BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/1276 Landtag (zu Drs. 19/1222) 19. Wahlperiode 24.10.17 Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Umsetzung der "Stiftung Anerkennung und Hilfe" in Bremen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) vom 24.10.2017 "Umsetzung der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ in Bremen" (Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 05.09.2017) Die Fraktion DIE LINKE hat folgende Große Anfrage an den Senat gerichtet: "Viele Heimkinder wurden in der Zeit nach dem Krieg bis ca. 1975 Opfer von schlechter Versorgung, autoritärer und gewalttätiger Erziehungsmethoden, fehlender Unterstützung und Förderung sowie Kinderarbeit bis hin zu sexueller Gewalt. Neue Forschungen haben zudem aufgedeckt, dass in einer Reihe von Heimen medizinische Experimente mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden, die gefährlich, schädlich und medizinisch völlig unvertretbar waren. Unter anderem wurden in Heimen für behinderte Kinder und Jugendliche Experimente mit neuen und ungetesteten, massiv überdosierten Psychopharmaka durchgeführt. In Anerkennung der strukturellen Gewalt und der damit verbundenen gesundheitlichen und psychischen Schäden, die im Rahmen staatlicher Inobhutnahme an den betroffenen Kindern und Jugendlichen verursacht wurden, wurden von Bund, Ländern und Kirchen zwei Fonds ins Leben gerufen, die Betroffenen zumindest eine gewisse Entschädigung zahlen sollen. Der erste Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ lief von 2012 bis 2014. Er umfasste keine Betroffenen, die in Heimen für Behinderte bzw. in der Psychiatrie untergebracht waren. Nach bundesweiten Protesten und Petitionen an den Bundestag, die auch von der Bremischen Bürgerschaft in einem einhellig angenommenen Antrag unterstützt wurden, einigten sich Bund, Länder und Kirchen 2016 darauf, einen weiteren Fonds aufzulegen, aus dem geschädigte Heimkinder aus Heimen für Behinderte bzw. der Psychiatrie entschädigt werden können. Diese bundesweite „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ ist seit Anfang 2017 in Umsetzung. Anträge können bis 2019 gestellt werden. In Bremen hat das „Amt für Versorgung und Integration“ eine Stelle eingerichtet, bei der Anträge gestellt werden können und Betroffene eine entsprechende Beratung erfahren. Die folgenden Fragen zielen darauf ab, in Erfahrung zu bringen, ob die bremische Vertretung der Stiftung die Arbeit erfolgreich aufgenommen hat und ob es Möglichkeiten zur Verbesserung gibt. Wir fragen den Senat: 1. Wie viele Bremer Kinder und Jugendliche sind von 1949 bis 1975 in Heimen untergebracht worden? Wie viele davon sind in Behindertenheimen bzw. der Psychiatrie untergebracht worden? Wenn die Zahlen nicht genau angegeben werden können, bitten wir um eine möglichst fundierte Schätzung. Die Anzahl der bundesweit betroffenen Personen wird auf 800 000 geschätzt. 2. Wie viele Anträge sind im Rahmen des ausgelaufenen Fonds „Heimerziehung“ in Bremen gestellt worden? Wie viele Anträge wurden bewilligt, und welche Entschädigungssummen wurden gezahlt? 3. Wie viele Anträge sind bis jetzt im Rahmen des neuen Fonds „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ in Bremen gestellt worden? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 1 4. Mit welchen Mitteln hat das Bremer Ressort bislang Betroffene darauf aufmerksam gemacht, dass sie evtl. berechtigt zum Antrag von Entschädigungsleistungen sind? 5. Im Internetauftritt des Amtes für Versorgung und Integration findet sich bislang nur ein ganz versteckter Hinweis auf die Existenz der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“. Allerdings ohne Nennung von Ansprechpartnerinnen/Ansprechpartner, Kontaktadressen, Bürozeiten etc. Eine inhaltliche Erwähnung unter den Rubriken „Opferentschädigung“ oder „Info und Anträge“ fehlt. Hält das Ressort es für erfolgversprechend, die Informationen über diesen neuen Fonds an den genannten Stellen und ausführlicher zu präsentieren? 