Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 11. Januar 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10830 18. Wahlperiode 13.01.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/10749 – Radiologische Auswirkungen beim Versagen des Reaktordruckbehälters im belgischen Atomkraftwerk Tihange 2 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien könnten die Stadt Aachen und die gesamte StädteRegion beim Versagen des Reaktordruckbehälters im belgischen Atomkraftwerk Tihange 2 stark verstrahlt und unbewohnbar werden (vgl. Arnold et al. 2016: „Mögliche radiologische Auswirkungen eines Versagens des Reaktordruckbehälters des KKW Tihange 2“). Die Region liegt in einer ungünstigen Windrichtung. Deswegen wäre bei einer bestimmten Wetterlage mit einer vergleichbaren Situation wie in der 20-Kilometer-Sperrzone rund um das japanische Atomkraftwerk Fukushima zu rechnen. Grundlage der Studie waren Daten von rund 3 000 repräsentativen Wettersituationen. Im Grundmaterial des geschmiedeten Reaktordruckbehälters von Tihange 2 wurden schon im Jahr 2012 tausende Ultraschallanzeigen bzw. Haarrisse entdeckt . Nach mehreren Untersuchungen entschied die belgische Atomaufsicht Federaal Agentschap voor Nucleaire Controle (FANC) im Dezember 2015, dass der Reaktor trotzdem weiterlaufen darf. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich bereits in mehreren Kleinen Anfragen und Anträgen mit dem belgischen Problemmeiler auseinandergesetzt, vgl. u. a. Bundestagsdrucksachen 18/9676; 18/7656, 18/7118 und 17/13491. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung macht sich die Empfehlung der Strahlenschutzkommission Planungsgebiete für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken (BAnz AT 21. Mai 2014 B4) zu eigen und hält die betrachteten Szenarien – wie dort beschrieben auch für grenznahe Anlagen im Ausland, die besondere Planungsmaßnahmen erfordern – für richtig. Das dort zugrunde gelegte Unfallspektrum deckt sämtliche bisher eingetretenen schweren Unfälle bei Anlagen westlicher Bauart ab (inklusive Fukushima). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10830 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode In Umsetzung der Empfehlung werden auf Beschluss der Innenministerkonferenz die Planungszonen in Deutschland erweitert, z. B. für Evakuierung von 10 km auf 20 km Entfernung von Atomkraftwerken. Damit werden deterministische Strahlenschäden bei der Bevölkerung vollständig ausgeschlossen, stochastische Effekte hinreichend begrenzt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Schwere des Eingriffs der verschiedenen Schutzmaßnahmen in die Rechte von Einzelpersonen Rechnung getragen. In Einklang mit der oben genannten Empfehlung der Strahlenschutzkommission hat das Bundesamt für Strahlenschutz sich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen ein Unfall in einem deutschen Atomkraftwerk mit einem ähnlichen Verlauf wie in Fukushima hätte, und vertiefte Untersuchungen zu den möglichen Auswirkungen anhand von mehr als 5 000 Fallbeispielen durchgeführt. Dabei wurden für die systematische Analyse zu radiologischen Auswirkungen drei verschiedene Atomkraftwerke in Deutschland betrachtet, deren Standorte verschiedene Geländeformen und klimatische Zonen repräsentieren, reale Wetterbedingungen über einen repräsentativen Jahreszeitraum berücksichtigt und Ereignisszenarien mit Kernschmelze unterstellt, die in die höchsten Kategorien 5, 6 und 7 nach der international gebräuchlichen INES-Skala zur Bewertung radiologischer Ereignisse einzuordnen wären. Die Studie ist verfügbar unter http://nbnresolving .de/urn:nbn:de:0221-2015021712440. Die Studie des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien „Mögliche radiologische Auswirkungen eines Versagens des Reaktordruckbehälters des KKW Tihange 2“ postuliert das Versagen des Reaktordruckbehälters. Das auslösende Ereignis sowie das Versagen der gesamten Anlagentechnik und der Maßnahmen des präventiven und des mitigativen Notfallschutzes werden unzureichend dargestellt, um belastbare Rückschlüsse ziehen zu können. Die Studie stellt somit keine Basis für eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Katastrophenschutzplanung dar. Insofern ist die Studie zur Beurteilung von Planungsgebieten für Schutzmaßnahmen in der Region Aachen ungeeignet. Obwohl die Bundesregierung wie oben beschrieben die durch die Strahlenschutzkommission empfohlenen Planungsradien für ausreichend hält, hat sie die belgische Atomaufsicht gebeten, repräsentative Quellterme für das Atomkraftwerk Tihange zur Verfügung zu stellen. Das Bundesumweltministerium wird auf dieser Grundlage das Bundesamt für Strahlenschutz beauftragen, eigene Ausbreitungsrechnungen durchzuführen. Die Ergebnisse werden dann in den entsprechenden bilateralen Gremien – insbesondere auf Basis des im Dezember 2016 geschlossenen Nuklearabkommens – zusammen mit Vertretern der Länder Nordrhein-Westfalen , Rheinland-Pfalz und Saarland mit Belgien diskutiert. 