BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 19/996 Landtag 19. Wahlperiode 28.03.17 Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE Personenbezogene Hinweise in polizeilichen Datenbanken Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 15.02.2017 „Personenbezogene Hinweise in polizeilichen Datenbanken Die Polizeien von Bund und Ländern nutzen verschiedenen Datenbanken, um sogenannte personengebundene Hinweise (PHW) über Verdächtige und Beschuldigte zu speichern. Die PHW können bei polizeilichen Kontrollen herangezogen werden, um polizeitaktische Maßnahmen zu ergreifen. Sowohl die Anzahl der abgespeicherten PHW als auch die Kategorien als solche sind aus bürger- und datenschutzrechtlicher Sicht teilweise fragwürdig: 2014 hatte die Bremer Polizei 275 Personen als „geisteskrank“ gespeichert, 102 waren mit dem Kriterium „Ansteckungsgefahr“ vermerkt und 999 Personen als mutmaßliches Mitglied eines „Ethnischen Clans“ (Drs. 18/1648). Diese Anfrage soll aktuelle Informationen über die Speicherpraxis bei der Bremer Polizei liefern . Wir fragen den Senat: 1. Welche Personengebundenen Hinweise (PHW) sind im Polizeilichen Auskunftssystem @rtus bzw. INPOL-Land als polizeitaktische Kategorie gespeichert? 2. Verwendet die Bremer Polizei zusätzliche PHW, die über die bundeseinheitliche Regelung gemäß Beschluss der Innenministerkonferenz vom Oktober 2011 hinausgehen? Wenn ja: Welche? 3. Wie viele Personen sind mit den unter 1. und 2. genannten Kategorien jeweils in der Datenbank @rtus /INPOL-Land erfasst? 4. Wie viele und welche PHW wurden in den vergangenen fünf Jahren in den Datenbanken @rtus /INPOL-Land jeweils neu angelegt? 5. Wie stellen sich die Löschfristen für die jeweiligen PHW-Kriterien dar? 6. Wann ist mit einer Umsetzung folgender Passage aus dem Koalitionsvertrag von SPD und Grünen zu rechnen: „Wir wollen einen effektiven Rechtsschutz gegen unzulässige polizeiliche 40 Datenspeicherungen und Weitergaben von Daten ermöglichen. Wenn die Polizei Erkenntnisse über vermeintliche oder tatsächliche Beteiligte von Straftaten in ihren Informationssystemen festhält, sollen die Betroffenen künftig hierüber informiert werden, sofern dies die Ermittlungen nicht gefährdet.“ (Koalitionsvertrag, S. 79)?“ Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 2 Der Senat beantwortet die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Personengebundene Hinweise (PHW) werden zum einen im Informationssystem Polizei (IN- POL) gespeichert, die das Bundeskriminalamt (BKA) als dateiführende Stelle auf Grundlage des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) betreut. Die Speicherung, Nutzung sowie Vergabe personengebundener Hinweise richtet sich nach den § 7 Abs. 8, § 8 Abs. 2, §§ 10, 13 und 14 des BKAG, sowie der „Verordnung über die Daten, die nach den §§ 8 und 9 des BKAG gespeichert werden dürfen“ (Bundesgesetzblatt 2010 Teil 1 Nr. 29 vom 8. Juni 2010). Zum anderen werden im Informationssystem der Polizei des Landes Bremen (INPOL Land) personengebundene Hinweise auf Grundlage des Bremer Polizeigesetzes (BremPolG) gespeichert . Rechtsgrundlage für die Speicherung, Veränderung und Nutzung sind die §§ 27, 28, 36a ff. BremPolG, sowie die Richtlinien über Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlungen (KpS-Richtlinien). Die Speicherung eines PHW erfolgt, soweit er zum Schutz der