BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/1254 Landtag (zu Drs. 19/1199) 19. Wahlperiode 26.09.17 Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Stand und Perspektiven der Provenienzforschung in Bremen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 1 Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) vom 26. September 2017 „Stand und Perspektiven der Provenienzforschung in Bremen“ (Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 22.8.2017) Die Fraktion der CDU hat folgende Große Anfrage an den Senat gerichtet: „Im November 2013 beschlagnahmten Polizei und Staatsanwaltschaft im Rahmen von steuerlichen Ermittlungen bei der Durchsuchung von Privaträumen in München weit über 1.000 Kunstwerke. Zeitweise wurde bei rund der Hälfte dieser Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken ein Hintergrund als NS-Raubkunst vermutet, was derzeit aber noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Dieser als „Schwabinger Kunstfund“ bekannt gewordene Vorfall, löste eine breite politische und gesellschaftliche Debatte über die deutsche Provenienzforschung aus. Hierunter wird die wissenschaftliche Erforschung der Herkunft und der wechselnden Besitzerverhältnisse eines Kunstwerks, Kultur- oder Archivguts verstanden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Zeit des Nationalsozialismus. Neben den unterstützenden Anstrengungen von Bund und dem 2015 neugegründeten „Deutschen Zentrum Kulturgutverluste“ sind in erster Linie die Kultureinrichtungen selbst in der Erforschung ihrer Bestände gefragt. Wie die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion „Herkunft und Verbleib von Kulturgütern. Provenienzforschung in Bremen“ (Drs. 18/1417) schon im Juni 2014 belegte, erfüllen viele Bremische Kultureinrichtungen diese schwierige aber wichtige Aufgabe schon lange. Eine Vorreiterrolle nimmt hierbei die Kunsthalle Bremen ein, die seit 2010 in mehreren Projekten ihre Bestände erforscht und die Ergebnisse auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Erst vor wenigen Monaten startete zudem ein Kooperationsprojekt des Überseemuseums und der Universität Hamburg zu den Provenienzen der kolonialgeschichtlichen Afrika-Sammlung. Damit leisten die Kulturinstitutionen einen unschätzbaren Beitrag zur kulturhistorischen Aufarbeitung und Wiedergutmachung. Angesichts des enormen Bedarfs ist klar, dass Provenienzforschung nicht in angemessener Art und Weise durch temporäre Projekte zu bewerkstelligen ist. Aufbauend auf den bislang gemachten Erfahrungen wird es deswegen notwendig sein, die bisherigen Bemühungen zu institutionalisieren und langfristig abzusichern. Wir fragen den Senat: 1. Welche Kultureinrichtungen haben in Bremen und Bremerhaven in welcher Form Provenienzforschung in den letzten zehn Jahren betrieben? 2. Inwieweit ist eine Fortsetzung bzw. Verstetigung dieser Projekte und Programme vorgesehen und wie ist diese sichergestellt? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 3. Wer trug bzw. trägt zu welchen Anteilen jeweils die Finanzierung der Provenienzforschung? Inwieweit beabsichtigt der Senat, ggf. zusätzliche Mittel für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen? 4. Inwieweit kooperieren Bremische Kultureinrichtungen im Bereich Provenienzforschung mit anderen Einrichtungen, wie beispielsweise dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Universitäten usw.? 5. Welche Ergebnisse hat aufgeschlüsselt auf die jeweilige Kultureinrichtung die Provenienzforschung seit 2014 hervorgebracht? Welche Sammlungen sind zu welchem Anteil erschlossen, zu welchen Restitutionen ist es ggf. gekommen bzw. welche sind in Vorbereitung? 6. Wie bewertet der Senat den gegenwärtigen Stand der Provenienzforschung in Bremen hinsichtlich seiner Strukturen und Ausstattung und welchem Stellenwert misst er ihr bei? Inwieweit gedenkt der Senat die Provenienzforschung in Bremen zu stärken und auszubauen?“ Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Mit der Antwort des Senats vom 3. Juni 2014 auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 6. Mai 2014 „Herkunft und Verbleib von Kulturgütern – Provenienzforschung in Bremen“ (Drs. 18/1378) ist zuletzt Mitte 2014 ausführlich über den Stand der Provenienzforschung in Bremen berichtet worden. Es handelt sich um ein sehr komplexes und zeitaufwändiges Forschungsfeld, das in den Museen in Bremen und Bremerhaven – wie ebenso auch anderswo – je nach Kapazität neben und zusätzlich zu den weiteren Aufgaben wahrgenommen wird. Aufgrund der jeweils unterschiedlichen Sammlungsgeschichte sind die Bremer Kultureinrichtungen in sehr verschiedenem Maße von diesem Thema betroffen. Insbesondere beim Übersee-Museum, dem Focke-Museum, bei der Kunsthalle und den Museen Böttcherstraße liegt die Notwendigkeit für Provenienzforschung nahe. Alle diese Museen haben sich in der Vergangenheit daher bereits sehr gewissenhaft dieser Aufgabe gewidmet und tun es weiterhin. Bei denjenigen Museen, wo der Hauptteil der Sammlung direkt aus Familienbesitz, der z.B. bereits vor der NS-Zeit bestanden hatte, in die Museen übergangen ist, besteht dagegen geringer Verdacht auf NSverfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Ebenso ist es im Fall von Museen, die auf zeitgenössische Kunst, technische Geräte und Design-Objekte spezialisiert sind. Aber auch diesen Museen ist die Bedeutung des Themas sehr bewusst, auch wenn dort derzeit kein Handlungsbedarf besteht. Im Folgenden werden die Entwicklungen bei den tatsächlich betroffenen Einrichtungen dargestellt. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 1. Welche Kultureinrichtungen haben in Bremen und Bremerhaven in welcher Form Provenienzforschung in den letzten zehn Jahren betrieben? Das Staatsarchiv hatte im Februar 2007 Bremer Kultureinrichtungen zu einem Eröffnungsgespräch über die Problematik der Provenienzforschung und die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes eingeladen, bei dem es zu einem ersten Austausch über dieses Thema aus der Sicht der jeweiligen Bremer Institutionen kam. Hieraus resultierte eine gemeinsame Bremer Erklärung zur "Erklärung von Bund und Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, von 1999". Im Übersee-Museum erfolgt Provenienzforschung im Rahmen der täglichen Arbeit genauso wie im Rahmen von eigen finanzierten kleineren Projekten sowie großen Drittmittelprojekten (vgl. hierzu im Detail die Antwort auf Frage 3). Darüber hinaus ist das Übersee-Museum in führender Position im Rahmen des Deutschen Museumsbundes mit dem Thema Provenienzforschung befasst. Unter der Leitung der Direktorin veröffentlichte der Deutsche Museumsbund im Jahr 2013 Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen. Unter der Leitung des damaligen Leiters der Abteilung Naturkunde am Übersee-Museum wurde 2014 von der Arbeitsgruppe der Naturkundemuseen beim Deutschen Museumsbund ein Leitfaden für Naturkunde-Museen zum Umgang mit unrechtmäßig erworbenen Sammlungen veröffentlicht. Derzeit erarbeitet der Deutsche Museumsbund unter Leitung der Direktorin des Übersee-Museums Empfehlungen zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialem Kontext. Die Veröffentlichung ist für 2018 geplant. Im Focke-Museum ist Provenienzforschung dem Aufgabenbereich eines wissenschaftlichen Abteilungsleiters zugeordnet. Bereits 2008 wurden die zwischen 1933 und 1945 erworbenen Objekte auf die Rechtmäßigkeit ihrer Erwerbung im Sinne des Washingtoner Abkommens überprüft. Bei fünf Objekten ergab sich der Verdacht, dass sie ihren jüdischen Besitzern im Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen wurden. Sie wurden mit Beschreibung, Angabe der Provenienz und mit Fotos in das „Lost Art Register“ eingestellt. Die Kunsthalle Bremen hat von 2010 bis 2017 Provenienzforschung im Rahmen von zwei durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung, später Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZKV), geförderte Drittmittelprojekte betrieben. Drei Jahre lang wurden zunächst die Sammlungsbestände erforscht, die über die Bremer Sammler Arnold Blome, Heinrich Glosemeyer und Dr. Hugo Oelze in die Kunsthalle gekommen waren. Die Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit im Winter 2014/2015 in der Ausstellung "Eine Frage der Herkunft. Drei Bremer Sammler und die Wege ihrer Bilder im Nationalsozialismus" und durch einen Begleitkatalog zugänglich gemacht. Im April 2014 begann das zweite Projekt zur Überprüfung sämtlicher Gemälde der Kunsthalle Bremen, um die dringende Frage zu klären, ob sich darunter Werke befinden, die während der Zeit des Nationalsozialismus ihren Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden. Dabei handelt es sich um 614 Gemälde, die vor 1945 entstanden sind und nach 1933 in die Sammlung der Kunsthalle kamen. Die Forschungsergebnisse werden im Online-Katalog zur Verfügung gestellt. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 In den Museen Böttcherstraße wurde 2006/07 mittels eines Werkvertrags mit einer Provenienzforscherin die Sammlung Ludwig Roselius einer vollständigen Erstüberprüfung unterzogen (mit Ausnahme des Münzbestandes). Das Stadtarchiv Bremerhaven hat in einem Fall Provenienzforschung auf Veranlassung des Dezernats für Schule und Kultur betrieben, der Fall ist bisher noch nicht abgeschlossen. Für das Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven (DSM) beschäftigt sich die Arbeitsgruppe "Wissen auf Reisen" (eine wissenschaftliche Arbeitsgruppenleitung, zwei Doktoranden) seit Oktober 2015 mit dem Forschungsprojekt zur Provenienz überseeischer Objekte seit der Frühen Neuzeit. Darüber hinaus ist eine wissenschaftliche Mitarbeiterin für ein drittmittelgefördertes Forschungsprojekt zur NS-Zeit seit Februar 2017 bis Januar 2018 am DSM tätig. Derzeit wird ein Antrag auf Fortführung der Projektfinanzierung bis Ende 2019 gestellt. Das DSM und das Historische Museum Bremerhaven führen derzeit in Kooperation ein Projekt zur Erfassung der Provenienz der Exponate, die vom damaligen Morgenstern-Museum an das DSM laut Stiftungsurkunde abgegeben werden mussten, durch. 2.Inwieweit ist eine Fortsetzung bzw. Verstetigung dieser Projekte und Programme vorgesehen und wie ist diese sichergestellt? Das Übersee-Museum plant ab 2020 eine feste Stelle für Provenienzforschung (30 Std./Woche) einzurichten. Darüber hinaus erfolgt kontinuierlich der Versuch, Drittmittel für die Provenienzforschung einzuwerben. So ist derzeit ein Projektantrag beim BMBF gemeinsam mit dem Focke-Museum, dem Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven sowie dem Ethnologischen Seminar der Universität Göttingen in Vorbereitung. Im Focke-Museum wird die Provenienzforschung als verstetigte Tätigkeit begriffen. Die Bestandsbearbeitung durch die Wissenschaftler/innen des Focke-Museums erfolgt stets unter dem Aspekt der Geschichte der Erwerbung. Drittmittelprojekte und Kooperationsprojekte werden perspektivisch aus den genannten Dokumentationsrecherchen hervorgehen. Die Kunsthalle Bremen hat vor Ablauf des zweiten Projektes, das vom DZKV gefördert wurde (vgl. die Antwort auf Frage 1), einen dritten Antrag mit Bezug auf den Zeichnungsbestand gestellt, der jedoch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die Kunsthalle bereits seit 2009 Förderungen erhalten habe. Die vorgesehene Integration der Aufgabe in den Dauerbetrieb der Kunsthalle ruht derzeit noch aufgrund anderer berechtigter Prioritätensetzungen innerhalb des Museums. Das DSM plant, die Objektbiografie- und Provenienzforschung dauerhaft zu etablieren. Konkret wird derzeit ein Antrag auf Verlängerung des Forschungsprojektes zur NS-Zeit bis Januar 2020 beim DZKV gestellt (s.o.). Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 3.Wer trug bzw. trägt zu welchen Anteilen jeweils die Finanzierung der Provenienzforschung? Inwieweit beabsichtigt der Senat, ggf. zusätzliche Mittel für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen? Übersee-Museum 1. Projekte ohne Förderung durch Dritte: In Kooperation mit der Universität Bremen/der Landesarchäologie fand Provenienzforschung zu menschlichen Überresten, die im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert aus Neuseeland stammten und ins Übersee-Museum gelangten, statt. Dies führte 2017 zu einer Rückführung nach Neuseeland. Die Forschungen hierzu wurden aus eigenen Mitteln finanziert. Zurzeit wird ebenfalls im Rahmen eines Projektes die Provenienz von menschlichen Überresten der naturkundlichen Sammlungen des Übersee- Museums aus dem südlichen Afrika erforscht. Hierbei wird die Kooperation mit weiteren Forschungseinrichtungen angestrebt, etwa dem Max Planck Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. 2. Projekt mit Förderung durch die VolkswagenStiftung: Hierbei handelt es sich um ein Provenienzforschungsprojekt zu Sammlungen des Übersee-Museums aus drei ehemaligen afrikanischen Kolonien, das gemeinsam mit der Universität Hamburg durchführt wird. Das Projekt hat ein Volumen von rund 500.000 Euro und beschäftigt drei Doktorand/innen. Die Finanzabwicklung erfolgt durch die Universität Hamburg. Dem Übersee-Museum entstehen keine Kosten. 3. Projekte mit Förderung durch das DZKV (bzw. Vorgängereinrichtung): Das Übersee-Museum führte zwei Projekte mit Förderung durch das DZKV durch. Diesen Projekten voraus ging 2014 ein so genannter Erstcheck der völkerkundlichen Zugänge aus den Jahren 1933 bis 1945 als Voraussetzung für einen Antrag bei der (damaligen) Arbeitsstelle für Provenienzforschung. Der Erstcheck wurde vom Haus finanziert (Werkvertrag Sommer 2014). Das Projekt „Untersuchung ausgewählter völker- und naturkundlicher Zugänge des Übersee-Museums Bremen aus der Zeit von 1933-1945, deren Provenienz mutmaßlich auf eine verfolgungsbedingte Entziehung verweist“ wurde 2015 und 2016 mit Drittmitteln von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin bzw. dem DKZV als Nachfolgerin kofinanziert. Der Eigenanteil betrug 2015 laut Antrag 20.824 Euro bei Projektgesamtkosten von 77.634 Euro; dies entspricht ca. 27 %. 2016 betrug der Eigenanteil laut Antrag 25.140 Euro bei Projektgesamtkosten von 81.950 Euro; dies entspricht ca. 30%. Das zweijährige (2017-2019) Projekt „Das Lüderitz-Museum des Ludwig Roselius. Kritische Überprüfung eines NS-Bestandes im Übersee-Museum Bremen“ wird mit Drittmitteln vom DKZV in Magdeburg kofinanziert, der Eigenanteil beträgt laut Antrag 37.582 Euro bei Projektgesamtkosten von 151.202 Euro, dies entspricht ca. 25%. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 7 Focke-Museum Die Finanzierung der Provenienzforschung erfolgt durch Eigenmittel, so auch die anthropologisch-osteologische Begutachtung eines Schädels, der vermutlich aus der Sammlung August Wulff nachgelassen wurde und dessen Herkunft ungewiss war. Die Finanzierung eines Forschungsprojektes zur Quellenrecherche für das Restitutionsbegehren wegen der Versteigerung der kunstgewerblichen Sammlung List ist durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung auf Antrag Bremens stellvertretend für alle von dem Restitutionsbegehren im Bundesgebiet betroffenen Einrichtungen erfolgt. Kunsthalle Die bisherigen Projekte wurden durch das DZKV und zu einem Drittel durch den Kunstverein finanziert. Museen Böttcherstraße Für die Erstüberprüfung in den Jahren 2006/07 stellte die Stadt Bremen 6.000 Euro zur Verfügung. Stadtarchiv Bremerhaven Die Provenienzforschung im Stadtarchiv wird mittels vorhandenen Personals betrieben. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 8 DSM Die wissenschaftliche Arbeitsgruppe "Wissen auf Reisen" des DSM wird durch die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz in Form von Personalstellen gefördert. Die Finanzierung des Forschungsprojektes zur NS-Zeit erfolgt über das DZKV. Die Durchführung der Provenienzforschung in Kooperation mit dem Historischen Museum Bremerhaven wird über Eigenmittel finanziert. Wie bereits 2014 bei der Beantwortung der Großen Anfrage zum Thema Provenienzforschung festgestellt, kann hier zusammenfassend bekräftigt werden, dass in den meisten Bremer Kultureinrichtungen bereits eine Erstüberprüfung möglicher Bestände aus NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes erfolgt bzw. aktuell in Bearbeitung ist. Der Senat sieht daher derzeit keine Notwendigkeit, die Provenienzforschung durch eigene Haushaltsmittel auszubauen (zur weiterführenden Begründung vgl. auch die Antwort auf Frage 6). 4.Inwieweit kooperieren Bremische Kultureinrichtungen im Bereich Provenienzforschung mit anderen Einrichtungen, wie beispielsweise dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZKV), Universitäten usw.? Die Kultureinrichtungen im Land Bremen bearbeiten das Thema Provenienzforschung kooperativ untereinander sowie mit weiteren bremischen und nationalen Partnern – je nach fachlicher Notwendigkeit. Auf Seiten des Kulturressorts wird im Bereich der Provenienzforschung mit den Vertreter/innen des Bundes, der Kulturstiftung der Länder und dem DZKV zusammengearbeitet. Letzteres wurde Anfang 2015 gegründet und wird von Bund, den Ländern und den drei kommunalen Spitzenverbänden als Stiftung bürgerlichen Rechts getragen. In der Vergangenheit sind – wie oben zu sehen – bereits mehrere Bremer Projekte vom DZKV bzw. der Vorgängerorganisation Arbeitsstelle Provenienzforschung gefördert worden. In konkreten Restitutionsfällen unterstützt das Ressort die Einrichtungen durch juristischen Beistand. Anfang 2017 prüfte das Kulturressort den Bedarf nach einem Kooperationsprojekt mehrerer Bremer Museen in seinem Zuständigkeitsbereich für eine Erstüberprüfung der Bestände, um ggf. einen entsprechenden Antrag an das DZKV zu stellen. Die Prüfung ergab, dass hierfür kein Bedarf besteht. Die einzelnen Häuser bearbeiten das Thema bereits in der für sie jeweils sinnvollen Weise. Das Kulturressort hat dem Verbund der Bremer Museen „Fünf Plus“ damals angeboten, wenn gewünscht, in vermittelnder Funktion Gespräche mit Niedersachsen aufzunehmen, falls eine Zusammenarbeit mit dem dortigen Netzwerk Provenienzforschung gewünscht wird. Dieses Angebot gilt selbstverständlich weiterhin. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 9 Im Einzelnen: Übersee-Museum Die Direktorin des Übersee-Museums bearbeitete das Thema Provenienzforschung im Rahmen des Deutschen Museumsbundes in leitender Funktion (vgl. im Detail dazu die Antwort auf Frage 1). Das laufende Projekt zum Lüderitz-Museum sowie auch die vorhergehenden Arbeiten zum Dritten Reich haben durch Bremer Archive, Museen und andere wissenschaftliche Einrichtungen Unterstützung bei der Recherche erhalten. Zu nennen sind vor allem das Bremer Staatsarchiv, das Archiv der Böttcherstraße, die Geowissenschaftliche Sammlung an der Universität Bremen, die Kunsthalle Bremen, das Archiv der Handelskammer, das Focke-Museum, die Museen Böttcherstraße, das Stadtarchiv Bremerhaven, das Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin, die Staats- und Universitätsbibliothek. Im Sommersemester 2016 hat die Projektmitarbeiterin zudem einen