– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 1978 Landtag (zu Drs. 19/1908) 19. Wahlperiode 18.12.18 Mitteilung des Senats vom 8. November 2018 Ambulante Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung Die Fraktion DIE LINKE hat unter Drucksache 19/1908 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. 1. Wie viele Patientinnenkontakte/Patientenkontakte hatten die Humanitären Sprechstunden des Gesundheitsamtes Bremen und Bremerhaven in den Jahren 2016, 2017 und 2018 (bitte nach Stadtgemeinde und Jahr differenzieren )? Die Patientinnenkontakte/Patientenkontakte der Humanitären Sprechstunde der Stadtgemeinde Bremen haben sich in den letzten drei Jahren wie folgt entwickelt: 2016: 508 2017: 457 2018: 362 (bis Ende 3. Quartal) Patientinnenkontakte/Patientenkontakte in Bremerhaven: 2016: 419 2017: 95 2018: 363 (bis Ende 3. Quartal) Die von 2016 auf 2017 vor allem in Bremerhaven rückläufigen Zahlen erklären sich durch den Rückgang der Geflüchteten als auch von EU- Bürgerinnen/EU-Bürgern. 2. Wie hat sich die Personalsituation in den Humanitären Sprechstunden entwickelt ? Mit welchem Umfang waren Allgemeinärztinnen/Allgemeinärzte und Fachärztinnen/Fachärzte sowie medizinische Fachkräfte in den Humanitären Sprechstunden beschäftigt (bitte jeweils zum Stichtag 1. Juni 2016, 1. Juni 2017 und 1. Juni 2018 angeben)? Bis Mitte Juli 2018 wurde der Personalbedarf für die Humanitäre Sprechstunde Bremen aus dem Personalkern des ärztlich und zusätzlich mit einer medizinischen Fachkraft besetzten Referates „Migration und Gesundheit“ abgedeckt. Ab Juli 2018 steht für die Humanitäre Sprechstunde Bremen eine 0,5 Arztstelle zur Verfügung. Die Vertretung in Zeiten von Abwesenheit wird weiterhin unter Rückgriff auf das Personal des dortigen Referates organisiert. In Bremerhaven stehen eine Ärztin, eine Gesundheitswissenschaftlerin, zwei Krankenschwestern und eine Sozialpädagogin zur Verfügung, die neben der Humanitären Sprechstunde auch andere Aufgaben wahrnehmen . – 2 – 3. Wird der von der Gesundheitssenatorin in der Bürgerschaftsdebatte im August 2017 angekündigte Fonds zur Abrechnung ärztlicher Leistungen inzwischen zur Sicherstellung der Versorgung verwendet? Wenn nein, warum nicht und wie wird stattdessen verfahren? Der Fonds wird zur Sicherstellung der Versorgung verwendet. Ab 2018 wurden für die Humanitäre Sprechstunde Bremen Mittel für Sachkosten in Höhe von 100 000 Euro und 13 000 Euro für Personal bewilligt. Hieraus können die Kosten der Behandlung und Weiterversorgung im niedergelassenen Bereich im Rahmen einer „Akut- und Basisversorgung“ übernommen werden. Auf Grundlage eines im Jahr 2018 erarbeiteten und juristisch geprüften Zuwendungsvertrags mit einigen Gynäkologinnen und Gynäkologen kann auch die große Gruppe der Schwangeren versorgt werden. Für die Überweisungen zur stationären Behandlung im Fall von Entbindungen wurde im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit den vier Geburtskliniken Bremens eine Pauschale von 600 Euro pro Fall vereinbart. Ein vergleichbarer Zuwendungsvertrag wird derzeit mit Zahnärzten erarbeitet . Für die weitere fachärztliche Versorgung lassen sich die Behandlungskosten aufgrund des breiten Krankheitsspektrums nicht pauschalisieren. In diesen Einzelfällen wird mit Arztpraxen eine Übernahme von Kosten vereinbart . Angestrebt wird eine Erweiterung auf mehrere Arztpraxen verschiedener Fachrichtungen. 4. 2017 gab es das Problem, dass nicht alle notwendigen fachärztlichen Behandlungen sichergestellt waren. Ist die Behandlung durch niedergelassene Fachärztinnen/Fachärzte aller Fachrichtungen inzwischen flächendeckend gewährleistet und geregelt? Welche Facharztrichtungen werden derzeit per Überweisungen abgedeckt? Wie gehen die Überweisungen konkret vonstatten? Patientinnen und Patienten werden in der Humanitären Sprechstunden Bremen mit Hilfe eines standardisierten Aufnahmebogens aufgenommen. Es findet – soweit wie möglich – eine Überprüfung statt, ob der Patient zu der Zielgruppe der Humanitären Sprechstunde gehört. Anamnese und Diagnostik finden im Rahmen der medizinischen Basisversorgung einschließlich Behandlung vor Ort statt, inklusive der Ausgabe von Medikamenten und bei Bedarf Ausstellung eines