— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 19. Wahlperiode Drucksache 19 / 225 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 10. November 2015 Förderung des Niederdeutschen im Bereich Hörfunk und Fernsehen Der Artikel 11 Abs. 2 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen bestimmt: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, den freien direkten Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen aus Nachbarländern in einer Sprache zu gewährleisten, die in derselben oder ähnlicher Form wie die Regional- oder Minderheitensprache gebraucht wird, und die Weiterverbreitung von Hörfunk- und Fernsehsendungen aus Nachbarländern in einer solchen Sprache nicht zu behindern .“ In der Linguistik ist das genaue Verhältnis zwischen dem Niederdeutschen und dem Niederländischen und die jeweiligen historischen Sprachentwicklungen umstritten, allerdings dürfte die heutige niederländische Sprache von vielen Niederdeutsch Sprechenden als sehr nah verwandte Sprache empfunden werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Welche Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden sind in Bremen auf welchem Weg frei und direkt empfangbar? 2. Teilt der Senat die Auffassung, dass aus dem Artikel 11 Abs. 2 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprache eine Gewährleistungsverpflichtung für eine Grundversorgung mit Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden ableitbar sein könnte? 3. Soweit er dies teilen sollte, welche legislatorischen Veränderungsnotwendigkeiten ergäben sich im Bremer Landesmediengesetz? 4. Soweit er diese nicht teilen sollte; hält er nach dem Geist und Zweck der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprache eine Grundversorgung Bremens mit öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden für wünschenswert? Welche tatsächlichen und rechtlichen Maßnahmen wären erforderlich, um eine solch ausgelegte Umsetzung der Charta zu realisieren? 5. Soweit er eine Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen aus den Niederlanden nicht für hilfreich zum Erhalt der Regionalsprache „Niederdeutsch“ erachtet, was unternimmt der Senat alternativ im Bereich Hörfunk und Fernsehen , um den rechtlichen Verpflichtungen nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 der Charta nachzukommen? Sükrü Senkal, Patrick Öztürk, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 15. Dezember 2015 1. Welche Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden sind in Bremen auf welchem Weg frei und direkt empfangbar? Fernseh- und Hörfunksendungen in niederländischer Sprache sind nach Auskunft der Bremischen Landesmedienanstalt derzeit in Bremen nur via Satellit (Astra 19,2°) zu empfangen. Auf diesem Weg sind zwei Fernsehprogramme frei (BNV TV Europa und CanalDigitaal) und zwölf Programme verschlüsselt (Brava TV, Comeda Central NL, MTV NL, Net 5, Nickelodeon NL, NPO 1, NPO 2, — 2 — NPO 3, RTL 4, RTL 5, RTL 7 und Spike NL) empfangbar. Derartige Verschlüsselungen von Programmen entziehen sich den staatlichen Einflussmöglichkeiten. Gegebenenfalls müssten interessierte Nutzer hierfür notwendige Verträge schließen und Entgelte entrichten. Im Bereich Hörfunk sind nach Auskunft der Landesmedienanstalt in Bremen vier Programme (NPO Radio 1, Nostalgie Vlanderen, VRT Radio 1 und VRT Radio 2) frei empfangbar. Über Breitbandkabel (etwa Vodafone/Kabel Deutschland ), IP-TV oder DVB-T sind in Bremen derzeit niederländische Programme nicht zu empfangen. Im Übrigen ist ein Empfang niederländischer Programme nach Auskunft der Landesmedienanstalt über Live-Stream (Internet) ungehindert möglich, sofern die entsprechenden Veranstalter einen solchen Live-Stream zur Verfügung stellen. 2. Teilt der Senat die Auffassung, dass aus dem Artikel 11 Abs. 2 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprache eine Gewährleistungsverpflichtung für eine Grundversorgung mit Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden ableitbar sein könnte? Nach Artikel 2 Absatz 2 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen ist für den Gesetzgeber verpflichtend nur eine der Regelungen aus dem Bereich des Artikels 11 (Regelungen für Medien) umzusetzen. Mit der Gesetzesinitiative der Bürgerschaft (Landtag) vom 22. September 2015 (Drs. 19/78) zur Änderung des Radio-Bremen-Gesetzes und des Bremischen Landesmediengesetzes schafft die Bürgerschaft (Landtag) die Voraussetzungen, um der gesetzgeberischen Verpflichtung aus Artikel 2 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 11 in mehrfacher Hinsicht gerecht zu werden. So werden durch die Gesetzesinitiative gleich vier in der Charta genannte Regelungsmöglichkeiten umgesetzt. Die beabsichtigten Neuregelungen im Radio-Bremen-Gesetz und im Bremischen Landesmediengesetz treffen Vorkehrungen, dass Rundfunkveranstalter Sendungen in der Niederdeutschen Sprache anbieten (Absatz 1 Ziffer a iii), sie ermutigen zu und erleichtern die regelmäßige Ausstrahlung von Hörfunksendungen in der niederdeutschen Sprache (Artikel 11 Absatz 1 Ziffer b ii), sie ermutigen zu und erleichtern die regelmäßige Ausstrahlung von Fernsehsendungen in der niederdeutschen Sprache (Artikel 11 Absatz 1 Ziffer c ii) und sie schaffen für die Vertreter der Interessen der niederdeutschen Sprache Sitze sowohl im Rundfunkrat als auch im Medienrat (Artikel 11 Absatz 3). Damit wären die Vorgaben aus der Charta durch die Bürgerschaft (Landtag ) bereits übererfüllt. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung (im Sinne einer Gewährleistungsverpflichtung für eine Grundversorgung mit Hörfunkund Fernsehsendungen aus den Niederlanden) besteht nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Regelungskatalog des Artikels 11 der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen neben den Bereichen Hörfunk und Fernsehen auch andere mediale Regelungsmöglichkeiten vorsieht. So kann beispielsweise auch eine Förderung von Printmedien erfolgen oder eine Unterstützung der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten, die Regionaloder Minderheitensprachen gebrauchen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 3. Soweit er dies teilen sollte, welche legislatorischen Veränderungsnotwendigkeiten ergäben sich im Bremer Landesmediengesetz? Eine Beantwortung dieser Frage ist im Hinblick auf die Antwort zu Fragen 2 und 4 entbehrlich. 4. Soweit er diese nicht teilen sollte; hält er nach dem Geist und Zweck der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprache eine Grundversorgung Bremens mit öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden für wünschenswert? Welche tatsächlichen und rechtlichen Maßnahmen wären erforderlich, um eine solch ausgelegte Umsetzung der Charta zu realisieren? Zweck der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen ist nach deren Präambel der Schutz und die Förderung von zum Teil regionenübergreifenden Regional- und Minderheitensprachen als kulturelles und teilweise gemeinsames Erbe und damit einhergehend die Entwicklung und Erhaltung — 3 — Druck: Anker-Druck Bremen von Traditionen. Vor diesem Hintergrund wäre eine Versorgung Bremens mit Hörfunk- und Fernsehsendungen aus den Niederlanden nur dann im Sinne der Charta sinnvoll, wenn ein Zusammenhang zwischen der niederdeutschen und der niederländischen Sprache bestünde, es sich bei der niederländischen Sprache also um eine gleichartige und der Förderung des Niederdeutschen dienende Sprache handelte. Nach Mitteilung des Instituts für die niederdeutsche Sprache handelt es sich bei der niederländischen Sprache nicht um eine der Charta unterfallende Regionalund Minderheitensprache, sondern um eine Staatssprache. Die Niederlande haben ihrerseits Friesisch und Nedersaksisch als Regional- und Minderheitensprachen im Sinne der Charta angemeldet. Bei der letztgenannten Sprache handelt es sich nach Auskunft des Instituts für die niederdeutsche Sprache um die kontinuierliche Fortsetzung des Niederdeutschen in die östlichen Niederlande hinein. Mithin kann also nur bei dieser Sprache eine Zusammengehörigkeit im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen angenommen werden. Inwiefern niederländische Hörfunk- und Fernsehsendungen ihrerseits Programme in Nedersaksisch befördern, kann von hier aus weder beurteilt noch beeinflusst werden. Eine weitergehende Versorgung Bremens mit öffentlich-rechtlichen Hörfunkund Fernsehsendungen aus den Niederlanden wird daher nicht als geeignet zur Förderung des Niederdeutschen erachtet. Auch vom Institut für die niederdeutsche Sprache wird ein entsprechender Bedarf nicht gemeldet. Im Nachbarland Niedersachsen, welches eine unmittelbare Grenze zu den Niederlanden hat, wird derzeit nach Auskunft der Staatskanzlei Hannover ebenfalls kein Bedarf an der Bereitstellung niederländischer Sendungen gesehen. 5. Soweit er eine Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen aus den Niederlanden nicht für hilfreich zum Erhalt der Regionalsprache „Niederdeutsch“ erachtet, was unternimmt der Senat alternativ im Bereich Hörfunk und Fernsehen , um den rechtlichen Verpflichtungen nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 der Charta nachzukommen? Der Senat ist sich gleichwohl seiner Verantwortung um die niederdeutsche Sprache bewusst und unterstützt die Neuregelungen im Radio-Bremen-Gesetz und im Bremischen Landesmediengesetz. Dies betrifft insbesondere die Schaffung von Sitzen für den Bundesrat für Niederdeutsch im Rundfunkrat und im Medienrat . Daneben wird der Senat – wie in der Vergangenheit – auch weiterhin die Förderung der niederdeutschen Sprache durch die in Bremen zugelassenen privaten und öffentlich-rechtlichen Veranstalter von Hörfunk und Fernsehen überwachen und diese zur Fortsetzung ihrer diesbezüglichen Arbeit ermutigen. Zu einem darüber hinausgehenden Einwirken auf die Veranstalter sieht sich der Senat aufgrund der grundgesetzlich garantierten Rundfunkfreiheit rechtlich nicht in der Lage.