– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 1981 Landtag 19. Wahlperiode Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 8. November 2018 Gewährleistung medizinischer Notfallversorgung von Menschen ohne Papiere In Deutschland haben alle hier lebenden Menschen ein Recht auf Gesundheit. Dieses Recht kann auf unterschiedlichste Weise abgeleitet werden. Schon im deutschen Grundgesetz wird die körperliche Unversehrtheit ebenso zugesichert , wie ein menschenwürdiges Existenzminimum, zu dem auch eine Versorgung im Krankheitsfall gezählt werden kann. Des Weiteren wurden von der Bundesrepublik Deutschland der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (sogenannte UN-Sozialpakt), die Kinderrechtskonvention , die UN-Frauenrechtskonvention ratifiziert. In diesen Papieren finden sich weitreichende Rechte, wie zum Beispiel das Recht „auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“ für alle in Deutschland lebenden Menschen. Zu diesen Menschen gehören all jene, die über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen. Dies können Unionsbürgerinnen/Unionsbürger sein, die durch den von der Bundesregierung beschlossenen fünfjährigen Sozialleistungsausschluss in prekäre Lagen kommen. Es können auch jene sein, die sich ohne gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten. Beide Gruppen wachsen tendenziell, das Recht auf Gesundheitsversorgung wird in Deutschland aber stark eingeschränkt. Für sie sind beziehbare Gesundheitsleistungen über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Gemäß § 4 Absatz 1 wird eine ärztliche und zahnärztliche Behandlung nur bei akuter Krankheit und akuten Schmerzzuständen gewährt. In Eilfällen sehen die §§ 6a und 6b AsylbLG vor, dass Menschen ohne Papiere sich sofort und ohne eine vorherige Zusicherung der Kostenübernahme in einem Krankenhaus behandeln lassen können. Die erbrachten stationären Leistungen sollen dann nach der erfolgten Eilfallbehandlung mit der Sozialbehörde abgerechnet werden. Ebenso wie bei der Abrechnung von Leistungen der Regelversorgung werden dann Daten an die Sozialbehörde gegeben. Diese dürfen jedoch nicht an die Ausländerbehörde weiter gegeben werden, da nach der Allgemeinen Verfahrensvorschrift 88.2.3 zum Aufenthaltsgesetz hier der verlängerte Geheimnisschutz greift. Dadurch, dass die Daten also von den Krankenhäusern und nicht von den Betroffenen selbst der Behörde zur Verfügung gestellt werden, wird hier die ärztliche Schweigepflicht verlängert auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde. In der Antwort einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung, die am 6. Juli 2018 veröffentlicht wurde, bemerkt diese, dass Menschen ohne Papiere über das AsylbLG ausreichend versichert seien. In der Praxis ergeben sich jedoch große Probleme, die von Bundesland zu Bundesland, ja sogar von Stadt zu Stadt, sehr verschieden sind. Interviews Public Health-Studierender der Universität Bremen aus diesem Frühjahr legen nahe, dass die Versorgung nach den §§ 6a und b AsybLG in Bremen nicht gewährleistet ist. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie viele Anträge sind in den vergangenen drei Jahren von den Krankenhäusern in Bremen und Bremerhaven gestellt worden, denen eine Forderung nach § 6a AsylbLG zugrunde lag? – 2 – a) Bei wie vielen von diesen Menschen handelte es sich um Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel? b) Wurde der Status aus den Anträgen ersichtlich? 2. Bei wie vielen Anträgen (aufgeschlüsselt nach denen mit und ohne Aufenthaltstitel ) wurden die Kosten durch das Amt für Soziale Dienste Bremen beziehungsweise das Amt für Jugend, Familie und Frauen/Soziale Dienste Bremerhaven erstattet? 3. Bei wie vielen Anträgen (aufgeschlüsselt nach denen mit und ohne Aufenthaltstitel ) wurden die Kosten durch das Amt für Soziale Dienste Bremen beziehungsweise das Amt für Jugend, Familie und Frauen/Soziale Dienste Bremerhaven nicht erstattet? Was waren die Hauptgründe zur Ablehnung der Anträge? Die folgenden Fragen beziehen sich ausschließlich auf die Anträge auf Kostenübernahme durch die Krankenhäuser nach § 25 SGB XII sowie § 6a AsylbLG (bitte für beide Rechtsgrundlagen separat beantworten) bei denen die Patientin /der Patient eine Person ohne gültigen Aufenthaltstitel in Bremen war. Bitte jeweils für Bremen und Bremerhaven beantworten 4. Welche Dokumente müssen zur Bearbeitung des Antrages vorliegen beziehungsweise ab wann gilt ein Antrag als vollständig? 5. Konkret zur Bedürftigkeitsprüfung: Welche Dokumente werden von den Patientinnen und Patienten zur Prüfung ihrer finanziellen Situation gefordert ? 6. In wie vielen Fällen wurden personenbezogene Daten im Zuge der Abrechnung zur Überprüfung an die Migrationsbehörden gegeben? a) Wie wird der verlängerte Geheimnisschutz gewährleistet, wenn der Aufenthaltsstatus der Person nicht klar ist? Wo wird auf diesen explizit hingewiesen? b) Welche Daten werden in welcher Form (mündlich am Telefon, per E- Mail, per Fax, per Post et cetera) an die Migrationsbehörden weitergegeben ? 7. Wie hat sich diese Kommunikation mit den Migrationsbehörden seit dem Erlass der Verwaltungsvorschrift zum § 88 Aufenthaltsgesetz im Jahr 2009 verändert? 8. Es wurde ein Formular erstellt, das explizit auf den verlängerten Geheimnisschutz hinweist und zur Abrechnung mit den Sozialbehörden von den Krankenhäusern genutzt werden sollte. a) Wie viele Anträge wurden in den letzten drei Jahren mit Hilfe dieses Formulars gestellt? b) Was tut das Amt für Soziale Dienste für dessen Bekanntmachung und Verbreitung? c) Gibt es eine spezielle Person, die diese besonderen Anträge bearbeitet ? d) Wurde das Formular in den letzten Jahren evaluiert und/oder verändert ? Sophia Leonidakis, Peter Erlanson, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE – 3 – D a z u Antwort des Senats vom 18. Dezember 2018 Vorbemerkung: Die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsrecht, den sogenannten papierlosen Menschen, ist eine sozial- und gesundheitspolitische Herausforderung. In der Stadtgemeinde Bremen und in der Stadtgemeinde Bremerhaven wurden deshalb Humanitäre Sprechstunden eingerichtet. Hier wird eine anonyme kostenlose medizinische Hilfe und soziale Beratung für Menschen ohne Papiere angeboten. Durch diese Humanitären Sprechstunden wird eine medizinische Basisversorgung angeboten, die dann nicht mehr in den anderen ärztlichen Versorgungssystemen erfolgen muss. 1. Wie viele Anträge sind in den vergangenen drei Jahren von den Krankenhäusern in Bremen und Bremerhaven gestellt worden, denen eine Forderung nach § 6a AsylbLG zugrunde lag? In Bremen gab es keinen dokumentierten Fall, in Bremerhaven einen. a) Bei wie vielen von diesen Menschen handelte es sich um Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel? Bei einem Fall in Bremerhaven lag kein gültiger Aufenthaltstitel vor. b) Wurde der Status aus den Anträgen ersichtlich? Der Status ist nicht ersichtlich gewesen. 2. Bei wie vielen Anträgen (aufgeschlüsselt nach denen mit und ohne Aufenthaltstitel ) wurden die Kosten durch das Amt für Soziale Dienste Bremen beziehungsweise das Amt für Jugend, Familie und Frauen/Soziale Dienste Bremerhaven erstattet? In Bremen und Bremerhaven wurden in keinem Fall Kosten erstattet. 