem SGB XI gesichert. Bei Wohngemeinschaften gibt es weniger klare Kostenregelungen . Unterkunft und Verpflegung werden nicht von den Kostenträgern nach dem SGB XI finanziert und ziehen höhere Kosten für den pflegebedürftigen Menschen und seine Angehörigen nach sich. Ein Herausforderung kann sein, dass in Wohngemeinschaften von den Angehörigen oft erwartet wird, mitzuwirken und sich am Alltagsleben und dessen Gestaltung aktiv zu beteiligen. Diese Merkmale einer trägergesteuerten Wohngemeinschaft flossen ein in die ordnungsrechtlich gestuften Anforderungen an sogenannte unterstützende Wohnformen durch das geltende Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz aus dem Jahr 2010. Der Senat ging davon aus, dass Bewohnerinnen und Bewohner einer Wohngemeinschaft eine Lösung zwischen der rein häuslichen und der vollstationären Pflege suchen, weil sie nicht in dem Maße unterstützungsbedürftig sind wie die Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Pflegeheimen und weil sie von Angehörigen begleitet werden, die die im Vergleich zu Pflegeheimen größeren Möglichkeiten der Mitwirkung und Mitgestaltung nutzen. Inzwischen ist deutlich geworden, dass diese Annahme seltener zutrifft als 2010 eingeschätzt. Der Senat hat erkannt, dass Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngemeinschaften nicht unbedingt weniger unterstützungsbedürftig sind als Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime. Zudem sind mitwirkungsbereite Angehörige nicht in dem Maße in den Wohngemeinschaften vorhanden wie anfangs angenommen . Daher sollen nach Auffassung des Senats künftig für Wohngemeinschaf- Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 ten weitergehende Anforderungen an das Personal gestellt werden. Eine Weiterentwicklung dieser landesrechtlich (heimrechtlich) definierten Einflussmöglichkeiten befindet sich mit der Novellierung der Personalverordnung zum Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz derzeit in der politischen Abstimmung. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht überprüft die Wohngemeinschaften anlassbezogen . Diese anlassbezogenen Prüfungen aufgrund von Beschwerden oder Hinweisen auf Missstände erfolgen regelmäßig unangekündigt. 3. Hält der Senat die unter 1. und 2. genannten Platzanzahlen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung für ausreichend? Wie wird sich die Zahl der Demenzneuerkrankungen in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich entwickeln ? Die Pflegestatistik 2015 weist gegenüber 2013 einen weiteren Anstieg von freien Plätzen in stationären Pflegeeinrichtungen im Land Bremen aus. Solange es genügend freie Plätze gibt, um Menschen, die einen entsprechenden Bedarf haben, eine Wahlmöglichkeit zu bieten, hält der Senat die angegebenen Platzzahlen für ausreichend. Dies ist zurzeit der Fall. Statt des Ziels einer allgemeinen weiteren Erhöhung der Zahl der Plätze werden vom Senat die bedarfsgerechte Entwicklung der Pflegeheimplätze und ein ausreichendes Angebot unterstützender Alternativen angestrebt. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass der Bedarf nach einer Weiterentwicklung der Platzzahlen rechnerisch direkt aus der demografischen Entwicklung abzuleiten ist. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt nicht zwangsläufig in gleichem Maße wie die Zahl älterer Menschen. Hier sind u.a. die Verbesserung der medizinischen Versorgung, weiterentwickeltes Gesundheitsbewusstsein usw. zu berücksichtigen. Schließlich ändern sich die Vorstellungen der Menschen davon, welche Formen der Unterstützungsleistungen und Wohnbedingungen sie sich im Alter und bei Pflegebedürftigkeit wünschen sowie die durch das Leistungsrecht gesetzten finanziellen Rahmenbedingungen. Diese in ihrer Entwicklung sehr unterschiedlich einschätzbaren Einflussfaktoren machen es erforderlich, in Zusammenarbeit mit beratenden kommunalen Diensten, Leistungsanbietern , Kostenträgern und der zuständigen Landesbehörde laufend die Entwicklung der Bedarfe und der Angebotssituation einzuschätzen und Weiterentwicklungsbedarfe daraus abzuleiten. Dabei sind die derzeit sehr begrenzten landesrechtlichen Möglichkeiten einer Angebotsplanung zu berücksichtigen. Der Wechsel von Pflegestufe zu Pflegegraden ab 1.1.2017 ist für bestimmte Gruppen von Leistungsempfängern mit Verbesserungen verbunden. Hinzu kommt, dass der ambulante Bereich sich entwickelt hat und Einrichtungen neben stationären auch ambulante Wohnformen anbieten. In der Anzahl und Nachfrage sind die Wohngemeinschaften im Lande Bremen relativ gut entwickelt. Die differenzierten Anforderungen des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes waren hier sicherlich förderlich. Im Land Bremen leben derzeit ca. 12.000 (Stand 31.12.2014) mit einer Demenzerkrankung. Dabei umfasst diese Zahl Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 7 sowohl die diagnostizierten Erkrankten mit Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung als auch bisher nicht diagnostizierte Menschen, Menschen ohne Anspruch auf einen Pflegegrad und damit auf SGB XI-Leistungen und Menschen, die bisher keinen Antrag gestellt haben. Für das Jahr 2020 ist laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes bei gleichbleibender Inzidenz im Land Bremen mit einer Zahl von ca. 13.500 Erkrankten zu rechnen und im Jahr 2030 mit ca. 16.100. Diese Zahlen basieren allein auf einer rechnerisch angenommen gleichbleibenden Entwicklung, ohne neue medizinische Fortschritte oder Therapien (für jede Form der Demenz). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass sich die Zahl der Neuerkrankungen in den verschiedenen Altersstufen sehr unterschiedlich entwickelt und auch die Sterberate, die nicht vorhersehbar ist, Einfluss auf die tatsächlichen Zahlen der Erkrankten haben wird. 4. In wie vielen Fällen wurde seit 2014 durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht bei Kontrollen ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der an Demenz erkrankten Pflegeheimbewohner festgestellt? Um welche Art von Verstößen handelt es sich jeweils? Wie viele Beschwerden gab es dazu von Angehörigen bei welchen Stellen? (bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren) Im Jahr 2014 wurden von der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht bei Prüfungen keine Verstöße gegen das Selbstbestimmungsrecht bei dementen Bewohnerinnen und Bewohnern festgestellt. Im Jahr 2015 wurden drei Verstöße festgestellt. Diese beinhalteten Fehlverhalten im Umgangston, verbale Gewalt und ein nicht aktiviertes Notrufsystem in einem Bewohnerzimmer . 2016 stellte die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht vier Verstöße fest. In einem Fall wurde ein nicht erlaubtes sogenanntes Trickschloss eingesetzt. Dabei handelte es sich um ein codiertes Zahlenschloss, das von Menschen mit Demenz nicht bedient werden kann. Weitere Verstöße lagen vor wegen unerlaubter freiheitsentziehender Maßnahmen durch hochgestellte Bettgitter und Teilfixierung durch Bettlaken im Rollstuhl . Zudem lag ein Verstoß gegen die körperliche und seelische Unversehrtheit vor wegen verbaler und körperlicher Grobheit, Drohungen, Ignorieren von Wünschen der Bewohner durch das Pflegepersonal. In den Jahren 2015 und 2016 gab es vier Beschwerden von Angehörigen bei der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht. 5. Wie bewertet der Senat die Verstöße