Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 20. Dezember 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10758 18. Wahlperiode 22.12.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/10587 – Effizienz von Videoüberwachungen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Bundesregierung strebt eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes an, um den Einsatz von Videoüberwachungsgeräten ausweiten zu können. In einem Referentenentwurf wird das Vorhaben mit der bisherigen „restriktiven“ Entscheidungspraxis der zuständigen Datenschützer der Länder begründet. Deren Tendenz, dem Datenschutz bzw. den Persönlichkeitsrechten einen hohen Wert einzuräumen, will die Bundesregierung dadurch begegnen, dass sie den „Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit“ ausdrücklich als Gewichtungsvorgabe im Abwägungsprozess der Datenschützer festschreibt. Damit soll erreicht werden, wie es in der Begründung heißt, die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen „und Anschläge wie in Ansbach und München im Sommer 2016 zu verhindern“. Von Datenschützern, aber auch Richtern und Staatsanwälten gibt es bereits massive Kritik an den neuen Überwachungsplänen. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder forderte in einer Entschließung vom 9. November 2016 die Bundesregierung auf, die Pläne zurückzuziehen . Der Gesetzentwurf „suggeriert mehr Sicherheit, ohne die bisher geltende Rechtslage tatsächlich zu verbessern“. Ein Nachweis, dass die angestrebte Erleichterung der Videoüberwachung tatsächlich geeignet sei, die öffentliche Sicherheit besser zu gewährleisten, fehle im Gesetzentwurf. Es sei auch falsch, zu suggerieren, die Datenschutzaufsichtsbehörden hätten bislang die Durchführung von Videoüberwachung verweigert. Die Konferenz weist zudem darauf hin, dass die Betreiber von Videoüberwachungsanlagen meist nicht in der Lage seien, die Videoüberwachung in einer Art auszuweiten, dass bei Gefahren unmittelbar eingegriffen werden könne. Der Deutsche Richterbund e. V. weist in einer Stellungnahme von November 2016 darauf hin, es erscheine fraglich, ob das Vorhaben des Bundesministeriums des Innern „angesichts des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig“ ist. Die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz e. V. kritisiert den Entwurf, weil mit der flächendeckenden Möglichkeit zur Videoüberwachung eine Überwachungsdichte des öffentlichen Raumes geschaffen werde, „die bisher beispiellos ist“. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10758 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Von allen Kritikern wird zudem die Wirksamkeit einer ausgeweiteten Videoüberwachung in Frage gestellt. Auch den Fragestellern ist nicht ersichtlich, wie eine Videokamera dazu hätte beitragen sollen, den Anschlag vom 24. Juli 2016 in Ansbach zu verhindern. Ein Selbstmordattentäter dürfte sich kaum von einer Kamera abschrecken lassen. Das Gleiche gilt für die von der Münchner Polizei als „Amoklauf“ bezeichneten Mordtaten eines möglicherwiese rechtsextrem motivierten Täters am 22. Juli 2016. Angesichts des schnellen Tatablaufs können Videokameras die Taten zwar möglicherweise aufzeichnen, aber nicht zu ihrer Verhinderung beitragen. Zumindest fehlt im Referentenentwurf jeglicher Hinweis auf empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit von Videoüberwachungen . Diese wären aber aus Sicht der Fragesteller das Mindeste, was die Bundesregierung vorlegen müsste. Andernfalls läuft eine Ausweitung der Videoüberwachung darauf hinaus, massive Einschränkungen der Grundrechte einer hohen Zahl unbescholtener Bürgerinnen und Bürger zu verursachen, ohne auch nur einen minimalen Gewinn an Sicherheit zu bieten. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der von den Fragestellern in Bezug genommene Referentenentwurf (Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen – Videoüberwachungsverbesserungsgesetz ) verfolgt das Ziel, dass Betreiber von Anlagen mit hohem Publikumsverkehr den Schutz und die Erhöhung der Sicherheit von Personen stärker als bisher bei der Entscheidung über den zulässigen Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen einbeziehen können. Ein angemessener Einsatz von moderner Videotechnik kann einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung von Straftaten leisten und kann dazu beitragen, Straftäter von ihrem Vorhaben abzubringen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Betreiber in ihrem eigenen Interesse einen Beitrag zur Sicherheit der nutzenden Personen solcher hochfrequentierten Einrichtungen leisten können, der auch im öffentlichen Interesse liegt. Eine Abwägungsentscheidung der Betreiber zwischen ihrem berechtigten Interesse an der Videoüberwachung und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Personen wird weiterhin notwendig bleiben. 