BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/761 Landtag 19. Wahlperiode 29.09.16 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 18. August 2016 Proliferation: Will der Iran auch in Bremen Atomtechnik einkaufen? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 1 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 18.08.2016 „Proliferation: Will der Iran auch in Bremen Atomtechnik einkaufen?“ Die Fraktion DIE LINKE hat folgende Kleine Anfrage an den Senat gerichtet: „Im Januar 2016 wurden die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben. Der Iran räumte der Internationalen Atomenergiebehörde IEAE in diesem Zusammenhang Kontrollmöglichkeiten in den Reaktoren und Urananreicherungsanlagen ein. Bremen hat sich sehr frühzeitig um wirtschaftliche Beziehungen zum Iran bemüht. Im August 2016 besuchte eine 20-köpfige Delegation aus Isfahan die Hansestadt. Isfahan ist eine technologieorientierte Universitätsstadt – aber auch das Zentrum der iranischen Atomindustrie. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in NRW hat jüngst öffentlich gemacht, dass auch nach Abschluss der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm diverse Proliferationsbemühungen erkannt und vereitelt werden konnten. Unter Proliferation versteht man die Weitergabe oder Erlangung von Massenvernichtungswaffen, in diesem Fall Kernwaffen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt im aktuellen Jahresbericht: Die ‚festgestellten illegalen proliferationsrelevanten Beschaffungsaktivitäten‘ befinden sich weiterhin auf einem hohen quantitativen Niveau. Das LfV Nordrhein-Westfalen berichtet: ‚Nichtsdestoweniger stellte Iran weiterhin den Bearbeitungsschwerpunkt in der Proliferationsabwehr dar.‘ Im aktuellen Jahresbericht des Bremer LfV findet sich zur Thematik der Proliferationsabwehr kein Wort. Wir fragen den Senat: 1. Gehört die Proliferationsabwehr zum Aufgabenbereich des Bremer LfV? 2. Wie viele Fälle von Proliferationsbemühungen wurden in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich bekannt, und wie viele davon konnten verhindert werden? 3. Wie viele dieser Fälle hatten einen Bezug zum Iran, und um welche Art von Technologie ging es konkret? 4. Teilt der Senat für Bremen die Aussage des LfV NRW, dass der Iran weiterhin einen ‚Bearbeitungsschwerpunkt der Proliferationsabwehr‘ darstellt? 5. Befanden sich nach Kenntnis des Senats unter der 20-köpfigen Delegation aus Isfahan auch Unternehmer, Wissenschaftler oder Funktionäre mit Bezug zum iranischen Atomprogramm? Hat die Bremer Delegation im Februar 2016 solche Personen getroffen?“ Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gehört die Proliferationsabwehr zum Aufgabenbereich des Bremer LfV? Antwort auf Frage 1: Proliferation ist die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen sowie von entsprechenden Trägersystemen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Fachwissens. Sie erfolgt in der Regel in geheimdiensttypischer Form. Aufgabe der Bremer Verfassungsschutzbehörde (LfV) ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über, unter anderem, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht (Spionageabwehr). Die Proliferationsabwehr ist Teil des Aufgabengebietes der Spionageabwehr. Liegen dem LfV Bremen Informationen mit tatsächlichem oder vermutetem proliferationsrelevantem Hintergrund vor, so werden erforderliche Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts sowie ggf. zur Verhinderung proliferationsrelevanter Exporte getroffen. Die Aufgaben der Spionageabwehr und damit auch der Proliferation, werden durch das LfV Bremen in sehr enger Kooperation mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Im Rahmen der Proliferationsabwehr führt das LfV Bremen in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und bundesland-übergreifend mit dem LfV Niedersachsen, vorbeugende Maßnahmen der Sensibilisierung und Beratung von nachrichtendienstlich gefährdeten Einzelpersonen, Unternehmen, Behörden und sonstigen Zielobjekten fremder Nachrichtendienste durch. Dies betrifft insbesondere die Zusammenarbeit mit Berufs- und Fachverbänden, den Informationsaustausch mit wissenschaftlichen Einrichtungen und die Durchführung von Informationsveranstaltungen für die gewerbliche Wirtschaft und Industrie. 2. Wie viele Fälle von Proliferationsbemühungen wurden in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich bekannt, und wie viele davon konnten verhindert werden? Antwort auf Frage 2: In der Vergangenheit wurden bundesweit diverse Beschaffungsbemühungen aus den proliferationsrelevanten Staaten Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien beobachtet. Seit 2012 wurden in Bremen in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz acht sog. Beschaffungsbemühungen festgestellt. 