BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/827 Landtag 19. Wahlperiode 08.11.16 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE Homo-, trans- und interfeindliche Straftaten in Bremen Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 15. September 2016 „Homo-, trans- und interfeindliche Straftaten in Bremen“ Die Fraktion DIE LINKE hat folgende Kleine Anfrage an den Senat gerichtet: „Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen oder Anfeindungen gegen Lesben, Schwule, bi-, trans-, intersexuelle und queere Menschen (LSBTTIQ*). In letzter Zeit häufen sich insbesondere Angriffe und Sachbeschädigungen gegen das RAT&TAT – Zentrum für Schwule und Lesben e.V. im Ostertorviertel. Das RAT&TAT-Zentrum ist eine Beratungsstelle und Interessenvertretung für Schwule , Lesben, Bisexuelle, Trans*, und Inter* und wichtiger Partner bei der Erstellung und Umsetzung des Aktionsplans gegen Homo-, Trans- und Interphobie. Die Polizei ordnet LSBTTIQ*-feindliche Straftaten der Kategorie „Hasskriminalität“ beim Staatsschutzkommissariat zu. Allerdings können die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik aufgrund eines hohen Dunkelfeldes in diesem Bereich nur bedingt Aufschluss über das tatsächliche Ausmaß in diesem Deliktsfeld geben. Ende 2015 wurde bei der Polizei die Funktion eines gesonderten Ansprechpartners zur Unterstützung und Beratung von Opfern homofeindlicher Gewalt geschaffen. Wir fragen den Senat: 1. Wie viele Straftaten gegen die sexuelle Orientierung oder Identität/homofeindliche Straftaten wurden in den Kalenderjahren 2011 bis 2016 jeweils von der Polizei erfasst ? (Bitte auflisten nach Jahr und jeweiligem Straftatbestand) 2. Bei wie vielen dieser Straftaten wurden seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet und wie oft wurde Anklage erhoben? 3. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2011 bis 2016 wegen LSBTTIQ*- feindlicher Straftaten aus dem Deliktsfeld Hasskriminalität in Bremen verurteilt a) zu Geldstrafen? b) zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung? c) zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung? 4. Welche Probleme sieht der Senat bei der Erfassung von Hasskriminalität mit LSBTTIQ*-feindlichem Hintergrund? 5. Wie schätzt der Senat die Dunkelziffer bei diesem Delikt ein? 6. Was tut der Senat, um die Anzeigebereitschaft bei diesem Delikt zu steigern? 7. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um über die Statistiken von Polizei und Justiz hinaus, Erkenntnisse über das Ausmaß von LSBTTIQ*-feindlicher Hasskriminalität zu erlangen? 8. Gab es seit 2011 in diesem Deliktsfeld Fortbildungen für Polizei und Justiz und wie bewertet der Senat die Notwendigkeit von weiteren Fortbildungsmaßnahmen? Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 9. Was gehört zum Tätigkeitsbereich des gesonderten Ansprechpartners bei der Polizei und wie wirkt sich die Schaffung dieser Funktion auf die polizeiliche Arbeit im Bereich LSBTTIQ*-feindlicher Hasskriminalität aus? Ist eine ähnliche Stelle auch bei der Staatsanwaltschaft vorgesehen? 10. Steht der Senat mit dem Rat&Tat-Zentrum in Kontakt zu der Frage, wie die materiellen Folgen der Angriffe abgemildert und neuerliche Attacken verhindert werden können? Falls ja, welche sind die Ergebnisse?“ Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Straftaten gegen die sexuelle Orientierung oder Identität /homofeindliche Straftaten wurden in den Kalenderjahren 2011 bis 2016 jeweils von der Polizei erfasst? (Bitte auflisten nach Jahr und jeweiligem Straftatbestand) 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Stichtag: 19.10.16 Hasskriminalität gesamt Phänomen übergreifend 26 32 36 44 49 37 Hasskriminalität nur Phänomenbereich rechts 24 29 35 26 39 22 Anteil der Straftaten gegen die sexuelle Orientierung 0 21) 0 12) 33) 14) 1) §130 StGB; 2) §223 StGB; 3) §185 StGB; 4) §303 StGB 2. Bei wie vielen dieser Straftaten wurden seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet und wie oft wurde Anklage erhoben? 