– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 1924 Landtag 20.11.18 19. Wahlperiode Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 26. September 2018 Umsetzung des Vertrags von Marrakesch Der Vertrag von Marrakesch regelt, unter welchen Voraussetzungen blinde und seh- oder anderweitig lesebehinderte Menschen einen gesetzlich erlaubten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken erhalten. Ziel bei diesem völkerrechtlichen Vertrag ist es, den Zugang blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen zu urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützten Werken zu verbessern. Dies wird durch Verpflichtungen der Unterzeichner gewährleistet, in ihren Urheberrechtsgesetzen bestimmte Beschränkungen beziehungsweise Ausnahmebestimmungen zugunsten von Blinden, Sehbehinderten und sonst Lesebehinderten Menschen vorzusehen . Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 7. Juli 2018 (Drs. 258/18) sieht eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes vor, indem die bereits bestehende gesetzliche Erlaubnis für den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu urheberrechtlich geschützten Inhalten in § 45a UrhG durch die neuen §§ 45b bis 45d UrhG-E ergänzt wird. Derzeit stehen Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung nur 5 Prozent aller veröffentlichten Werke in einem zugänglichen Format zur Verfügung. Dies ist für die betroffenen Menschen völlig inakzeptabel. Die Umsetzung der Ziele des Vertrags von Marrakesch hat daher höchste Priorität. Wir fragen den Senat: 1. Wie wird sich das Land Bremen im Bundesrat zu dem Gesetzesentwurf verhalten? 2. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um die Umsetzung des Vertrags im Bund zu unterstützen? 3. Welche Maßnahmen sind für das Land Bremen notwendig, um die Ziele des Vertrags zu erreichen? 4. Hält der Senat die bisherigen Anstrengungen der öffentlichen Verwaltung im Lande Bremen für ausreichend, um zum Beispiel amtliche Dokumente, Vorlagen und so weiter barrierefrei zu gestalten? 5. Sind die Bestände der Bibliotheken im Lande Bremen entsprechend dieser Verpflichtungen für Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung zugänglich ? 6. Trifft diese Verpflichtung auch die Veröffentlichung der Universität und der Hochschulen und wenn ja, erfüllen sie diese? Rainer Hamann, Antje Grotheer, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD – 2 – D a z u Antwort des Senats vom 20. November 2018 Vorbemerkung: Dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie über einen verbesserten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zugunsten von Menschen mit einer Seh- und Lesebehinderung liegt der völkerrechtliche Vertrag vom 27. Juni 2013 (sogenannte Marrakesch-Vertrag) zugrunde, der für die Vertragsparteien regelt, dass in der nationalen Gesetzgebung Ausnahmen zum Urheberrecht vorgesehen werden, um seh- oder lesebehinderten Personen einen gesetzlich erlaubten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zu ermöglichen. Der Vertrag sieht darüber hinaus Ausnahmen in den nationalen Urhebergesetzen vor, die insbesondere Blindenbibliotheken die Herstellung barrierefreier Formate, den weltweiten Austausch dieser Formate mit befugten Stellen in allen Vertragsstaaten sowie die Bereitstellung über das Internet ermöglichen sollen. 1. Wie wird sich das Land Bremen im Bundesrat zu dem Gesetzesentwurf verhalten? Der Bundesrat hat auf Empfehlung des Kulturausschusses im ersten Durchgang zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG Stellung genommen, vergleiche BR-Drs. 258/18, der federführende Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss haben gegen den Gesetzesentwurf keine Einwendungen erhoben. Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz in seiner 58. Sitzung am 18. Oktober 2018 verabschiedet. Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrats. 2. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um die Umsetzung des Vertrags im Bund zu unterstützen? Die Europäische Union hat den Vertrag von Marrakesch im Jahr 2017 durch die Richtlinie (EU) 2017/1564 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. September 2017 (Marrakesch-Richtlinie) umgesetzt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung setzt diese Richtlinie in nationales Recht um. Danach soll Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung ein verbesserter Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken ermöglicht werden: Das Urhebergesetz wird dahingehend geändert, dass es blinden, seh- und lesebehinderten Menschen sowie „befugte Stellen“ (insbesondere Blindenbibliotheken und Blindenschulen ) erlaubt ist, ohne Erlaubnis des Urhebers barrierefreie Formate von urheberrechtlich geschützten Textwerken herzustellen, zum Beispiel durch Umwandlung in Hörbücher oder in Brailleschrift. Befugte Stellen dürfen diese Exemplare mit anderen befugten Stellen austauschen. Nutzungen durch befugte Stellen sind angemessen zu vergüten. Dieser Gesetzesentwurf ist im Bundesrat im ersten Durchgang unterstützt worden . Der Senat hält das Gesetz für gelungen, die Verpflichtungen aus dem Abschluss des Vertrags von Marrakesch umzusetzen und einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft und den berechtigten Interessen der Rechteinhaber an den Werken, also Autoren und Verlagen, zu schaffen. Der Senat begrüße überdies, dass die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen eine finanzielle Unterstützung der Blindenbibliotheken und anderer befugter Stellen in Deutschland in Form einer einmaligen Finanzierungshilfe zu ermöglichen. 