Deutscher Bundestag Drucksache 18/1027 18. Wahlperiode 02.04.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/832 – Nebentätigkeiten von Bundesrichterinnen und -richtern, Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaften und Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern und Staatsanwaltschaften Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Unabhängigkeit der Justiz genießt aufgrund des Artikels 97 des Grundgesetzes Verfassungsrang und ist im Hinblick auf das Vertrauen in den Rechtsstaat von erheblicher Bedeutung. Interessenverquickungen von Richterinnen und Richtern und Staatsanwaltschaften führen zu Zweifeln an der Unabhängigkeit der Justiz. Der § 25 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) formuliert: „Der Richter ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.“ In § 39 DRiG wird von einer/ einem Richterin/Richter erwartet, das sie/er sich innerhalb und außerhalb ihres/ seines Amtes so verhält, dass das Vertrauen in ihre/seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Für die Rechtsverhältnisse von Richterinnen/Richtern im Bundesdienst gelten nach § 46 DRiG bis zu einer besonderen Regelung die Vorschriften für Bundesbeamte entsprechend. Das Bundesbeamtengesetz (BBG) enthält in den §§ 97 ff. umfassende Regelungen zu Nebentätigkeiten. Der § 99 Absatz 2 BBG regelt im Detail, unter welchen Voraussetzungen eine Nebentätigkeit zu versagen ist. Nach § 99 Absatz 2 Nummer 4 BBG ist eine Nebentätigkeit zu versagen, die die Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Beamtinnen /Beamten beeinflussen kann. Allerdings legt der § 100 Absatz 1 Nummer 2 BBG u. a. fest, dass eine Vortragstätigkeit keine genehmigungspflichtige Nebenbeschäftigung ist. Dennoch können insbesondere bezahlte Vortragstätigkeiten den Eindruck erwecken, dass die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern nicht gegeben ist soweit es eine Überschneidung mit von Richterinnen und Richtern zu entscheidenden Streitfällen gibt. Der § 141 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) legt fest, das bei jedem Gericht eine Staatsanwaltschaft bestehen soll. Die Beamten der StaatsanwaltDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 31. März 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. schaft haben nach § 146 GVG den dienstlichen Anweisungen ihrer Vorgesetzten nachzukommen. Der § 147 GVG legt im Einzelnen fest, wem die Aufsicht und Leitung für die jeweiligen Staatsanwaltschaften zusteht, u. a. liegt nach Nummer 1 die Aufsicht und Leitung hinsichtlich des Generalstaatsanwaltes und der Bundesanwälte beim Bundesminister der Justiz. Das Magazin Drucksache 18/1027 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode „DER SPIEGEL“ Nr. 9/2014 (vgl. https://magazin.spiegel.de/digital/index_ SP.html#SP/2014/9/125253335) hat sich mit dem Thema Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften beschäftigt und verschiedene Reformvorschläge zitiert, da es erhebliche Kritik an der Weisungsgebundenheit von Staatsanwaltschaften gibt. Der § 153a Absatz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung (StPO) eröffnet die Option der Verfahrenseinstellung soweit der Beschuldigte „einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse“ zahlt. In Nummer 93.4. der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) wird explizit darauf verwiesen, dass neben spezialpräventiven Erwägungen insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe , Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang zu berücksichtigen sind. Medienberichten zufolge (vgl. Report Mainz vom 4. März 2014 und www.focus. de/politik/deutschland/20-000-euro-dank-vetternwirtschaft-richter-schanztreitverein -der-tochter-bussgelder-zu_id_3660578.html) soll es dennoch zu „Vetternwirtschaft“ gekommen sein. Dies führt zu Misstrauen gegenüber der Unabhängigkeit der Justiz. Die Praxis der Verteilung der nach § 153a Absatz 1 Nummer 2 StPO zu verteilenden Bußgelder ist soweit ersichtlich in den Bundesländern unterschiedlich (vgl. „Transparenz der Vergabe von Geldbußen an gemeinnützige Organisationen − Eine