1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der o. g. Studie, dass die StädteRegion Aachen aufgrund der meteorologischen Verhältnisse bei einer radioaktiven Freisetzung in Tihange im großräumigen Belastungsgebiet liegt, und welche Konsequenzen zieht sie daraus (bitte erläutern )? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10830 2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der o. g. Studie, dass die Strahlenbelastungen für die StädteRegion Aachen bei ungünstiger Wetterlage vergleichbar mit der Strahlenbelastung innerhalb der 20-Kilometer-Sperrzone von Fukushima wären, und welche Konsequenzen zieht sie daraus (bitte erläutern)? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der o. g. Studie, dass bei einem Störfall in Tihange mit anschließendem Versagen des Reaktordruckbehälters der Fall eintreten kann, dass die StädteRegion Aachen unbewohnbar wird, und welche Konsequenzen zieht sie daraus (bitte erläutern)? Eine Umsiedlung der Bevölkerung würde in Deutschland nicht etwa – wie in der oben genannten Studie angenommen – aufgrund eines Kriteriums für die Bodenkontamination entschieden werden, sondern aufgrund des Vergleichs der tatsächlich über 1 Jahr (nach dem Unfall) zu erwartenden Dosis der Bevölkerung im Vergleich zu dem Referenzwert von 100 mSv. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis der o. g. Studie, dass bei einem Versagen des Reaktordruckbehälters in Tihange 2 die voraussichtliche Vorwarnzeit so kurz ist, dass eine kurz- bzw. rechtzeitige Evakuierung vor dem Eintreffen der radioaktiven Wolke praktisch als ausgeschlossen erscheint, und welche Konsequenzen zieht sie daraus, insbesondere für den Katastrophenschutz (bitte erläutern)? Eine Aussage zur Vorwarnzeit lässt sich nur auf Basis eines belastbaren Anlagenszenarios machen. Die Postulate in der o.g. Studie des Instituts für Sicherheitsund Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien sind dafür nicht geeignet. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 5. Inwiefern hat die Bundesregierung bisher die StädteRegion Aachen bei Fragen zu radiologischen Auswirkungen und insbesondere der Planung und Umsetzung des Katastrophenschutzes unterstützt, und welche weiteren Schritte plant sie (bitte erläutern)? Die Strahlenschutzkommission entwickelt im Auftrag des Bundesumweltministeriums „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ (letzte Überarbeitung: BAnz AT 4. Januar 2016 B4), die auch auf grenznahe ausländische Anlagen angewendet werden können. Diese Rahmenempfehlungen enthalten detaillierte Empfehlungen zur Planung und Umsetzung des Katastrophenschutzes in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. 6. Hat die Bundesregierung eigene Abschätzungen zu einer möglichen Strahlenbelastung für die Stadt und die Großregion Aachen im Falle eines Versagens des Reaktordruckbehälters von Tihange 2? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10830 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Wie beurteilt die Bundesregierung grundlegend die Abschätzungen zur Strahlenbelastung in der o. g. Studie? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 8. Wann wird das Deutsch-Belgische Nuklearsicherheitsabkommen aller Voraussicht nach offiziell in Kraft treten? Das Deutsch-Belgische Abkommen über den Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit, des Strahlenschutzes und der Sicherheit der Entsorgung von abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen ist nach seinem Artikel 8 Absatz 1 am Tag der Unterzeichnung, also am 19. Dezember 2016, in Kraft getreten. 9. Waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Ergebnisse der o. g. Studie oder unabhängig davon, ähnliche Szenarien, Bestandteil der Diskussion zum Abschluss des Abkommens oder innerhalb der bisherigen ad hoc-Gruppe? Die Studie war Gegenstand der Beratungen der deutsch-belgischen ad-hoc Arbeitsgruppe zur nuklearen Sicherheit am 1. Dezember 2016. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333