6. Von der Bundesstiftung ist ein Flyer konzipiert worden. Ist dieser vom Ressort bereits in Bremen verteilt worden, und wenn ja, wo? 7. Viele betroffene Kinder und Jugendliche aus der damaligen Zeit werden auch heute noch in Behinderteneinrichtungen wohnen (z.B. Martinsclub) oder unter Vormundschaft stehen. Es wäre sicherlich sinnvoll, gezielt Informationen für die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, die Heimleitungen/Vormundschaften zu informieren und anzuregen, dass diese mit den betroffenen Personen darüber sprechen. Welche Möglichkeiten zum Identifizieren und Kontaktieren dieser Personen hätte das Ressort, und welche Bemühungen hat das Ressort in dieser Richtung unternommen? 8. Gibt es eine nennenswerte Zahl von Anträgen, die im Rahmen des Fonds „Heimerziehung“ gestellt wurden, die aber nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Betroffenen in Behindertenheimen bzw. Psychiatrie untergebracht waren? Wenn ja: Hat das zuständige Ressort es übernommen, die Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen, dass sie im Rahmen des neuen Fonds entschädigungsberechtigt wären? 9. Teil des Stiftungszwecks ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der geschehenen Misshandlungen. Welche Bemühungen hat das Ressort in dieser Hinsicht bislang angeschoben? 10. Im letzten Jahr ist bekannt geworden, dass gerade in Behindertenheimen medizinische Experimente mit Heimkindern durchgeführt worden sind. Diese Experimente waren zum Teil gefährlich und lassen nach Auskunft von seriösen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler schwere Spätschäden erwarten. Zum Teil wurde diese Forschung von Ärzten durchgeführt, die bereits in der NS-Zeit verbrecherische medizinische Experimente an Kindern durchgeführt hatten. Eine der Unterbringungsstätten, in denen solche Medizintests durchgeführt wurden, waren die Rothenburger Anstalten. Hier wurden auch viele Bremer Kinder untergebracht. Wird dieses Thema in der vom Ressort zu verantwortenden wissenschaftlichen Aufarbeitung angemessen behandelt werden? 11. Insbesondere die Erkenntnisse zu den Durchführungen medizinischer Experimente an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen im Rahmen staatlich verantworteter Inobhutnahme offenbaren Handlungsweisen der Verantwortlichen, welche (genau wie die häufigen Fälle von sexueller Gewalt an den betroffenen Kindern) über das in der Nachkriegszeit übliche Maß an schwarzer Pädagogik, Zwang, schlechter Versorgung und mangelnder Förderung hinausgehen und als strafrechtlich relevante Verbrechen unter staatlicher Gesamtverantwortung eingeordnet werden müssen. Wird diese Einschätzung vom Senat geteilt? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 12. Hält der Senat für Personen, die als Kinder und Jugendliche im Rahmen staatlicher Inobhutnahme solche strafrechtlich relevanten Verbrechen erdulden mussten, Hilfe aus dem Opferentschädigungsgesetz für angemessen?“ Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Bremer Kinder und Jugendliche sind von 1949 bis 1975 in Heimen untergebracht worden? Wie viele davon sind in Behindertenheimen bzw. der Psychiatrie untergebracht worden? Wenn die Zahlen nicht genau angegeben werden können, bitten wir um eine möglichst fundierte Schätzung. Die Anzahl der bundesweit betroffenen Personen wird auf 800 000 geschätzt. Da bremische Kinder und Jugendliche mit einer Zuordnung „behindert“ oder „psychiatrisch erkrankt“ häufig, wie in dem beschriebenen Zeitraum (1949 bis 1975) üblich, in Einrichtungen außerhalb Bremens untergebracht und betreut wurden und Einzelakten nach fast 30 Jahren für eine Auswertung nicht mehr zur Verfügung stehen, kann keine Aussage über die Anzahl von Bremer Kindern und Jugendlichen, die von 1949 bis 1975 in Heimen der