1. Inwiefern wäre nach Einschätzung der Bundesregierung eine (ggf. erweiterte ) Videoüberwachung auf dem Ansbacher Musikfestival geeignet gewesen , den Terroranschlag dort zu verhindern, und worauf beruht diese Einschätzung ? 2. Inwiefern wäre nach Einschätzung der Bundesregierung eine (ggf. erweiterte ) Videoüberwachung in München geeignet gewesen, den sog. Amoklauf am 22. Juli 2016 zu verhindern, und worauf beruht diese Einschätzung? 3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über entsprechende Einschätzungen der zuständigen bayerischen Polizeibehörden, inwiefern eine ausgeweitete Videoüberwachung die Anschläge in Ansbach und München hätte verhindern können? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund ihres Zusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung nimmt zu spekulativen Fragen keine Stellung. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10758 4. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangenheit Terroranschläge in Deutschland maßgeblich durch Videoüberwachungssysteme verhindert worden, und wenn ja, welche, und welche konkrete Wirkung hatte die eingesetzte Videoüberwachung dabei? Die bisher in der Bundesrepublik Deutschland verhinderten Anschläge, die von Tätern des islamistisch-terroristischen Spektrums geplant und vorbereitet wurden , sind nicht maßgeblich aufgrund von Videoüberwachungssystemen vereitelt worden. 5. Stützt sich die Bundesregierung bei ihren Plänen zu einer ausgeweiteten Videoüberwachung auf empirische Daten zur Wirksamkeit von Videoüberwachung ? Wenn ja, auf welche (bitte einzeln angeben), wenn nein, warum initiiert sie angesichts der grundrechtseinschränkenden Wirkung von Videoüberwachung nicht eine entsprechende Untersuchung, ehe sie die Ausweitung der Videoüberwachung einfordert? Die Bundesregierung nutzt verschiedene Quellen bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Videoüberwachung, hierunter auch empirische Daten von verschiedenen Studien. Unter anderem hat das Bundeskriminalamt (BKA) im Rahmen einer Analyse den Forschungsstand zur Wirksamkeit der Videoüberwachung anhand einer Vielzahl von nationalen und internationalen Studien ermittelt. Im Rahmen der Untersuchung wurden u. a. elf Evaluationsstudien aus acht Bundesländern zu insgesamt 15 Videoüberwachungsprojekten in Deutschland ausgewertet. Als internationale Studie wurde z. B. eine Untersuchung von Welsh/Farrington in die Planungen mit einbezogen. Aus Sicht der Bundesregierung kann der Ausbau von Videotechnik dazu beitragen, Straftaten aufzuklären, potentielle Straftäter abzuschrecken und die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. 6. Inwiefern glaubt die Bundesregierung, dass Videoüberwachungssysteme Selbstmordattentäter abschrecken könnten? Geht sie davon aus, dass Selbstmordattentäter aufgrund von Videoüberwachungen von Anschlägen generell ablassen oder lediglich andere Anschlagsziele suchen würden? Auf welchen empirischen Daten beruhen diese Annahmen? Aus Sicht der Bundesregierung kann der zielgerichtete Einsatz von Videotechnik, insbesondere in Kombination mit anderen, begleitenden Maßnahmen, dazu beitragen , der staatlichen Verpflichtung zur Prävention und zur Verfolgung von Straftaten nachzukommen. Der Einsatz optisch-elektronischer Sicherheitstechnologie kann präventiv dazu beitragen die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen, indem potentielle Täter etwa bei der Erkundung von Örtlichkeiten im Vorfeld oder unmittelbar vor einer Tatbegehung erkannt und diese vereitelt werden kann. Gleichwohl ist ein absoluter Schutz, insbesondere vor kriminellen Einzelaktionen im öffentlichen Raum, nicht erreichbar. Darüber hinaus erleichtert eine verstärkte Videoüberwachung die Ermittlungstätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft erheblich, wenn Videoaufzeichnungen auf der Grundlage polizeirechtlicher Befugnisnormen oder allgemeiner Übermittlungstatbestände zur Verfolgung von Straftaten weitergegeben werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10758 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Inwiefern liegen dem Vorhaben der Bundesregierung empirische Daten über die Wirksamkeit von Videoüberwachung im Ausland zugrunde (bitte ausführen )? Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 8. Inwiefern verfügen die Betreiber von Videoüberwachungssystemen in Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkräumen nach Kenntnis der Bundesregierung über das Personal, um bei der Beobachtung verdächtiger Vorgänge unverzüglich einzuschreiten? Die Entscheidung über die Anzahl von beschäftigten Personen, die bei durch Videoüberwachungsmaßnahmen beobachteten verdächtigen Vorfällen in Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkräumen einschreiten sollen, unterliegt der eigenverantwortlichen Entscheidung der Betreiber . 