3. Bei wie vielen Anträgen (aufgeschlüsselt nach denen mit und ohne Aufenthaltstitel ) wurden die Kosten durch das Amt für Soziale Dienste Bremen beziehungsweise das Amt für Jugend, Familie und Frauen/Soziale Dienste Bremerhaven nicht erstattet? Was waren die Hauptgründe zur Ablehnung der Anträge? In Bremen liegt kein Fall vor. In Bremerhaven wurden 20 Anträge (davon einer ohne Aufenthaltspapiere ) in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis aktuell abgelehnt. Vier Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Hauptgründe waren fehlende Mitwirkung beziehungsweise die Unmöglichkeit der Feststellung von Hilfebedürftigkeit , vorrangiger Krankenversicherungsschutz, Unzuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers und das Vorliegen einer Verpflichtungserklärung nach § 68 Aufenthaltsgesetz. Die folgenden Fragen beziehen sich ausschließlich auf die Anträge auf Kostenübernahme durch die Krankenhäuser nach § 25 SGB XII sowie § 6a AsylbLG (bitte für beide Rechtsgrundlagen separat beantworten) bei denen die Patientin/der Patient eine Person ohne gültigen Aufenthaltstitel in Bremen war. Bitte jeweils für Bremen und Bremerhaven beantworten 4. Welche Dokumente müssen zur Bearbeitung des Antrages vorliegen beziehungsweise ab wann gilt ein Antrag als vollständig? Die Krankenhäuser im Lande Bremen sind zur Notfall- beziehungsweise Akut-Behandlung bei ambulanten Eilfällen und gegebenenfalls bei erforderlicher stationärer Aufnahme verpflichtet. Erhoben werden von den Notaufnahmen der Krankenhäuser, die Daten, die aus der Vorlage eines Ausweises (soweit vorhanden und vorgelegt) ersichtlich sind und den mündlichen Angaben eines behandlungsbedürftigen Menschen. – 4 – Die Sozialhilfeträger beziehungsweise Träger nach dem AsylbLG müssen leistungsrechtlich bei Anwendung der § 25 SGB XII und § 6a AsylbLG in die Lage versetzt werden, Sozialhilfebedürftigkeit während der Krankenhausbehandlung festzustellen. Es muss geprüft werden, ob der Sozialleistungsträger bei rechtzeitiger Kenntnis des Hilfefalls für die Zeit der Nothilfe Sozialhilfe gewährt hätte. Die Krankenhäuser müssen deshalb nachweisen, dass eine Antragstellung vor Behandlung der Patientin/des Patienten nicht möglich war. Für die weitere Bearbeitung durch die Sozialleistungsträger sind Auskünfte über den aufenthaltsrechtlichen Status zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme, Belege über vorhandenes Einkommen und Vermögen und die Klärung der Frage zur bisherigen Sicherstellung des Lebensunterhaltes erforderlich. Gegebenenfalls sind auch Verpflichtungserklärungen Dritter zu beachten. Oftmals wird es den Kliniken nicht möglich sein, bei einer Antragsstellung nach § 25 SGB XII oder § 6a AsylbLG entsprechende Unterlagen beizubringen. Die gegebenenfalls leistungsberechtigte Person wird dann grundsätzlich vom Sozialleistungsträger mit der Bitte angesprochen oder angeschrieben, Antragsunterlagen vorzulegen, soweit eine Anschrift vorliegt oder ermittelt werden kann. 5. Konkret zur Bedürftigkeitsprüfung: Welche Dokumente werden von den Patientinnen und Patienten zur Prüfung ihrer finanziellen Situation gefordert ? Nach § 25 SGB XII und § 6a AsylbLG gilt, dass – wie schon zur Frage 4 beschrieben –, alle Einkommens- und Vermögensnachweise vorzulegen beziehungsweise glaubhafte Angaben zu machen sind, wie zum Zeitpunkt des Klinikaufenthaltes der Lebensunterhalt bestritten wurde. Eine abschließende Aufzählung der möglichen Nachweise hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Regelmäßig werden Identitäts- und Aufenthaltsnachweise, Erklärung zu den Aufenthaltsverhältnissen, Einkommens- und Vermögensnachweise, Nachweis/Erklärung über fehlenden vorrangigen Krankenversicherungsschutz gefordert. Die Erklärung der Krankenhäuser, dass beim Patienten