Person oder zur Eigensicherung von Beamten erforderlich ist, oder soweit dies erforderlich ist, weil wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass Strafverfahren gegen den Beschuldigten oder Tatverdächtigen zu führen sind. PHW sind personenbezogene Daten im Sinne des Bremischen Datenschutzgesetzes. Die Verarbeitung der Daten unterliegt den §§ 36a ff. BremPolG. Personengebundene Hinweise dürfen nach § 36c BremPolG nur Polizei- und Sicherheitsbehörden übermittelt werden. Ausnahmen hiervon sind zur Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben oder von im Gesetz genannten besonders schweren Straftaten gemäß § 36b Abs. 4 BremPolG zulässig. Die Übermittlungen an andere öffentliche oder nicht öffentliche Stellen sind in den §§ 36f und 36g BremPolG geregelt. Dritte dürfen die übermittelten Daten nur für die Zwecke nutzen, zu denen sie ihnen übermittelt worden sind. Speicherfristen, Berichtigungen, Löschung und Sperrung der Daten regelt § 36k BremPolG. Die einzelfallbezogene vorzeitige Löschung der Daten kann beim behördlichen Datenschutzbeauftragten der Polizei Bremen gemäß § 36k Abs. 5 BremPolG beantragt werden. Löschbegehren werden geprüft und abhängig vom Prüfergebnis ausgeführt. Die Landes-PHW werden in der Verfahrensbeschreibung INPOL-Land Bremen aufgeführt. Die aktuell gültige Verfahrensbeschreibung INPOL-Land Bremen wurde durch die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) genehmigt. Ermittlungsunterstützende Hinweise (EHW) sind Hinweise auf Besonderheiten einer natürlichen Person, die primär dazu geeignet sind, einen polizeilichen Kontext zu verdeutlichen, polizeiliches Handeln zielgerichteter zu steuern bzw. zu unterstützen, oder die dem Schutz Dritter dienen. Sie sind darüber hinaus auch geeignet, Datenbestände für Ermittlungen zu kennzeichnen bzw. zu selektieren. Sekundär kann ein EHW auch dem Schutz der Betroffenen und der Eigensicherung der eingesetzten Polizeibediensteten dienen. Sie unterstehen den gleichen Einschränkungen bei Speicherung, Nutzung sowie Vergabe wie die PHW. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 3 1. Welche Personengebundenen Hinweise (PHW) sind im Polizeilichen Auskunftssystem @rtus bzw. INPOL-Land als polizeitaktische Kategorie gespeichert ? Die Frage wird hier so verstanden, dass neben den PHW auch die Ermittlungsunterstützenden Hinweise (EHW) gemeint sind. Sie werden daher mit aufgeführt. Personengebundene Hinweise (PHW), bundeseinheitliche Vergabe. Zurzeit sind im INPOL-Verbund folgende PHW zur Speicherung zulässig: Tabelle 1 Kürzel Text Laufzeit Anzahl Speicherungen 1 2 3 4 BEWA bewaffnet KPS 1.021 GEWA gewalttätig KPS 2.626 AUSB Ausbrecher KPS 8 ANST Ansteckungsgefahr KPS 148 PSYV Psychische und Verhaltensstörung KPS 1.381 BTMK Betäubungsmittelkonsument KPS 11.186 FREI Freitodgefahr 2 Jahre * 672 EXPL Explosivstoffgefahr KPS 11 * Neubeurteilung nach Ablauf Ermittlungsunterstützende Hinweise (EHW), bundeseinheitliche Vergabe, Erfassung seit Jan. 2017 möglich, daher in einigen Bereichen noch nicht vollständig erfolgt. Nachfolgende Ermittlungsunterstützende Hinweise sind zulässig: Tabelle 2 Phänomenbereich/Bereich EHW Ausprägung/-en Laufzeit Anz. Sp. 1 2 3 4 5 Eigentumskriminalität Einbrecher KPS 2 KFZ-Dieb KPS 0 Trick-Taschendieb KPS 3 Reisender Täter KPS 0 Betäubungsmittelkriminalität BTM-Handel Händler KPS 43 Lieferant