Behindertenbetreuung bzw. Psychiatrie lebten, getroffen werden. Auch kann eine fundierte Schätzung nur auf Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung erfolgen, die jedoch für Bremen nicht vorliegt. Bei Heranziehung der bundesweiten Schätzung im Rahmen der Errichtung der Stiftung könnte man für den Zeitraum 1949-1975 von ca. 8.000 bremischen Kindern und Jugendlichen ausgehen ohne Nennung von Verweildauern und Orten. Für die stationäre psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Bremen können für die Entwicklung von Kapazitäten beispielhaft folgende Daten herangezogen werden: Im Dezember 1949 wurde eine neue tiefenpsychologisch orientierte Bremer Kinderbeobachtungsstation eröffnet. Die Station war für eine Belegung mit 15 Kindern und Jugendlichen ausgelegt. In den ersten 4 Jahren wurden 340 PatientInnen aufgenommen. Unter Berücksichtigung der sich im Laufe der Jahre verkürzenden Verweildauer und der Kapazitätserweiterung auf 18 Plätze wurden in den Jahren 1950 – 1975 hier geschätzt ca. 3.000 Kinder- und Jugendliche behandelt. 1962 wurde zusätzlich eine psychiatrische Kinderabteilung mit 15 Betten eröffnet, die 1963 auf 25 Betten aufgestockt wurde. Derzeit gibt es keine Erkenntnisse über die Verweildauer oder über die Aufnahmezahlen, so dass eine Schätzung der Betroffenen über den Zeitraum 1949-1974 nicht geleistet werden kann. Jugendliche wurden mit auf Erwachsenenstationen untergebracht. Eine eigene Station wurde erst 1977 eingerichtet. Bisher liegen nur begrenzt Zahlen zu den Aufnahmen vor. In den Jahren 1965 bis 1968 wurden 333 Jugendliche aufgenommen. Die Zahl der Betroffenen, die zwischen 1949 – 1975 aufgenommen wurden, lässt sich somit auf ca. 2.150 hochrechnen. 1969 wurde in der Klinik Kloster Blankenburg eine „Jugendpsychiatrische Station für Verwahrfälle und Imbezille“ mit 30 Betten eingerichtet, deren Kapazität im Laufe der Jahre auf 35 erweitert wurde. Da hier von einer langen Verweildauer ausgegangen werden kann, wird die Zahl der Betroffenen von 1969 bis 1975 auf ca. 220 geschätzt. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 Nach einem vorliegenden Dokument aus dem Hauptgesundheitsamt von 1967 sind in diesem Jahr 181 Kinder- und Jugendliche in auswärtigen Heimeinrichtungen untergebracht worden, davon die Mehrzahl in den Rotenburger Anstalten (55) und im evangelischen Hospital Lilienthal (43). Da bisher nur dieses Einzeldokument und keine Erkenntnisse über die Verweildauer vorliegen, ist eine Schätzung nicht möglich. 2. Wie viele Anträge sind im Rahmen des ausgelaufenen Fonds „Heimerziehung“ in Bremen gestellt worden? Wie viele Anträge wurden bewilligt, und welche Entschädigungssummen wurden gezahlt? 245 Personen haben einen Antrag in der bremischen Anlauf- und Beratungsstelle des Fonds Heimerziehung beim Amt für Versorgung und Integration Bremen (AVIB) gestellt. Aus dem Datenbericht der Geschäftsstelle des Fonds Heimerziehung mit Stand 31.08.2017 ergibt sich für Bremen Folgendes: 1. Es wurden 467 Vereinbarungen Fonds West bezüglich materieller Hilfen und 86 Vereinbarungen bezüglich Rentenersatzleistungen schlüssig gezeichnet. 2. Der Wert der schlüssig gezeichneten Vereinbarungen Fonds West beträgt bei den materiellen Hilfen 1.872.516,92 € und bezogen auf die Rentenersatzleistungen 519.000,00 €. 3. Das Volumen der ausgezahlten Leistungen Fonds West beträgt bei den materiellen Hilfen 1.799.667,94 € und bei den Rentenersatzleistungen 519.000,00 €. Die Differenz zwischen der Personenanzahl und der Zahl an geschlossenen Vereinbarungen ergibt sich daraus, dass teilweise mit einem Betroffenen mehrere Vereinbarungen geschlossen wurden, bis die Grenze von 10.000,00 € erreicht war. Die Differenz in der Summe der materiellen Hilfen unter 2. und 3. kann noch abgerufen werden. 3. Wie viele Anträge sind bis jetzt im Rahmen des neuen Fonds „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ in Bremen gestellt worden? Bis Mitte September 2017 wurden 37 Anträge gestellt. 