Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 21. Dezember 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10761 18. Wahlperiode 22.12.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Menz, Ralph Lenkert, Caren Lay, Eva Bulling-Schröter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/10588 – Entsorgung von Feuchttüchern über die Toilette V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Feuchttücher erfreuen sich in Privathaushalten immer größerer Beliebtheit. Sie kommen nicht nur für die tägliche Hygiene von Babys zum Einsatz, sondern auch bei der Kosmetik, beim Putzen oder beim Toilettengang. Weil die benutzten Feuchttücher häufig über die Toilette entsorgt werden, kommt es oft zu Verstopfungen in den Abwassersystemen und zu Pumpenausfällen. Denn anders als gewöhnliches Toilettenpapier bestehen die meisten Feuchttücher aus wasserund reißfestem Vlies, das sich im Abwasser nur schlecht zersetzt. Dass sie deshalb nicht in die Toilette, sondern in den Hausmüll entsorgt werden müssen, ist vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht bewusst. Eine Kennzeichnungspflicht besteht ebenso wenig wie verpflichtende, unabhängige und aussagekräftige Zerfallstests oder normierte Standards für die Spülbarkeit von Feuchttüchern. Während viele Hersteller von Kosmetik- und Babypflegetüchern darauf verweisen , dass eine Entsorgung über die Toiletten zu vermeiden ist, sind es vor allem Produzenten von Toilettenfeuchttüchern, die für die Entsorgung lediglich einen höheren Wasseraufwand (mehrmaliges Spülen) empfehlen, damit eine Zersetzung der Tücher erfolgt. Ob ein Produkt „spülbar“ ist oder nicht, wird derzeit über die sieben Stufen der Spülbarkeit getestet. Dieses Verfahren wurde von der Industrie selbst entworfen , bildet jedoch kaum reale Verhältnisse ab. Der von der „Roof Organization for the European Nonwovens Industry“ (EDANA), einer internationalen Vereinigung von Firmen der Vliesstoffherstellung und -verarbeitung, entwickelte „Slosh-Box-Test“ (Schwallbox) beispielsweise überprüft den Zerfall der Tücher , indem diese in eine schwenkende Box mit Wasser gelegt werden und dann die abgelöste Masse nach drei Stunden bestimmt wird. Anspruch ist, mindestens 25 Prozent der Masse verloren zu haben. Das aber bedeutet zum einen, dass potentiell immer noch 75 Prozent der Tücher Rohre und Pumpen verstopfen können. Zum anderen ist die Zeitangabe von drei Stunden kritisch zu betrachten, da diese im Regelfall nicht der realen Fließzeit entspricht (Fließzeit in Berlin beispielsweise ein bis vier Stunden), wie ein Beitrag des „NDR“ vom 18. April 2016 mit dem Titel „Wie Feuchttücher Kläranlagen verstopfen“ belegt (siehe www.ndr.de). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10761 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode In den letzten Jahren wurde ein massiver Anstieg verstopfter Pumpwerke verzeichnet , weil sich Feuchttücher an den Rotorblättern verfangen und dort sogenannte Verzopfungen entstehen. Außerdem kommt es zunehmend zu Verstopfungen von Rohren sowie der Rechenanlagen in den Klärwerken. Die Reinigung der Pumpen erfolgt per Hand und verursacht somit Kosten für anfallende Arbeitsstunden . Hinzu kommen ansteigende Kosten aufgrund häufiger notwendig werdender Wartungsarbeiten für den Austausch von Pumpen oder den Einsatz neuer Techniken. Der durch unsachgemäße Entsorgung entstandene Schaden bewegt sich im Millionenbereich und wird über die Abwassergebühren an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben, wie in einem Artikel vom 14. Januar 2016 unter der Überschrift „Feuchttücher verstopfen Stormarns Abwasserkanäle “ erklärt (www.abendblatt.de). Feuchttücher sind auch mit Blick