KPS 1 Abnehmer KPS 3 Produzent KPS 6 Kurier KPS 0 Menschenhandel Menschenhandel Zuhälter KPS 0 Schleuser KPS 0 Anwerber KPS 0 Vermieter KPS 0 Intensivtäter Intensivtäter Sportveranstaltungen 1 Jahr * 0 Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 4 Politisch motivierte Kriminalität Politisch_motivierter Straftäter PMK-rechts KPS 19 PMK-links KPS 60 PMK Ausländerkrim. KPS 73 PKK-religiös motiv. KPS 0 PMK-sonstige KPS 0 Terrorismus Reisender in/aus Jihad-/ Krisengebiet KPS 1 Gefährdung Gefährdung Stalker KPS 29 Brandstifter KPS 1 Häusliche Gewalt KPS 39 Schmuggel Schmuggler KPS 0 Identität Identität Dokumentenbeschaffer KPS 0 Passüberlasser KPS 1 Sexualkriminalität Sexualtäter KPS 531 Rocker Rocker KPS 39 2. Verwendet die Bremer Polizei zusätzliche PHW, die über die bundeseinheitliche Regelung gemäß Beschluss der Innenministerkonferenz vom Oktober 2011 hinausgehen ? Wenn ja: Welche? Die Polizeien des Landes Bremen verwenden die nachfolgenden Landes-PHW. Diese PHW sind nur für Abfragen im Land Bremen sichtbar. Tabelle 3 Kürzel Text Laufzeit Anzahl Speicherungen 1 2 3 4 ISTC Informationssammelstelle Clankriminalität max. 2 Jahre * 724 ITEN Intensivtäter max. 1 Jahr * 208 STÄT Schwellentäter max. 2 Jahre * 16 * Neubeurteilung nach Ablauf 3. Wie viele Personen sind mit den unter 1. und 2. genannten Kategorien jeweils in der Datenbank @rtus /INPOL-Land erfasst? Insgesamt sind landesweit 16.413 Personen mit einem oder mehreren PHW / EHW versehen . Vor dem Hintergrund der Umstellung auf das neue System PIAV (Polizeilicher Informations - und Analyseverbund) ist zu erwarten, dass sich die Anzahl der Speicherungen unter dem PHW „BTMK“ erheblich verringern wird. Die Anzahl der Speicherungen in den einzelnen Kategorien ist in den Tabellen 1 u. 3 in der Spalte 4 und in Tabelle 2 in Spalte 5 angegeben. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 5 4. Wie viele und welche PHW wurden in den vergangenen fünf Jahren in den Datenbanken @rtus /INPOL-Land jeweils neu angelegt? In den letzten 5 Jahren ist nur der Landes PHW Informationssammelstelle Clankriminalität „ISTC“ neu aufgenommen worden. 5. Wie stellen sich die Löschfristen für die jeweiligen PHW-Kriterien dar? Die Löschfristen ergeben sich aus den gültigen KPS Richtlinien (Richtlinie für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen) des Landes bzw. durch gesonderte Regelung gem. BKAG (Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten). Die Dauer der Speicherung eines PHW / EHW in der elektronischen Kriminalakte (eKA) richtet sich nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit. PHW / EHW werden grundsätzlich nach 5 Jahren ausgesondert , es sei denn, durch die Persönlichkeit des Betroffenen sowie aus der Art, Schwere und Häufigkeit von ihm begangener Straftaten bzw. vom Betroffenen verursachten Gefahren ist erkennbar, dass die Speicherung länger erforderlich ist, um zukünftig Straftaten aufzuklären , zu verhindern bzw. Gefahren abzuwehren. Die längste Aussonderungsprüffrist (Speicherdauer) eines PHW / EHW beträgt für Erwachsene 10 Jahre, für Jugendliche 5 Jahre und für Kinder 2,5 Jahre, sofern in dieser Zeit keine weiteren Straftaten / Gefahrenvorgänge zur Person in der elektronischen Kriminalakte gespeichert wurden. Die Verlängerung der Prüffrist bemisst sich am neu eingetretenen Ereignis (Straftaten / Gefahrenvorgänge) bzw. an einer dokumentierten Einzelfallentscheidung. Die Löschfristen sind in den Tab. 1 + 3 in Spalte 3 und in Tab. 2 in Spalte 4 angegeben. 