– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 1702 Landtag 05.06.18 19. Wahlperiode Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 2. Mai 2018 Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Gefangenen 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat zum Ausmaß psychischer Erkrankungen von Inhaftierten und der Anzahl der Erkrankten? 2. Bei wie vielen der inhaftierten Personen wurde eine psychische Erkrankung erst im Verlauf ihrer Haftzeit festgestellt? 3. Wie hoch ist der Anteil psychisch Erkrankter unter den Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, im Vergleich zu den übrigen Gefangenen? 4. Was wird zur Diagnostizierung einer psychischen Erkrankung einer inhaftierten Person in der Straf- oder Untersuchungshaft konkret zu welchem Zeitpunkt veranlasst? 5. Mit welchen Behandlungskonzepten beziehungsweise mit welchen Maßnahmen begegnet der bremische Strafvollzug den psychischen Erkrankungen der Gefangenen? 6. Mit welchen Wartezeiten müssen Gefangene bis zur Vermittlung einer Psychotherapie oder einer psychiatrischen Behandlung rechnen, und wie stehen diese Wartezeiten im Verhältnis zu Wartezeiten für Nichtinhaftierte ? 7. Wie viele Gefangene sind zurzeit a) in psychotherapeutischer, b) in psychiatrischer Behandlung? 8. Bitte aufschlüsseln nach Einzel- beziehungsweise Gruppentherapie. 9. In welchem Umfang erfolgen die unter Frage 7 dargestellten Behandlungen durch anstaltseigenes beziehungsweise externes Personal? 10. Inwieweit gibt es in der Justizvollzugsanstalt genügend niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten beziehungsweise Psychiaterinnen und Psychiater, die Inhaftierte behandeln können und wollen? 11. In welchem Ausmaß werden psychisch erkrankte nichtforensische Gefangene zu psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungen in die forensischen Abteilungen psychiatrischer Kliniken überwiesen? 12. Besteht auch für Untersuchungshäftlinge die Möglichkeit der Unterbringung in der forensischen Abteilung psychiatrischer Kliniken? Wenn ja, wie sieht das konkrete Verfahren für diese Entscheidung aus? Wenn nein, hält der Senat eine solche Möglichkeit zukünftig für sinnvoll? – 2 – 13. Im Juni 2014 hat die Justizministerkonferenz beschlossen: „Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass die psychiatrische Versorgung im Justizvollzug und die entsprechende Nachsorge entlassener Gefangener – insgesamt betrachtet – verbesserungsbedürftig sind.“ Hält der Senat diese Einschätzung auch in Bezug auf den bremischen Strafvollzug für zutreffend und welchen Handlungsbedarf sieht er? Sülmez Dogan, Sahhanim Görgü-Philipp, Nima Pirooznia, Dr. Maike Schaefer, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 5. Juni 2018 Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat zum Ausmaß psychischer Erkrankungen von Inhaftierten und der Anzahl der Erkrankten? Aggregierte Daten zum Ausmaß psychischer Erkrankungen bremischer Gefangener liegen nicht vor. Fasst man die Daten aus der Literatur zusammen , ist davon auszugehen, dass circa 40 bis 70 Prozent aller Gefangenen eine psychische Störung aufweisen. Psychische Störungen umfassen psychische Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen. Der medizinische Dienst sowie der psychologische Fachdienst der JVA Bremen bestätigen diese Zahlen mit Bezug auf Praxiserfahrung vor Ort. 2. Bei wie vielen der inhaftierten Personen wurde eine psychische Erkrankung erst im Verlauf ihrer Haftzeit festgestellt? Es wird keine Statistik geführt, aus der ersichtlich würde, zu welchem Zeitpunkt eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde. 3. Wie hoch ist der Anteil psychisch Erkrankter unter den Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, im Vergleich zu den übrigen Gefangenen? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Je nach Vollzugsform ist das Ausmaß psychischer Störungen ausgeprägter. Angaben zur Prävalenz beziehungsweise Inzidenz bei Verbüßern einer Ersatzfreiheitsstrafe liegen für den bremischen Justizvollzug nicht vor. 4. Was wird zur Diagnostizierung einer psychischen Erkrankung einer inhaftierten Person in der Straf- oder Untersuchungshaft konkret zu welchem Zeitpunkt veranlasst? Im Aufnahmeverfahren beziehungsweise im Rahmen der Diagnostik und Vollzugsplanaufstellung (§ 7 BremUVollzG, §§ 6 ff. BremStVollzG, §§ 9 ff. BremJVollzG) erfolgt keine routinemäßige psychiatrische Diagnostik. Sofern es laut ärztlicher Zugangsuntersuchung beziehungsweise Zugangsgespräch beziehungsweise Suizidscreening, Aktenlage oder Verhaltensbeobachtung im Haftverlauf Anhaltspunkte für psychische Erkrankungen von Gefangenen gibt, wird der psychologische Fachdienst beziehungsweise der psychiatrische Konsiliarius hinzugezogen. Im Rahmen der Gesundheitsfürsorge erfolgen gegebenenfalls weitere diagnostische und medizinische beziehungsweise therapeutische Maßnahmen (vgl. §§ 20 ff. BremUVollzG; §§ 32 ff. BremJVollzG; §§ 63 ff. BremStVollzG). 5. Mit welchen Behandlungskonzepten beziehungsweise mit welchen Maßnahmen begegnet der bremische Strafvollzug den psychischen Erkrankungen der Gefangenen? Der Justizvollzug ist für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständig, die vollzugliche Behandlung ist tendenziell sozialtherapeutisch ausgerichtet. § 18 BremStVollzG grenzt die psychologische Intervention von der Psychotherapie ab. Während die „psychologische Intervention“ als Krisenintervention zu verstehen ist, wird die „Psychotherapie im Strafvollzug“ laut Gesetzesbegründung als forensische Psychotherapie beziehungsweise Kriminaltherapie auslegt, wohingegen die Psychotherapie in Freiheit als – 3 – Primärziel eine Leidensminderung psychisch kranker Personen verfolgt. Mit „psychologische Interventionen und Psychotherapie“, § 18 BremSt- VollzG, sind Maßnahmen im Strafvollzug gemeint, die sich sowohl an männliche und weibliche Gefangene richten. Sofern trotz psychischer Auffälligkeiten beziehungsweise psychiatrischer Erkrankung dennoch Haft- beziehungsweise Vollzugsfähigkeit vorliegt, erfolgen „psychologische Interventionen und Psychotherapie“, § 18 BremStVollzG, akut medikamentöse Therapien in Absprache mit den konsiliarisch tätigen psychiatrischen Fachärzten sowie in geeigneten Fällen „arbeitstherapeutische Maßnahmen“, § 19 BremStVollzG. Sofern die Voraussetzungen vorliegen, ist auch eine medikamentöse Zwangsbehandlung möglich (§ 21 BremUVollzG; § 33 BremJVollzG; § 68 BremStVollzG). Eine medikamentöse Zwangsbehandlung kann jedoch nicht in der JVA Bremen durchgeführt werden, sondern muss in einer Fachklinik erfolgen. 6. Mit welchen Wartezeiten müssen Gefangene bis zur Vermittlung einer Psychotherapie oder einer psychiatrischen Behandlung rechnen und wie stehen diese Wartezeiten im Verhältnis zu Wartezeiten für Nichtinhaftierte ? Im Vollzug der Untersuchungshaft, im Jugendvollzug sowie in der Strafhaft ist im Rahmen der Krisenintervention jederzeit eine „psychologische Intervention“ (vgl. § 18 BremStVollzG) beziehungsweise eine medizinische Behandlung auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge möglich. Das psychiatrische Konsil ist wöchentlich. Es liegen keine Angaben über Wartezeiten bis zur Vermittlung in eine Psychotherapie beziehungsweise psychiatrische Behandlung vor. Es liegen im Justizressort auch keine Angaben zum Versorgungsgrad psychisch kranker Menschen in Freiheit vor, mit dem die intramurale Versorgung psychisch kranker Gefangener ins Verhältnis gesetzt werden kann. 7. Wie viele Gefangene sind zurzeit a) in psychotherapeutischer, b) in psychiatrischer Behandlung? Bitte aufschlüsseln nach Einzel- beziehungsweise Gruppentherapie. Wie in der Antwort auf Frage 5 näher ausgeführt, sind mit „psychologische Interventionen und Psychotherapie“, § 18 BremStVollzG, Maßnahmen im Strafvollzug gemeint, die als Krisenintervention beziehungsweise Kriminaltherapie auszulegen sind. Dieses vorausgeschickt, befinden sich zum Stichtag 29. Mai 2018 insgesamt 76 Gefangene in solchen Maßnahmen (davon 41 Einzelmaßnahmen). Die psychiatrische Behandlung im Justizvollzug gehört zur psychiatrischen Gesundheitsfürsorge, § 63 ff. BremStVollzG (vgl. §§ 20 ff. BremUVollzG; §§ 32 ff. BremJVollzG). Dieses vorausgeschickt, befinden sich tagesaktuell 25 Gefangene in psychiatrischer Behandlung. 