Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 9. Dezember 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10622 18. Wahlperiode 13.12.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/10439 – Das vorläufige Curriculum für einen bundesweiten Orientierungskurs im Rahmen der Integrationskurse V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Mai 2016 hatte die Bundesregierung in der Meseberger Erklärung zur Integration angekündigt, die Orientierungskurse im Rahmen des Integrationskursangebotes von bisher 60 auf 100 Unterrichtseinheiten aufzustocken und diese inhaltlich stärker auf Wertevermittlung ausrichten zu wollen. Diese Ankündigung wurde dann im Rahmen der Reform der Integrationsverordnung operativ umgesetzt. Im Oktober 2016 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein vorläufiges Curriculum für den erweiterten Orientierungskurs vorgelegt . Demnach werden die beiden Kurs-Module „Politik in der Demokratie“ und „Mensch und Gesellschaft“ von bislang 19 bzw. 13 auf jeweils 36 Unterrichtseinheiten aufgestockt. Das Modul „Geschichte und Verantwortung“ wird von 9 auf 16 Stunden erweitert. Dementsprechend sollen sich die Teilnehmenden dann z. B. acht (statt vier) Kursstunden mit dem Thema „Grundrechte“ und fünf (statt drei) Kursstunden mit dem Thema „Nationalsozialismus und seine Folgen“, sowie zwei (statt drei) mit dem Thema „Familie und andere Formen des Zusammenlebens “ beschäftigen. Insgesamt ist in diesen drei Themenfeldern aber nur ein Stundenaufwuchs von acht Kursstunden zu verzeichnen. Darüber hinaus ergeben sich aus einem Abgleich mit dem bisherigen Curriculum eine Reihe weiterer inhaltlicher Veränderungen. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes (IntG) am 6. August 2016 100 Unterrichtseinheiten (UE) umfassende Orientierungskurs dient als Teil des Integrationskurses gemäß § 43 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) der Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. In § 3 Absatz 1 Nummer 2 der Integrationskursverordnung (IntV) Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10622 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode wird diese Vorgabe dahingehend präzisiert, dass dabei insbesondere auch die Werte des demokratischen Staatswesens in Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit vermittelt werden sollen. Seit dem Jahr 2007 basiert der Orientierungskurs auf einem bundesweit einheitlichen Curriculum. Dieses beschreibt detailliert Lernziele, Inhalte und Methoden und ermöglicht gleichzeitig eine flexible Gestaltung des Unterrichts. Durch die jüngste Erhöhung der Stundenzahl des Orientierungskurses auf 100 UE können sich die Teilnehmenden zukünftig intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen und sich diese nachhaltiger aneignen. Das Vorläufige Curriculum für einen bundesweiten Orientierungskurs wird derzeit in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der vom Bundesministerium des Innern (BMI) berufenen Bewertungskommission (vertretene Institutionen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (IntB); Bundesländer , Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Volkshochschul- Verband, ESO Education Group, Verband der Privatschulen, Goethe-Institut, Lehrbuchverlage, Sprachwissenschaftler, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg) und erfahrenen Pädagogen aus der Zusatzqualifizierung für Lehrkräfte in Orientierungskursen intensiv überarbeitet. Hierbei werden auch Anregungen von anderer Stelle berücksichtigt. Die endgültige Fassung wird Anfang 2017 veröffentlicht. Thematische Vernetzung im Curriculum Wertebasierte politische Bildung und der stete Bezug auf die Grundrechte im Grundgesetz sind Ausgangspunkt und durchgehendes Prinzip des gesamten neuen Curriculums. Am deutlichsten sichtbar wird dies an dem mehrmals wiederholten Verweis auf den Punkt „Grundrechte im Grundgesetz“ in den Abschnitten zu den Feinlernzielen und Inhalten (Verfassungsprinzipien und Staatssymbole , gesellschaftliche Teilhabe und politische Beteiligung, der Nationalsozialismus und seine Folgen, deutsche Geschichte von der Teilung bis zur Wiedervereinigung , Familie und andere Formen des Zusammenlebens, Rollenverständnis und Gleichberechtigung von Mann und Frau, Erziehung und Bildung, Toleranz und Zusammenleben und Religiöse Vielfalt). Auch der Abschnitt „Familie und andere Formen des Zusammenlebens“ erscheint mehrmals explizit als Bezug zu anderen Themenbereichen. Zum Thema „Nationalsozialismus und seine Folgen“ wird auf Seite 29 ausgeführt , dass aus dem Wissen um die Folgen der NS-Diktatur Verantwortung und Wertschätzung für demokratische Prinzipien und Grundrechte in der Gegenwart entsteht. Dies kommt beispielsweise an dem entsprechenden Bezug im Themenbereich „Verfassungsprinzipien und Staatssymbole“ und dem künftigen Bezug auch im Themenbereich „Grundrechte im Grundgesetz“ zum Ausdruck. Die Inhalte im Vorläufigen Curriculum für einen bundesweiten Orientierungskurs sind also vielfach thematisch vernetzt. In diesem Sinne sind die jeweiligen Abschnitte nicht als isoliert zu behandelnde Themen zu betrachten, sondern vielmehr als Setzung von Schwerpunkten, auf die im Verlauf des gesamten Kurses immer wieder zurückgegriffen wird. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10622 1. Warum werden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Orientierungskursen die Themen „Rassismus“, „Antisemitismus“ und „Antiziganismus“ lediglich als historisches Thema in Bezug auf den Nationalsozialismus erörtert ? Inwiefern reicht diese Engführung nach Auffassung der Bundesregierung aus, um die Teilnehmenden am Orientierungskurs in die Lage zu versetzen, sich ausreichend gegen rassistische, antisemitische und antiziganistische Straftaten zur Wehr setzen zu können? Das Thema „Der Nationalsozialismus und seine Folgen“ ist – wie oben ausgeführt – Bezugspunkt für eine Wertschätzung demokratischer Prinzipien und der Grundrechte in der Gegenwart und wird im Orientierungskurs daher nicht nur im historischen Kontext behandelt. Die im Modul „Politik in der Demokratie“ erfolgende Behandlung des Diskriminierungsverbots gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) macht dies beispielshaft deutlich. Aufgabe des Orientierungskurses ist nach § 43 Absatz 3 AufenthG Kenntnisse über die Rechtsordnung , Kultur und Geschichte Deutschlands erfolgreich zu vermitteln. Ausländer sollen dadurch in Verbindung mit dem Sprachkurs mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können. Eine spezifische Präventionsberatung gegen rassistische, antisemitische und antiziganistische Straftaten kann im Rahmen des Orientierungskurses nicht geleistet werden. Zu den Inhalten des Themas „Toleranz und Zusammenleben“ gehören aber „Analyse von Fällen und konflikthaften Situationen aus dem Alltag, Bewertung von Handlungsoptionen , Herausarbeiten von Lösungsmöglichkeiten“ in deren Rahmen den Teilnehmenden auch spezifische Handlungsmöglichkeiten in Konfliktsituationen und Rechte in einem Rechtsstaat vermittelt werden. 2. Warum wird nach Kenntnis der Bundesregierung in dem vorläufigen Curriculum Diskriminierung nur in Bezug auf Frauen thematisiert („Diskriminierung am Arbeitsplatz“)? Das auf alle in Deutschland lebende Menschen bezogene Diskriminierungsverbot nach Artikel 3 Absatz 3 GG wird bereits im ersten Abschnitt des Curriculums („Grundrechte im Grundgesetz“) behandelt. Unter den Inhalten ist dort u. a. das Diskriminierungsverbot von Migrantinnen und Migranten genannt. Im weiteren Verlauf des Orientierungskurses spielt das Diskriminierungsverbot gemeinsam mit den anderen fundamentalen Grundrechten eine herausgehobene Rolle. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 3. Inwiefern wird nach Auffassung der Bundesregierung in den Orientierungskursen ein Verständnis der Grund- und Freiheitsrechte als Abwehrrechte des Individuums gegenüber dem Staat vermittelt? Ein Lernziel im Abschnitt „Verfassungsprinzipien und Staatssymbole“ (Modul „Politik in der Demokratie“) ist die Ausbildung der Fähigkeit, wesentliche Merkmale eines Rechtsstaats zu beschreiben. Die mit den Prinzipien eines Rechtsstaats untrennbar verbundene und als Inhalt im Orientierungskurs aufgeführte Gesetzesbindung aller Staatsgewalten bedeutet auch Gerechtigkeit und Schutz vor staatlichen Eingriffen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10622 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 4. Warum ist nach Kenntnis der Bundesregierung in dem vorläufigen Curriculum das bisherige Lernthema „Interreligiöse Beziehungen, Dialog und Konflikt “ ersatzlos weggefallen – samt der darin zu behandelnden Themen „Kopftuchdebatte“ und „Kruzifix-Urteil“? Wie soll aus Sicht der Bundesregierung dieses Lernthema innerhalb des Orientierungskurses kompensiert werden? Die wichtigste didaktische Maßgabe des Orientierungskurses ist gemäß dem Curriculum die Vermittlung der Themenbereiche auf Basis der zuvor von den Migrantinnen und Migranten gemachten Erfahrungen. Interreligiöse Beziehungen und die Entwicklung von Toleranz gegenüber anderen Formen religiösen oder nicht-religiösen Lebens werden explizit unter dem Thema „Religiöse Vielfalt“ im Modul „Mensch und Gesellschaft“ behandelt. Themen wie die Kopftuchdebatte oder das Kruzifix-Urteil wurden im bisherigen Curriculum als Beispiele für aktuelle Debatten genannt. Auf das Heranziehen solcher konkreten Beispiele wurde im vorläufigen Curriculum bewusst verzichtet, um Kursträgern und Lehrkräften mehr inhaltlichen Spielraum zu ermöglichen. Gleichwohl wird im endgültigen Curriculum das Erarbeiten von Inhalten anhand aktueller Debatten noch stärker hervorgehoben werden. 