4. Mit welchen Mitteln hat das Bremer Ressort bislang Betroffene darauf aufmerksam gemacht, dass sie evtl. berechtigt zum Antrag von Entschädigungsleistungen sind? Am 21.03.2017 hat im Amt für Versorgung und Integration eine Pressekonferenz unter Beteiligung der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport und der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz, dem Landesbehindertenbeauftragten und einem Betroffenen stattgefunden. Der entsprechende Filmbeitrag wurde bei buten un binnen und bei RTL NOW ausgestrahlt. Diesbezüglich ist auch ein Zeitungsartikel im Weser Kurier vom 22.03.2017 erschienen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 Zudem hat am 20.06.2017 eine Multiplikatorenveranstaltung in der Bürgerschaft unter Beteiligung der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport und der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz, dem Landesbehinderten-beauftragten und Vertretern des Amtes für Versorgung und Integration Bremen stattgefunden. Eingeladen wurden alle Einrichtungen in Bremen und Bremerhaven, die mit der Zielgruppe der Stiftung Kontakt haben, darunter - Amt für Menschen mit Behinderung Bremerhaven - AWO Kreisverband - Betreuungsverein Bremerhaven e.V. - Caritas-Zentrum Bremen - Betreuungsverein DRK - Innere Mission - Lebenshilfe Bremen e.V. - Martinsclub Bremen e.V. - Stiftung Friedehorst - Werkstatt Bremen An Einige der zuvor genannten Einrichtungen wurden per Post Flyer und Plakate versandt. Dieser Prozess konnte noch nicht ganz abgeschlossen werden, weil die entsprechenden Materialien des BMAS noch nicht in der erforderlichen Anzahl vorliegen. Schließlich hat am 27.04.2017 eine Vertreterin des Amtes für Versorgung und Integration Bremen am Bereichsleitungstreffen der Lebenshilfe teilgenommen, um dort über die Stiftung zu informieren. Mit Schreiben vom 18.09.2017 weist die Vorsitzende des Lenkungsausschusses der Stiftung Anerkennung und Hilfe alle Anlauf- und Beratungsstellen in Deutschland darauf hin, dass die Möglichkeiten der Stiftung, mögliche Betroffene über die Leistungen der Stiftung zu informieren, begrenzt sind. In der Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei den Betroffenen zum Teil um Menschen mit kognitiven Einschränkungen handelt, die auch heute noch in Einrichtungen leben und sich kaum über allgemein zugängliche Quellen wie das Internet, Zeitungen oder Zeitschriften informieren können. Sie bittet darum, „in nächster Zeit möglichst viele Menschen aktiv schriftlich und mündlich über die Stiftung zu informieren“. Mit Unterstützung des Behindertenbeauftragten des Landes Bremen werden auch in Bremen durch eine direkte Ansprache, verbunden mit Vorortbesuchen, vermehrt Anstrengungen unternommen mehr mögliche Betroffene zu erreichen. 5. Im Internetauftritt des Amtes für Versorgung und Integration findet sich bislang nur ein ganz versteckter Hinweis auf die Existenz der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“. Allerdings ohne Nennung von Ansprechpartnerinnen/Ansprechpartner , Kontaktadressen, Bürozeiten etc. Eine inhaltliche Erwähnung unter den Rubriken „Opferentschädigung“ oder „Info und Anträge“ fehlt. Hält das Ressort es für erfolgversprechend, die Informationen über diesen neuen Fonds an den genannten Stellen und ausführlicher zu präsentieren? Die grundsätzlichen Informationen zur Stiftung Anerkennung und Hilfe sind auf der Internetseite des Amtes für Versorgung und Integration Bremen an mehreren Stellen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 hinterlegt und verlinkt. Unter anderem unter den Reitern „Entschädigungsrecht“ und „Info & Anträge“. Es werden Überlegungen angestellt, wie man die Auffindbarkeit der Informationen optimieren kann. Auf der Internetseite www.stiftung-anerkennung-hilfe.de sind die Anlauf- und Beratungsstellen der Bundesländer mit Ansprechpartnerinnen/Ansprechpartner, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Öffnungszeiten hinterlegt. 