Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. Januar 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/10958 18. Wahlperiode 24.01.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frank Tempel, Ulla Jelpke, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/10771 – Rechtliche Vorgaben zur Verschreibung und Anwendung von Naloxon V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Naloxon wirkt Opioiden wie Heroin oder starken Schmerzmedikamenten entgegen (kompetitiver Antagonist) und wird eingesetzt, um eine akute Opioidvergiftung etwa bei der Überdosierung zu behandeln. Wird es rechtzeitig angewendet , können Folgeschäden und Todesfälle durch Atemstillstand verhindert werden (vgl. Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation http://apps.who.int/iris/ bitstream/10665/137462/1/9789241548816_eng.pdf?ua=1&ua=1). Für opioidkonsumierende Menschen ist es aktuell in Deutschland kaum möglich , Naloxon als Notfallmedikament zum Einsatz im Rahmen der Laienhilfe zu erhalten. Weder Schmerzpatientinnen und -patienten, die ärztlich verschriebene Opioide einnehmen, noch ärztlich substituierte Drogengebraucherinnen und - gebraucher erhalten problemlos oder gar standardmäßig Naloxon als Notfallmedikament . Für Drogenkonsumentinnen, und -konsumenten die ihre Opioide illegal erwerben, besteht keine Möglichkeit, ein entsprechendes Rezept zu bekommen . Für diese Personengruppe (einschließlich der ärztlich substituierten Drogengebraucherinnen und -gebraucher besteht deshalb lediglich im Rahmen von Schulungsprogrammen die Möglichkeit, Naloxon als Notfallmedikament zu erhalten. Allerdings sind die Angebote weit davon entfernt, den tatsächlichen regionalen Bedarf decken zu können. Schließlich hat nicht jede/r injizierende Opioidkonsumentin und -konsument und jede/r ärztlich Substituierte die Möglichkeit , an einer Schulung teilzunehmen, um Naloxon zu erhalten. An Schmerzpatientinnen und -patienten, die langfristig mit Opioiden behandelt werden, sind diese Schulungsprogramme bisher gar nicht adressiert. Ein wesentlicher Grund für diese defizitäre Versorgung sind nach wie vor immer noch bestehende rechtliche Bedenken. (http://news.doccheck.com/de/72341/opiatueberdosis-erste-hilfewird -antidotensicher/). Um opioidkonsumierenden Menschen sowie nicht konsumierenden potentiellen Ersthelferinnen und -helfer (z. B. Angehörige) einen einfachen und sicheren Zugang zu Naloxon gewährleisten zu können, sind rechtlich klare Abgabemodalitäten deshalb dringend notwendig – insbesondere vor dem Hintergrund aktuell steigender Drogentotenzahlen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10958 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Zur Verhinderung von Drogentodesfällen wird schon seit längerem auch auf internationaler Ebene über den Einsatz von Naloxon auch durch Laien diskutiert. So hat die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht 2015 eine systematische Übersicht des Forschungsstandes (EMCDDA 2015: Preventing fatal overdoses: a systematic review of the effectiveness of take-home naloxone ) sowie 2016 eine Übersicht zur Prävention von Todesfällen durch Opioid- Überdosierungen durch Naloxon (EMCDDA 2016: Preventing opioid overdose deaths with take-home naloxone) veröffentlicht. Der Einsatz von Naloxon auch im Drogennotfall ist grundsätzlich bereits heute möglich. Die Anwendung erfolgt sowohl im Rahmen der ärztlich verantworteten Notfallrettung als auch im Suchthilfesystem in verschiedenen Kommunen, insbesondere durch Ärztinnen und Ärzte selbst oder unter deren Verantwortung in den Drogenkonsumräumen. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung aufmerksam und ist dazu mit den Bundesländern im Dialog. Parallel unterstützt die Bundesregierung die Länder dabei, mögliche rechtliche und praktische Herausforderungen zu bewältigen. Bei einer Notfallanwendung von Naloxon durch medizinische Laien sind besondere Anforderungen zu berücksichtigen. Die Anwendung von Naloxon im Drogennotfall ist nicht vergleichbar mit der von den Fragestellern angeführten Anwendung von Adrenalin, die durch Autoinjektoren erfolgt und damit eine einfache und sichere Anwendung, etwa bei einem allergologischen Notfall, auch durch medizinische Laien ermöglicht. Diese Anwendungsform lässt es