5. Warum werden nach Kenntnis der Bundesregierung in dem vorläufigen Curriculum die bisherigen Themen „Zwangsheiraten“, „Gewalt in der Familie“ und „Ehrenmord“ nicht mehr erwähnt? Wie sollen aus Sicht der Bundesregierung diese Lernthemen innerhalb des Orientierungskurses kompensiert werden? Bei der Erarbeitung des Curriculums herrschte unter den Fachleuten Einigkeit darüber, nach Möglichkeit auf unterstellende Formulierungen zu verzichten und die Behandlung von weit ins Persönliche und häufig sogar mit Traumata verbundenen Themen nicht verbindlich in das Curriculum aufzunehmen. Im Unterrichtsverlauf kann eine Konfrontation mit diesen Themen jedoch jederzeit aus dem Gesprächsverlauf heraus entstehen. In solchen Fällen sind seitens der Lehrkräfte sowohl deren didaktisch-methodische Kompetenz zur sensiblen Behandlung dieser Themen als auch – bei persönlicher Betroffenheit der Teilnehmenden – die Kenntnis über entsprechende Beratungsstellen vor Ort gefragt. Zur Unterstützung der Lehrkräfte im Integrationskurs fördert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) momentan deren Schulung zur Sensibilisierung im Umgang mit möglicherweise auftretenden Traumafolgestörungen. 6. Warum ist nach Kenntnis der Bundesregierung in dem vorläufigen Curriculum das bisherige Lernthema „Interkulturelles Zusammenleben“ ersatzlos weggefallen? Wie soll aus Sicht der Bundesregierung dieses Lernthema innerhalb des Orientierungskurses kompensiert werden? Das Vorläufige Curriculum für einen bundesweiten Orientierungskurs ist konsequent auf eine wertebasierte politische Bildung und die Behandlung der Grundrechte im Grundgesetz ausgerichtet. Dies bedeutet in einigen Bereichen einen Wegfall von eher alltagsbezogenen Fragestellungen, wie sie im bisherigen Curriculum unter dem Punkt „Interkulturelles Zusammenleben“ behandelt wurden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10622 Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diese Themen bereits in einer wesentlich früheren Phase des Integrationsprozesses behandelt werden müssen, und hat deshalb eine entsprechende Änderung des für den Sprachkursteil relevanten „Rahmencurriculums für Integrationskurse – Deutsch als Zweitsprache“ (RC) veranlasst. Eine erste überarbeitete Fassung des RCs wird in Kürze auf der Homepage des BAMF veröffentlicht. Gleichwohl sind im Orientierungskurs wesentliche interkulturelle Lerninhalte weiterhin enthalten, insbesondere bei Behandlung der Themen „Toleranz und Zusammenleben “ und „Religiöse Vielfalt“. 7. Warum werden die Begriffe „Judentum“, „jüdisches Lebens in Deutschland “, „Israel“ und „Existenzrecht Israels“ nach Kenntnis der Bundesregierung im „vorläufigen Curriculum“ nur durch den Hinweis thematisiert, dass „Judentum“ einer von 100 Begriffen sein soll, „die im Orientierungskurs von zentraler Bedeutung sind“ (vgl. S. 41 des „vorläufigen Curriculums“)? Das besondere Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Israel wird im endgültigen Curriculum als Inhalt aufgeführt werden. 8. Wieso vermeidet nach Kenntnis der Bundesregierung das „vorläufige Curriculum “ bei der Thematisierung von „Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und Lebensweise“ die Verwendung einer klaren Begrifflichkeit – also z. B. die Begriffe „Homosexuelle“, „Schwule“ oder „Lesben“? Die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen wurde im Rahmen des Curriculums durch die Formulierung „Gleichberechtigung […] unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und Lebensweise“ erfasst . Dies sind die anerkannten üblichen Oberbegriffe, die insbesondere homosexuelle Menschen umfassen. 9. Warum tauchen nach Kenntnis der Bundesregierung in dem „vorläufigen Curriculum“ Begriffe wie „sexuelle Gewalt“, „Vergewaltigung“ oder „sexuelle Nötigung“ nicht auf? Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 10. Warum fehlt nach Kenntnis der Bundesregierung in dem „vorläufigen Curriculum “ der zentrale gesellschaftspolitische Begriff der „sozialen und politischen Inklusion“, als Leitmotiv dessen, was auf S. 7 des „vorläufigen Curriculums “ mit der Formel „Befähigung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Handlungskompetenz)“ gemeint sein dürfte? Der Integrationskurs ist ein erster, wenn auch wesentlicher Schritt eines Integrationsprozesses , der viele weitere Schritte und entsprechend viel Zeit erfordert. Im Rahmen des Orientierungskurses findet zunächst Wissensvermittlung über die Gesellschaft in Deutschland statt. Durch das Aufzeigen von Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Mitwirkung und Beteiligung, durch Aktivierung von Teilnehmerinteressen und -potenzialen können weitere Schritte hin zu einer stärkeren Partizipation von Migrantinnen und Migranten eingeleitet werden. Unter dieser Zielsetzung von „politischer und sozialer Inklusion“ zu sprechen, geht jedoch über das im Orientierungskursunterricht Leistbare hinaus. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333