gegen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Demenz gegenüber möglicher Gefährdungen, welche durch das Verhalten der Erkrankten für sich selbst oder für Dritte entstehen könnten? Die Frage benennt mit der Balance zwischen Sicherheit und Selbstbestimmung den vielleicht schwierigsten Zielkonflikt, den die Einrichtungen und das Fachpersonal zu bewältigen haben. Verstöße gegen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 8 Demenz sind in sehr vielen Fällen nicht böswillige Taten, sondern aus fachlicher Unsicherheit unbeholfene Versuche, für die Bewohnerin und den Bewohner eine Sicherheit herzustellen. Dennoch sind diese Verstöße rechtlich nicht zu tolerieren. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen aus strafrechtlichen und ethischen Gründen nur als letztes Mittel mit einer sehr engen Indikation eingesetzt werden. Sie setzen eine richterliche Genehmigung und die Anordnung durch den rechtlichen Betreuer voraus. Ihre Durchführung und die regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit durch eine verantwortliche Leitungsperson sind nachvollziehbar zu dokumentieren. Vorab sind alle möglichen alternativen Maßnahmen zu prüfen. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht berät entsprechend und stellt den Leistungserbringern bei Bedarf einen entsprechenden Handlungsleitfaden zur Verfügung. Sofern eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung nur durch eine freiheitsentziehende Maßnahme abzuwenden ist, liegt ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB vor. Dieser ist nur bei einmaligen und kurzfristigen Maßnahmen (unter 24 Stunden) in Notsituationen gegeben. Bei anhaltender Selbstgefährdung oder zu erwartenden Wiederholungen ist die richterliche Genehmigung der Maßnahme zu beantragen. Der häufige Beratungsbedarf zu diesen Fragen, den die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht in den Einrichtungen festgestellt hat, war einer der Gründe dafür, in dem aktuellen Entwurf zur Novellierung des BremWoBeG den § 12 „Gewaltprävention, freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen“ einzufügen. Damit soll die Aufmerksamkeit für diese Thematik erhöht und mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. 6. Welche Gründe sieht der Senat für das Ansteigen der Fallzahlen bei vorübergehend vermisst gemeldeten Menschen mit Demenz? Wo wohnten die vermisst gemeldeten Personen? (in auf Demenz spezialisierte Einrichtungen, andere Einrichtungen oder privat?) Welche konkreten Schritte sind bis wann und in welchen Stadtteilen geplant, um ein weiteres Ansteigen dieser Zahlen zu verhindern, ohne die Betroffenen zur eigenen Sicherheit in Zimmer und Häusern festzuhalten ? Die in den Vorbemerkungen zu dieser Großen Anfrage enthaltene Angabe, dass „es allein im vierten Quartal 2016 16 Meldungen zu orientierungslosen Personen im Stadtraum gab“, kann von Seiten des Senats nicht bestätigt werden. Von der Polizei Bremen wird das übliche Verfahren wie folgt beschrieben: Die Einrichtung meldet den vermissten Bewohner unter Angabe einer Beschreibung per Fax bei der Polizei, Angehörige melden vermisste Personen bei der nächsten Polizeidienststelle . Beides gelangt in den Rechner des Lagezentrums. Die Polizei führt keine Datenerhebung zu Vermisstenmeldungen bzw. Personenfahndungen nach Altersgruppen, Krankheitsbildern oder dem Ort des Verschwindens, wie Pflegeheime oder Krankenhäuser , durch. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 9 Zwischen Oktober bis Dezember 2015 hatte die Polizei Bremen insgesamt 231 Personenfahndungen aufgrund von Vermisstenmeldungen durchzuführen. Von Oktober bis Dezember 2016 waren es 255. Im gesamten Jahr 2016 hatte die Polizei Bremen 1.355 Vermisstenmeldungen nachzugehen. Überwiegend wurden psychisch kranke Menschen , Kinder und Jugendliche vermisst. Die Anzahl von vermissten Bewohnerinnen und Bewohnern aus Pflege- und Betreuungseinrichtungen ist nach Einschätzung der Polizei Bremen von untergeordneter Bedeutung. Die Zahl der davon dementen Personen hat nach Einschätzung der Polizei Bremen eine noch weiter untergeordnete Bedeutung , da die Anzahl der vermissten – nicht dementen – Bewohnerinnen und Bewohner im Verhältnis größer ist. Auch nach den der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht vorliegenden Informationen über vermisste Bewohnerinnen und Bewohner kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Einrichtungen, die auf die Versorgung dementiell Erkrankter spezialisiert sind, häufiger Vermisste anzeigen. Das Phänomen ist damit zahlenmäßig zwar überschaubar , aber im Einzelfall kann es zu dramatischen Folgen für die Betroffenen kommen (siehe Frage 8). An der zwischen der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht und der Polizei Bremen abgestimmten Vorgehensweise, dass Meldungen der Polizei über die Suche nach einer orientierungslosen Person aus einem Pflegeheim und deren Zurückführung an die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht gemeldet werden, wird weiterhin festgehalten . Sofern daraufhin von der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht Mängel festgestellt werden, werden diese erfasst und mit der Einrichtung dahingehend bearbeitet , dass negative Auswirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner vermieden werden. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht setzt sich für bedarfsentsprechende Betreuungsangebote ein, die den Bewohnerinnen und Bewohnern helfen, in der Einrichtung heimisch zu werden, und die ihren individuellen Bewegungs- oder Wanderbedürfnissen Rechnung tragen. Daneben wird Altenpflegeeinrichtungen bereits seit 2014 empfohlen, ihre Hauptausgänge mit Signalschleifen und nicht verkehrssichere Bewohnerinnen und Bewohner mit nicht individualisierten Transpondern und Ortungssystemen auszustatten. Diese lösen beim Verlassen der Einrichtung ein Signal auf einem Mitarbeitertelefon aus. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dann darüber informiert , dass eine gefährdete Bewohnerin bzw. ein gefährdeter Bewohner mit Begleitungsbedarf gerade das Haus verlässt. Ortungssysteme machen es möglich, dass das Heimpersonal eine ständige Information darüber erhält, wo sich die betreffende Bewohnerin oder der betreffende Bewohner gerade aufhalten. Ein Vorteil dieser Technik liegt darin, dass man bei einer längeren Abwesenheit der Betroffenen eine gezielte Suche einleiten und damit rasche Hilfe leisten kann. Die Kehrseite liegt in der Möglichkeit einer ständigen Überwachung und Kontrolle. Fraglich ist, wie der Einsatz dieser Sender juristisch zu bewerten ist. Teilweise wird die Meinung vertreten, dass ein solcher Sender es den betroffenen Menschen ja gerade ermöglichen soll, sich möglichst lange selbstständig und selbstbestimmt zu bewegen, ohne großes Risiko, sich unauffindbar zu verlaufen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine ständige Überwachung stattfindet, die eine Verlet- Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 10 zung der Menschenwürde darstellen kann und damit unzulässig wäre. Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Wenn für einen gefährdeten Menschen mit Demenzerkrankung dadurch mehr unabhängige Bewegungsfreiheit außerhalb der Einrichtung erreichbar ist und sich eine richterliche Genehmigung zur Freiheitsentziehung dann möglicherweise erübrigt, empfiehlt die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht auch den Einsatz von Ortungssystemen. 7. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Menschen mit Demenz in Bremen immer häufiger vermisst werden: Wie bewertet der Senat die Wirksamkeit vorhandener , auch stadtteilübergreifender Strategien, die helfen sollen Menschen mit Demenz aufzufinden und angemessen zu betreuen, wenn Sie nicht mehr aus eigener Kraft in ihre Einrichtungen zurückgelangen? Welche Weiterentwicklung gab es hier seit 2014 und welche Entwicklungen plant der Senat bis 2020 konkret zu fördern? Wie bereits in der Antwort zu Frage 6 beschrieben, kann von Seiten des Senats nicht bestätigt werden, dass eine Steigerung von Meldungen zu orientierungslosen Personen im Stadtraum zu verzeichnen ist. In Bremer Stadtteilen werden lokale Kampagnen durchgeführt, die über das Projekt „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ durch das Bundesministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend gefördert werden und auch stadtteilübergreifend wirksam sind. Ein gemeinsames Ziel ist es, die Berührungsängste zu verringern und über das Thema „Demenz“ aufzuklären und somit die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhöhen, damit eine Demenzdiagnose nicht zu einem sozialen Ausschlusskriterium wird (siehe die Antwort des Senats vom 27.01.2015, Drs. 18/1720, Frage 6, auf die Große Anfrage „Wie geht Bremen mit Menschen mit Demenz um?“ der Fraktionen der CDU). Die 5. Förderwelle endet zum 31.08.2018, im Anschluss sollen eine Evaluation durchgeführt und ein Wirkungsbericht erstellt werden, die vom Land Bremen zunächst abgewartet werden um anschließend mit eigenen Maßnahmen die Projekte gezielt zu unterstützen. 8. In wie vielen Fällen hatte das unbegleitete Verlassen einer Einrichtung für Menschen mit Demenz 2015 und 2016 Folgen, die zu körperlichen Schäden bzw. zum Tod führten? (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Art des Falles). Wie lange galten die Betroffenen jeweils als vorübergehend vermisst? Der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht sind für das Jahr 2015 vier Fälle bekannt . In einem der vier Fälle kam es zum Tod eines Bewohners durch Ertrinken in einem Hafenbecken. Die anderen drei Bewohnerinnen und Bewohner wurden zwischen 4 Stunden und einem Tag vermisst und hatten leichte Verletzungen. 2016 wurden der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht sechs Fälle gemeldet. In zwei Fällen sind die Bewohnerin bzw. der Bewohner verstorben. Ein gerade aufgenommener Bewohner ist aus einem Fenster gestürzt und an den Folgen verstorben. Ein Bewohner wur- Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 11 de zwei Monate, nachdem er sich zu einem Spaziergang abgemeldet hatte, tot aufgefunden . In vier Fällen gab es leichte Verletzungen und Blessuren. 9. Wie und anhand welcher Maßnahmen wird sichergestellt, dass Menschen mit Demenz ihrem Bewegungsdrang ohne Eigengefährdung nachkommen können? Wie wird dies insbesondere in den Nachtstunden sichergestellt? In der Antwort zu Frage 7 ist bereits beschrieben, durch welche Maßnahmen Menschen mit Demenz davor geschützt werden können, durch ihre Weglauftendenzen gefährdet zu sein. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, Menschen mit Demenz darin zu unterstützen , ihrem Bewegungsdrang ohne Eigengefährdung nachzukommen. Die Einrichtungen der Altenpflege stellen sich baulich und konzeptionell zunehmend auf den Bewegungsdrang der Menschen mit Demenz ein. So verfügen einige Einrichtungen über sogenannte Rundläufe, die ein ständiges Vorwärtsgehen erlauben. Einige konkrete Beispiele für bauliche Maßnahmen sind: Haus im Park Bremerhaven Für die Bewohner des Hauses steht ein eigener geschützter Gartenteil zur Verfügung . Friedehorst, Haus Promente Der Wohnbereich ist als Rundbau angelegt. Der geschützte Innenhof wird als Garten gestaltet. Haus O’land Die Aufenthaltsräume und Flure bieten dem Bewegungsbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner am Tag und in der Nacht Platz. Trickschlösser oder andere Schließmechanismen sind nur dann zulässig, wenn sichergestellt ist, dass ausschließlich die Bewohner am Verlassen des Wohnbereichs gehindert werden, für die eine betreuungsrichterliche Genehmigung für diese freiheitsentziehende Maßnahme vorliegt. Bei allen anderen Bewohnern muss sichergestellt sein, dass sie in der Lage sind, das Trickschloss zu erkennen und es selbst zu öffnen. Alternative Maßnahmen, die sich grundsätzlich nur gegenüber demenziell erkrankten Bewohnern auswirken, können Rundgänge sowohl im Gebäude der Einrichtung als auch im Außenbereich der Einrichtung oder das Drapieren von Vorhängen im Eingangsbereich , die von Demenzkranken als Barriere empfunden und deshalb in aller Regel nicht überschritten werden, sein. Eine Begleitung nächtlicher Spaziergänge von Bewohnern außerhalb des Geländes der Einrichtung durch das Personal der Einrichtung ist mit der nächtlichen Personalbesetzung nicht zu gewährleisten. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass betroffene Einrichtungen ihre Außentür in den Nachtstunden schließen. Dies geschieht Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 12 aus Sicherheitsgründen, wie in jedem Privathaushalt. Dieses Vorgehen kann aber eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellen, wenn dadurch der tägliche Abendspaziergang verwehrt wird. Die Außentür sollte deshalb mit einer gut sichtbaren Klingel versehen sein und, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner dies wünscht, zeitnah geöffnet werden. Durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht empfohlene Rundläufe und gut begehbare überschaubare Außenbereiche kann die nächtliche Bewegungsmöglichkeit innerhalb der Einrichtung erhöht werden. 10. Wie und anhand welcher konkreten Maßnahmen hat der Senat 2015 und 2016 die Entstehung oder Weiterentwicklung spezialisierter Pflegeeinrichtungen unterstützt ? Welche weiteren Maßnahmen sind für die menschenwürdige stationäre Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen für die kommenden Jahre geplant ? Die Eröffnung neuer Pflegeeinrichtungen richtet sich nach den Gegebenheiten des Marktes. Der Senat kann hier nicht direkt tätig werden, wohl aber Initiatoren bzw. Leistungsanbieter über das Fachreferat bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport beraten. Dies ist in verschiedenen Fällen erfolgt, z.B. bei der Umgestaltung und Erweiterung der Einrichtungen des Sozialwerks der Freien Christengemeinde in den letzten Jahren. Zur Weiterentwicklung spezialisierter Pflegeeinrichtungen finden insbesondere Beratungen zum Selbstbestimmungsrecht der Bewohnerinnen und Bewohner statt (siehe Frage 5) 11. Welche Anfragen oder Angebote gab es seit 2014 von Investoren, die Wohnund Pflegeeinrichtungen speziell für Menschen mit Demenz errichten wollten? Welche Angebote beziehungsweise Anfragen wurden hier im Einzelnen vorgelegt und wie hat der Senat oder wie haben andere Stellen jeweils reagiert? Seit 2014 hat es keine entsprechenden Anfragen oder Angebote gegeben. 12. Hat der Senat oder haben andere Stellen in Bremen Anfragen von Investoren bekommen, die die Errichtung einer spezialisierten Pflegeeinrichtung nach dem Vorbild der Einrichtung in Hameln oder De Hogewey in den Niederlanden planten ? Wie hat der Senat auf solche Anfragen reagiert? Seit 2014 hat es keine entsprechenden Anfragen oder Angebote gegeben. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 13 13. Wie hat sich der Senat in den vergangenen Jahren gegenüber den Trägern oder Betreibern von Pflegeeinrichtungen dafür eingesetzt, dass ausreichend Pflegepersonal vorhanden ist? Wie bewertet der Senat den Erfolg seiner Aktivitäten ? Wie ist im Land Bremen der Personalschlüssel für Pflegeinrichtungen und seit wann gilt er? Sind hier wegen der Zunahme von hochaltrigen Bewohnern und dadurch auch der Demenzerkrankungen, oder aus anderen Gründen, bis 2019 Veränderungen geplant? Der Bremer Senat hat im Oktober 2012 die Bremer Pflege-Initiative gegen den Fachkräftemangel in der Pflege ins Leben gerufen. Mit einer Reihe von Maßnahmen wurde dem Fachkräftemangel begegnet: Die Anzahl der Erstausbildungsplätze in der Altenpflegeausbildung wurde 2015 von 120 auf 250 pro Jahr erhöht, ambulante Ausbildungsbetriebe sind beim Einrichten von Ausbildungsplätzen unterstützt worden, ein Ausbildungsfonds zur Refinanzierung der Ausbildungsvergütungen wurde eingerichtet. Außerdem wurde ein Leitfaden zur Durchführung von Schülerpraktika in der Pflege verfasst , der helfen soll, Praktika als Werbeinstrument für den Einstieg in den Beruf zu stärken. Zudem war die Bremer Pflege-Initiative eine wichtige Plattform, um die Zukunft der Ausbildung in den Pflegeberufen zu diskutieren. Im Februar 2017 wurde die Bremer Pflege-Initiative deutlich gestärkt: Ein erweiterter Kreis von Unterzeichnern verlängerte die Vereinbarung. Vereinbart wurden zentrale Ziele – von der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege über die Durchführung eines Pflegemonitorings, um eine zuverlässige Datenbasis für die Zahl der notwendigen Ausbildungsplätze zu haben, bis zur Einführung eines Wiedereinstiegsmanagements für die Berufsrückkehr. In dieser Neuauflage der Bremer Pflege-Initiative konnte der Kreis der Unterzeichner von 14 auf 27 erweitert werden. Im Rahmen der Weiterentwicklung der landesheimrechtlichen Bestimmungen im Jahr 2015 sah der Senat den dringendsten Regelungsbedarf bezüglich der Standards für die Personalausstattung in den Pflegeheimen. In diesem Bereich gibt es die größte Häufung von Beschwerden der Bewohnerinnen und Bewohner und ebenfalls die größte Häufung der durch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht festgestellten Mängel . Im April 2015 erließ die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport die Personalverordnung zum Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz (PersV BremWoBeG). Die PersV BremWoBeG behielt die schon im Heimgesetz festgeschriebene Fachkraftquote von 50 % bei, regelte aber erstmals auch den Gesamtumfang des jeweils zu beschäftigenden Personals in einem Pflegeheim Aus der Praxis der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht ist bekannt, dass die Festschreibung eines zu beschäftigenden Gesamtumfangs des Personals und der Fachkraftquote kein ausreichender Garant dafür sind, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern genügend Personal zur Verfügung steht. Trotz ausreichend beschäftigten Personals wurde häufig festgestellt, dass an bestimmten Tagen oder in bestimmten Schichten unzureichend Personal anwesend war. Aus diesem Grund wurde in der PersV BremWoBeG erstmalig eine Präsenzregelung für unterstützende Wohnformen aufgenommen, die in erster Linie Menschen mit Pflegebedarf betreuen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 14 Im Rahmen der Novellierung der Personalverordnung ist beabsichtigt, den Anwendungsbereich auf Wohngemeinschaften und Tagespflegeeinrichtungen auszuweiten. So ist beispielsweise beabsichtigt, dass Unterstützungsleistungen auch in Wohngemeinschaften unter Verantwortung einer Fachkraft erbracht werden. Es kann