– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 1914 Landtag 19. Wahlperiode Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Unterbringung von hochgradig demenziell erkrankten Menschen im Land Bremen Um Demenzerkrankten möglichst lange ein Leben innerhalb ihrer Quartiere zu ermöglichen, haben sich Bremen und Bremerhaven auf den Weg gemacht, demenzfreundliche Kommunen zu werden. Je weiter aber die Erkrankung fortschreitet , desto weniger sind die Betroffenen in der Lage, eigenständig zu leben. Die vielfältigen Formen der Erkrankung erfordern ein Spektrum an unterschiedlichen Angeboten von ambulanter Betreuung bis hin zu stationären Einrichtungen. Je nach Krankheitsverlauf müssen auch die stationären Pflegeeinrichtungen auf individuelle Erfordernisse eingestellt sein, um Demenzerkrankte sicher unterzubringen. Wir fragen den Senat: 1. Wie hoch ist die Nachfrage nach professioneller Heimunterbringung für demenziell hochgradig erkrankte alte Menschen im Land Bremen in den letzten fünf Jahren gewesen (bitte nach Bremen und Bremerhaven aufschlüsseln )? 2. Wie werden betroffene Familien in Bremen und Bremerhaven über die verschiedenen Angebote an stationärer Unterbringung informiert? Gibt es eine Übersicht über die vorhandenen Einrichtungen für demenziell Erkrankte, die auch Informationen über die konzeptionelle Arbeit beinhalten? 3. Auf welche bundes- und landesrechtlichen Grundlagen stützt sich die Anerkennung beziehungsweise Nichtanerkennung von Einrichtungen zur Unterbringung demenziell Erkrankter im Lande Bremen? 4. Welche Auflagen der zulässigen beziehungsweise nichtzulässigen Arten von freiheitsentziehenden oder -einschränkenden Maßnahmen gibt es im Land Bremen? 5. Wie erfolgt die Zusammenarbeit der Bremer Heimaufsicht mit den Betreuungs -gerichten und den Ämtern für Soziales? Sieht der Senat Verbesserungsbedarf in der Zusammenarbeit? 6. Welche Rolle kommt aus Sicht des Senats der Bremer Heimaufsicht zu, um als demenzfreundliche Kommune wahrgenommen zu werden? Wie werden Angehörige der Betroffenen in Planungen einbezogen beziehungsweise informiert ? 7. Welche Kooperationen oder Vernetzungen bestehen, um sich über konzeptionelle Entwicklungen im Bereich Demenz in anderen Bundesländern auszutauschen und diese gegebenenfalls auch für das Land Bremen zu nutzen? Sahhanim Görgü-Philipp, Nima Pirooznia, Dr. Maike Schaefer und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – 2 – D a z u Antwort des Senats vom 13. November 2018 1. Wie hoch ist die Nachfrage nach professioneller Heimunterbringung für demenziell hochgradig erkrankte alte Menschen im Land Bremen in den letzten fünf Jahren gewesen (bitte nach Bremen und Bremerhaven aufschlüsseln )? Nachfragen nach professioneller Heimunterbringung werden nicht statistisch erfasst. Die Inanspruchnahme entsprechender Beratungsangebote kann jedoch ersatzweise als Indikator herangezogen werden. Eine wichtige Aufgabe in der Beratung von pflegebedürftigen Menschen haben die Pflegestützpunkte. Sie werden in steigender Anzahl angefragt. In den drei Pflegestützpunkten in Bremen und Bremerhaven sind im Jahr 2017 insgesamt 11 880 Beratungen zu Fragen der Pflege erfolgt. Allerdings wird in der Statistik der Pflegestützpunkte nicht erfasst, zu welchen Themen beraten worden ist. Ein gezieltes, kompetentes und unabhängiges Beratungsangebot zu Demenz bietet die Demenz Informations- und Koordinationsstelle (DIKS) in Bremen. Deren Beratungsstatistiken zeigen, dass die Anfragen nach stationären Unterbringungen in den letzten fünf Jahren auf vergleichbarem Niveau geblieben sind. Etwa acht bis neun Prozent aller Beratungsanfragen bei dieser Informationsstelle, die nur in der Stadt Bremen tätig ist, beziehen sich auf das Thema „stationäre Unterbringung“. Festzustellen ist allerdings auch, dass es – sowohl in Bremen wie auch in Bremerhaven – nur wenig freie Plätze in Einrichtungen mit speziellen Demenzwohnbereichen gibt. Angehörige haben deshalb oftmals Schwierigkeiten , einen passenden Platz für die Betroffenen zu finden. Dies kann zu einer hohen Belastung der Angehörigen führen. Gegebenenfalls muss auf Einrichtungen ausgewichen werden, die keine speziellen Demenzwohnbereiche haben. 2. Wie werden betroffene Familien in Bremen und Bremerhaven über die verschiedenen Angebote an stationärer Unterbringung informiert? Gibt es eine Übersicht über die vorhandenen Einrichtungen für demenziell Erkrankte , die auch Informationen über die konzeptionelle Arbeit beinhalten ? Die drei Pflegestützpunkte im Land Bremen sind grundsätzlich Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige, die Beratung in Sachen Pflege benötigen . Die Pflegestützpunkte organisieren zudem Informationsveranstaltungen rund um das Thema Demenz. Der Pflegestützpunkt Bremerhaven bietet außerdem eine Demenzberatung an. Über Angebote an stationären Einrichtungen beraten zudem der kommunale Sozialdienst des Amtes für Soziale Dienste, der Sozialdienst Erwachsene sowie die Dienstleistungszentren. Letztere sind mit insgesamt 17 Stellen bremenweit verortet. Zudem beraten die Krankenhaussozialdienste des Landes Bremen bei Unterbringungsbedarfen nach Krankenhausentlassung . Das Sozialamt Bremerhaven bietet Beratung für Seniorinnen und Senioren über sechs Seniorentreffpunkte an. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport ist Mitherausgeberin der Broschüre „Älter werden in Bremen“. Sie enthält das „Bremer Wohnstättenverzeichnis“. Vom Magistrat der Stadt Bremerhaven wird die Broschüre „Älter werden in Bremerhaven“ herausgegeben, die ebenfalls Informationen zu stationären Einrichtungen enthält. Ein gezieltes, kompetentes und unabhängiges Beratungsangebot zu Demenz bietet die Demenz Informations- und Koordinationsstelle (DIKS) in – 3 – Bremen. Auf der Homepage www.diks-bremen.de sind Wohngemeinschaften und Pflegeheime beschrieben, die einen besonderen Schwerpunkt in der Demenzversorgung haben. Von der DIKS wird gemeinsam mit der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport und dem Fachgremium „Bremer Forum Demenz “ das „Bremer Handbuch Teil 2“ herausgegeben, in dem viele demenzspezifische stationäre Pflegeeinrichtungen und Wohngemeinschaften in Bremen-Stadt aufgelistet sind. Das Handbuch wird regelmäßig aktualisiert . 3. Auf welche bundes- und landesrechtlichen Grundlagen stützt sich die Anerkennung beziehungsweise Nichtanerkennung von Einrichtungen zur Unterbringung demenziell Erkrankter im Lande Bremen? Die Pflegekassen dürfen Leistungen zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch XI nur für Pflegeeinrichtungen gewähren, mit denen sie einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI abgeschlossen haben. Die zuständige Stelle für die Zulassung als Pflegeeinrichtung und für den Abschluss eines Versorgungsvertrages nach dem Sozialgesetzbuch XI sind die Landesverbände der Pflegekassen. Zusatzbestimmungen ergeben sich durch das Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG) und die dazu bestehenden Verordnungen. Diese beziehen sich unter anderem auf die baulichen und die personellen Anforderungen sowie auf die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner . Das BremWoBeG sowie die entsprechenden Verordnungen enthalten für die Unterbringung von demenzerkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern keine besonderen Regelungen. Gleichwohl erlauben die heimordnungs -rechtlichen Vorschriften eine hinreichende Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse auch demenzkrankter Bewohnerinnen und Bewohner. 4. Welche Auflagen der zulässigen beziehungsweise nichtzulässigen Arten von freiheitsentziehenden oder -einschränkenden Maßnahmen gibt es im Land Bremen? Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz geben hierfür einen klaren Rechtsrahmen vor: Freiheitsentziehende oder anderweitig einschränkende Maßnahmen sind nur dann zulässig, wenn ein richterlicher Beschluss zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen gemäß § 1906 BGB vorliegt. Dieser kann ausschließlich dann Anwendung finden, wenn die Gefahr besteht , dass sich die betroffene Person ohne die Maßnahme selbst töten oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Das Übermaßverbot gebietet es, stets das mildeste Mittel zu wählen. Jeder Einzelfall bedarf einer sorgfältigen, interdisziplinären Prüfung, ob eine freiheitsentziehende Maßnahme tatsächlich als letztes mögliches Mittel zwingend erforderlich ist. Freiheitsentziehende Maßnahmen können in vielfältiger Weise auftreten. Dazu gehören unter anderem verschlossene Ausgänge, Trickschlösser, Zahlencodeschlösser, versteckte oder folierte Türen, Türschwellen, die aus eigener Kraft nicht überwunden werden können, ruhigstellende Medikamente , Bettgitter oder Fixierungen. Alle Maßnahmen sind ohne richterlichen Beschluss unzulässig. 5. Wie erfolgt die Zusammenarbeit der Bremer Heimaufsicht mit den Betreuungsgerichten und den Ämtern für Soziales? Sieht der Senat Verbesserungsbedarf in der Zusammenarbeit? Die Zusammenarbeit der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht mit den Betreuungsgerichten und den Ämtern für Soziales erfolgt auf den Einzelfall bezogen im direkten Austausch anhand der Erfordernisse des konkreten Sachverhalts. – 4 – Zudem erfolgt die Klärung einzelfallunabhängiger Fragen und der Zusammenarbeit in der Regional AG Betreuungsrecht durch einen regelmäßigen Austausch zwischen dem Betreuungsgericht, der Betreuungsbehörde des Amtes für Soziale Dienste Bremen, dem medizinischen Dienst der Krankenkassen , der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz und der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport unter Beteiligung der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht. Auch rechtliche Betreuer und Träger werden themenbezogen zur Regional AG eingeladen. Die Treffen erfolgen aktuell zweimal jährlich unter Federführung der örtlichen Betreuungsbehörde. Die Installierung der Regional AG ist auf den gesetzlichen Auftrag der örtlichen Betreuungsbehörde zurückzuführen , welche örtliche, einzelfallübergreifende Steuerungstätigkeiten koordinieren soll. Insofern sieht der Senat derzeit keinen Verbesserungsbedarf in der Zusammenarbeit. 6. Welche Rolle kommt aus Sicht des Senats der Bremer Heimaufsicht zu, um als demenzfreundliche Kommunen wahrgenommen zu werden? Wie werden Angehörige der Betroffenen in Planungen einbezogen beziehungsweise informiert? Leistungsanbieter haben das Selbstbestimmungsrecht der pflegebedürftigen Menschen zu wahren, das auch das Recht beinhaltet, die Einrichtung jederzeit verlassen und wieder betreten zu können. Gleichzeitig haben die Einrichtungen die Verantwortung dafür, dass die Bewohnerinnen und Bewohner sich nicht durch das Verlassen der Einrichtung in Gefahr begeben. Beides gilt uneingeschränkt auch für Menschen mit Demenz, solange nicht personenbezogen Gerichtsentscheidungen vorliegen, die das Selbstbestimmungsrecht einschränken und freiheitsbeschränkende Maßnahmen zulassen. Der Umgang mit diesem Zielkonflikt gehört zum regelmäßigen Prüfprogramm der Wohn- und Betreuungsaufsicht. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht stößt dabei auch mitunter auf Sicherheitslösungen, die im gesetzeswidrigen Bereich freiheitsbeschränkender Maßnahmen liegen. In diesen Fällen wird genauer geprüft, inwieweit eine selbstbestimmte Bewegung der Bewohnerinnen und Bewohner möglich ist. Die Leistungsanbieter werden dazu entsprechend beraten. Wenn eine entsprechende Beratung nicht dazu führt, dass der Leistungsanbieter die Ziele der Selbstbestimmung und der Sicherheit in einen zu verantwortenden Einklang bringt, kann die Wohn- und Betreuungsaufsicht durch Anordnungen darauf einwirken. Die Leistungsträger sind frei in der Gestaltung und Konzepterstellung. Es bedarf guter Betreuungsformen für diesen besonders gefährdeten Personenkreis . Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport fordert konzeptionelle Ausrichtungen, die sich innerhalb der gesetzlichen Vorgaben bewegen und damit den Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen möglichst vermeiden. Die Einbindung von Angehörigen der Bewohnerinnen und Bewohner in Planungen obliegt dem Leistungsanbieter und liegt damit in seiner Verantwortung . Dies ergibt sich aus den in § 10 des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes geregelten Anforderungen zur Transparenz und Informationspflicht des Leistungsanbieters. 7. Welche Kooperationen oder Vernetzungen bestehen, um sich über konzeptionelle Entwicklungen im Bereich Demenz in anderen Bundesländern auszutauschen und diese gegebenenfalls auch für das Land Bremen zu nutzen? Die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport beteiligt sich seit 2012 an dem Bundesmodellprogramm „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“. In den Lokalen Allianzen vernetzen sich Partner mit – 5 – dem Ziel, die Lebenssituation für Menschen mit Demenz und für ihre Angehörigen dauerhaft zu verbessern und Demenzerkrankten und ihren Angehörigen direkt in ihrem Wohnumfeld die bestmögliche Unterstützung zu bieten. Aktuell ist das Projekt: „Älter werden in Blumenthal“ noch in der Förderung. Das Bundesmodellprogramm „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ geht mit Ablauf dieses Jahres zu Ende. Das Land Bremen beteiligt sich auch an den Treffen einer bundesweiten Initiative zu Demenz und Migration: „DeMigranz“. Dieses von der Robert- Bosch-Stiftung Stuttgart ins Leben gerufene Projekt startete am 6. März 2018. Mit „DeMigranz“ wird das Ziel verfolgt, die Lebenssituation von Menschen mit Demenz und Migrationshintergrund zu verbessern. In einem mehrjährigen Prozess will „DeMigranz“ Akteure und Netzwerke aus Politik und Praxis zusammenbringen, damit sich dauerhafte Beratungsund Informationsangebote entwickeln und eine bundesweite Vernetzung möglich wird. Darüber hinaus partizipiert das Land Bremen an der Arbeit der Deutschen Alzheimergesellschaft (DAlzG), dem Bundesdachverband von 130 Alzheimer Gesellschaften. Die DAlzG ist aktiv für ein besseres Leben mit Demenz . Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, Menschen, die ehrenamtlich oder beruflich mit Demenzkrankten zu tun haben, sowie alle Interessierten finden auf der Homepage Informationen rund um das Thema Demenz, hilfreiche Tipps, Veranstaltungshinweise und Adressen. Die DAlzG führt unter anderem zusätzlich Fortbildungen und Veranstaltungen durch, berät Politik und organisiert den Welt-Alzheimer-Tag. Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 1914 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Unterbringung von hochgradig demenziell erkrankten Menschen im Land Bremen Antwort des Senats vom 13. November 2018