Lehrauftrag zur Provenienzforschung im Studiengang Kulturwissenschaft an der Universität Bremen wahrgenommen. Mit Ablauf des aktuellen Vorhabens im Sommer 2019 wird das DZKV insgesamt zwei Provenienzforschungsprojekte à zwei Jahre maßgeblich finanziert haben. Focke-Museum Kooperationen erfolgen mit kulturhistorischen Museen der Region mit vergleichbarem Sammlungsprofil, initiiert durch eine Fachtagung in Cloppenburg. Im Fall der Sammlung List wurde mit dem DZKV und den anderen von dem Restitutionsersuchen im Bundesgebiet betroffenen Einrichtungen kooperiert. Kunsthalle Die stellvertretende Direktorin der Kunsthalle ist seit 2009 Mitglied im Arbeitskreis Provenienzforschung bzw. jetzt Verein Arbeitskreis Provenienzforschung. Ferner wird eng mit dem DZKV kooperiert. Stadtarchiv Bremerhaven In dem bislang einzigen Fall der Provenienzforschung plant das Stadtarchiv mit dem DZKV, dem Staatsarchiv Bremen und der Universitätsbibliothek Bremen zu kooperieren. DSM Das DSM kooperiert bei dem Thema Provenienzforschung mit dem Übersee- Museum, dem Historischen Museum Bremerhaven und dem DZKV; im Falle Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 10 der Bewilligung eines Drittmittelvorhabens (s.o.) auch mit dem Übersee- und Focke-Museum. 5.Welche Ergebnisse hat aufgeschlüsselt auf die jeweilige Kultureinrichtung die Provenienzforschung seit 2014 hervorgebracht? Welche Sammlungen sind zu welchem Anteil erschlossen, zu welchen Restitutionen ist es ggf. gekommen bzw. welche sind in Vorbereitung? Übersee-Museum Eine Erstüberprüfung der Sammlungszugänge 1933-1945 ist erfolgt. Ergebnisse des Provenienzforschungsprojekts „Untersuchung ausgewählter völker- und naturkundlicher Zugänge des Übersee-Museums Bremen aus der Zeit von 1933-1945, deren Provenienz mutmaßlich auf eine verfolgungsbedingte Entziehung verweist“: Basierend auf dem derzeitigen Kenntnisstand lassen sich die in die Untersuchung aufgenommenen Stücke wie folgt einordnen. 20 Kästen Insekten – ein Kasten kann weit über 100 Individuen beinhalten – weisen, da sie auf amerikanische Property Control zurückgehen, eine bedenkliche Herkunft auf. 27 Nummern altamerikanischer Tonobjekte sowie 217 Insekten sind als nicht zweifelsfrei unbedenklich in ihrer Provenienz zu kategorisieren. 41 Nummern Vögel, 8 Nummern Afrikana, 97 Nummern geowissenschaftliches Material sowie 1 Walrossschädel sind in ihrer Herkunft unbedenklich. Die Untersuchung zeigte auch, dass es notwendig sein wird, die Erwerbsumstände eines „neu entdeckten“ Zugangs an entomologischem Material zu prüfen sowie zwei Übernahmen von asiatischen Objekten. In allen drei Fällen muss davon ausgegangen werden, dass die Einlieferer als Juden verfolgt wurden. Im Mai 2017 wurden als Ergebnis der Provenienzforschung im Übersee- Museum menschliche Überreste von bis zu 44 Māori und Moriori an das Te Papa Tongarewa Museum of New Zealand durch den Senat an Neuseeland zurückgegeben. Focke-Museum Eine Erstüberprüfung der Sammlungszugänge 1933-1945 ist erfolgt. Diese ergab, dass fünf kunstgewerbliche Objekte möglicherweise ihren jüdischen Besitzern durch die Nationalsozialisten unrechtmäßig entzogen wurden. Das Objekt aus der Sammlung Henry und Emma Budge wurde restituiert, da es im Widerspruch zur testamentarischen Verfügung der Besitzer von den Nationalsozialisten in einer Berliner Auktion versteigert und hier vom Focke- Museum erworben wurde. Das Restitutionsbegehren im Fall von vier Objekten aus der Sammlung List wurde nach Abschluss des Forschungsprojektes einvernehmlich durch die betroffenen Einrichtungen abgelehnt, da die Erforschung einen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 11 verfolgungsbedingten Zusammenhang bei der Versteigerung der Objekte widerlegt hat. Kunsthalle Der Gemäldebestand ist zu 100% überprüft, die Überprüfung