3. Welche Maßnahmen sind für das Land Bremen notwendig, um die Ziele des Vertrags zu erreichen? – 3 – Der Vertrag von Marrakesch verfolgt das Ziel, durch eine Harmonisierung der Ausnahmen in den nationalen Gesetzen zum Urheberrecht in den Unterzeichnerstaaten die Befugnisse von blinden, sehbehinderten oder anderweitig lesebehinderten Menschen sowie Blindenbibliotheken und anderer befugter Stellen auszubauen, indem sie aus urheberrechtlich geschützten Werken ohne Zustimmung des Rechtsinhabers barrierefreie Werkexemplare herstellen dürfen . Da die Gesetzgebungskompetenz für das Urheberrecht beim Bund liegt, kann dieses Ziel nur durch Schaffung bundesgesetzlicher Regelungen erreicht werden. Der genannte Gesetzesentwurf der Bundesregierung setzt dieses Ziel um. Der Senat geht davon aus, dass im Land Bremen von den erweiterten Befugnissen durch die Betroffenen selbst und von den befugten Institutionen Gebrauch gemacht werden wird. 4. Hält der Senat die bisherigen Anstrengungen der öffentlichen Verwaltung im Lande Bremen für ausreichend, um zum Beispiel amtliche Dokumente, Vorlagen und so weiter barrierefrei zu gestalten? Nach der Bremischen Verordnung über barrierefreie Dokumente haben alle beteiligten natürlichen Personen eines Verwaltungsverfahrens wegen Blindheit oder einer anderen Sehbehinderung zur Wahrnehmung eigener Rechte einen Anspruch darauf, dass ihnen innerhalb des Verwaltungsverfahrens Dokumente in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Die Zugänglichmachung kann schriftlich, elektronisch, akustisch, mündlich oder in sonstiger Weise erfolgen. Die Berechtigten haben ein Wahlrecht zwischen diesen Formen. Auslagen für besondere Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass dem Berechtigten Dokumente barrierefrei zur Verfügung gestellt werden, werden nicht erhoben. 5. Sind die Bestände der Bibliotheken im Lande Bremen entsprechend dieser Verpflichtungen für Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung zugänglich ? Eine Verpflichtung von Urhebern, ihre Werke selbst barrierefrei zugänglich zu machen, ist weder im Vertrag von Marrakesch noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen. Ebenso wenig verpflichtet der Gesetzentwurf einzelne Institutionen, ihren Bestand barrierefrei verfügbar zu machen. Unbeschadet dieser Rechtslage engagieren sich die öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Bremen dafür, sehbehinderten Bürgerinnen und Bürgern sowie Studierenden barrierefreien Zugang zu dem Medienangebot und wissenschaftlicher Literatur zu verschaffen: So gibt es im Lande Bremen innerhalb der Stadtbibliotheken Bremen und Bremerhaven Medien für blinde, sehbehinderte oder anderweitig lesebehinderte Personen. Dazu zählen Bücher in Großdruck und Hörbücher sowie digitale Medien wie E-Books, deren Schrift beliebig je nach Bedarf vergrößert werden kann und Hörbücher im E-Audio Format. In der Stadtbibliothek Bremen gibt es darüber hinaus auch Hörbücher im DAISY-Hörformat (DAISY („Digital Accessible Information System“), ein entsprechendes Abspielgerät kann in einer der Stadtteilbibliotheken im Stadtteil Lesum entliehen werden. Neben dem Medienangebot sind alle Gebäude der Stadtbibliothek Bremen barrierefrei für Menschen mit Sehbehinderung zugänglich . In der Zentralbibliothek steht ein PC mit Großschrifttastatur und besonderen Einstellungsmöglichkeiten für Menschen mit Sehbeeinträchtigung (großer Bildschirm mit Lupe und Hörfunktion) zur Verfügung. Menschen mit einem Nachweis über die Sehbehinderung werden von beiden Stadtbibliotheken in Bremen und Bremerhaven auf die Angebote der meist privatrechtlich auf Vereinsbasis organisierten Blindenbibliotheken hingewiesen, beispielsweise auf das Angebot der Norddeutschen Büchereien für blinde und sehbehinderte Menschen, deren Angebot dem einer öffentlichen Bibliothek entspricht (https://blindenbuecherei.de/). Die Norddeutsche Blindenhörbücherei e. V. und Stiftung Centralbibliothek für Blinde mit Sitz in Hamburg wird von den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen in – 4 – Höhe von insgesamt 461 000 Euro finanziert; gemäß Königsteiner Schlüssel steuert Bremen dabei jährlich eine institutionelle Zuwendung in Höhe von rund 19 000 Euro bei. Von den circa 60 Millionen Ressourcen, die die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) über ihre Suchmaschine ELib bereitstellt, entfallen lediglich 5 Prozent auf gedruckte Bücher und Zeitschriftenbände. Bei circa 95 Prozent der bereitgestellten Ressourcen handelt es sich um digitale Ressourcen, die die Bibliothek entweder als frei verfügbare wissenschaftliche „open access“ Publikationen oder als lizenzierte Verlagspublikationen über die ELib verfügbar macht. In der Regel verfügen blinde oder hochgradig sehbehinderte Nutzerinnen und Nutzer der SuUB über einschlägige Softwareprogramme, die digitale Texte stark vergrößern oder in Audiodaten umwandeln, sodass eine Nutzung am eigenen PC oder Notebook möglich ist. 6. Trifft diese Verpflichtung auch die Veröffentlichung der Universität und der Hochschulen und wenn ja, erfüllen sie diese? Wie zu Frage 5 dargestellt, verpflichtet weder der Vertrag von Marrakesch noch der Gesetzentwurf die Urheber zu einer barrierefreien Veröffentlichung ihrer Werke, sondern lediglich zu einer Duldung der Verwertung zugunsten Blinder und Sehbehinderter. Der Senat geht davon aus, dass diese Verpflichtung durch die Urheber erfüllt wird. Weiterhin geht der Senat davon aus, dass durch die in der Antwort zu Frage 5 dargestellten Maßnahmen der Zugang Blinder und Sehbehinderter zu den Veröffentlichungen der Universität und der Hochschulen beziehungsweise ihrer Mitglieder sichergestellt ist. Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 1924 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 26. September 2018 Umsetzung des Vertrags von Marrakesch