Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10787 18. Wahlperiode 03.01.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/10705 – Umsetzungsdefizite bei § 1a des Bundesversorgungsgesetzes zu Kriegsopferrenten V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit nun mehr 18 Jahren kann laut § 1a des Bundesversorgungsgesetzes die Kriegsopferrente für Berechtigte gestrichen werden, wenn „Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat“ (§ 1a Absatz 1 des Bundesversorgungsgesetzes). Zum Zwecke einer solchen Überprüfung übermittelte das Simon Wiesenthal Center von 1998 bis 2008 rund 76 000 Datensätze von Personen, die aus seiner Sicht gegen Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen haben (siehe Dr. Klemp, Stefan/Hölzl, Martin (2016): Die Neufassung des § 1a Bundesversorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten für NS-Täter. Bonn. S. 18.). Jedoch wurden bis zum heutigen Tag nur 99 Streichungen durchgeführt, zu denen seit dem Jahr 2008 keine einzige Streichung hinzukam (Jüdische Allgemeine vom 23. November 2016). Bei der Beurteilung, ob eine Person von der Liste der Empfänger der Kriegsopferrente gestrichen wird, entscheidet ob sie „während der Herrschaft des Nationalsozialismus durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen“ hat. Im Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 28. November 2016 (Aktenzeichen 3 StR 49/16) wurde Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord durch Dienst im Konzentrationslager Auschwitz in 300 000 Fällen verurteilt. Damit wurde klargestellt, dass alle die aktiv an der „Endlösung der Judenfrage“ mitgewirkt haben, sich auch schuldig gemacht haben. Von den vom Simon Wiesenthal Center genannten 76 000 Namen besteht die Wahrscheinlichkeit , dass eine unbekannt hohe Anzahl ähnliche Schuld auf sich geladen hat und trotzdem weiterhin eine Kriegsopferrente bezieht. Drucksache 18/10787 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) wird von den Ländern in alleiniger Zuständigkeit ausgeführt. Die Bundesregierung hat daher weder Kenntnis von einzelnen Versorgungsangelegenheiten noch kann sie auf Entscheidungen in Versorgungsfällen oder auf das Verwaltungsverfahren allgemein Einfluss nehmen. Durch die auf einer Initiative aus dem Deutschen Bundestag beruhende Entscheidung im Jahre 1998, durch Einfügung von § 1a in das BVG eine Möglichkeit zur Aberkennung des Anspruchs auf Kriegsopferversorgung für NS-Täter zu schaffen , wurde ein Signal der Anerkennung des Leidens der Opfer und zur Distanzierung von den Unrechtsmaßnahmen der NS-Täter gesetzt. Zum Umfang der dazu erforderlichen Überprüfungen durch die Länder sowie zur Unterstützung der Länder durch umfangreiche Datenübermittlungen durch das heutige Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt der Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des § 1a des Bundesversorgungsgesetzes vom 1. März 1999 (Bundestagsdrucksache 14/473) Auskunft. Eine ausführliche Darstellung zur Umsetzung des § 1a BVG und zu den Gründen für die insgesamt geringe Zahl an Leistungsentziehungen bietet der Forschungsbericht „Die Neufassung des § 1a Bundesversorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten für NS-Täter“, der im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt wurde und unter www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/ fb472-schlussbericht.html abgerufen werden kann. 1. Plant die Bundesregierung Maßnahmen, um für eine konsequentere Anwendung des § 1a des Bundesversorgungsgesetzes zu sorgen? Wenn ja, welche? Wenn nein, welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um sicherzustellen , dass Personen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus durch individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, keine Kriegsopferrenten mehr beziehen ? 2. Inwiefern trägt die Rechtspraxis dem § 1a Absatz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach Einschätzung der Bundesregierung tatsächlich Rechnung ? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch Täter wie Oskar Gröning, der sich laut Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 28. November 2016 (Aktenzeichen 3 StR 49/16) der Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen schuldig gemacht hat, unter die Ausschlussklausel des § 1a BVG fallen? Die Frage ist hypothetisch. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob die genannte Person überhaupt Leistungen nach dem BVG bezieht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung sowie auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10787 4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 28. November 2016 (Aktenzeichen 3 StR 49/16) im Fall Oskar Gröning in Bezug auf die Beurteilung der Streichung von Kriegsopferrenten für Personen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus durch individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben? Das Bundessozialgericht (BSG) hat zur Anwendung des §1a BVG in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. November 2005 (B 9a/9 V 8/03 R) ausgeführt: „ (…) dass ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten bewiesen werden muss, das individuell-persönlich zuzurechnen und vorzuwerfen, schuldhaft ist (…). Dabei reicht es allerdings aus, wenn dem Täter die Unrechtmäßigkeit seines Handelns bei zumutbarer Gewissensanspannung zumindest hätte offenkundig werden müssen (…). Bei der Versagung oder Entziehung von Versorgungsleistungen handelt es sich nämlich nicht um eine strafrechtliche Sanktion, sondern um einen sich im Leistungsrecht niederschlagenden ethischen Schuldvorwurf des Staates (...). Sie setzt mithin weder eine bestimmte strafrechtliche Teilnahmeform noch eine Strafbarkeit als Verbrechen oder Vergehen voraus. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Berechtigte an einer unmenschlichen oder menschenunwürdigen Handlung beteiligt war, ihr – durch eigenes Handeln – zum Erfolg verholfen hat (…) muss dem Betreffenden, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1a Absatz 1 Satz 2 BVG ergibt, die Tat individuell zur Last gelegt werden können. Ein persönlich schuldhaftes Verhalten muss ihm nachgewiesen werden. Ein solches Handeln liegt immer dann vor, wenn der Betroffene die Tatsachen kannte, aus denen sich das unmenschliche oder rechtsstaatswidrige Verhalten ergibt, ihm die Unmenschlichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit bewusst war oder bei der ihm zumutbaren Gewissensanspannung hätte bewusst sein müssen und nicht besondere Gründe die Schuld ausschließen.“ Diese Grundsätze, die von der Bundesregierung geteilt werden, hat das BSG in späteren Entscheidungen bestätigt. Demnach ist für die Entziehung oder Versagung von Leistungen nach § 1a BVG weder eine bestimmte strafrechtliche Teilnahmeform noch eine Strafbarkeit des Handelns als Verbrechen oder Vergehen erforderlich. Vielmehr ist eine Prüfung vorzunehmen, ob dem Leistungsberechtigten ein ethischer Schuldvorwurf im Sinne der oben zitierten Ausführungen gemacht werden kann. Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 20. September 2016, welcher sich mit der Frage der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens in einem konkreten Einzelfall befasst, kann daher keine unmittelbare Wirkung auf die Anwendung von § 1a BVG haben. 5. Wie wird gewährleistet, dass diese Rechtslage zu erneuten Überprüfungen von Bundesversorgungsgesetzrenten an KZ-Lagerpersonal und SS-Angehörige führt? Falls dies nicht der Fall ist, wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Nichtanwendung geltenden Rechts zugunsten von Kriegsverbrechern? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung sowie auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. Drucksache 18/10787 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Schritte plant die Bundesregierung, um die Länder bei der Umsetzung des Gesetzes zu unterstützen – speziell in den Bereichen materieller und personeller Ressourcen? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 7. Inwiefern plant die Bundesregierung, konkrete Änderungen an dem Gesetz vorzunehmen, um sicherzustellen, dass Personen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus durch individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, und deren Hinterbliebene keine Kriegsopferrente mehr erhalten? Die bereits geltende Regelung in § 1a BVG gewährleistet, dass bei Personen, die während der NS-Zeit gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit verstoßen haben, Versagungen und Entziehungen von BVG-Leistungen zu prüfen sind und auch vorgenommen werden können. Gesetzesänderungen dazu sind nicht geplant. 8. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um sicherzustellen , dass mehr Fälle geprüft werden können? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 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