Rezeptes. Wenn aus ärztlicher Sicht das Hinzuziehen einer Fachärztin/eines Facharztes notwendig ist, wird folgendermaßen vorgegangen: im Falle von schwangeren Frauen wird ein Termin vereinbart und die betreffende Frau erhält dann die erforderliche Schwangerschaftsvorsorge in der von der Humanitären Sprechstunde angesprochenen gynäkologischen Praxis. Es besteht eine Vergütungsvereinbarung (siehe die Antwort zu Frage 3). Auf Wunsch der beteiligten Arztpraxen wird darauf geachtet, die Praxen gleichmäßig, beziehungsweise nach deren Vorgabe auszulasten. Für Patientinnen und Patienten, die eine andere fachärztliche Versorgung oder Diagnostik brauchen, wird mit kooperierenden Praxen in der Regel auch telefonisch Kontakt aufgenommen und ein Termin vereinbart. Patientinnen und Patienten erhalten einen Überweisungsbrief für die weiterbehandelnde Ärztin/den weiterbehandelnden Arzt sowie den Ausdruck einer Wegbeschreibung zur Praxis unter Angabe des Termins. In Bremerhaven ist eine flächendeckende Gewährleistung durch niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte für Gynäkologie gegeben. Es wird – 3 – ein Vordruck von der Humanitären Sprechstunde mit den notwendigen Informationen über die gesundheitlichen Beschwerden und bisherige Befunde für den Facharzt/die Fachärztin mitgegeben. 5. Müssen die Patientinnen/Patienten für jede Behandlung zur Humanitären Sprechstunde, um eine Überweisung an eine Fachärztin/einen Facharzt zu erhalten? Eine Überweisung ist erforderlich, weil die Humanitäre Sprechstunde in der Sprechstunde grundsätzlich eine Akut- und Basisversorgung anbietet. Diese beinhaltet neben der Anamnese eine körperliche Untersuchung, je nach Befund eine Laboruntersuchung, gegebenenfalls eine erste medikamentöse Behandlung und – falls erforderlich und möglich – die Weiterleitung zu Fachärztinnen/Facharzt oder auch in stationäre Behandlung. Durch die Überweisung wird sichergestellt, dass Patientinnen und Patienten zu den Ärztinnen/Ärzten gehen, die bereit sind, sie aufzunehmen und mit denen auch über die Kosten Absprachen getroffen wurden. Darüber hinaus ist es für die Steuerung des Projektes notwendig, den Überblick über die Behandlungskosten und über die Versorgungswege zu behalten. Zudem muss die Sicherheit bestehen, dass es sich tatsächlich um Angehörige der Zielgruppe handelt, für die die Humanitäre Sprechstunde bestimmt ist, und dass somit keine Krankenversicherung vorliegt. Nach den bisherigen Erfahrungen versuchen auch touristisch Reisende oder Menschen mit geduldetem Aufenthaltsstatus aus anderen Bundesländern von dem Angebot der Humanitären Sprechstunde Gebrauch zu machen. Auch Patientinnen und Patienten, die in einer niedergelassenen Praxis keinen zeitnahen Termin erhalten, wenden sich gelegentlich dann an die Humanitäre Sprechstunde. Ein weiterer Grund für die Bindung an eine in der Humanitären Sprechstunde ausgestellte Überweisung liegt darin, dass die Lebenssituation zwischen Duldung und Beschäftigung fluktuiert, und wenn eine Beschäftigung vorliegt, ist auch in der Regel eine Krankenversicherung vorhanden, und es besteht dann kein Anspruch auf das Angebot der Humanitären Sprechstunde. In Bremerhaven wird bei verlässlicher kontinuierlicher Weiterbehandlung durch dieselbe Fachärztin/denselben Facharzt keine erneute Überweisung erforderlich. 6. Wie bewertet der Senat das Modell des „anonymen Krankenscheins“, der einen weitergehenden Zugang zum Regelsystem der Gesundheitsversorgung ermöglicht und damit die Hürden der Inanspruchnahme und Stigmatisierung minimiert sowie einen Minderaufwand für Patientinnen/Patienten und Ämter bedeutet? Die gesundheitliche Versorgung papierloser Menschen ist in der UN- Menschenrechtscharta von 1948 verankert. Diese wird in den Nationen weltweit sehr unterschiedlich umgesetzt. Sie basiert im Wesentlichen auf ehrenamtlichem Engagement von Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und Praxen oder über Humanitäre Sprechstunden zum Beispiel im öffentlichen Gesundheitsdienst. Der Anonyme Krankenschein (AKS) wird bisher nur in Niedersachsen und Thüringen eingesetzt. Er ermöglicht papierlosen Menschen ähnlich der Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine erweiterte medizinische Versorgung zum Beispiel