6. Wann ist mit einer Umsetzung folgender Passage aus dem Koalitionsvertrag von SPD und Grünen zu rechnen: „Wir wollen einen effektiven Rechtsschutz gegen unzulässige polizeiliche Datenspeicherungen und Weitergaben von Daten ermöglichen . Wenn die Polizei Erkenntnisse über vermeintliche oder tatsächliche Beteiligte von Straftaten in ihren Informationssystemen festhält, sollen die Betroffenen künftig hierüber informiert werden, sofern dies die Ermittlungen nicht gefährdet.“ (Koalitionsvertrag, S. 79)? Die Speicherung von PHW / EHW erfolgt bei den Polizeien im Land Bremen ausschließlich im rechtlich zulässigen Rahmen. Bei Betrachtung der im Koalitionsvertrag genannte Personengruppe, nämlich Tatverdächtige /Beschuldigte, Zeugen, Hinweisgeber, Geschädigte/Opfer, ergibt sich folgendes Bild: Die Datenerhebung und insbesondere Auskunftserteilung in Strafverfahren ist durch die Strafprozessordnung abschließend geregelt. Eine Benachrichtigungspflicht gegenüber Betroffenen ist in der Strafprozessordnung jedenfalls im Grundsatz nicht vorgesehen. Die Regelungen der Strafprozessordnung sind insoweit als Spezialregelungen anzusehen, die den allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen vorgehen. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Beteiligte eines Strafverfahrens (Beschuldigte, Zeugen und Opfer) sind in den meisten Fällen darüber unterrichtet, dass Angaben über sie in polizeilichen Informationssystemen gespeichert werden. In der Regel wird offen ermittelt, d.h. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft 6 Beschuldigte, Zeugen und Opfer werden schriftlich oder mündlich vernommen und deren Angaben gespeichert. Anzeigende erfahren im Zusammenhang mit der Anzeigeerstattung, dass Angaben zu ihrer Person und Angaben zum Sachverhalt erhoben (und gespeichert) werden. Nach § 491 StPO haben Betroffene ein Recht, Auskunft über Verfahren bei der Staatsanwaltschaft zu erhalten. Bei nicht offenen Ermittlungen gilt Folgendes: bei Ermittlungen mit verdeckten Maßnahmen (z.B. durch Überwachung der Telekommunikation) erfahren Betroffene zwar zunächst nicht, dass über sie Daten erhoben worden sind. Allerdings enthält § 101 Absatz 4 StPO eine Benachrichtigungspflicht für verdeckte Maßnahmen. In Fällen verdeckter Ermittlungen ist danach eine Kenntniserlangung mittels Benachrichtigung an Betroffene grundsätzlich sichergestellt. Insoweit ist dem Begehren des Koalitionsantrags entsprochen. Für darüber hinausgehende weitere Regelungen besteht landesrechtlich keine Gesetzgebungskompetenz, da das Strafverfahrensrecht der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG zugewiesen ist und dieser von seiner Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat. Seit 2013 findet durch die Polizei Bremen eine Benachrichtigung der Betroffenen statt, soweit es sich um Einträge in der Datei Gewalttäter Sport handelt. Diese Praxis hat sich bewährt. Inwieweit sie auf andere Datenspeicherungen zu Gefahrenabwehr ausgedehnt werden kann, wird derzeit noch geprüft. Vorlä ufige, unredigierte Fassung – Parlamentsdokumentation der Bremischen Bü rgerschaft Drs-19-996 VB Personenbezogene Hinweise in polizeilichen Datenbanken 20170328_1_KA polizeiliche Datenbanken