Mittellosigkeit bestand, reicht für einen Anspruch nach § 25 SGB XII oder § 6a AsylbLG nicht aus. 6. In wie vielen Fällen wurden personenbezogene Daten im Zuge der Abrechnung zur Überprüfung an die Migrationsbehörden gegeben? Dem Migrationsamt Bremen und der Ausländerbehörde Bremerhaven ist kein Fall bekannt, in dem eine Mitteilung über die Behandlung von Menschen ohne aufenthaltsrechtlichen Status zur Überprüfung übersandt worden ist. a) Wie wird der verlängerte Geheimnisschutz gewährleistet, wenn der Aufenthaltsstatus der Person nicht klar ist? Wo wird auf diesen explizit hingewiesen? Die Stadt Bremen hat in der Verwaltungsanweisung zu § 6a AsylbLG auf den Geheimnisschutz, der durch § 88 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz geregelt wird, verwiesen. Für Fälle nach § 25 SGB XII findet die Geheimschutzregelung aus der Verwaltungsanweisung zu § 6a AsylbLG Anwendung. Bremerhaven orientiert sich an der Bremer Verwaltungsanweisung zu § 6a AsylbLG. b) Welche Daten werden in welcher Form (mündlich am Telefon, per E- Mail, per Fax, per Post et cetera) an die Migrationsbehörden weitergegeben ? Wie bereits in der Beantwortung zu Frage 6 a mitgeteilt, gab es keine Fälle, in denen eine Datenweitergabe hätte erfolgen können. – 5 – Eine Weitergabe von Daten wäre möglich bei Vorliegen der Ausnahmetatbestände , die im § 88 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz genannt sind, also — zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Ausländerin/des Ausländers oder von Dritten sowie bei Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch die Ausländerin/den Ausländer, wenn besondere Schutzmaßnahmen zum Ausschluss der Gefährdung nicht möglich sind oder von dem Ausländer nicht eingehalten werden (§ 88 Absatz 2 Nummer 1 Aufenthaltsgesetz) oder — soweit die Daten für die Feststellung erforderlich sind, ob die in § 54 Absatz 2 Nummer 4 Aufenthaltsgesetz bezeichneten Voraussetzungen vorliegen (schwere Drogenabhängigkeit und Verweigerung einer Rehabilitationsmaßnahme (§ 88 Absatz 2 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz). 7. Wie hat sich diese Kommunikation mit den Migrationsbehörden seit dem Erlass der Verwaltungsvorschrift zum § 88 Aufenthaltsgesetz im Jahr 2009 verändert? Eine Kommunikation mit den örtlichen Migrationsbehörden findet wie oben dargestellt grundsätzlich nicht statt. Zur Feststellung der Zuständigkeit der bremischen Sozialbehörden hinsichtlich der Kostenerstattung kann das Amt für Soziale Dienste nunmehr, soweit der oder die Betroffene nicht bekannt ist und eine Anfrage bei der Meldebehörde zu keinem Ergebnis führt, das Ausländerzentralregister (AZR) nach den Grunddaten des oder der Betroffenen abfragen. 8. Es wurde ein Formular erstellt, das explizit auf den verlängerten Geheimnisschutz hinweist und zur Abrechnung mit den Sozialbehörden von den Krankenhäusern genutzt werden sollte. a) Wie viele Anträge wurden in den letzten drei Jahren mit Hilfe dieses Formulars gestellt? b) Was tut das Amt für Soziale Dienste für dessen Bekanntmachung und Verbreitung? c) Gibt es eine spezielle Person, die diese besonderen Anträge bearbeitet ? d) Wurde das Formular in den letzten Jahren evaluiert und/oder verändert ? Das Formular ist weder beim Amt für Soziale Dienste Bremen, beim Sozialamt Bremerhaven noch bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport bekannt. Auch bei der Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen e. V. (HBKG) ist dieses Formular unbekannt. Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 1981 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 8. November 2018 Gewährleistung medizinischer Notfallversorgung von Menschen ohne Papiere