1 BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drs. 19/1671 Landtag (zu Drs. 19/1620) 19. Wahlperiode 22.05.18 Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) vom 22. Mai 2018 „Schwangerschaftsabbruch – wie ist die aktuelle Situation in Bremen?“ (Große Anfrage der Fraktion Die LINKE vom 12. April 2018 / Drucksache 19/1620) Die Fraktion DIE LINKE hat folgende Große Anfrage an den Senat gerichtet: Das im August 1992 in Kraft getretene Schwangerschaftskonfliktgesetz sieht im §13 vor, dass die Länder „ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher“ stellen. Gesellschaftliche Hürden, moralische Vorstellungen und Hindernisse seitens des Gesetzgebers in der Form vom §219a machen es jedoch für Schwangere mühsam, ihre Rechte wahrzunehmen und Informationen über dieses Angebot zu erlangen. Durch die neue Gesetzgebung der Koalitionspartner im Bundestag droht der Entwicklung einer emanzipatorischen Reproduktionspolitik eine eindeutige Stagnation, die unseres Erachtens verhindert werden sollte. Dass die Bekanntmachung von Informationen über relevante gesundheitliche Fragen weiterhin verschleiert werden soll, scheint in unserer heutigen Zeit nicht mehr ersichtlich. Die medizinische Versorgung hinsichtlich Schwangerschaftsabbrüche wird stetig schlechter. Immer weniger Ärzt*innen führen Abtreibungen durch und in vielen Regionen ist es für die Schwangeren sehr aufwendig, eine Einrichtung zu finden, in der sie Hilfe bekommen, ggf. müssen lange Wege in Kauf genommen werden. Gründe für diese Situation sind zweifelsfrei, dass die aktuelle Rechtslage Abtreibungen durch die §218 und §219 kriminalisiert und tabuisiert und dass das Thema in der gynäkologischen Ausbildung keinen angemessen Raum findet. Wenn Schwangerschaftsabbrüche auf diese Art weiterhin gehandhabt werden, müssen wir damit rechnen, dass Schwangere sich in gesundheitsgefährdende Situationen begeben. Das sind Verhältnisse, von denen wir angenommen haben, dass sie längst der Vergangenheit angehören. In einer demokratischen zeitgemäßen Gesellschaft sollten wir nicht einer Entwicklung zusehen, die Frauenrechte Jahrzehnte zurück werfen. Wir fragen den Senat: 1. Wie erfüllt das Land Bremen seinen Sicherstellungsauftrag nach §13 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)? 2. Wie viele und welche Arztpraxen, Kliniken und Institutionen in Bremen führen Schwangerschaftsabbrüche durch? Bitte die Daten für Bremen und Bremerhaven getrennt aufführen. 3. Wo und wie können sich Frauen in Bremen über Arztpraxen, Kliniken und Institutionen sowie über verschiedene Methoden, Fristen, Kosten etc. informieren? 4. Verfügen die anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen über aktuelle und vollständige Listen dieser Arztpraxen, Kliniken und Institutionen in Bremen und Bremerhaven? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 5. Wie erlangen die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen diese Informationen? 6. Führen die Gesundheitsbehörden in Bremen und Bremerhaven eine Aktualisierung dieser Liste regelmäßig durch und geben die Informationen an die Beratungsstellen weiter? 7. Wie hat sich die Anzahl der Ärzt*innen in den letzten 10 Jahren entwickelt, die Schwangerschaftsabbrüche im Land Bremen durchführen? Bitte Bremen und Bremerhaven getrennt aufführen. 8. Wie bewertet der Senat diese Veränderung und welche Ursachen können dafür genannt werden? 9. Hat der Senat vor, sich dafür einzusetzen, dass Gynäkolog*innen eine fundierte Ausbildung im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs bekommen? 10. Wie bewertet der Senat, dass die Behörde in Hamburg auf der Internetseite des Gesundheitsamtes neben den Informationen über Beratungsstellen zur Schwangerschaftskonfliktberatung auch die Liste der Arztpraxen, Kliniken und Institutionen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, veröffentlicht hat? (siehe: http://www.hamburg.de/schwangerschaftskonfliktberatung/4020554/schwangerschaft sabbruch/) 11. Wo sieht der Senat die Grenzlinie zwischen Werbeverbot und sachlicher Information über die ärztliche Leistung Schwangerschaftsabbruch unter Beachtung von § 219 Absatz 1 und 2 StGB? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt: 1. Wie erfüllt das Land Bremen seinen Sicherstellungsauftrag nach §13 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)? Antwort: Nach § 13 des SchKG stellt das Land ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher. Im Land Bremen gelten seit 4. Juni 1996 die „Richtlinien über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“. Hiernach werden Einrichtungen zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen auf Antrag bei der Ärztekammer nach dort erfolgter Prüfung durch die Gesundheitsbehörde anerkannt. Der Senat geht davon aus, dass das Angebot ausreichend ist. Dieser gesetzliche Auftrag wird in Kooperation mit der Selbstverwaltung erfüllt. Im Rahmen ihrer Versorgungsstrukturen achtet die Selbstverwaltung darauf, dass auftretende Engpässe kompensiert werden. Wegen des inhaltlichen Zusammenhangs werden die Fragen 2, 3, 4 und 5 gemeinsam beantwortet. 2. Wie viele und welche Arztpraxen, Kliniken und Institutionen in Bremen führen Schwangerschaftsabbrüche durch? Bitte die Daten für Bremen und Bremerhaven getrennt aufführen. 3. Wo und wie können sich Frauen in Bremen über Arztpraxen, Kliniken und Institutionen sowie über verschiedene Methoden, Fristen, Kosten etc. informieren? 4. Verfügen die anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen über aktuelle und vollständige Listen dieser Arztpraxen, Kliniken und Institutionen in Bremen und Bremerhaven? 5. Wie erlangen die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen diese Informationen? Antworten: Wegen der Rechtsprechung in Auslegung von §§ 218 und 219 StGB erscheint die öffentliche Nennung insbesondere von Ärztinnen und Ärzten problematisch, da diese sich dadurch strafbar machen können. Darüber hinaus sind persönliche Anwürfe durch so genannte ‚Abtreibungsgegner‘ nicht auszuschließen. Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB), die Bremer Ärztekammer (ÄK), die Bremer Krankenhausgesellschaft (HBKG) wie auch der Bremer Berufsverband der Frauenärztinnen und Frauenärzte und die Bremischen Kirchen verfügen über keine aktuellen Kenntnisse darüber, welche und wie viele Praxen, Kliniken und Institutionen in Bremen und Bremerhaven Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Lediglich eine österreichische Webseite enthält Hinweise auf Bremer Adressaten, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Nach Überprüfung der Liste durch die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) hat sich jedoch herausgestellt, dass diese Liste nicht aktuell ist. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 Als Institution führt das medizinische Zentrum von Pro Familia Schwangerschaftsabbrüche durch, verfügt aber über keine eigenen offiziellen Daten über andere Einrichtungen. Ratsuchende Frauen erhalten über die nach § 219 StGB anerkannten offiziellen Beratungsstellen mit Nutzung von Netzwerken im Rahmen ihrer originären Aufgaben wie auch durch die Frauenärztinnen und Frauenärzte Hilfestellungen bei der Frage nach geeigneten Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Allerdings verfügen auch die Beratungsstellen nicht über aktuelle Listen. In Abstimmung mit der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz erstellt derzeit die ZGF eine Liste der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen sowie mit dem Listeneintrag einverstanden sind. Aufgrund der aktuellen bestehenden bundesgesetzlichen Lage wird die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz diese Liste nicht veröffentlichen können. Mittels (auch telefonischer) Kontaktmöglichkeit soll die Liste insbesondere Patientinnen, Ärzten und Ärztinnen zugänglich gemacht werden. Ebenfalls ist geplant, die Liste den einschlägigen Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen. 6. Führen die Gesundheitsbehörden in Bremen und Bremerhaven eine Aktualisierung dieser Liste regelmäßig durch und geben die Informationen an die Beratungsstellen weiter? Antwort: Die Gesundheitsbehörden in Bremen und Bremerhaven führen keine Aktualisierung von Listen durch. Die Beratungsstellen informieren die ratsuchenden Frauen über eigene Netzwerke. Wegen des inhaltlichen Zusammenhangs werden die Fragen 7 und 8 gemeinsam beantwortet. 