BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/174 Landtag 19. Wahlperiode 24.11.15 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD Flüchtlingsfrauen vor Gewalt schützen 1 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 15.10.2015 "Flüchtlingsfrauen vor Gewalt schützen" Die Fraktion der SPD hat folgende Kleine Anfrage an den Senat gerichtet: „Die Unterbringung in Zelten, in Großunterkünften ohne räumliche Trennung, nicht geschlechtergetrennte sanitäre Einrichtungen, nicht abschließbare Räume und fehlende Rückzugsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen oder Homosexuelle können deren Schutzlosigkeit innerhalb der Flüchtlingseinrichtungen vergrößern. Wir fragen den Senat: 1. Wie viele Frauen und Mädchen leben in den Übergangswohneinrichtungen im Lande Bremen? (bitte sowohl in absoluten Zahlen als auch in Prozent von der Gesamtzahl aller Flüchtlinge) 2. Wie viele davon sind allein reisend? 3. Gibt es Einrichtungen, in denen keine separaten sanitären Anlagen für Männer und Frauen zur Verfügung stehen? 4. Liegen dem Senat Hinweise oder Kenntnisse über die Ausübung von Gewalt an Frauen, minderjährigen Mädchen oder Homosexuellen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Übergangswohneinrichtungen für Flüchtlinge im Lande Bremen vor? 5. Wenn ja: Wie viele Hinweise auf Gewaltausübung an Frauen, minderjährigen Mädchen oder Homosexuellen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wurden gemeldet? 6. Wie viele dieser Vorfälle wurden zur Anzeige gebracht? 7. Wie werden Opfer von Gewalt, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung betreut? 8. Welche präventiven Maßnahmen ergreift der Senat, um in Flüchtlingseinrichtungen Gewalt, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung zu verhindern?“ 2 Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Frauen und Mädchen leben in den Übergangswohneinrichtungen im Lande Bremen? (bitte sowohl in absoluten Zahlen als auch in Prozent von der Gesamtzahl aller Flüchtlinge) Antwort auf Frage 1: Stadtgemeinde Bremen Es werden derzeit keine geschlechterspezifischen Statistiken in der Zentralen Aufnahmestelle und in den Notunterkünften geführt. Eine manuelle Abfrage bei den Trägern ist derzeit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Träger und den täglich wechselnden Personenzahlen nicht möglich. Eine Verbesserung der Datenlage wird sich durch die geplante Einführung eines IT- Programms zur „Unterkunftsverwaltung“ im Laufe des nächsten Jahres ergeben. Eine geschlechtsspezifische Statistik wird regelmäßig in den Übergangswohnheimen erstellt: Frauen in Übergangswohnheimen (Stand September) Personen Geschlecht m/w Erwachsene m/w Prozentual Erwachsene Frauen unter 18 m/w Prozentual Mädchen 2.069 1.311 / 758 948/431 31,25 % 363/327 47,39 % In Einrichtungen und Notmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 42 SGB VIII haben in der Stadtgemeinde Bremen im laufenden Jahr 2015 bis zum Stichtag 30.09.2015 insgesamt 69 unbegleitete Mädchen (umA) Aufnahme gefunden. Weitere 46 Mädchen und junge Frauen leben in Mutter-Kind-Einrichtungen nach § 19 SGB VIII und Einrichtungen der Erziehungshilfe nach § 34 SGB VIII. Magistrat Bremerhaven In Bremerhaven wurde in 2015 eine minderjährige Mutter mit Säugling in Obhut genommen. Die junge Frau ist zwischenzeitlich volljährig geworden und lebt mit ihrem Kind in einer eigenen Wohnung. In Bremerhaven leben keine Frauen und Mädchen in Gemeinschaftseinrichtungen. Bremerhaven bringt keine Personen in Zelten und Großunterkünften ohne räumliche Trennung unter. Alle weiteren Fragen werden daher nur für die Stadtgemeinde Bremen beantwortet. 2. Wie viele davon sind allein reisend? Antwort auf Frage 2: Hier liegt ebenfalls nur die Statistik aus den Übergangswohnheimen vor. Dort waren mit Stand September 94 alleinstehende Frauen untergebracht. Alle unbegleiteten minderjährigen weiblichen Flüchtlinge (umA) sind ohne Personensorgeberechtigte eingereist. 3 3. Gibt es Einrichtungen, in denen keine separaten sanitären Anlagen für Männer und Frauen zur Verfügung stehen? Antwort auf Frage 3: In allen Einrichtungen stehen separate sanitäre Anlagen für Männer und Frauen zur Verfügung. In allen Einrichtungen und Notmaßnahmen des Landes Bremen, die auch mit weiblichen umA oder jungen Frauen im Rahmen des § 41 SGB VIII belegt werden, stehen nach Vorgabe der zuständigen Fachbehörde separate sanitäre Anlagen zur Verfügung. 