3. Wie viele Personen wurden in den Jahren 2011 bis 2016 wegen LSBTTIQ*- feindlicher Straftaten aus dem Deliktsfeld Hasskriminalität in Bremen verurteilt a) zu Geldstrafen? b) zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung? c) zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung? Die Fragen 2 und 3 werden zusammen beantwortet. Im Jahr 2016 ist ein Ermittlungsverfahren wegen hassmotivierter homophober Straftaten eingeleitet worden. Die Ermittlungen hierzu dauern noch an und werden im Staatsschutzkommissariat der Polizei Bremen geführt. Die zur Beantwortung der Fragen 2 und 3 erforderlichen Daten werden bei der Staatsanwaltschaft Bremen statistisch nicht erfasst. Eine Beantwortung der Fragen würde daher nicht nur eine Einzelfallauswertung sämtlicher seit dem Geschäftsjahr 2011 bei der Staatsanwaltschaft Bremen eingegangenen Ermittlungsverfahren in den Sonderdezernaten zur Bearbeitung politisch motivierter Straftaten erfordern, sondern auch in den Dezernaten für allgemeine Straftaten, um die Verfahren zu erheben, in denen wegen hassmotivierten, homo-, trans- und interfeindlichen Straftaten ermittelt worden ist. Dies ist mit einem vertretbaren personellen Verwaltungsaufwand nicht zu leisten. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4. Welche Probleme sieht der Senat bei der Erfassung von Hasskriminalität mit LSBTTIQ*-feindlichem Hintergrund? Probleme liegen in der Erkennung einer homophoben Straftat. Dies kann durch unzureichende Hinweise beim Anzeigenden, - Fehlendes Vertrauen in die Polizei - Nicht-Offenlegung aller Details bei der Anzeigenaufnahme - Angst vor ungewolltem Outing oder bei der Anzeigenaufnahme - Falsche Einordnung der Anzeige - Unkenntnis über die Handlungsanleitung homophobe Straftaten - Falsche Steuerung innerhalb der Polizei (kommt nicht an die zentrale Ermittlungsstelle für homophobe Delikte) verursacht werden. 5. Wie schätzt der Senat die Dunkelziffer bei diesem Delikt ein? Unterschiedliche Studien u. a. aus den USA, Niederlanden und Deutschland besagen , dass 80-90 % dieser Delikte nicht bei der Polizei angezeigt werden; hier ist insgesamt von einem großen Dunkelfeld auszugehen. 6. Was tut der Senat, um die Anzeigebereitschaft bei diesem Delikt zu steigern ? Ursächlich für die Vermeidung einer Anzeigeerstattung sind vor allem die Furcht vor dem unkontrollierten Bekanntwerden der sexuellen Orientierung und vor dem Verhalten der mit der Anzeigenaufnahme betrauten Beamten. Zu letzterem werden Furcht vor unsensiblem Verhalten, Beleidigungen und Schuldzuweisungen, nicht zuletzt aufgrund eigener Vorurteile der Beamten, in entsprechenden Studien genannt. In der Polizei Bremen wurde aus diesem Grund die Funktion des Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (AgL) eingerichtet. Dieser Polizeibeamte ist mit 25 % seiner Arbeitszeit für die Thematik freigestellt. Er unterstützt im Rahmen der Fortbildung und ist Ansprechpartner sowohl innerhalb der Polizei als auch nach außen: - AgL auf LSBTTIQ*-Veranstaltungen mit Info-Stand - Handybereitschaft durch AgL - Diverse andere präventive Maßnahmen durch AgL Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Weiterhin wurde die Sachbearbeitung für homophobe Delikte zentralisiert. Damit erfolgt die Sachbearbeitung aus einer Hand mit festen Sachbearbeitern. Ergänzend ist anzumerken, dass die Polizei Bremen über eine Handlungsanleitung „Bekämpfung homophober Straftaten“ sowie über das Merkblatt „Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung“ verfügt. 7. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um über die Statistiken von Polizei und Justiz hinaus, Erkenntnisse über das Ausmaß von LSBTTIQ*- feindlicher Hasskriminalität zu erlangen? Der AgL der Polizei geht aktiv auf Veranstalter und Gastronomen zu, um hier seine Tätigkeit und ein Beratungsangebot zu platzieren. Weiterhin finden Gespräche mit dem lokalen Rat und Tat Zentrum für Lesben und Schwule statt. 