auf die Umwelt in vielerlei Hinsicht problematisch . So besteht bislang ein Großteil der auf dem Markt befindlichen Hygiene - und Pflegetücher aus Rohmaterialien, in denen auch Kunststofffasern (auf Erdöl basierte Stoffe wie Polymere, Polypropylen – PP –, Polyethylen – PE –, Polyester) enthalten sind (vgl. www.ikw.org/fileadmin/content/downloads/ IKW-Allgemein/IKW_Factsheet-Feuchttuecher.pdf). Bei einem gängigen Produktionsverfahren , um die Tücher wasser- und reißfest zu machen, werden Chemikalien wie Melaminformaldehydharze als Bindemittel eingesetzt. „ÖKO- TEST“ rät daher vor allem von der Verwendung von Toilettenfeuchttüchern ab, da Formaldehyd als krebsverdächtig gilt und Allergien auslösen kann (vgl. www.oekotest.de/cgi/index.cgi?artnr=105017&bernr=10). Außerdem werden viele Feuchttücher zusätzlich mit weiteren Stoffen wie Konservierungsmittel, Ölen oder Seifen versehen. Durch die ansteigende Verwendung von Feuchttüchern landet demzufolge auch ein beträchtlicher Teil von Fremdstoffen in den Abwässern der Kläranlagen. In Deutschland ist es durch das Wasserhaushaltsgesetz (§ 5 Absatz 1 und § 58) sowie durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (§ 3 Entledigung von Stoffen und Gegenständen, §6 Vermeidung von Abfällen und § 3 Absatz 4 gemeinwohlverträgliche Entsorgung) verboten, Abfälle über das Abwasser zu entsorgen. Auch die kommunalen Abwassersatzungen untersagen die Entsorgung von Abfällen über den Abwasserpfad. So heißt es in den meisten Satzungen, dass „Stoffe – auch in zerkleinertem Zustand – die zu Ablagerungen oder Verstopfungen in den öffentlichen Abwasseranlagen führen können (z. B. Kehricht, Schutt, Mist, Sand, Küchenabfälle, Asche, Zellstoffe, Textilien […] nicht über die Kanalisation entsorgt werden dürfen“ (www.ese.freiburg.de/pb/site/freiburg_ese/node/ 621652/Lde/index.html). 1. Wie schätzt die Bundesregierung die volkswirtschaftlichen Schäden durch die Nutzung von schwer abbaubaren Feuchttüchern ein? 2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die bundesweiten Kosten ein, die durch in die Toilette entsorgte Feuchttücher entstehen (bitte nach Kosten im Bereich der Störungsbehebung/Reinigung von Rohren, Pumpen, Rechenanlagen etc. und Kosten für eine technische Aufrüstung aufschlüsseln)? 3. Wie hoch ist die durchschnittliche Steigerung der Abwasserentsorgungskosten , die auf den Mehraufwand durch fehlgeworfene Feuchttücher zurückzuführen sind? Die Fragen 1, 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Zu den bundesweiten Kosten oder den durchschnittlichen Kostensteigerungen, die bei der Abwasserbeseitigung entstehen können, wenn Feuchttücher über die Toilette entsorgt werden, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Daher können auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen nicht geschätzt werden . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10761 Im Rahmen des derzeit laufenden Verbundforschungsprojekts KURAS (Konzepte für urbane Regenwasserbewirtschaftung und Abwassersysteme, Förderkennzeichen 033W013C), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „Intelligente und multifunktionelle Infrastrukturen für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung “ (INIS) des Förderschwerpunktes „Nachhaltiges Wassermanagement“ (Na- WaM), werden auch Instandhaltungskosten für die Beseitigung von Verstopfungen von Pumpwerken am Beispiel Berlin untersucht. Belastbare Ergebnisse liegen noch nicht vor. 4. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass durch die Entsorgung von Feuchttüchern über die Toilette darin enthaltene umweltbelastende Stoffe wie Formaldehyd, Benzoesäure, Kaliumsorbate und Natriumbenzoat in Gewässer und Böden gelangen? Der Eintrag der Feuchttücher in die Toilette ist für den Betrieb der Abwasseranlagen kritischer zu sehen, als die eventuellen Umweltbelastungen der aufgeführten Stoffe bei falscher Entsorgung der Feuchttücher. Die genannten Stoffe sind biologisch abbaubar. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie bei der Abwasserbehandlung abgebaut werden. 5. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass die Entsorgung von Feuchttüchern aus kunststoffbasierten Vliesstoffen über die Toilette zu einer erhöhten Mikroplastikverunreinigung von Meeren und Gewässern beitragen ? Wissenschaftlich abgesicherte Daten zur Freisetzung von Mikroplastik aus Feuchttüchern, die in das häusliche Abwasser gelangen mit einer anschließenden Passage durch Kläranlagen, liegen aktuell nicht vor. Es gibt einige wenige Publikationen zur Mikroplastik in behandelten Abwässern. Die vorhandenen Erkenntnisse reichen nicht aus, um eine abschließende Einschätzung der Relevanz bzw. Risikoabschätzung abgesichert vornehmen zu können, da dafür auch notwendige harmonisierte Untersuchungsverfahren derzeit nicht existieren. Dies gilt für Verfahren der chemischen Analytik ebenso, wie für biologische Untersuchungsmethoden . Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat deshalb im Jahr 2016 einen entsprechenden Förderschwerpunkt ausgelobt, der noch im Dezember entschieden wird. Hier sollen u. a. vorhandene Untersuchungsansätze weiterentwickelt und zur Praxistauglichkeit entwickelt werden. In zwei vorlaufenden vom BMBF geförderten Forschungsverbünden sind das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesamt für Materialforschung und -prüfung (BAM) aktiv beteiligt. Ohne harmonisierte Untersuchungsverfahren werden priorisierende Bewertungen von Quellen (hier Feuchttücher) und Beeinträchtigungsmöglichkeiten betroffener Schutzgüter nicht möglich sein. Die nach der Methodenentwicklung notwendige Methodenharmonisierung findet in den relevanten Normungsgremien von DIN, CEN und ISO statt. Über das Umweltbundesamt und das Deutsche Institut für Normung wird aktuell eine Arbeitsgruppe im ISO TC 61 Plastics unterstützt, die die methodischen Arbeiten im Bereich der Plastikuntersuchungen auf internationaler Ebene vorbereitet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10761 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Sieht sich die Bundesregierung aufgrund der anhaltenden Probleme gegenwärtig zum Handeln aufgefordert? Wenn ja, welche Maßnahmen plant sie? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. Im Hinblick auf den chemischen Zustand der Gewässer spielen Feuchttücher daher eine untergeordnete Rolle. Sollten dennoch für bestimmte Wasserkörper Schutzmaßnahmen notwendig sein, können diese von den Ländern im Zuge der Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme nach Wasserrahmenrichtlinie ergriffen werden. Störungen im Betriebsablauf von Abwasseranlagen durch unsachgemäße Entsorgung von Abfällen über die Toilette lassen sich durch rechtliche Maßnahmen nicht minimieren oder verhindern. Hier kann mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit entgegengewirkt werden. 7. Setzt sich die Bundesregierung für eine verpflichtende Zertifizierung der Spülbarkeit bei Feuchttüchern auf der Grundlage von standardisierten, unabhängigen und aussagekräftigen Testverfahren ein? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht? Die Problematik ist bekannt. Die Entsorgung von Abfällen ist bereits über das Wasserhaushaltsgesetz und das Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelt und wird in der Regel durch das kommunale Satzungsrecht konkretisiert. Die Abwasserverbände und Entsorgungsunternehmen weisen bereits in Informationskampagnen für die Bevölkerung auf die Problematik der Feuchttücher im Abwassersystem und die wirtschaftlichen Auswirkungen hin. Die Aufklärungsarbeit sollte weiter ausgebaut werden. 8. Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Arbeit befindlichen Testverfahren der Working Group 10 des Technischen Komitees 224 der ISO (Internationale Organisation für Normung)? Die Testverfahren befinden sich derzeit in Entwicklung. Eine Bewertung kann nach Veröffentlichung des entsprechenden Entwurfes erfolgen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. 9. Will die Bundesregierung eine entsprechende Zertifizierung nutzen, um zu gewährleisten, dass nur noch leicht zersetzbare Feuchttücher in Verkehr gebracht werden? Eine Beschränkung in dieser Art wird als nicht zielführend betrachtet. Reinigungstücher und Staubtücher müssen aufgrund ihres Verwendungszweckes eine hohe Nassreißfestigkeit aufweisen. Diese Anforderung steht nach heutigem Kenntnis- bzw. Entwicklungsstand einer leichten Zersetzbarkeit entgegen. Diese Produkte sind nicht über die Toilette zu entsorgen. Aufklärungsarbeit ist notwendig , dass Feuchttücher nicht über die Toilette entsorgt werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10761 10. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass bei Test- und Zertifizierungsverfahren zur Spülbarkeit von Produkten auch ökologische Kriterien einbezogen werden (etwa: keine kunststoffbasierten Bestandteile)? Wenn ja, welche Kriterien betrachtet die Bundesregierung dabei als relevant ? Wenn nein, warum nicht? Test- und Zertifizierungsverfahren zur Spülbarkeit werden als nicht zielführend angesehen, da die Entsorgung von Abfällen über das Abwassersystem nach Wasserhaushaltsgesetz und Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelt ist. 11. Sind Maßnahmen geplant, die zu einer verbraucherinnen- und verbraucherfreundlichen einheitlichen Beschriftung und Symbolik zur Entsorgung auf Verpackungen von Feuchttüchern führen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antworten zu den Fragen 7 und 10 wird verwiesen. Konkrete Maßnahmen sind derzeit nicht geplant. 12. Wie beurteilt die Bundesregierung ein mögliches Verbot des Verkaufs von schlecht zersetzbaren Feuchttüchern? Die Feuchttücher sind seit ca. zwei Jahrzehnten am Markt und haben sich dort etabliert. Es muss hier zwischen den diversen Arten von Feuchttüchern unterschieden werden. Babyfeuchttücher oder Staubtücher sind bereits jetzt oft mit einer Negativkennzeichnung in Bezug auf die Entsorgung über die Toilette versehen . Diese gelangen, wenn überhaupt, über Fehlwürfe in das Abwassersystem. Bei feuchtem Toilettenpapier liegt eine Entsorgung über die Toilette für den Verbraucher nah. Hier sind Aufklärungskampagnen der entsprechenden Entsorgungsunternehmen der Abwasser- und Abfallwirtschaft und der Kommunen sinnvoll . 13. Mit welchen Instrumenten versucht die Bundesregierung gegenwärtig und zukünftig, Verbraucherinnen und Verbraucher auf dieses Entsorgungsproblem aufmerksam zu machen? Derzeit sind keine konkreten Instrumente im Einsatz oder in Planung. 14. Welche Forschungsvorhaben hat die Bundesregierung zur Abbaubarkeit von Feuchttüchern (inkl. chemische Bestandteile) veranlasst, welche laufen derzeit , und welche Forschungsvorhaben sind geplant? Der Bundesregierung sind keine Forschungsvorhaben bekannt. Einzelne Aspekte, die sich aus der Verwendung von Feuchttüchern für die Abwasserinfrastruktur ergeben, werden im Rahmen des in der Antwort zu den Fragen 2 und 3 erwähnten, vom BMBF geförderten Verbundforschungsvorhabens KURAS untersucht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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