4. Liegen dem Senat Hinweise oder Kenntnisse über die Ausübung von Gewalt an Frauen, minderjährigen Mädchen oder Homosexuellen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Übergangswohneinrichtungen für Flüchtlinge im Lande Bremen vor? 5. Wenn ja: Wie viele Hinweise auf Gewaltausübung an Frauen, minderjährigen Mädchen oder Homosexuellen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wurden gemeldet? Antwort auf die Fragen 4und 5: Weibliche umA werden grundsätzlich in geschlechtsspezifischen Regeleinrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nach §42 SGB VIII oder im Rahmen von Einzelsettings untergebracht. Sofern dies im Einzelfall am Ankunftstag bzw. in den ersten Aufnahmetagen am Wochenende noch nicht möglich ist, erfolgt eine besondere Sensibilisierung der Fachkräfte zur Wahrnehmung des Schutzauftrages bis hin zu räumlichen Maßnahmen. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport steht zudem bereits seit längerer Zeit in konkreten Planungen mit mehreren Träger der Kinder- und Jugendhilfe zum Ausbau von zusätzlichen Einrichtungen für weibliche umA. Die zeitnahe Umsetzung verzögert sich aktuell aufgrund der schwierigen Standort-/ Objektsuche bzw. bei bereits vorgesehenen Objekten durch zunächst erforderliche Umbaumaßnahmen. Bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport wurden in 2015 in Bezug auf weibliche umA keine besonderen Vorkommnisse zum Auswertungskriterium (körperliche und sexuelle) Gewaltausübung gemeldet. Meldepflichten nach dem spezifischen Differenzierungsmerkmal sexuelle Orientierung von männlichen umA (Homosexualität u.a.) bestehen nicht. Auch insgesamt liegen Meldungen zum Kriterium homophobe Gewalt in Bezug auf männliche umA nicht vor. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Bremen jedoch hinsichtlich des Verdachts auf eine sexuelle Missbrauchshandlung im Juni dieses Jahres in der Erstaufnahmeeinrichtung Steinsetzerstraße. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, sodass nähere Angaben zu den ggf. betroffenen umA zurzeit nicht möglich sind. Dem Fachkommissariat der Polizei Bremen sind keine Fälle bekannt, die inhaltlich der Anfrage entsprechen. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport steht im engen Kontakt mit den Einrichtungsleitungen der Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften und hat keine Kenntnis von körperlichen und sexuellen Gewaltausübungen gegenüber Frauen, Mädchen und Homosexuellen. Bei der Polizei Bremen ist allerdings ein Fall zur Anzeige gebracht worden, bei dem ein minderjähriger männlicher Flüchtling aus Syrien durch andere minderjährige männliche Flüchtlinge aus Afghanistan sexuell genötigt wurde. In diesem Fall dauern die Ermittlungen an. 4 6. Wie viele dieser Vorfälle wurden zur Anzeige gebracht? Antwort auf Frage 6: Siehe Antworten zu den Fragen 4 und 5. 7. Wie werden Opfer von Gewalt, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung betreut? Antwort auf Frage 7: Die Polizei Bremen vermittelt in Fällen von Gewalt, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung grundsätzlich an entsprechende Hilfeorganisationen und informiert und klärt in diesem Zusammenhang Betroffene auf und steht als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben zum Kinderschutz sowie den getroffenen Leistungsvereinbarungen stehen in der Kinder- und Jugendhilfe zunächst unmittelbar die Einrichtungsträger in der Pflicht, entsprechende Schutzmaßnahmen und Schutzkonzepte im Einzelfall zu erarbeiten. Im Rahmen der Fallverantwortung der Jugendämter haben die jeweils fallzuständigen Casemanager und Casemanagerinnen sowie die Amtsvormünder als gesetzliche Vertretungen der umA die Entscheidung über einen möglichen Verbleib oder die Herausnahme des umA und ggf. über weitere notwendige Hilfen im Einzelfall zu entscheiden. Im Übrigen stehen für Opfer von (sexueller) Gewalt die Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten aller bremischen Hilfesysteme, insbesondere der vom Senat geförderten Kinderschutz- und sonstigen Fachberatungsstellen auch des öffentlichen Gesundheitsbereiches, zur Verfügung. Soweit weiterergehende therapeutische Hilfen erforderlich sind, besteht über die Gesundheitskarte ein Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen nach dem