– 1 – B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Drucksache 19 / 2086 Landtag 19. Wahlperiode Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 21. Januar 2019 Lebensmittelverschwendung einschränken, sich an europäischen Nachbarn orientieren In Tschechien ist unlängst ein Gesetz gegen die Lebensmittelverschwendung in Kraft getreten. Es verpflichtet Supermärkte mit mehr als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche dazu, unverkaufte Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen (vergleichbar mit den „Tafeln“ in Deutschland) zu spenden und droht Bußgelder von bis zu 391 000 Euro an. Das tschechische Verfassungsgericht hat eine Klage gegen das neue Gesetz inzwischen abgelehnt und es somit bestätigt. In Tschechien wurden bisher jährlich rund 800 000 Tonnen genießbarer Lebensmittel von Einzelhandelsketten weggeworfen. Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich circa vier Millionen Tonnen Lebensmittel von Industrie, Handel und Großverbrauchern weggeworfen. Der Wert entsorgter Lebensmittel, einschließlich der Privathaushalte , soll in Deutschland bei rund 21 Milliarden Euro liegen. Tschechien ist nicht das erste Land mit einem Gesetz, das an dieser Stelle gegensteuern soll. Auch in Frankreich müssen größere Lebensmittelläden Strafen bis zu 4 500 Euro zahlen, wenn unverkaufte, aber noch essbare Lebensmittel im Müll anstatt bei gemeinnützigen Organisationen landen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie beurteilt der Senat die entsprechenden Gesetze in Tschechien und Frankreich in Hinblick auf ihren ökologischen und sozialen Nutzen? 2. Wird sich der Senat vor diesem Hintergrund auf Bundesebene für gegebenenfalls erforderliche Änderungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes einsetzen ? 3. Sieht der Senat, unabhängig von einer Rechtsänderung auf Bundesebene, landesrechtlichen Spielraum für eine vergleichbare Regelung in Bremen? 4. Sieht der Senat im Rahmen des § 4 des bisherigen Bremisches Ausführungsgesetzes zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz eine Ermächtigungsmöglichkeit für eine vergleichbare ortsgesetzliche Regelung? 5. Welche anderen Möglichkeiten sieht der Senat in Bremen, um die Ziele der tschechischen und französischen Regelung, ohne entsprechende gesetzliche Änderungen, zu befördern? Stephanie Dehne, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 2. April 2019 1. Wie beurteilt der Senat die entsprechenden Gesetze in Tschechien und Frankreich in Hinblick auf ihren ökologischen und sozialen Nutzen? – 2 – Der Vorstoß einiger Mitgliedsstaaten in der EU, die Verschwendung von Lebensmitteln einzuschränken, wird begrüßt. In Frankreich werden die Betreiber von Supermärkten, die mehr als 400 Quadratmeter Verkaufsfläche haben, zur Abgabe von Lebensmittelspenden verpflichtet. Dieses Vorgehen muss zwischen den Supermarktbetreibern und gemeinnützigen Organisationen vertraglich geregelt werden. Das weit verbreitete Chloren von zum Beispiel abgelaufenen Lebensmitteln wurde verboten, Vermeidungsstrategien werden ebenso unterstützt. Aktuellen Presseberichten zufolge ist die Menge der abgegebenen Lebensmittel in Frankreich um 19 Prozent gestiegen. Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben in einer Ausarbeitung die „rechtlichen Vorgaben in Frankreich gegen Lebensmittelverschwendung “ (Berlin 2018) erörtert. Dabei beziehen sich die Autoren auch auf einen Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes, der darauf hinweist, dass die abzugebenden Lebensmittelmengen der französischen Supermarktbetreiber ungeregelt seien. Dem Gesetz wird demzufolge bereits genüge getan, wenn ein sehr geringer Anteil der bisher entsorgten Lebensmittelabfälle gespendet wird. Dem Senat liegen darüber hinaus keine Bewertungen oder Analysen der ökologischen und sozialen Wirkungen des französischen Vorgehens vor. In Tschechien wurden im Januar 2018 ähnliche Regelungen wie in Frankreich eingeführt. Eine Klage gegen das Gesetz in Tschechien wurde erst im Januar 2019 zurückgewiesen; eine Wirkung kann aufgrund des kurzen Zeitraums noch nicht beurteilt werden. Unter sozialen Gesichtspunkten wird eine solche Initiative grundsätzlich begrüßt. Schon jetzt sind die „Tafeln“, denen auf freiwilliger Basis Lebensmittel von Supermärkten und anderen Unternehmen überlassen werden, eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit geringem Einkommen. Unter diesem Aspekt sollte auch das sogenannte containern, bei dem sich Menschen mit weggeworfenen Lebensmitteln aus den Abfallbehältern der Supermärkte versorgen, nicht strafrechtlich verfolgt werden. 