3. Wie viele dieser Fälle hatten einen Bezug zum Iran, und um welche Art von Technologie ging es konkret? Antwort auf Frage 3: Zur Verschleierung der geplanten Endverwendung wurden teilweise mehrere Zwischenhändler eingeschaltet, die ihre Anfragen aus Drittländern an deutsche Firmen richteten. Als Umgehungsländer für Lieferungen in den Iran gelten u.a. China, der Irak und in Einzelfällen offenbar Malaysia. Alle in Bremen festgestellten Beschaffungsbemühungen hatten letztlich einen Bezug zum Iran. Die Beschaffungsbemühungen wurden vorwiegend im Bereich der Trägertechnologien (z.B. Industriecomputer, Messtechnik, Vakuumanlagen) unternommen. Eine Relevanz für die Weiterentwicklung von Nukleartechnologien kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Ein Nachweis über eine tatsächlich geplante Verwendung in diesen iranischen Programmen ist jedoch aufgrund der vielfältigen Verwendungszwecke der gesuchten Waren, sog. Dual-use-Güter, sowie der oftmals schon in Zusammenarbeit mit den deutschen Herstellern im Frühstadium unterbundenen Geschäfte nicht möglich. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 4. Teilt der Senat für Bremen die Aussage des LfV NRW, dass der Iran weiterhin einen ‚Bearbeitungsschwerpunkt der Proliferationsabwehr‘ darstellt? Antwort auf Frage 4: Für den Iran gilt die Resolution 2231 (2015) des UN-Sicherheitsrates, mit der die am 14. Juli 2016 geschlossene Wiener Nuklearvereinbarung Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoa) in Kraft trat. Die bis dahin geltenden UN-Resolutionen wegen des iranischen Nuklearprogramms wurden durch die Resolution 2231 aufgehoben, zunächst aufschiebend bedingt durch den „Implementation Day“. Im Januar 2016 hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) bestätigt, dass der Iran die grundlegenden Verpflichtungen nach der Wiener Vereinbarung zum Rückbau seines Nuklearprogramms erfüllt hat. In der Folge wurden die internationalen Sanktionen umfassend gelockert. Trotz des am 18.Oktober 2015 in Kraft getretenen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) registrieren die Verfassungsschutzbehörden bundesweit weiterhin iranische Beschaffungsversuche im Trägertechnologiebereich. Der Iran bleibt daher trotz des JCPoA ein wesentlicher Schwerpunkt der Proliferationsabwehr durch den Verfassungsschutz, sowohl im Bundesgebiet insgesamt, als auch in Bremen. 5. Befanden sich nach Kenntnis des Senats unter der 20-köpfigen Delegation aus Isfahan auch Unternehmer, Wissenschaftler oder Funktionäre mit Bezug zum iranischen Atomprogramm? Hat die Bremer Delegation im Februar 2016 solche Personen getroffen? Der Senat hat keine Kenntnis davon, dass sich in der iranischen Delegation, die im August Bremen besuchte, Personen mit Bezug zum iranischen Atomprogramm befanden. Sowohl im Rahmen der Visaerteilung durch die deutsche Botschaft in Teheran als auch bei exportkontrollrechtlichen Überprüfungen der Delegationsteilnehmer durch die Handelskammer Bremen (z.B. auf dem Justizportal des Bundes und der Länder www.finanz-sanktionsliste.de, das zur Ermittlung von Personen, Gruppen und Organisationen, für die aufgrund einer Sanktion ein umfassendes Verfügungsverbot besteht, dient) gab es keine entsprechenden Hinweise. Die im Februar 2016 durchgeführte Markterkundungsreise in den Iran sollte unter anderem dazu dienen, über die Wachstumsbranchen und Markteinstiegsmöglichkeiten im Iran zu informieren, detaillierte Einblicke in die vorhandenen Handelsstrukturen zu gewinnen sowie die Infrastrukturen und kulturellen sowie auch politischen Anforderungen des iranischen Marktes kennenzulernen. Ebenso sollte der Wirtschaftsstandort Bremen gegenüber iranischen Unternehmen und Entscheidungsträgern aus dem Iran vorgestellt werden. Die Delegation hatte vielfältige und sehr zahlreiche Kontakte zu Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft im Iran. Es ist nicht vollständig auszuschließen, dass hierbei auch Gespräche mit Personen geführt wurden, die im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm stehen oder standen. Inhalte mit Bezug zum iranischen Atomprogramm waren aber – soweit bekannt – nicht Gegenstand der Gespräche. Die Handelskammer Bremen weist im Rahmen von Beratungen und Veröffentlichungen im Übrigen regelmäßig darauf hin, dass deutsche, europäische und sonstige (im Zusammenhang mit Iran v.a. US-amerikanische) exportkontrollrechtliche Vorschriften beim Geschäftsanbahnungen im Iran von den handelnden Unternehmen/Personen stets beachtet werden sollten. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-761 VB Proliferation: Will der Iran auch in Bremen Atomtechnik einkaufen? 20160927 KA Proliferation