bei Fachärztinnen und Fachärzten, medizinischen Versorgungszentren und Krankenhäusern, die diese Leistungen nunmehr abrechnen können. Der AKS funktioniert wie eine Überweisung und ist drei Monate gültig. In Niedersachsen gibt es erste Erfahrungen aus einem Modellprojekt, das Ende Januar 2016 begonnen wurde und nach Ablauf von drei Jahren evaluiert werden soll. Problematisch scheint nach ersten Erfahrungen immer wieder die Leistungsbegrenzung nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz mit Beschränkung auf akute Erkrankungen, Schmerzzustände und Impfungen zu sein, die insbesondere bei der Versorgung chronisch Erkrankter – 4 – zum Tragen kommt, ebenso die begrenzte Finanzierung des Modellprojektes (Fondsmodell statt Finanzierung nach medizinischer Indikation). Es bedarf zudem umfassender Aufklärungsarbeit im Bereich der Ärzteschaft, um Vertrauen in das Projekt zu schaffen. In Hannover wurden im ersten Halbjahr 2016 von den Vergabestellen 32 papierlose Menschen mit einem AKS an Fachärztinnen und Fachärzte verschiedener Fachrichtungen überwiesen, in Göttingen waren es 15 Personen . Die Abrechnung der medizinischen Leistungen erfolgt über die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen gegenüber der Sozialbehörde , die das Modellprojekt mit jährlich einer halben Million Euro bezuschusst . In Thüringen gibt es den AKS erst seit 2017. Er wird über einen Verein (Refugio) in Jena ausgegeben und ist über das Thüringer Sozialministerium finanziert. Nähere Informationen zum Einsatz des AKS in Thüringen liegen derzeit nicht vor. Grundsätzlich ist das Personal der Humanitären Sprechstunde ebenso wie das gesamte medizinische Personal der Gesundheitsämter der ärztlichen Schweigepflicht unterworfen. Das gilt auch für das Angebot einschließlich der Personendaten. In über zehn Jahren des Bestehens der Humanitären Sprechstunde hat es in dieser Hinsicht kein Problem gegeben. Die anerkannt gute Praxis des „Bremer Modells“, das sich in allgemein als vorbildlich gewerteter Weise um die Versorgung der Asylsuchenden und Flüchtlinge bemüht, hat die Erfahrung erbracht, dass ein Krankenschein beziehungsweise „anonymer Krankenschein“ keine optimale Lösung darstellt . In Abstimmung mit der AOK wird stattdessen die Ausgabe einer Gesundheitskarte favorisiert, wodurch Kosten und Verwaltungsaufwand eingespart werden. Ein „anonymer Krankenschein“ würde Missbrauch nicht ausschließen. Das Konzept der Humanitären Sprechstunde Bremen geht davon aus, dass die Gesundheitsprobleme der Zielgruppe am besten in der Hand des gesundheitsamtlichen Personals aufgehoben sind und nicht an die Sozialämter beziehungsweise an nicht medizinfachliches Personal abgegeben werden sollten. Auf diese Weise bleiben die Entscheidungen über die beste jeweilige Versorgung in der fachlichen Kompetenz. Das Angebot der Humanitären Sprechstunde Bremen mit der seit 2018 erhöhten finanziellen Ausstattung für medizinische Leistungen und Personal wird somit als angemessen und ausreichend angesehen und wird zunächst erprobt. Sofern nach einer Erprobungszeit festgestellt werden sollte, dass die mit den erhöhten finanziellen Mitteln ausgestattete Humanitäre Sprechstunde den Bedarfen nicht gerecht wird, sollen die in den Flächenländern Niedersachsen und Thüringen bis dahin gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen und somit die Einführung eines AKS gemeinsam mit dem Gesundheitsamt in Bremerhaven erneut bewertet werden. 7. Was ist aus den vom Gesundheitsressort im April 2017 für notwendig erachteten konzeptionellen Veränderungen für die Humanitäre Sprechstunde geworden? Wann gedenkt der Senat, das angekündigte Konzept vorzulegen? Das Konzept für eine Neuausrichtung der Humanitären Sprechstunde Bremen wurde erarbeitet und der Fachebene vorgelegt. Es befindet sich im Abstimmungsverfahren zwischen den verschiedenen Beteiligten. Elemente wie etwa die Optimierung der Netzwerke mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten wurden bereits umgesetzt. Danach erfolgt eine Beschlussfassung und Veröffentlichung durch den Senat. Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 1978 Mitteilung des Senats vom 8. November 2018 Ambulante Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung