Deutscher Bundestag Drucksache 18/103 18. Wahlperiode 28.11.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/41 – Ermittlungs- und Strafverfahren gegen bundesdeutsche Neonazis durch österreichische Sicherheitsbehörden Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit Oktober 2013 muss sich eine Gruppe Neonazis vor dem Landgericht Wels in Österreich u. a. wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verantworten . Der Gruppe, die dem Nazi-Netzwerk rund um den „Freizeit- und Kulturverein Objekt 21“ entstammt, wird darüber hinaus die Bildung einer kriminellen Bande, Körperverletzung, Brandstiftung, Erpressung, Drogenhandel und Förderung der Prostitution vorgeworfen. Außerdem ist in der Anklage von illegalem Waffenbesitz die Rede. Neben österreichischen Staatsbürgern wird auch gegen deutsche Neonazis ermittelt. Drei Bundesbürger sind zwischenzeitlich in diesem Zusammenhang verhaftet worden. A. P. wurde im November 2012 aufgrund eines Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Wels in Gotha (Thüringen) in Haft genommen. Dieser Festnahme folgten dann die Inhaftierungen von P. T. aus Sachsen-Anhalt und S. M. ebenfalls aus Thüringen (vgl. Berliner Zeitung vom 22. Oktober 2013). Die „Berliner Zeitung“ spricht von einer „Nazi-Kameradschaft mit engen Verbindungen nach Bayern und Thüringen“ und von „rund 30 Mitgliedern und etwa 200 Anhängern aus Österreich und Deutschland.“ (ebd.). Daraufhin deutet auch ein Artikel der Tageszeitung „ÖSTERREICH“ bereits vom 3. März 2013. Die Waffenfunde – neben Maschinenpistolen und Faustfeuerwaffen wurden auch zehn Kilo Sprengstoff gefunden – und die Verbindungen nach Deutschland könnten auf ein verzweigtes Netzwerk mit rechtsterroristischem Charakter hindeuten . Darauf verweisen auch Durchsuchungsaktionen des Landeskriminalamtes (LKA)-Thüringen im August 2013 u. a. in Crawinkel und Ballstädt im Landkreis Gotha, die sich u. a. gegen Mitglieder der „Hausgemeinschaft Jonastal “ richteten, einem ähnlichen Projekt wie das „Objekt 21“ in Oberösterreich. Der in Österreich angeklagte deutsche Staatsbürger S. M. gehört zur „Hausgemeinschaft Jonastal“. Weiter werden der bayerischen Neonazigruppe Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 26. November 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. „aktionsNSgruppen Passau“ und anderen Neonazis aus Bayern Kontakte zum „Objekt 21“ nachgesagt (vgl. SPIEGEL ONLINE vom 30. August 2013). Drucksache 18/103 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die thematisierten Erkenntnisse sind in Teilen Gegenstand laufender Ermittlungen in Deutschland. Die Bundesregierung äußert sich nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren , um den Fortgang der Ermittlungen nicht zu gefährden. Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach konkreter Abwägung der betroffenen Belange das Informationsinteresse des Parlamentes hinter das verfassungsrechtliche Gebot einer Durchführung von Strafverfahren zurück, solange diese andauern. Eine weitergehende Auskunft könnte gegebenenfalls Ermittlungsmaßnahmen erschweren oder gar vereiteln, weshalb aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit folgt, dass vorliegend das betroffene Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und Strafverfolgung (vgl. dazu BVerfGE 51, 324 (343 f.)) Vorrang vor dem parlamentarischen Informationsinteresse hat. Des Weiteren sind die erfragten Informationen zum Teil auch Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens in Österreich. Daher können auch insoweit keine Informationen preisgegeben werden. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Rolle der deutschen Staatsbürger A. P., P. T. und S. M. im Rahmen des „Objekt 21“ bzw. im Zusammenhang mit Straftaten in Österreich? Welche Erkenntnisse über die drei liegen der Bundesregierung generell vor, und stehen deutsche Sicherheitsbehörden deshalb im Kontakt mit den österreichischen Behörden? Wenn ja, welche Behörden stehen seit wann miteinander in Kontakt? Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundeskriminalamt (BKA) sind die o. g. Personen in dem angefragten Sachzusammenhang bekannt. Es handelt sich um langjährige Angehörige der neonazistischen Szene in Sachsen -Anhalt und Thüringen. Das BfV steht in diesem Fall seit März 2012 in intensivem Kontakt mit dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Das BKA erhielt erstmalig im August 2012 Kenntnis von dem Sachverhalt, und steht seitdem im Informationsaustausch mit den österreichischen Sicherheitsbehörden. 2. Sind die drei inhaftierten bundesdeutschen Neonazis bereits in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich in Erscheinung getreten? Wenn ja, welche Straftaten wurden ihnen wann vorgeworfen, und welchen Ausgang nahmen die jeweiligen Ermittlungen? Zu allen drei Personen liegen der Bundesregierung Erkenntnisse aus dem Bereich der PMK-rechts vor, u. a. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Landfriedensbruchs und Körperverletzung . Zum Ausgang der Ermittlungen liegen der Bundesregierung keine systematischen Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/103 3. Inwieweit unterstützen die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden die Strafverfolgungsbehörden in Österreich z. B. durch Bereitstellung von Informationen und Unterlagen? Im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten stehen das BfV und das BKA im engen Informationsaustausch mit den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in Österreich und stellen die für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens im Umfeld des „Objekts 21“ notwendigen Informationen zur Verfügung. 4. Inwieweit liegen den bundesdeutschen Behörden zu den verhafteten bundesdeutschen Neonazis Informationen aus Ermittlungsakten in Österreich vor? Dem BKA und dem BfV liegen Informationen aus den Ermittlungsakten der österreichischen Sicherheitsbehörden vor. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 5. Beobachten die Bundesregierung bzw. deutsche Sicherheitsbehörden den Prozess in Österreich, und sind die deutschen Behörden regelmäßig vor Ort vertreten? Das BfV und das BKA führen derzeit keine Prozessbeobachtung durch. 6. Sind der Bundesregierung weitere deutsche Staatsbürger bekannt, gegen die im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen das „Objekt 21“ ermittelt wird? Wenn ja, welche Straftaten werden diesen zur Last gelegt, wann wurden die Straftaten begangen, und aus welchen Bundesländern stammen die Beschuldigten ? Soweit sich aus dem in Österreich geführten Ermittlungsverfahren Erkenntnisse ergeben, die für die Bundesrepublik Deutschland strafrechtliche Relevanz haben, werden diese durch die zuständigen Behörden verfolgt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Beziehungen deutscher Neonazigruppen und Personen der extremen Rechten zum „Objekt 21“ bzw. zu den jetzt in Österreich angeklagten Neonazis? Das „Objekt 21“ ist als rechtes Szeneobjekt und als Veranstaltungsort von Konzerten der rechtsextremistischen Szene, auch unter Beteiligung deutscher Staatsangehöriger, bekannt. Den Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse über Kontakte zwischen deutschen Rechtsextremisten, insbesondere aus SachsenAnhalt und Thüringen, zu Angehörigen des „Objekt 21“ vor. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 8. Hat es im Vorfeld der Festnahmen einen Austausch deutscher und österreichischer Sicherheitsbehörden zu den grenzüberschreitenden Aktivitäten von Nazigruppen aus beiden Ländern gegeben, und gibt es einen generellen und regelmäßigen Austausch zum Thema extreme Rechte zwischen beiden Ländern? Das BKA tauscht zur Verhütung oder Verfolgung von Straftaten gemäß § 3 des Bundeskriminalamtgesetzes Informationen mit ausländischen Staaten, so auch Drucksache 18/103 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode mit der Republik Österreich, aus. Zwischen dem BfV und BVT finden sowohl regelmäßige schriftliche als auch mündliche Kontakte bei turnusmäßigen Tagungen sowie anlassbezogene bilaterale Fachgespräche statt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 sowie auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 9. Ist im Rahmen des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR) über den Prozess in Österreich und über mögliche Verstrickungen deutscher Neonazis in das österreichische Netzwerk gesprochen worden ? a) Wenn ja, wann ist darüber gesprochen worden, und welche Erkenntnisse wurden hier vorgetragen? b) Wenn nein, wird die Bundesregierung den Vorgang im GAR zum Thema machen? Seit August 2012 wurde der Sachverhalt wiederholt in verschiedenen Plenumssitzungen des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR) sowie der Arbeitsgruppe (AG) Operativer Informationsaustausch besprochen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Durchsuchungen des Thüringer LKA im August 2013 u. a. in Crawinkel und Ballstädt bezogen auf die Verbindung deutscher Nazigruppen nach Österreich oder zu anderen ausländischen Nazigruppen, und ist über diese Erkenntnisse im GAR berichtet worden? Das Landeskriminalamt Thüringen und die Staatsanwaltschaft Erfurt führen seit Juli 2013 ein Ermittlungsverfahren gegen vier deutsche, männliche Personen im Alter von 27, 29, 36 und 38 Jahren wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. In diesem Zusammenhang wurden am 29. August 2013 das sogenannte Braune Haus in Crawinkel (Landkreis Gotha), in dem sich die Wohnungen von drei Beschuldigten befinden, sowie die Wohnung eines Beschuldigten in Erfurt, Ortsteil Bischleben-Stedten, und eine Immobilie in Ballstädt (Landkreis Gotha) durchsucht. Bei dem Durchsuchungsobjekt in Crawinkel handelt es sich um einen einschlägig bekannten Treff- und Sammelpunkt der rechtsextremistischen Szene. Aus dem Kreis der Beschuldigten wurden in der Vergangenheit Kontakte nach Österreich unterhalten, welche das Personenumfeld um das „Objekt 21“ umfassten. Die Durchsuchungen am 29. August 2013 führten zum Auffinden von Pyrotechnik und Waffen, deren technische Überprüfung noch andauert. Die Durchsuchungsmaßnahmen wurden in der AG Gemeinsame Lage des GAR thematisiert. 11. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass Mitglieder aus dem Umfeld der in Deutschland verbotenen Organisationen Blood & Honour, Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) und Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ) Kontakte zum „Objekt 21“ in Österreich haben? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/103 12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Auftritten bundesdeutscher neonazistischer Musikgruppen und Einzelinterpreten in Österreich in den Jahren 2007 bis 2013 (bitte unter Angabe des Namens der Band bzw. des Interpreten, Ort des Konzertes, Datum, Teilnehmerzahl und ggf. polizeiliche /ordnungspolitische Maßnahmen, ggf. Konzert bzw. Teilnehmer)? Der Bundesregierung liegen Informationen zu folgenden Veranstaltungen vor: Am 15. Mai 2010 soll an einem nicht näher genannten Ort in Osttirol ein Konzert mit 60 Teilnehmern stattgefunden haben. Aufgetreten seien die deutschen rechtsextremistischen Musikgruppen „Daily Broken Dream“, „Painful Life“ und „Mortuary“. Am 18. Dezember 2010 soll an einem nicht benannten Ort in Österreich ein Mitglied der deutschen rechtsextremistischen Musikgruppe „Sturmwehr“ bei einem Balladenabend vor 50 Besuchern aufgetreten sein. Informationen zu polizeilichen oder ordnungspolitischen Maßnahmen liegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen . Ein weiterer Teil der erfragten Informationen wurde mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt. Eine Veröffentlichung als Bundestagsdrucksache könnte Rückschlüsse auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse und Methoden zulassen und würden die Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste gefährden. Insofern wird dieser Teil der Beantwortung gemäß der gültigen Verschlusssachenanweisung (VSA) als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch “ eingestuft, und ist als Anlage beigefügt.* 13. Sind der Bundesregierung aus dem Umfeld der „Hausgemeinschaft Jonastal “ oder im Zusammenhang mit dem „Objekt21“ Unterstützungsleistungen für Angeklagte im NSU-Prozess bekannt, und wie sehen diese Unterstützungen gegebenenfalls aus? Im Hinblick auf die laufende Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht München äußert sich die Bundesregierung hierzu nicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 14. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass Neonazis in der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem „Objekt 21“ oder österreichischen neonazistischen Personen oder Gruppierungen in Kontakt stehen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität verwickelt sind (bitte unter Nennung der Straftat, Ort und Datum der Straftatbegehung)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. * Die Anlage ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333