8. Gab es seit 2011 in diesem Deliktsfeld Fortbildungen für Polizei und Justiz und wie bewertet der Senat die Notwendigkeit von weiteren Fortbildungsmaßnahmen ? Das Thema „Hate Crime“ bzw. vorurteilsmotivierte Kriminalität ist integraler Bestandteil des Curriculums im Bachelor-Studiengang Polizeivollzugsdienst (hier: Pflichtmodul J5). Dabei wird Kriminalität gegen unterschiedliche Minoritäten (u. a. auch Transmenschen) – insbesondere in kriminalpsychologischer Hinsicht – reflektiert . Über diese Pflichtveranstaltungen hinaus wird diese spezifische Thematik aber auch im Rahmen von Bachelorarbeiten bzw. Wahlpflichtmodulen aufgegriffen und vertieft. Das Fortbildungsinstitut für die Polizei im Lande Bremen bietet aktuell keine spezifischen Seminarangebote, die konkret den Deliktbereich der homo-, trans- und interfeindlichen Straftaten fokussieren, an. Ganz allgemein spielen Aspekte der vorurteilsmotivierten Kriminalität natürlich in einschlägigen kriminalpolizeilichen Fortbildungsveranstaltungen (z. B. zum Thema polizeiliche Vernehmung) immer wieder eine Rolle. Nachdem die Funktion des Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (AgL) in der Polizei eingerichtet wurde und eine Verzahnung im Bereich der Fortbildung erfolgt, wird derzeit keine Notwendigkeit von weiteren Fortbildungsmaßnahmen in der Polizei gesehen. Diese Entwicklung wird in sensiblen Bereichen wie diesen selbstverständlich regelmäßig überprüft und ggf. wird das Fortbildungsprogramm angepasst. Fortbildungen im Geschäftsbereich Justiz zu dem Thema der hassmotivierten, homo-, trans- und interfeindlichen Straftaten haben als Bestandteil der Fortbildungen über politisch motivierte Straftaten stattgefunden. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 9. Was gehört zum Tätigkeitsbereich des gesonderten Ansprechpartners bei der Polizei und wie wirkt sich die Schaffung dieser Funktion auf die polizeiliche Arbeit im Bereich LSBTTIQ*-feindlicher Hasskriminalität aus? Ist eine ähnliche Stelle auch bei der Staatsanwaltschaft vorgesehen? Zum Tätigkeitsbereich des Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Polizei gehören: - Unterstützung bei Beschwerde- und Disziplinarverfahren - Beratungsangebote - Öffentlichkeitsarbeit - Zusammenarbeit mit internen und externen Beratungsstellen - Aus- und Fortbildung Eine Bewertung über die Auswirkungen können zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgegeben werden, da die Stelle neu geschaffen wurde und noch keine validen Erfahrungswerte vorliegen. Teilweise besteht z. B. Skepsis bei den Bürgerinnen und Bürgern, da die Funktion zu wenig bekannt ist. Bei der Staatsanwaltschaft gibt es einen im Geschäftsverteilungsplan ausgewiesenen gesonderten Ansprechpartner. Zu seinen Aufgaben gehört es, gemeinsam mit dem Ansprechpartner bei der Polizei Bremen frühzeitig LSBTTIQ- feindliche Hasskriminalität zu erkennen und die Bearbeitung in die Sonderdezernate für politisch motivierte Kriminalität zu steuern, in denen die Sachbearbeitung derartiger Verfahren seit dem Jahr 2016 konzentriert erfolgt. 10. Steht der Senat mit dem Rat&Tat-Zentrum in Kontakt zu der Frage, wie die materiellen Folgen der Angriffe abgemildert und neuerliche Attacken verhindert werden können? Falls ja, welche sind die Ergebnisse? Die Ermittlungsführung im K 63, das u. a. zuständig ist für Gefährdungssachverhalte , Personenschutz und politisch motivierte Kriminalität, sowie der AgL der Polizei stehen in engem Kontakt mit dem Betreiber des Rat&Tat-Zentrums. Vom K 63 wurde eine Beratung durch die Präventionsstelle der Polizei Bremen initiiert. Es wurden Möglichkeiten zur Überwachung erörtert. Eine Entscheidung behält sich der Betreiber vor. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-827 VB Homo-, trans- und interfeindliche Straftaten in Bremen 20161108_1_KA Homo-, trans- und interfeindliche Straftaten