des Zeichnungsbestandes steht noch aus. 1. NS-verfolgungsbedingte Restitutionen seit 1945: Francesco Trevisani, Ornament mit Madonna, Zeichnung, 17. Jh.: Sammlung Melitta und Dr. Michal Berolzheimer (München), Ankauf 1950 Ackermann & Sauerwein (München), 2013 Recherche und Anspruch durch die Erben, 2013 Restitution an die Erben, Anschl. Rückkauf durch den Kunstverein in Bremen. Giacomo Cavedone, Rückenfigur, Zeichnung, 17. Jh.: Sammlung Melitta und Dr. Michal Berolzheimer (München), Ankauf 1941 Auktion Puppel (Berlin), 2012 Eigenrecherche und Kontaktaufnahme, 2013 Restitution an die Erben, anschließend Rückkauf durch den Kunstverein in Bremen. Anonym (ital.), Diana, Bronzeskulptur, 16. Jh.: Sammlung Emma Budge (Hamburg), Ankauf 1937 Auktion Graupe (Berlin), Okt. 2009 von RA Kuhlentz für Erben Anspruch angemeldet, Nov. 2010 Restitution an die Erben. Umkreis Vivarini, Madonna mit Kind, Gemälde, um 1470: Sammlung Jacob und Rosa Oppenheimer, Ankauf 1935 Auktion Graupe (Berlin), 2006 Eigenrecherche und Kontaktaufnahme, 2006 Restitution und Rückkauf von den Erben. Philips Wouwerman, Apfelschimmel vor Schmiede, Gemälde: Privatbesitz Plate, Bremen/Amsterdam; Sammlung Amsinck (Hamburg), Ankauf 1940 von Herrn Plate, Amsterdam (Niederlande), Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. Beschlagnahmung wegen nachgewiesenen Ankaufs aus bremischen Privatbesitz in Amsterdam juristisch bedenklich. Hier könnten Restitutionsansprüche von Seiten der Kunsthalle bestehen. Abraham Blomaert, Marktbauer, Gemälde: Unbekannte Provenienz, Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam, Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. Abraham Blomaert, Marktbäuerin, Gemälde: Unbekannte Provenienz, Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam, Restitution 1946: wie vorheriger Fall. Ferdinand Bols, Knabe mit Pfirsichen, Gemälde: Unbekannte Provenienz, Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam, Restitution 1946: wie vorheriger Fall. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 12 2. Seit 1945 abgelehnte Restitutionsansprüche in drei Fällen: Giovanni Domenico Tiepolo, Christus und der Hauptmann von Kapernaum: Seit 2007 zurückgefordert im Namen der Sammlung Lieben (Wien), durch die Israelitische Kultusgemeinde (Wien). Nach einem dreimonatigen Forschungsprojekt 2015, gefördert vom DZKV, wurde der Anspruch 2016 endgültig abgelehnt. Georges Grosz, Pompe Funèbre sowie Georges Grosz, Stillleben mit Okarina: Diese beide Gemälde von wurden zwischen 2002 und 2009 in mehrfachen Anläufen von den Erben der Familie Grosz zurückgefordert. Zwei Fälle von Grosz-Gemälden mit gleicher Provenienz in der Yale University Art Gallery, zwei Bilder von Grosz im Moma New York und eins im Museum Moderner Kunst in Wien wurden ebenfalls abschlägig beschieden. Dem entspricht ein Urteil des österreichischen Restitutionsbeirats von 2013. 3. Meldungen bei Lost Art Magdeburg: Suchmeldungen von Kriegsverlusten der Kunsthalle, die ursprünglich aus jüdischem Besitz verfolgungsbedingt entzogen wurden: Zwei Zeichnungen (Auktion 1933, Sammlung C. Glaser), zwei Zeichnungen (Auktion 1938, Sammlung M. Berolzheimer), eine Zeichnung (Auktion 1939, Sammlung S. Lämmle). Fundmeldungen von Objekten im Bestand der Kunsthalle Bremen, bei denen der konkrete Verdacht besteht, dass sie verfolgungsbedingt entzogen wurden: sieben bibliophile Bücher: 1945 Volksbücherei, davor Gestapo Bremen. Stadtarchiv Bremerhaven Restitutionen von nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bremerhaven gelangten wertvollen Büchern sind in Vorbereitung. DSM Das DSM nimmt seit Herbst 2015 eine forschungsgeleitete Untersuchung der Objektbestände der Frühen Neuzeit und eine systematische Untersuchung des Gründungsbestandes auf NS-Raubgut vor, wobei der Fokus in letztgenanntem Fall auf die Sammlung Hanswilly Bernartz und den Sammlungsbestand des Morgenstern-Museums gerichtet ist. Bis jetzt ist es zu keinen Restitutionen gekommen. Der Verdacht auf NS-Raubgut liegt jedoch vor und wird derzeit geprüft. Verdächtig einzustufen sind zudem zahlreiche Ankäufe aus dem Kunsthandel. Es besteht weiterer Forschungsbedarf. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 13 6.Wie bewertet der Senat den gegenwärtigen Stand der Provenienzforschung in Bremen hinsichtlich seiner Strukturen und Ausstattung und welchem Stellenwert misst er ihr bei? Inwieweit gedenkt der Senat die Provenienzforschung in Bremen zu stärken und auszubauen? Provenienzforschung wird im Land Bremen sehr ernst genommen. Dieses Aufgabengebiet hat sich seit der „Washingtoner Erklärung“ 1998 projektbezogen entwickelt und ist inzwischen eine Zusatzaufgabe bei der regulären Arbeit mit der eigenen Sammlung geworden – bei Museen in staatlicher wie in privater Trägerschaft gleichermaßen. Der Senator für Kultur stellt im Haushaltsjahr 2014 20 T€ als Komplementärfinanzierung für laufende Drittmittelprojekte zur Verfügung. Diese Mittel wurden in voller Höhe an die Kunsthalle als Beitrag zur Finanzierung der Ausstellung bzw. des Begleitbandes „Eine Frage der Herkunft. Drei Bremer Sammler und die Wege ihrer Bilder im Nationalsozialismus" ausgezahlt. Insgesamt bewertet der Senat den Stand der Provenienzforschung in Bremen positiv. Eine Aufforderung des Senats, im Feld der Provenienzforschung tätig zu werden, benötigen die Bremer Einrichtungen nicht. Wie die oben aufgeführten Daten zeigen, sind die Bremer Museen selbst aktiv geworden und haben große Anstrengungen unternommen, so dass in allen das Thema besonders betreffenden Sammlungsbereichen inzwischen Vorprüfungen stattgefunden haben und einzelne Verdachtsfälle projektbezogen bearbeitet wurden, um Erstüberprüfungen durchzuführen. Die bundesweite Vorreiterrolle der Kunsthalle ist ausdrücklich hervorzuheben. Sie hat inzwischen sämtliche Gemälde überprüft. Die Forschungsergebnisse stehen der Öffentlichkeit im Online-Katalog zur Verfügung. Die noch anstehende Überprüfung der Zeichnungsbestände ist wünschenswert und sollte im Rahmen der eigenen Prioritätensetzung der Kunsthalle erfolgen. Bezog sich das Thema Provenienzforschung lange auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, wird es in den letzten Jahren zunehmend auch auf Bestände mit Kolonialbezug ausgeweitet. Auf diesem Arbeitsfeld wird die Arbeit des Übersee- Museums bundesweit als vorbildlich beachtet. Das Thema Provenienzforschung insgesamt wird von den Bremer Kultureinrichtungen je nach Betroffenheit des eigenen Sammlungsbestandes im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten bzw. Drittmittelprojekte und aufgrund eigener Schwerpunktsetzungen im Regelbetrieb beachtet, in Sonderfällen wird projektbezogen gearbeitet, es gibt eine grundlegende Bereitschaft zur Erforschung des Themas und zur Restitution bei entsprechenden Forschungsergebnissen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 14 Der Senat begrüßt das Engagement der Einrichtungen in Bezug auf die Provenienzforschung und hält die individuellen Lösungen – je nach Betroffenheit des Bestandes – für sinnvoll. Die vergleichende Statistik des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste über den Bearbeitungsstand Provenienzfoschung in den einzelnen Bundesländern zeigt, dass Bremen im Vergleich gut da steht. Aus den hier dargelegten Gründen und in Anbetracht der allgemeinen Haushaltslage Bremens sieht der Senat derzeit keine Notwendigkeit, die Provenienzforschung durch eigene Haushaltsmittel auszubauen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-1254 VB Stand und Perspektiven der Provenienzforschung in Bremen 20170926 GA Provenienzforschung