6. Von der Bundesstiftung ist ein Flyer konzipiert worden. Ist dieser vom Ressort bereits in Bremen verteilt worden, und wenn ja, wo? Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kann der Flyer bestellt oder heruntergeladen werden. Diese Seite ist entsprechend auf der Homepage des Amtes für Versorgung und Integration Bremen verlinkt. Siehe ergänzend Beantwortung der Frage 4. 7. Viele betroffene Kinder und Jugendliche aus der damaligen Zeit werden auch heute noch in Behinderteneinrichtungen wohnen (z.B. Martinsclub) oder unter Vormundschaft stehen. Es wäre sicherlich sinnvoll, gezielt Informationen für die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, die Heimleitungen/Vormundschaften zu informieren und anzuregen, dass diese mit den betroffenen Personen darüber sprechen. Welche Möglichkeiten zum Identifizieren und Kontaktieren dieser Personen hätte das Ressort, und welche Bemühungen hat das Ressort in dieser Richtung unternommen? Seitens des Amtes für Versorgung und Integration Bremen besteht u.a. ein Kontakt zur Lebenshilfe. Dort ist es möglich, dass über den zuständigen Bereichsbetreuer der Lebenslauf der für die Stiftung in Frage kommenden Person durchgesehen und mit historischen Daten verglichen wird. Eine Anmeldung zur Stiftung Anerkennung und Hilfe des so identifizierten Betroffenen kann dann durch einen Rechtsbetreuer gegenüber dem AVIB erfolgen. Siehe ergänzend ebenfalls Beantwortung der Frage 4. 8. Gibt es eine nennenswerte Zahl von Anträgen, die im Rahmen des Fonds „Heimerziehung“ gestellt wurden, die aber nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Betroffenen in Behindertenheimen bzw. Psychiatrie untergebracht waren? Wenn ja: Hat das zuständige Ressort es übernommen, die Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen, dass sie im Rahmen des neuen Fonds entschädigungsberechtigt wären? Dem Amt für Versorgung und Integration Bremen waren insgesamt neun Personen, die für die Inanspruchnahme der Anerkennungsleistung der Stiftung in Frage kommen, bereits aus dem Fonds Heimerziehung West bekannt. Diesen Personen war durch Gespräche mit der Anlauf- und Beratungsstelle des AVIB bekannt, dass es eine Stiftung geben wird, über die sie eine Anerkennungsleistung bekommen können. Per Brief wurden diese zeitnah über den Sachstand und den Start der Stiftung informiert. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 9. Teil des Stiftungszwecks ist die wissenschaftliche Aufarbeitung der geschehenen Misshandlungen. Welche Bemühungen hat das Ressort in dieser Hinsicht bislang angeschoben? Die Arbeit der Stiftung wird von beauftragten Wissenschaftlern mit einem Forschungsprojekt begleitet. Ziel ist es, die Leid- und Unrechtserfahrungen intensiv zu beleuchten und zu erfassen sowie Art und Umfang der Geschehnisse nachvollziehbar zu machen. Dazu ist auf der Stiftungswebsite (www.stiftung-anerkennung-und-hilfe.de) folgende Information zu finden: „Unter anderem sollen folgende Themengebiete bearbeitet werden: • Darstellung von Leid und Unrecht, der rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung sowie für die Verwendung von Zwangsmaßnahmen, • Darstellung der individuellen Rechte der untergebrachten Kinder und Jugendlichen, • Darstellung und Bewertung damaliger therapeutischer und pädagogischer Konzepte sowie der damaligen Praxis und Lebenssituation in den Einrichtungen, • Analyse und Darstellung von Einweisungsanlässen und kritische Bewertung damaliger Diagnosen, • Art und Häufigkeit von Grundrechts- und Menschenrechtsverletzungen, • Darstellung von Reformansätzen. Die Vergabe der wissenschaftlichen Aufarbeitung ist am 7. Juni 2017 erfolgt. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2018 auf der Stiftungswebsite veröffentlicht.