2. Wird sich der Senat vor diesem Hintergrund auf Bundesebene für gegebenenfalls erforderliche Änderungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes einsetzen ? Es wären nach der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages im Wesentlichen Änderungen im Lebensmittelrecht , im Produkthaftungs- und Steuerrecht zu prüfen und umzusetzen. Ebenso sei die Grundgesetzkonformität zu prüfen. In einem „Leitfaden zur Weitergabe von Lebensmitteln“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (Berlin 2018), wird ebenso erläutert, dass für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen insbesondere alle Bestimmungen des Lebensmittelrechts gelten. Eine Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes wäre nach dieser Publikation nicht notwendig. Nach der europäischen Abfallrahmenrichtlinie, die am 30. Mai 2018 verabschiedet wurde, sind die nationalen Mitgliedstaaten gehalten, Maßnahmen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung unter Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette (von der Primärerzeugung über den Einzelhandel, in Gaststätten bis hin zu privaten Haushalten) zu ergreifen und über die erzielten Fortschritte Bericht zu erstatten. Mit der vom Bund im Februar 2019 verabschiedeten Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung soll bis 2030 die Lebensmittelverschwendung in Deutschland pro Kopf auf Einzelhandelsund Verbraucherebene halbiert werden. Die entlang der Produktions- und Lieferkette entstehenden Lebensmittelabfälle einschließlich der Nachern- – 3 – teverluste sollen damit verringert werden. Beabsichtigte verbindliche Regelungen oder notwendige Gesetzesänderungen sind bisher nicht benannt worden. 3. Sieht der Senat, unabhängig von einer Rechtsänderung auf Bundesebene, landesrechtlichen Spielraum für eine vergleichbare Regelung in Bremen? Der Senat hält aktuell eine auf das Land Bremen bezogene Regelung nicht für sinnvoll. Vor dem Hintergrund der notwendigen Prüfung und Anpassung diverser Rechtsvorschriften im Lebensmittel-, Haftungs- und Verbraucherschutzrecht und der länderübergreifenden Gleichstellung betroffener Gewerbebetriebe ist eine Insellösung nicht zu empfehlen. Die aktuelle nationale Strategie des Bundes zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung basiert auf freiwilligen Verpflichtungen der Lebensmittelunternehmer . 4. Sieht der Senat im Rahmen des § 4 des bisherigen Bremischen Ausführungsgesetzes zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz eine Ermächtigungsmöglichkeit für eine vergleichbare ortsgesetzliche Regelung? Werden Lebensmittel zum weiteren Verzehr abgegeben, bleibt das Produkt ein Lebensmittel. Eine Ermächtigungsgrundlage für eine ortsgesetzliche Regelung, um die Lebensmittelverschwendung einzudämmen, existiert daher im § 4 des Bremischen Ausführungsgesetzes zum Kreislaufwirtschafts - und Abfallgesetz nicht. Wie bereits erläutert, wären Regelungen in anderen Rechtsgebieten notwendig. 5. Welche anderen Möglichkeiten sieht der Senat in Bremen, um die Ziele der tschechischen und französischen Regelung, ohne entsprechende gesetzliche Änderungen, zu befördern? Eine Bewertung der Wirkungen bleibt noch abzuwarten, da die Gesetze, insbesondere in Tschechien, noch nicht so lange in Kraft sind. Das Volumen einer freiwilligen Lebensmittelabgabe wäre wahrscheinlich nicht hoch. Der Senat wird sich in den zuständigen Bund-Länder-Gremien und im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für nationale Regelungen wie in den europäischen Nachbarländern einsetzen und die notwendigen Rechtsänderungen im Lebensmittelrecht, im Produkthaftungsund Steuerrecht befördern. Bremische Bürgerschaft Drucksache 19 / 2086 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 21. Januar 2019 Lebensmittelverschwendung einschränken, sich an europäischen Nachbarn orientieren