Dokumentation anhand der Praxis der Bundesländer“, Wolfgang Stückemann) geregelt. In den §§ 474 ff. StPO werden die Akteneinsichtsrechte und die Voraussetzungen der Erteilung von Auskünften geregelt. Es findet sich allerdings keine Regelung zu Fragen der aktiven Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaften, obwohl das Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens mit Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten verbunden ist. Die Nummer 4a RiStBV legt fest, dass die Staatsanwaltschaft alles zu vermeiden hat, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann, enthält aber keine weiteren Vorschriften hinsichtlich erlaubter aktiver Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Regelungen zur Öffentlichkeitsarbeit enthält die RiStBV nicht. 1. Wie viele Richterinnen und Richter im Bundesdienst üben eine Nebentätigkeit aus? Im Jahr 2013 haben 308 Richterinnen und Richter im Bundesdienst (am Bundesgerichtshof , Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht, Bundespatentgericht und Bundesverwaltungsgericht) einschließlich der Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten eine Nebentätigkeit ausgeübt. Dabei sind Richterinnen und Richter, die nur einen Teil des Jahres einem Bundesgericht angehört haben, mitgezählt worden. 2. Wer genehmigt und versagt Nebentätigkeiten von Richterinnen und Richtern im Bundesdienst? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Genehmigung und Versagung von Nebentätigkeiten der Richterinnen und Richter im Bundesdienst den Präsidentinnen und Präsidenten der Bundesgerichte übertragen (vgl. § 46 des Deutschen Richtergesetzes – DRiG, § 99 Absatz 5 Satz 2 des Bundesbeamtengesetzes – BBG). Die entsprechenden Entscheidungen zu Nebentätigkeiten der Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten obliegen – je nach Bundesgericht – dem Bundesminis- terium der Justiz und für Verbraucherschutz oder dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1027 3. Wie wird sichergestellt, dass im Fall einer Nebentätigkeit von Richterinnen und Richtern im Bundesdienst diese Nebentätigkeit nicht die Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Richterinnen und Richter gefährdet, mithin kein Verstoß gegen § 99 Absatz 2 BBG vorliegt? Die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten von Richterinnen und Richtern im Bundesdienst ist durch die einschlägigen Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes (§§ 4, 39, 40, 41 DRiG), die entsprechend anzuwendenden beamtenrechtlichen Genehmigungsvorschriften (§ 46 DRiG in Verbindung mit den §§ 97 ff. BBG) sowie die Verordnung über die Nebentätigkeit der Richter im Bundesdienst (BRiNV) gesetzlich klar geregelt. Diese Vorschriften berücksichtigen in besonderem Maße die Grundsätze der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Unbefangenheit von Richterinnen und Richtern. Sie stellen darüber hinaus sicher, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen nicht beeinträchtigt werden. Entgeltliche und bestimmte unentgeltliche Nebentätigkeiten sind grundsätzlich genehmigungsbedürftig (§ 99 Absatz 1 BBG). Die Genehmigung muss dabei versagt werden, wenn zu besorgen ist, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden (§ 99 Absatz 2 Satz 1 BBG), was insbesondere dann der Fall ist, wenn eine Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Inhaber öffentlicher Ämter zu besorgen ist. Dieser Versagungsgrund wird durch einen umfangreichen Katalog an Beispielsfällen erläutert und konkretisiert. Darüber hinaus liegt grundsätzlich ein Versagungsgrund vor, soweit der Gesamtbetrag der Vergütung für eine oder mehrere Nebentätigkeiten 40 Prozent des jährlichen Endgrundgehalts des Amtes der Beamtin oder des Beamten übersteigt (§ 99 Absatz 3 Satz 3 BBG). Diese Anknüpfung wurde gewählt, weil zwischen Höhe der Vergütung und der zeitlichen Inanspruchnahme typischerweise ein enger Zusammenhang besteht. Ist eine entgeltliche Nebentätigkeit ausnahmsweise nicht genehmigungsbedürftig , ist sie dennoch vor der Aufnahme der Dienstbehörde schriftlich anzuzeigen (§ 100 Absatz 1, 2 BBG). Sie ist ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die Beamtin oder der Beamte bei ihrer Ausübung dienstliche Pflichten verletzt (§ 100 Absatz 4 BBG). Zudem darf eine Richterin oder ein Richter eine Nebentätigkeit ausdrücklich nur ausüben, wenn dadurch das Vertrauen in seine Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Unbefangenheit nicht gefährdet wird (vgl. §§ 1 und 5 BRiNV). Soweit eine an sich zulässige Nebentätigkeit im Einzelfall gleichwohl einmal Zweifel an der Unparteilichkeit der Richterin oder des Richters begründen könnte, wird dem außerdem durch die prozessualen Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen (z. B. §§ 22 ff. StPO) Rechnung getragen. Das differenzierte und sachgerechte Regelungswerk hat sich bewährt. Seit Mitte der 80er-Jahre wurden die Vorschriften zur Beschränkung von Nebentätigkeiten der Bundesbediensteten zudem mehrfach, zuletzt durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160), verschärft. Hinreichende Gründe, die ein generelles Verbot entgeltlicher Nebentätigkeit in Hinblick auf die Freiheit der Wissenschaft und Kunst (Artikel 5 des Grundgesetzes – GG) und auf die Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Drucksache 18/1027 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 4. Sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die Regelung in § 100 Absatz 1 Nummer 2 BBG, der u. a. eine Vortragstätigkeit als nicht genehmigungspflichtige Nebenbeschäftigung definiert, Reformbedarf, um ggf. sicherzustellen , dass die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern im Bundesdienst nicht infrage gestellt wird? Die Vorschrift des § 100 BBG regelt abschließend die nicht genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten. Die in § 100 Absatz 1 Nummer 2 BBG geregelten schriftstellerischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder Vortragstätigkeiten sind allerdings der Dienstbehörde schriftlich vor ihrer Aufnahme anzuzeigen, wenn für sie ein Entgelt oder ein geldwerter Vorteil geleistet wird, vgl. § 100 Absatz 2 Satz 1 BBG. Hierbei sind insbesondere Art und Umfang der Nebentätigkeit sowie die voraussichtliche Höhe der Entgelte und geldwerten Vorteile anzugeben und jede Änderung unverzüglich schriftlich mitzuteilen, vgl. § 100 Absatz 2 Satz 2, 3 BBG. Die Anzeigepflicht dient der Prüfung und Entscheidung, ob durch die Nebentätigkeit dienstliche Pflichten verletzt werden und ob sie dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung schadet. Gemäß § 100 Absatz 4 BBG ist eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die Beamtin oder der Beamte bei ihrer Ausübung dienstliche Pflichten verletzt. Zur Beurteilung, ob eine Dienstpflicht verletzt wird, kann auf die Beispielsfälle des § 99 Absatz 2 und 3 BBG zurückgegriffen werden. Die Bundesregierung sieht angesichts dieser Vorschrift, die in sachgerechter Weise einem Ausgleich zwischen der Freiheit der Wissenschaft und Kunst (Artikel 5 GG) sowie der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) auf der einen Seite und dem Interesse des Dienstherrn und der Allgemeinheit an einer vollwertigen Amtsausübung in Unbefangenheit auf der anderen Seite dient, keinen Reformbedarf . 5. Wie steht die Bundesregierung zur Idee, zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz, die Bildung von Landesjustizräten und deren Aufgaben entsprechend den §§ 21d und 21k des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE. aus der 17. Wahlperiode (vgl. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/117/ 1711703.pdf) sowie eines Bundesjustizrates in § 21l des benannten Gesetzentwurfs im GVG zu verankern? Die in dem Gesetzentwurf der Fraktion Die LINKE. aus der 17. Legislaturperiode (Bundestagsdrucksache 17/11703) vorgesehene Einführung von sog. Justizräten als obersten Justizbehörden und obersten Dienstherren der Justizangehörigen jeweils auf Bundes- und Länderebene ist verknüpft mit den Forderungen nach einer Selbstverwaltung der Justiz. Der genannte Gesetzentwurf sollte die mit einem weiteren Gesetzentwurf auf verfassungsrechtlicher Ebene zu schaffenden Voraussetzungen und Vorgaben auf einfachgesetzlicher Ebene umsetzen . Die Einführung von Justizräten kann vor diesem Hintergrund nicht isoliert bewertet werden, sondern nur im Zusammenhang mit den Befugnissen und Aufgaben der Justizräte im Rahmen der geforderten Selbstverwaltung. Die mit dem Gesetzentwurf angestrebte organisatorische Verselbständigung der Dritten Gewalt ist weder unter dem Gesichtspunkt des Artikels 20 Absatz 2 Satz 2 GG (Allgemeiner Gewaltenteilungsgrundsatz) noch des Artikels 92 GG (Organe der rechtsprechenden Gewalt) oder des Artikels 101 Absatz 1 Satz 2 GG (Grundsatz des gesetzlichen Richters) verfassungsrechtlich geboten. Eine weitgehende Selbstverwaltung der Justiz ist in Deutschland bereits nach geltender Rechtslage durch Richterwahlausschüsse und Gerichtspräsidien sichergestellt . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1027 Zudem genießt die deutsche Justiz bei den Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Ansehen. Dieses hohe Ansehen besteht auch im internationalen Vergleich. Weltweit (vgl. The Global Competitiveness Report 2013–2014) gehört die deutsche Judikative zu den unabhängigsten und unparteiischsten Justizsystemen. Nach dem Global Competitiveness Report liegt Deutschland im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit weltweit auf einem der vorderen Ränge. Länder, die über eine organisatorisch verselbstständigte Justiz verfügen, liegen hiernach deutlich hinter dem deutschen Justizsystem. Im Übrigen würde die Einführung eines Modells der Selbstverwaltung der Justiz in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Grundgesetzänderung erfordern und wäre insoweit auch auf die Kooperation der Länder angewiesen. Die Bundesregierung verschließt sich gleichwohl Debatten über eine Justizreform nicht und beteiligt sich an Gesprächen zu diesem Thema. Um diese Diskussion weiter zu betreiben und auf eine wissenschaftlich unterlegte Grundlage zu stellen, beteiligt sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz an der Bund-Länder Kommission „Judicial System“ zur Analyse justizieller Autonomie in Europa, die die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union etablierten Konzepte der Selbstverwaltung der Justiz auf wissenschaftlicher Grundlage untersucht, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die sich ggf. für die Diskussion über die Einführung eines Selbstverwaltungsmodells fruchtbar machen lassen. Im Juni 2014 wird ein Treffen der Kommission mit dem Consultative Council of European Judges des Europarates stattfinden. Wissenschaftlicher Moderator der Kommission, die seit dem Jahr 2013 mit Repräsentantinnen und Repräsentanten von Richterräten anderer Staaten ergebnisoffen im Austausch steht, ist Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht (Goethe-Universität Frankfurt am Main). 6. Sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, das GVG und die StPO zu reformieren, um das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften abzuschaffen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, gibt es Präferenzen für sich in der Debatte befindliche Vorschläge? Nach § 146 GVG haben die Beamtinnen und Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Weisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. Weisungsbefugt sind nicht nur die vorgesetzten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte („internes Weisungsrecht“), sondern auch die Justizministerinnen und Justizminister („externes Weisungsrecht“). Das geltende Recht lässt für ministerielle Weisungen gegenüber Staatsanwaltschaften aber nur einen schmalen Korridor: Weisungen müssen sich am Legalitätsprinzip messen lassen und dürfen keine sachwidrigen oder gar rechtswidrigen Erwägungen enthalten. In der Praxis machen die Justizverwaltungen von dem Weisungsrecht, wenn überhaupt, nur sehr zurück-haltend Gebrauch, um nicht den Vorwurf politischer Einflussnahme entstehen zu lassen. Die Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat sich am 14. November 2013 mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen, das externe Weisungsrecht abzuschaffen. Die bloße Existenz eines ministeriellen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften ist sowohl in Deutschland als auch im europäischen Kontext nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt (vgl. z. B. die Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 30. September 2009, RES 1685 [2009], wonach den Justizministerien die Möglichkeit genommen werden soll, der Staatsanwaltschaft Einzelweisungen zu erteilen). Drucksache 18/1027 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Frage des Weisungsrechts steht im Zusammenhang mit der ebenfalls seit langer Zeit geführten Diskussion über eine Selbstverwaltung der Justiz. Zu dieser Thematik wird auf die Ausführungen zu Frage 5 und die dort in Bezug genommenen Kommissionsarbeiten verwiesen. Die Bund-Länder-Kommission wird noch im Jahr 2014 einen Abschlussbericht vorstellen. Im Anschluss wird zu prüfen sein, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. 7. Sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf hinsichtlich der Verteilung der nach § 153a Absatz 1 Nummer 2 StPO zu zahlenden Bußgelder? Wenn nein, warum nicht? Nach § 153a Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 Alternative 1 StPO kann – wenn die übrigen Voraussetzungen des § 153a StPO vorliegen – von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen und dem Beschuldigten aufgegeben werden, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen. Eine solche Geldauflage kommt auch bei einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56b Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 4 des Strafgesetzbuches (StGB), als Auflage im Jugendstrafverfahren nach § 15 des Jugendgerichtsgesetzes – JGG (auch in Verbindung mit § 23 Absatz 1, § 45 Absatz 3, § 47 Absatz 1 JGG) – und auch im Rahmen von Gnadenverfahren (vgl. z. B. § 19 der Brandenburgischen Gnadenordnung ) in Betracht. Die Zuweisung der von den Beschuldigten nach § 153a Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 Alternative 1 StPO zu zahlenden Geldbeträge an eine gemeinnützige Einrichtung steht im pflichtgemäßen Ermessen des jeweiligen Entscheidungsträgers und eröffnet damit einen verantwortungsvoll wahrzunehmenden Entscheidungsspielraum . Gerichte und Staatsanwaltschaften haben danach eigenverantwortlich und einzelfallbezogen zu prüfen, an welche gemeinnützige Organisation der Beschuldigte eine Geldzahlung leisten soll. Der Beschuldigte kann hierbei Vorschläge machen, die Entscheidung über die Auswahl des Zuwendungsempfängers obliegt jedoch allein der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Dieses Auswahlermessen wird nach geltendem Recht begrenzt. Bei der Auswahl haben Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nach Nummer 93 Absatz 4 RiStBV neben spezialpräventiven Erwägungen zu beachten, dass insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligenund Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt werden. Zu den nach Nummer 93 Absatz 4 RiStBV im angemessenen Umfang zu berücksichtigenden Einrichtungen zählen auch sog. justiznahe Einrichtungen, die sich z. B. um den TäterOpfer -Ausgleich, die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit oder um die Durchführung von sozialen Trainingsmaßnahmen kümmern. Daneben haben die meisten Landesjustizverwaltungen ermessensleitende Verwaltungsvorschriften über Geldauflagen in Strafverfahren erlassen. Die in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierte Abhandlung von Wolfgang Stuckemann zur „Transparenz der Vergabe von Geldbußen an gemeinnützige Organisationen – Eine Dokumentation anhand der Praxis der Bundesländer“ gibt dazu einen, wenn auch aufgrund inzwischen erfolgter Überarbeitungen nicht mehr durchgängig aktuellen, Überblick. Die Verwaltungsvorschriften der Länder sehen überwiegend vor, dass von den Präsidentinnen und Präsidenten der Landes- oder Oberlandesgerichte und den Leitenden Oberstaatsanwältinnen und -staatsanwälten oder Generalstaatsanwäl- tinnen und -staatsanwälten Listen, teils als Online-Datenbank, mit gemeinnützigen Einrichtungen geführt werden. Zugleich wird geregelt, welche