bei Bedarf auch die Präsenz einer Fachkraft gefordert werden. Im Lande Bremen gab es seit 2004 folgenden Personalschlüsselkorridor (K) 1 : K 1 K 2 K 3 K 4 K 5 K 6 K 7 K 8 K 9 K 10 K 11 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu Pflegestufe 0 6,28 6,30 6,33 6,36 6,38 6,41 6,43 6,46 6,48 6,51 6,54 Pflegestufe 1 3,77 3,78 3,80 3,81 3,83 3,84 3,86 3,88 3,89 3,91 3,92 Pflegestufe 2 2,35 2,36 2,37 2,38 2,39 2,40 2,41 2,42 2,43 2,44 2,45 Pflegestufe 3 1,88 1,89 1,90 1,91 1,91 1,92 1,93 1,94 1,95 1,95 1,96 K 12 K 13 K 14 K 15 K 16 K 17 K 18 K 19 K 20 K 21 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu 1 zu Pflegestufe 0 6,56 6,59 6,61 6,64 6,66 6,69 6,71 6,74 6,77 6,79 Pflegestufe 1 3,94 3,95 3,97 3,98 4,00 4,01 4,03 4,04 4,06 4,08 Pflegestufe 2 2,46 2,47 2,48 2,49 2,50 2,51 2,52 2,53 2,54 2,55 Pflegestufe 3 1,97 1,98 1,98 1,99 2,00 2,01 2,01 2,02 2,03 2,04 Erläuterung: 1 zu x = 1 Pflegekraft zu x Bewohner/innen Dieser Personalschlüsselkorridor hat durch die vereinfachte Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade nach den Vorgaben des Zweiten Pflegeverstärkungsgesetzes (PSG II) mit Wirkung ab dem 01.01.2017 seine Gültigkeit verloren. Der gegenwärtige Pflegepersonalstand ist bestimmt durch das vereinfachte Umstellungsverfahren der Leistung und Vergütung nach dem 2. Pflegeverstärkungsgesetz (PSG) II, das unter der Prämisse der Stellenneutralität durchgeführt worden ist, d.h. alle Einrichtungen behalten den jeweils zum Umstellungszeitpunkt realisierten Personalstand ungeachtet der ganz anderen Neueingruppierung nach Pflegegraden. Dazu mussten die Personalschlüssel individualisiert werden, es gibt also keinen einheitlichen Personalschlüssel für alle Einrichtungen mehr. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen den Leistungserbringern und den Kostenträgern zur Vereinbarung neuer Personal- 1 Der Pflegeschlüssel zeigt das Verhältnis von Bewohner zu Pflegepersonal auf und beschreibt, wieviele Vollzeitkräfte für die Pflegebedürftigen benötigt werden. Der Pflegeschlüssel wird in der Altenpflege für 24 Stunden und sieben Tage je Woche berechnet. Er wird zwischen den Kostenträgern und jeder Einrichtung im Rahmen der o.g. Korridore verhandelt und ist u.a. abhängig von der Verteilung der Pflegegrade und dem Umfang der notwendigen Versorgung. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 15 schlüssel, die dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und dem Ziel des PSG II, eine bessere Versorgung der Pflegebedürftigen zu erreichen, genügen sollen. 14. Wie oft wurde die Sozialbehörde seit 2011 von auf für Menschen mit Demenz spezialisierten Einrichtungen mit nachgewiesener Notwendigkeit zu einer Erhöhung des Personalschlüssels aufgefordert? Wie oft wurde diesem Anliegen zugestimmt ? Wie wurden Ablehnungen von der Sozialbehörde begründet? Sind hier in absehbarer Zeit Veränderungen geplant? Wenn ja, welche? In der Regel wurde bei den betroffenen Einrichtungen der beste Personalschlüssel K 1 (siehe Tabelle zu Antwort zur Frage 13), den der landesweite Korridor ermöglichte, zugrunde gelegt. Eine Einrichtung hat eine zusätzliche Personalausstattung über den besten Personalschlüssel hinaus seit 2011 zugesprochen bekommen. Auch für diese Einrichtungen gilt: Es wird derzeit ein neuer Personalschlüssel aufgrund des Pflegeverstärkungsgesetzes II verhandelt. Es ist davon auszugehen, dass es ab 2018 neue Personalschlüssel geben wird, die der Besonderheit aller speziellen Einrichtungen für Menschen mit Demenz Rechnung tragen werden. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-1075 VB Verfolgt Bremen den richtigen Ansatz im Umgang mit Menschen mit Demenz? 20170523_1_GA Umgang Menschen mit Demenz