SGB V. 8. Welche präventiven Maßnahmen ergreift der Senat, um in Flüchtlingseinrichtungen Gewalt, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung zu verhindern? Antwort auf Frage 8: Frauen vor Gewalt zu schützen, ist eine wichtige und zentrale Aufgabe. Viele Frauen, die als Flüchtlinge nach Bremen kommen, bringen je nach Herkunftsland geschlechtsspezifische Erfahrungen auch von Gewalt mit: Entführung, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung Zwangsverheiratung oder andere soziale, patriarchale Praktiken. Zudem erleben Frauen auch auf der Flucht Gewalt gegen sie als Frauen. Wenn sie also hier in Flüchtlingsunterkünften ankommen, haben sie Gewalterfahrungen, die auch für eine präventive Arbeit relevant sind. Dabei ist die aufgrund der individuellen Erfahrung mit Polizei in den Herkunftsländern evtl. bestehende Distanz zu berücksichtigen. Flüchtlingsunterkünfte, die aktuell und sicher auch in Zukunft immer auch Notunterkünfte sind bzw. sein werden, sind Orte, an denen es strukturell aus unterschiedlichen Gründen zu Übergriffen und Gewalt gegen Frauen und Kindern kommen kann. Hier können sich Frauen und Kinder nicht gut selbst gegen Gewalt schützen. Wichtig ist darüber hinaus der Blick auf Gewalt durch den Ehemann, Partner oder die Familie (sog. Häusliche Beziehungsgewalt). Die Polizeireviere sind in der Regel mit ihren Kontaktbeamten in den Unterkünften präsent und halten den Kontakt zu den Einrichtungen. Weiterhin sind für die Zukunft Maßnahmen erforderlich und geplant. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport sowie die Polizei Bremen stehen diesbezüglich in einem Austausch mit der ZGF. 5 Zukünftig sollen ressortübergreifend verbindliche Standards für Flüchtlingsunterkünfte zur Prävention von Eskalation, Gewalt und sexuellen Übergriffen mit allen Beteiligten vereinbart werden. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport plant derzeit Fortbildungen für die Träger zum Thema „vermeiden, erkennen und umgehen mit sexueller Gewalt gegenüber Flüchtlingen“. Die ZGF wird Aufklärungsmaterial zum Thema in verschiedenen Sprachen Ende November zur Verfügung stellen. Darüber hinaus wird es parallel ein Dossier für die Betreuenden geben mit Hintergrundinformationen. Auf der Website www.gewaltgegenfrauen.bremen.de werden unter der Rubrik „Eingewandert“ die wichtigsten Informationen für eingewanderte Frauen in 6 Sprachen zur Verfügung gestellt. Alle Träger, die Leistungen nach dem SGB VIII erbringen, sind gesetzlich zur Einhaltung der Schutzvorschriften und Verfahren zum Kinderschutz verpflichtet. Die konkrete Verpflichtung erfolgt im Rahmen der zu schließenden Leistungsvereinbarungen sowie in den hierzu geführten Fachgesprächen, in denen entsprechende Fachkonzepte nachzuweisen sind. Diese Auflagen erfolgen ferner im Wege der förmlichen Betriebserlaubniserteilung durch das Landesjugendamt bzw. analogen örtlichen Auflagen für vorübergehende Unterbringungen in sonstigen geeigneten Einrichtungen oder Wohnformen gemäß § 42 Absatz 1 Satz 2 SGB VIII und den neuen § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Die Maßnahmeträger sind zudem verpflichtet, sogenannte besondere Vorkommnisse im Einzelfall an die zuständige Fachbehörde zu melden. Darüber hinaus sind unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer auch selbst durch die Träger über ihre Rechte auf körperliche und seelische Unversehrtheit und mögliche Beschwerdewege aufzuklären. Gemäß Bundeskinderschutzgesetz sind ihnen auch konkrete einrichtungsinterne und externe Beschwerdemöglichkeiten aufzuzeigen. Den Trägern werden über die zuständige Fachbehörde darüber hinaus allgemeine Informationsmaterialien zum Thema Kinderschutz sowie spezifisch auch Materialien zum Thema sexuelle Gewalt zur Verfügung gestellt. Hierzu gehört z.B. auch eine überreichte Checkliste zu Mindeststandards im Bereich Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt. Den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe stehen im Rahmen der Entgelte des weiteren Mittel für Fortbildung und Supervision zur Verfügung, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezielt zu zentralen fachlichen Fragen, insbesondere auch des Kinderschutzes, fortlaufend weiter zu qualifizieren zu können. Drs-19-174 VB Flüchtlingsfrauen vor Gewalt schützen 20151124_1_KA Flüchtlingsfrauen vor Gewalt schützen