zu, Patientinnen und Patienten oder deren Begleitpersonen die Anwendung von Adrenalin in der Regel mit geringem Aufwand zu vermitteln. Wegen seiner Darreichungsform als Autoinjektor kommt deshalb Adrenalin – im Unterschied zu den derzeit in Deutschland verfügbaren Darreichungsformen von Naloxon zur Antagonisierung von opioidbedingten Notfallsituationen – für die ärztliche Verschreibung einer präventiven Therapiemaßnahme im Wege der Notfallanwendung durch medizinische Laien in Betracht. Für Naloxon gibt es demgegenüber weder in Deutschland noch innerhalb der Europäischen Union eine für eine solche Anwendung erforderliche, vergleichbare arzneimittelrechtliche Zulassung. Bei einer Laienanwendung von Naloxon in den Notfällen einer Überdosierung mit illegalen Opioiden ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die bloße Verabreichung des Arzneimittels zur Überlebenshilfe nicht ausreicht. Wichtig sind immer auch weitere für ein Überleben der überdosierten Person erforderliche Maßnahmen, die besondere Kenntnisse erfordern sowie die Bereitschaft der Beteiligten voraussetzen, im Anschluss an die Notfallbehandlung unverzüglich professionelle ärztliche Expertise hinzuzuziehen. Erforderlich ist deshalb neben aufwändigen Schulungsmaßnahmen zur Vorbereitung der medizinischen Laien auf das richtige Verhalten in einem akuten Notfall insbesondere ihre Sensibilisierung, dass als weiterer überlebensentscheidender Schritt unverzüglich eine Notfallambulanz aufzusuchen oder eine Notärztin oder einen Notarzt hinzuzurufen ist. 1. Wie viele Menschen sind infolge einer Überdosierung durch Opioide verstorben (bitte seit dem Jahr 2009 und nach Opioiden auflisten)? Es wird auf die vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Bundeslagebilder Rauschgiftkriminalität 2009 bis 2015 verwiesen: www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/ StatistikenLagebilder/Lagebilder/Rauschgiftkriminalitaet/rauschgiftkriminalitaet_ node.html. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10958 2. Inwiefern kann Naloxon Todesfälle durch Überdosierungen mit Betäubungsmitteln verhindern? Welche Applikationsform ist hierfür vorgesehen? Naloxonhaltige Injektionslösungen sind in Deutschland zugelassen für: „- Vollständige oder teilweise Aufhebung von Atemdepression und zentralnervösen Dämpfungs-zuständen verursacht durch natürliche und synthetische Opioide - Aufhebung von Koma und Atemdepression bei vermuteter oder bekannter Opioidüberdosierung oder -intoxikation“. Naloxon wird bevorzugt intravenös angewendet, kann aber auch intramuskulär oder subkutan sowie als Zusatz zu Infusionslösungen verabreicht werden. 3. Inwiefern kann nach Einschätzung der Bundesregierung die Anwendung von Naloxon dann eine alternative oder ergänzende Maßnahme zur Ersten Hilfe bei Opioidüberdosierung sein? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung sowie auf die Antworten zu den Fragen 4 und 5 wird verwiesen. 4. Inwiefern ist die intramuskuläre und die intranasale Applikation durch geschulte Laien nach Ansicht der Bundesregierung sicher? Grundsätzlich erfordert die Anwendung von Naloxon immer eine sorgfältige Indikationsstellung . Es ist fraglich, ob medizinische Laien eine Überdosierung mit Opioiden sicher erkennen können. Auch ist zu beachten, dass Naloxon aufgrund seines schnellen Wirkeintrittes Entzugssymptome auslösen kann. Es muss auch beachtet werden, dass die Wirkungsdauer von Opioiden länger sein kann als die von Naloxon, wodurch ein Wiederauftreten der Atemdepression möglich ist. Aus diesem Grund ist die Abgabe von Naloxon an medizinische Laien und eine Anwendung durch diese nur vertretbar, wenn sie bezüglich der Indikationsstellung und der Anwendung geschult sind. Die intramuskuläre Anwendung birgt die Gefahr einer Nadelstichverletzung sowie einer Infektion der Injektionsstelle. Bei einer nasalen Anwendung ist kein venöser Zugang erforderlich, die Nase ist in den meisten Situationen gut zu erreichen, es besteht keine Gefahr durch Nadelstichverletzung sowie eine geringe Infektionsgefährdung. 