9. Warum setzt die Bundesregierung bei der Terrorabwehr auf eine Verlagerung auf private Stellen? Die Terrorabwehr bleibt eine staatliche Aufgabe. Der von den Fragestellern genannte Referentenentwurf ändert hieran nichts. 10. Stimmt die Bundesregierung der Lesart der bisherigen Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes durch die Konferenz der Datenschutzbehörden zu, gemäß der auch jetzt schon in Abwägung legitimer Sicherheitsinteressen der Einsatz von Videoüberwachungssystemen bewilligt werden kann und auch bewilligt worden ist (falls nein, bitte begründen), und wenn ja, worin genau sieht sie dann ein Problem? Richtig ist, dass nicht-öffentliche Stellen bei ihrer Entscheidung über den Einsatz von Videoüberwachungssystemen schon nach der geltenden Fassung des § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes auch Sicherheitsinteressen berücksichtigen können. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der Einsatz solcher Videoüberwachungssysteme grundsätzlich dazu beitragen kann, Täter von ihrem Vorhaben abzubringen und Straftaten zu verhindern. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 11. Hält die Bundesregierung die Entscheidung der zuständigen Landesdatenschutzbehörde Hamburg, die Zahl von Videoüberwachungssystemen in einem Einkaufszentrum zu reduzieren, für falsch (bitte begründen), und inwiefern sieht sie einen Anlass, daran zu zweifeln, dass auch die Hamburger Behörde an der Sicherheit des Publikums interessiert ist? Die Bundesregierung bewertet einzelne, in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren ergangene Entscheidungen einer Landesdatenschutzaufsichtsbehörde nicht. 12. Traut die Bundesregierung den zuständigen Landesdatenschutzaufsichtsbehörden nicht zu, gemäß der bisherigen Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes eine angemessene Abwägung von Sicherheitsaspekten und Grundrechtserwägungen vorzunehmen (bitte begründen)? Die Bundesregierung achtet die aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung folgenden verfahrensrechtlichen Sicherungen der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörden. Eine Beurteilung, ob eine angemessene Ab- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10758 wägung von Sicherheitsaspekten und Grundrechtserwägungen durch die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden in den jeweiligen Einzelfällen erfolgt ist, obliegt den zuständigen Verwaltungsgerichten. 13. Verfügt die Bundesregierung, außer des im Referentenentwurf genannten Hamburger Beispiels über verlässliche Zahlen, wie häufig die zuständigen Landesbehörden die Zustimmungen zu Videoüberwachung verweigert bzw. die Entfernung von Überwachungssystemen veranlasst haben (falls ja, bitte ausführen), und falls nein, auf welcher Grundlage geht sie dann davon aus, die Landesbehörden verfolgten eine zu „restriktive“ Entscheidungspraxis? Die Landesdatenschutzaufsichtsbehörden veröffentlichen in ihren Tätigkeitsberichten teilweise die prozentuale Zuordnung von Videoüberwachungsfällen zu den bei ihnen eingegangenen Beschwerden (z. B. 6. Tätigkeitsbericht des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht 2013/2014, S. 14, abrufbar unter: www.thm.de/zaftda/tb-bundeslaender/cat_view/25-tb-bundeslaender/7-bayern/ 43-aufsichtsbehoerde). Außerdem werden in den Tätigkeits- und Jahresberichten der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz Einzelfälle beschrieben. Es gibt aber keine veröffentlichte länderübergreifende Statistik der Aufsichtsbehörden, in wie vielen Fällen Anordnungen zur Abschaltung von Videokameras gegen nicht-öffentliche Betreiber erlassen worden sind. Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz müssen die Anbringung von Videokameras nach der geltenden Rechtslage zudem nicht genehmigen , sodass es auch hierzu keine Statistik gibt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. 14. Welchen Stellenwert will die Bundesregierung der Einführung von Gesichtserkennungssoftware einräumen, welche Schlussfolgerungen zieht sie aus bisherigen Forschungsprojekten, und inwiefern beabsichtigt sie weitere Förderungen (bitte umfassend beantworten)? Das Bundesministerium des Innern plant den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware an einem Bahnhof zu testen und zu evaluieren. Der genaue Umfang und der zeitliche Rahmen des Tests sind noch in der Abstimmung. Im Rahmen dieses Tests werden insbesondere die Ergebnisse einer Untersuchung des BKAs aus dem Jahr 2006 in Mainz berücksichtigt und im Hinblick auf die verbesserten technischen Möglichkeiten untersucht. 15. Inwiefern zieht die Bundesregierung Schlussfolgerungen aus der Kritik vonseiten von Datenschützern und des Deutschen Richterbundes e. V.? Die Bundesregierung hat die zum Referentenentwurf eingegangenen Stellungnahmen aus der Länder- und Verbändebeteiligung im weiteren Gesetzgebungsverfahren sorgfältig geprüft und berücksichtigt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333