Anforderun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1027 gen eine Einrichtung erfüllen muss, um Aufnahme in diese Listen zu erhalten. Die Listen dienen überwiegend als Orientierungshilfe für die staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Praxis. Zudem erstellen einige Länder auch Übersichten über die erfolgten Geldzuweisungen an gemeinnützige Organisationen; eine Veröffentlichung solcher Übersichten könnte aus Sicht der Bundesregierung einen wünschenswerten Beitrag zur Transparenz bilden. In einigen Ländern besteht zudem für die Gerichte die Möglichkeit und für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eine grundsätzliche Pflicht, Zahlungsauflagen unter Angabe katalogartig bestimmter Verwendungszwecke oder Fördergebiete Sammelfonds zuzuweisen , über dessen Ausschüttungen an gemeinnützige Einrichtungen Fördergremien entscheiden. Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das System der Zuweisung von Geldauflagen in Strafverfahren im Grundsatz bewehrt. Missbräuchliche Zuwendungen , hinter denen persönliche Interessen stehen, dürften nach Einschätzungen aus der Praxis keine zahlenmäßig große Rolle spielen und können zudem für darin verstrickte Amtsträgerinnen und Amtsträger dienstrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies schließt weitere Verbesserungen , die einer missbräuchlichen Handhabung im Einzelfall entgegen wirken können, nicht aus. Im Bereich des Bundes sind Missbrauchsfälle nicht bekannt geworden, zumal bei den vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungsverfahren, denen in der Regel besondere Bedeutung zukommt (vgl. § 120 Absatz 2, § 142a Absatz 2 Nummer 2, Absatz 4 GVG), insbesondere Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO wegen der Bedeutung der Sache meist nicht in Betracht kommen. 8. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Voraussetzungen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren gesetzgeberisch zu normieren? Wenn nein, warum nicht? Für die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften bestehen insbesondere auf Landesebene gesetzliche Regelungen in den Landespressegesetzen. Bundesrechtlich ist die Auskunft aus Strafakten in § 475 StPO geregelt, der auch für die Auskunftserteilung gegenüber Medien anzuwenden ist (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 475 Rn. 1). § 475 StPO setzt ein berechtigtes Interesse an der Auskunftserteilung voraus. Dieses kann sich aus den presserechtlichen Auskunftsansprüchen ergeben, die ihre verfassungsrechtliche Absicherung in Artikel 5 GG finden, wenn der hiervon Betroffene kein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat und auch sonstige Gründe (vgl. insbesondere § 477 Absatz 2 StPO) nicht entgegenstehen. Konkretisierend verpflichtet Nummer 23 der bundeseinheitlichen RiStBV die Strafverfolgungsbehörden zur informierenden Zusammenarbeit mit den Medien . Nach dieser Vorschrift darf die Unterrichtung der Medien allerdings nicht dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen oder das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren gefährden. Zudem hat eine vorausgehende Abwägung des öffentlichen Informationsinteresses mit den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten zu erfolgen. Die Namensnennung des Beschuldigten soll in der Regel nicht erfolgen. Weitere Konkretisierungen finden sich für Polizei und Staatsanwaltschaft im jeweiligen Landesrecht. Ein über die dargestellten Regelungen hinausgehender gesetzgeberischer Handlungsbedarf drängt sich nicht auf. Die im Rahmen der Medienarbeit im Kern stets vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Informationsinteresses mit den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten und etwaiger weiterer Beteiligten kann nur unter Berücksichtigung und Würdigung aller Umstände des Einzelfal- Drucksache 18/1027 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode les erfolgen. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der insoweit in der Verantwortung stehenden Staatsanwaltschaften . Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333