8. In welchem Umfang erfolgen die unter Frage 7 dargestellten Behandlungen durch anstaltseigenes beziehungsweise externes Personal? Von den derzeit 76 Maßnahmen der psychologischen Intervention und Psychotherapie werden 68 Maßnahmen von anstaltseigenem Personal sichergestellt . Die psychiatrische Gesundheitsfürsorge wird über den konsiliarärztlichen Dienst des Klinikum Bremen-Ost (Forensische Psychiatrie) sichergestellt. 9. Inwieweit gibt es in der Justizvollzugsanstalt genügend niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten beziehungsweise Psychiaterinnen und Psychiater, die Inhaftierte behandeln können und wollen? Derzeit gibt es im Fachdienst der JVA Bremen vier Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die den Bedarf an psychologischen Interventionen und – 4 – Psychotherapie im Sinne des § 18 BremStVollzG im bremischen Justizvollzug sicherstellen. Eine weitere Psychologenstelle befindet sich in der Ausschreibung . Der psychiatrische Behandlungsbedarf wird in der wöchentlichen Facharztsprechstunde abgedeckt. 10. In welchem Ausmaß werden psychisch erkrankte nichtforensische Gefangene zu psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungen in die forensischen Abteilungen psychiatrischer Kliniken überwiesen? Bei Gefangenen, die einer stationär-psychiatrischen Behandlung bedürfen , ist die Behandlung durch Kooperation im forensisch-psychiatrischen Krankenhaus (Klinik Bremen-Ost) beziehungsweise in der Justizvollzugspsychiatrie anderer Bundesländer möglich (vgl. § 64 BremStVollzG). Im Jahr 2017 wurden drei Gefangene der Justizvollzugsanstalt Bremen in einer psychiatrischen Fachklinik stationär behandelt. Im laufenden Jahr 2018 wurden keine Gefangenen stationär in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt. 11. Besteht auch für Untersuchungshäftlinge die Möglichkeit der Unterbringung in der forensischen Abteilung psychiatrischer Kliniken? Wenn ja, wie sieht das konkrete Verfahren für diese Entscheidung aus? Wenn nein, hält der Senat eine solche Möglichkeit zukünftig für sinnvoll? Die Indikation zu einer stationär-psychiatrischen Behandlung wird unabhängig von der Vollzugsform gestellt. Gemäß § 23 BremUVollzG können kranke oder hilfsbedürftige Untersuchungshaftgefangene in eine zur Behandlung ihrer Krankheit oder zu ihrer Versorgung besser geeignete Anstalt oder in ein Vollzugskrankenhaus verlegt oder überstellt werden (vgl. auch § 35 BremJStVollzG, § 64 Abs. 1 BremStVollzG). Sofern keine Haftfähigkeit vorliegt, sind die Voraussetzungen einer vorläufigen Unterbringung gemäß § 126a StPO beziehungsweise die Vollstreckungsunterbrechung (vgl. § 64 BremStVollzG) zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen vor, wird der Haftbefehl gegebenenfalls durch einen Unterbringungsbefehl ersetzt. 12. Im Juni 2014 hat die Justizministerkonferenz beschlossen: „Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass die psychiatrische Versorgung im Justizvollzug und die entsprechende Nachsorge entlassener Gefangener – insgesamt betrachtet – verbesserungsbedürftig sind.“ Hält der Senat diese Einschätzung auch in Bezug auf den bremischen Strafvollzug für zutreffend, und welchen Handlungsbedarf sieht er? Die Patienten im Strafvollzug, die einer psychotherapeutischen beziehungsweise psychiatrischen Behandlung bedürfen und auch zugänglich sind, können Behandlungsmöglichkeiten im Justizvollzug nutzen beziehungsweise kurzzeitig im psychiatrischen Maßregelvollzug untergebracht werden. Eine Herausforderung für den Justizvollzug stellt die steigende Zahl psychisch auffälliger Gefangener dar. Der „Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 19. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2015 bis 2019“ entsprechend wurde eine spezielle Abteilung für psychisch auffällige Gefangene in der laufenden Sanierungsplanung für die Justizvollzugsanstalt Bremen bereits berücksichtigt. Derzeit prüft das Ressort eine vertiefte Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsressort bei der psychiatrischen Behandlung und Nachsorge von Gefangenen . Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 1702 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 2. Mai 2018 Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Gefangenen