5. Inwiefern stimmt die Bundesregierung den Fragestellenden zu, dass eine Vergabe von Naloxon an Opioidgebrauchende mittels Take-Home-Programmen (z. B. Drogennotfallschulungen mit Naloxonvergabe) zu einer höheren Überlebensrate bei Überdosierungen beitragen kann (vgl. Alternativer Drogen - und Suchtbericht 2015, S. 46)? Wie bereits in der Antwort zu Frage 4 angesprochen erscheint es fraglich, ob medizinische Laien eine Überdosierung mit Opioiden sicher erkennen und gegenüber Mischintoxikationen mit anderen Betäubungs- oder Suchtmitteln abgrenzen können. Aus diesem Grund ist die Anwendung durch Laien oder die Abgabe von Naloxon an Laien aus medizinischer Sicht nur vertretbar, wenn diese Laien bezüglich der Indikationsstellung und der Anwendung des jeweiligen Naloxonpräparates spezifisch geschult werden und eine Nachbeobachtung der Betroffenen gewährleisten können, die grundsätzlich unter Einbeziehung und möglichst Anwesenheit ärztlicher Expertise erfolgen sollte. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10958 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Wie unterstützt die Bundesregierung die Aufklärung über die Wirkung und Anwendung von Naloxon zielgruppenspezifisch bei denjenigen Personengruppen , denen Naloxon bei einer Überdosierung helfen könnte? Die Bundesregierung sieht hierbei vor allem die Einrichtungen und Angebote des Suchthilfesystems vor Ort in der Verantwortung, über die Wirkung und Anwendung von Naloxon, einschließlich der erforderlichen Begleitmaßnahmen, aufzuklären . Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung sowie auf die Antworten zu den Fragen 4 und 5 verwiesen. 7. Welche gesetzlichen oder ordnungsrechtlichen Regelungen sind a) bei der Verschreibung, b) Abgabe und c) Anwendung von Naloxon relevant? Die relevanten Gesetze und Verordnungen sind das Arzneimittelgesetz (AMG), die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) und die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Im Hinblick auf die Verschreibung und die Abgabe von Naloxon sind die Vorschriften der AMVV zu beachten. Gemäß den §§ 43 Absatz 1 Satz 1 und 48 Absatz 1 Arzneimittelgesetz darf Naloxon für den Endverbrauch nur in Apotheken in den Verkehr gebracht und nur bei Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden. Die Verschreibung erfolgt durch den Arzt entsprechend der berufsrechtlichen Vorschriften. Eine Abgabe entgegen § 48 Absatz 1 Satz 1 AMG ist gemäß § 96 Nummer 13 AMG mit Strafe bedroht. Nach § 17 Absatz 5 Satz 1 ApBetrO muss das abgegebene Arzneimittel der Verschreibung entsprechen und gemäß § 20 ApBetrO müssen die Patientinnen und Patienten arzneimittelbezogen informiert und beraten werden. Die Beratung muss beispielsweise die notwendigen Informationen über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels und, soweit erforderlich, auch eventuelle Neben- oder Wechselwirkungen umfassen. 8. Wie häufig wird in Deutschland Naloxon nach Kenntnis der Bundesregierung jährlich angewendet, wie häufig davon durch Laien, und wie häufig wurde es durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden im Jahr 2015 etwa 6,2 Millionen Verordnungen von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Naloxon zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2016 wurden etwa 4,8 Millionen Verordnungen entsprechender Arzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. Naloxon als Monopräparat wurde im Jahr 2015 3 782 mal und im Jahr 2016 bis zum 3. Quartal 5 776 mal verordnet und zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. Daten zur Laienanwendung liegen der Bundesregierung nicht vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10958 9. Inwiefern ist es nach Kenntnis der Bundesregierung rechtlich möglich, dass Angehörige von Menschen mit Allergien Notfallarzneimittel zur Adrenalin- Injektion bei den Betroffenen anwenden, für den Fall, dass diese bei einem anaphylaktischen Schock dazu nicht mehr selbst in der Lage sind? Soweit durch die von einem Dritten durchgeführte Injektion eine gefährliche Körperverletzung verwirklicht wird, kommt eine Rechtfertigung aufgrund ausdrücklicher bzw. mutmaßlicher Einwilligung sowie eine Rechtfertigung gemäß § 34 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Betracht. Gemäß § 34 StGB verstößt die Verwirklichung eines Straftatbestandes dann nicht gegen die Rechtsordnung, wenn sie zur Abwendung einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr erfolgt, bei der das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. a) Inwiefern tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für diese Notfallmedikation? In der gesetzlichen Krankenversicherung sind Arzneimittel insoweit erstattungsfähig , als sie im Einklang mit den Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten verordnet werden. b) Inwiefern ist eine vorgehende Schulung rechtliche Voraussetzung, um im Notfall ein Adrenalin bei den Betroffenen injizieren zu dürfen? Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB setzt keine vorhergehende Schulung voraus. c) Wie häufig werden diese Notfallarzneimittel in Deutschland verordnet bzw. erstattet? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden im Jahr 2015 etwa 160 000 Verordnungen von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Epinephrin (Adrenalin) als Autoinjektoren zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2016 wurden etwa 130 000 Verordnungen entsprechender Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Kranken-versicherung abgerechnet . d) Inwiefern erachtet die Bundesregierung dies für rechtlich vergleichbar mit der Naloxon-Anwendung bei Opioid-Überdosierung? Im Unterschied zu Notfallarzneimitteln mit dem Wirkstoff Adrenalin, die ausdrücklich zur Eigenanwendung durch betroffene Patientinnen und Patienten oder geeignete Begleitpersonen zugelassen sind, sind derzeit in Deutschland keine vergleichbaren , behördlich geprüften und zugelassenen Arzneimittel mit dem Wirkstoff Naloxon verfügbar. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 11 und 12 verwiesen. 10. Unter welchen Voraussetzungen ist es Ärztinnen und Ärzten nach Ansicht der Bundesregierung erlaubt, Menschen mit einer Heroin- oder sonstigen Opioidabhängigkeit Naloxon zur Anwendung im Notfall zu verschreiben? Für die Verschreibung von Naloxon, das nicht dem Betäubungsmittelrecht unterliegt , gelten die Vorschriften der Arzneimittelverschreibungsverordnung sowie die allgemeinen ärztlichen Sorgfaltspflichten bei der Arzneimitteltherapie im Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10958 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Sinne einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung für die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten. Ob eine solche Verschreibung berufsrechtlich zulässig ist, ist von der zuständigen Ärztekammer im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen . 11. Inwiefern ist es Angehörigen oder anderen Menschen im sozialen Umfeld erlaubt, Naloxon zu applizieren? Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt jede in die körperliche Unversehrtheit eingreifende Behandlungsmaßnahme den objektiven Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 StGB (vgl. Fischer, StGB, § 223, Rn. 17.). Der indizierte Heileingriff kann aber durch ausdrückliche Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, NStZ 11, 343). Das Verabreichen eines Arzneimittels kann im Einzelfall den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nummer 1 StGB erfüllen , wenn es zu einer Gesundheitsschädigung dadurch kommt, dass das Arzneimittel nicht de lege artis angewendet wurde, z. B. wenn es zu hoch dosiert oder kontraindiziert ist (Eschelbach, in: BeckOK StGB, § 224 Rn. 17). In Betracht kommt beim Einsatz im Notfall auch ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB. 12. Inwiefern ist es Menschen erlaubt, Naloxon bei einem anderen Menschen als dem, für den es verordnet wurde, zu applizieren, wenn dadurch eine Gefahr für Leib und Leben abgewendet werden kann? Grundsätzlich kann die Anwendung von Naloxon zur Vermeidung von Todesfällen nach Maßgabe des § 34 StGB gerechtfertigt sein (Körner/Patzak/Volkmer, a. a. O.). 13. Inwiefern kommt eine Strafbarkeit der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c des Strafgesetzbuches (StGB) in Frage, wenn Naloxon verfügbar und die Anwendung bekannt ist und keine Hilfe geleistet wird? § 323c StGB setzt unter anderem zunächst als spezifische Gefahrenlage einen Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder Not voraus. Abhängig von den Umständen des Einzelfalles kann eine Bewusstlosigkeit durch vorangegangenen Rauschmittelkonsum , die ohne Herbeirufung ärztlicher Hilfe den Tod herbeiführt, einen zur Hilfeleistung verpflichtenden Unglücksfall darstellen (vgl. LG Kiel, Beschluss vom 2. Juni 2003 - VIII Ks 2/03; vgl. auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer , Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2016, § 30 Randnummer 119). Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 14 verwiesen. 14. Inwiefern sprechen Risiken des Arzneimittels nach Ansicht der Bundesregierung gegen die Naloxon-Anwendung als Notfallmedikament durch Laien? Naloxon ist ein spezifischer kompetitiver Opioidantagonist ohne klinisch relevante intrinsische Aktivität. Es kann eine Atemdämpfung und Koma bei Opioidüberdosierungen bzw. -intoxikationen aufheben. In Abwesenheit von Opioiden zeigt Naloxon im Wesentlichen keine pharmakologische Eigenwirkung. Die Verabreichung von Naloxon durch medizinische Laien – auch in Notfällen – birgt Risiken. Bei Risikopatientinnen und-patienten, wie physisch Opioidabhängigen , kann eine zu schnelle Verabreichung und damit einhergehende zu schnelle Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/10958 Antagonisierung der Opioidwirkungen ein akutes Entzugssyndrom mit schwerwiegenden , zum Teil lebensbedrohlichen Folgen provozieren. Eine Anwendung von Naloxon durch Laien ist allenfalls vertretbar, wenn diese bezüglich der Indikationsstellung und der Anwendung im Vorfeld ausreichend geschult wurden. 15. Inwiefern geht die Bundesregierung von einem Missbrauchspotenzial bei Naloxon aus? Naloxon besitzt kein eigenes Missbrauchspotenzial. 16. Welche Personen und Personengruppen können in Deutschland legal Naloxon als verschreibungsfähiges Medikament erhalten (z. B. substituierende Opioidkonsumierende, illegalisierte Opioidkonsumierende, Menschen, die Drogennotfallschulungen absolviert haben, Angehörige von Opioidsuchterkrankten )? Naloxon ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und darf nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden. Die individuelle Verschreibung richtet sich nach der AMVV und liegt in der Therapieentscheidung des Arztes. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 7, 10 und 19 verwiesen. 17. Inwiefern ermöglichen oder verbieten die rechtlichen Bestimmungen die Naloxon -Verschreibung bei der gleichzeitigen Verschreibung von Opioiden zur Behandlung einer Sucht oder von Schmerzen? Es wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. 18. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der Fragestellenden zu, dass Angehörige von Opioidsuchterkrankten eine herausragende Rolle spielen können, um riskantes Konsumverhalten zu minimieren (z. B. durch soziale Stabilisierung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis in Notfällen)? In Notfällen spielen alle Personen, die sich in der Nähe der betroffenen Person aufhalten, eine wichtige Rolle. Angehörige von Menschen mit Suchterkrankungen sind allerdings häufig selbst besonderen Belastungen ausgesetzt. Hieraus kann sich ein spezifischer Unterstützungsbedarf ergeben, auch um ihre Rolle als Angehörige einer Person mit Suchterkrankungen in einem für diese positiven Sinn erlernen und erfolgreich ausüben zu können. 19. Gibt es bei bestehender Verschreibungspflicht eine Möglichkeit, dass auch potentielle Ersthelferinnen und -helfer (z. B. Angehörige) Naloxon erhalten können? Wie können geschulte medizinische Laien zum Zwecke der Verabreichung im Drogennotfall Naloxon legal erhalten? Die Verschreibung eines Arzneimittels hat nach den Anforderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) zu erfolgen. Diese sieht in § 2 Absatz 1 Nummer 3 für Humanarzneimittel vor, dass die Verschreibung Name und Geburtsdatum der Person enthalten muss, für die das Arzneimittel bestimmt ist. Ausnahmen hiervon sind nach § 2 Absatz 2 AMVV möglich, sofern eine Verschreibung für den Praxisbedarf einer verschreibenden Person, für ein Krankenhaus , für Einrichtungen oder Teileinheiten von Einrichtungen des Rettungsdienstes oder für Bordapotheken von Luftfahrzeugen bestimmt sind. In diesen Fällen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/10958 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode genügt an Stelle der Angaben nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 AMVV ein entsprechender Vermerk. Weitere Ausnahmen sind für Humanarzneimittel nicht vorgesehen . 20. Unter welchen Voraussetzungen tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Naloxon (bitte aufschlüsseln für Anwendung durch medizinisches Personal, Applikation durch die Betroffenen, Applikation durch Dritte und Applikation bei Menschen, denen es nicht verordnet wurde)? Es wird auf die Antwort zu Frage 9a verwiesen. Einschränkungen nach der Person desjenigen, der das Arzneimittel appliziert, bestehen nicht. Die Erstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung setzt jedoch eine vertragsärztliche Verordnung voraus. Es obliegt der Entscheidung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes, ob eine Verordnung von Naloxon-Injektionslösungen im Einzelfall zweckmäßig und notwendig ist. Arzneimittel, die Naloxon enthalten, können auch im Rahmen des Sprechstundenbedarfs, d. h. ohne konkrete Nennung eines oder einer Versicherten verordnet werden, um in einer Praxis für Notfälle zur Verfügung zu stehen. 21. In welchen Bundesländern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Naloxon -Modellprojekte durchgeführt? Konnten geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte Naloxon legal erhalten? 22. Welche Bundesländer führen gegenwärtig nach Kenntnis der Bundesregierung Modellprojekte zur Vergabe und Anwendung von Naloxon durch? Können geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte Naloxon legal erhalten? Die Fragen 21 und 22 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden in verschiedenen Bundesländern Projekte abgeschlossen bzw. laufen noch. Da das Suchthilfesystem in den Bundesländern in unterschiedlichem Ausmaß kommunalisiert ist, ist jedoch auch auf Landesebene kein umfassender Überblick über alle abgeschlossenen und derzeit laufenden Projekte und Angebote vorhanden. 23. Welche Naloxon-Modellprojekte wurden bisher durch die Bundesregierung durchgeführt? Konnten geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte Naloxon legal erhalten? Von 1998 bis 2000 wurde das Modellprojekt „Drogennot- und -todesfallprophylaxe einschließlich der Vergabe von Naloxon an Drogenabhängige“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Im Rahmen des Projektes wurde ein Drogennotfalltraining entwickelt, das auch die Vergabe von Naloxon umfasste. Zielgruppe des Projektes waren sowohl Drogenkonsumierende als auch professionelle Helferinnen und Helfer sowie Angehörige. Die beteiligten Drogenkonsumierenden erhielten ein Notfallset mit zwei Naloxon-Ampullen. Weitere Informationen sind auf der Webseite www.fixpunkt-berlin.de abrufbar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/10958 24. Plant die Bundesregierung weitere Naloxon-Modellprojekte? Falls ja, können geschulte Laien und Angehörige im Rahmen dieser Modellprojekte Naloxon legal erhalten? Für die Anwendung von Naloxon sind nach Auffassung der Bundesregierung keine Modellprojekte im Sinne einer wissenschaftlich begleiteten Erprobung von Maßnahmen auf Bundesebene notwendig. Vor diesem Hintergrund sind auf Bundesebene keine Modellprojekte geplant. 25. In welchen EU-Mitgliedstaaten ist Naloxon nach Kenntnis der Bundesregierung rezeptfrei erhältlich? Nach der in der Vorbemerkung der Bundesregierung erwähnten Publikation der EMCDDA von 2016 ist nicht bekannt, dass naloxonhaltige Arzneimittel in den EU-Mitgliedstaaten ohne Verschreibung erhältlich sind. 26. In welchen EU-Mitgliedstaaten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung ein Produkt, das die Applikation von Naloxon durch Nasensprays ermöglicht ? Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es keine standardisiert abrufbaren Informationen über nationale Arzneimittelzulassungen in den EU-Mitgliedstaaten. 27. Gibt es in Deutschland ein Produkt, das die Applikation von Naloxon durch Nasensprays ermöglicht? Falls nein, befinden sich derartige Produkte in der Zulassungsphase, und falls ja, welche? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Es gibt in Deutschland kein naloxonhaltiges zugelassenes Arzneimittel für die nasale Anwendung. Im Hinblick auf Produkte, die sich in der Zulassung befinden, findet sich auf der Internetseite www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/document_ listing/document_listing_000349.jsp im Dokument Dezember 2016, Seite 4, ein Hinweis auf einen Antrag im zentralen Verfahren zu Naloxon. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333