“ Ob es darüber hinaus eigene bremische Aufarbeitungsprojekte geben kann, wird zurzeit beraten. 10. Im letzten Jahr ist bekannt geworden, dass gerade in Behindertenheimen medizinische Experimente mit Heimkindern durchgeführt worden sind. Diese Experimente waren zum Teil gefährlich und lassen nach Auskunft von seriösen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler schwere Spätschäden erwarten. Zum Teil wurde diese Forschung von Ärzten durchgeführt, die bereits in der NS-Zeit verbrecherische medizinische Experimente an Kindern durchgeführt hatten. Eine der Unterbringungsstätten, in denen solche Medizintests durchgeführt wurden, waren die Rothenburger Anstalten. Hier wurden auch viele Bremer Kinder untergebracht. Wird dieses Thema in der vom Ressort zu verantwortenden wissenschaftlichen Aufarbeitung angemessen behandelt werden? Bisher liegen hierzu keine gesicherten Erkenntnisse vor. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung zur dieser Thematik ist in Vorbereitung. 11. Insbesondere die Erkenntnisse zu den Durchführungen medizinischer Experimente an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen im Rahmen staatlich verantworteter Inobhutnahme offenbaren Handlungsweisen der Verantwortlichen, welche (genau wie die häufigen Fälle von sexueller Gewalt an Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 7 den betroffenen Kindern) über das in der Nachkriegszeit übliche Maß an schwarzer Pädagogik, Zwang, schlechter Versorgung und mangelnder Förderung hinausgehen und als strafrechtlich relevante Verbrechen unter staatlicher Gesamtverantwortung eingeordnet werden müssen. Wird diese Einschätzung vom Senat geteilt? Die aufgeworfene, allgemein-abstrakte Frage lässt sich ohne nähere Information nicht beantworten. Erkenntnisse über die Durchführung medizinscher Experimente an Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie liegen dem Senat nicht vor. Fragen nach strafrechtlicher Relevanz ohne Bezug zu konkreten Vorgängen im Land Bremen kann der Senat nicht beantworten. 12. Hält der Senat für Personen, die als Kinder und Jugendliche im Rahmen staatlicher Inobhutnahme solche strafrechtlich relevanten Verbrechen erdulden mussten, Hilfe aus dem Opferentschädigungsgesetz für angemessen? Die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ hat ihren zeitlichen Geltungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 (Gründung der Bundesrepublik Deutschland) bis 1975 (vor Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes – OEG – im Jahr 1976). Das OEG sieht zwar auch Leistungen für Gewalttaten im oben genannten Zeitraum vor, jedoch nur, wenn unter anderem die geschädigte Person alleine aufgrund der Tat schwerbeschädigt und bedürftig ist. Den Stiftungserrichtern ist bewusst, dass der Nachweis der Kausalität ihrer Gesundheitsstörungen in Bezug auf das erlittene Leid nach über 40 Jahren kaum möglich ist. Weiterhin ist im OEG der Vollbeweis anzutreten, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen die geschädigte Person stattgefunden hat. Dieser Vollbeweis ist mangels beweiskräftiger Unterlagen bezüglich der einzelnen Taten und der Identität der Kinder und Jugendlichen, die jeweils das Opfer waren, ebenfalls kaum zu führen. Dies haben die Errichter der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ berücksichtigt und besonders geringe Anforderungen an eine Glaubhaftmachung des erlittenen Unrechts gestellt. Daher sind Hilfen aus dem Opferentschädigungsgesetz für diese Betroffenengruppe (Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Behindertenhilfe bzw. Psychiatrie zwischen 1949 und 1975) in der Regel nicht geeignet, weil im Einzelfall die Voraussetzungen nach dem OEG nicht erfüllt werden. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-1276 VB Umsetzung der "Stiftung Anerkennung und Hilfe" in Bremen 06 Umsetzung der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Bremen