7. Wie hat sich die Anzahl der Ärzt*innen in den letzten 10 Jahren entwickelt, die Schwangerschaftsabbrüche im Land Bremen durchführen? Bitte Bremen und Bremerhaven getrennt aufführen. 8. Wie bewertet der Senat diese Veränderung und welche Ursachen können dafür genannt werden? Antworten: ÄK und KVHB erfassen keine Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Der Bremer Berufsverband der Frauenärztinnen und Frauenärzte schildert den Eindruck, dass die Anzahl rückläufig ist. Unter der jungen Ärztegeneration scheint die Bereitschaft zurückzugehen, in der eigenen Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Auch Pro Familia bestätigt und problematisiert den Rückgang von Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Auf die Antworten zu den Fragen 10 und 11 wird verwiesen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 9. Hat der Senat vor, sich dafür einzusetzen, dass Gynäkolog*innen eine fundierte Ausbildung im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs bekommen? Antwort: Der Senat schließt sich den Ausführungen der Bremer Ärztekammer an. Hiernach sind die (operativen) Techniken und hormonellen Kenntnisse zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, die notwendig sind, um Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, bereits Bestandteil der Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Gynäkologie. Sie müssen demnach von allen Gynäkologinnen / Gynäkologen gelernt und beherrscht werden. Allerdings dürfen Ärztinnen und Ärzte nach der Berufsordnung im Lande Bremen nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen. Wegen des inhaltlichen Zusammenhangs werden die Fragen 10 und 11 gemeinsam beantwortet. 10. Wie bewertet der Senat, dass die Behörde in Hamburg auf der Internetseite des Gesundheitsamtes neben den Informationen über Beratungsstellen zur Schwangerschaftskonfliktberatung auch die Liste der Arztpraxen, Kliniken und Institutionen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, veröffentlicht hat? (siehe: http://www.hamburg.de/schwangerschaftskonfliktberatung/4020554/schwanger schaftsabbruch/) 11. Wo sieht der Senat die Grenzlinie zwischen Werbeverbot und sachlicher Information über die ärztliche Leistung Schwangerschaftsabbruch unter Beachtung von § 219 Absatz 1 und 2 StGB? Antworten: Der Senat betont die Notwendigkeit öffentlich zugänglicher neutraler und unabhängiger Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Der Senat bewertet den Ansatz aus Hamburg, auf einer gesundheitsbehördlichen Internetseite Informationen über Beratungsstellen zur Schwangerschaftskonfliktberatung und auch Listen über Einrichtungen zu Schwangerschaftsabbrüchen vorzuhalten einerseits für eine prüfenswerte Option. Frauen brauchen neutrale und aktuelle Informationen, wie und wo Schwangerschaftsabbrüche in Bremen durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang ist andererseits die geltende Gesetzeslage zu beachten. Das Strafgesetzbuch und auch die Rechtsprechung problematisieren derartige Veröffentlichungen, da § 219a Absätze 1 und 2 StGB und deren Auslegung zu berücksichtigen sind. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Bremen weist auf die bestehende Rechtslage hin und rät von einer Veröffentlichung derartiger Listen zum jetzigen Zeitpunkt ab. Der Senat sieht den Bedarf für eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben und hat sich bereits positioniert: • Bremen setzt sich gemeinsam mit den Ländern Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen für eine Bundesratsinitiative zur Streichung von § 219a StGB ein. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 • Die diesjährige Gesundheitsministerkonferenz wird voraussichtlich im Juni 2018 einen Beschluss über “Informationsmöglichkeiten zur Umsetzung des Sicherstellungsauftrags der Länder nach § 13 Abs.2. SchKG“ verabschieden. Hiernach wird vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eine rechtssichere Möglichkeit in Absprache mit den Ländern eingefordert zu öffentlich zugänglichen Informationen über Stellen und Personen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft „Schwangerschaftsabbruch – wie ist die aktuelle Situation in Bremen?“