Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 31. Januar 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11059 18. Wahlperiode 01.02.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/10857 – Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der Landtag Brandenburg hat im April 2016 beschlossen, Betroffenen rechter Straftaten ein vorübergehendes Bleiberecht einräumen zu wollen (Landtagsdrucksache 6/4027-B). Am 21. Dezember 2016 hat die Landesregierung einen ermessenslenkenden Erlass herausgegeben, mit dem der Beschluss des Landtags umgesetzt werden soll (www.bravors.brandenburg.de/verwaltungsvor schriften/erl_nr_8_2016). Ziel dessen ist es, „auf Grundlage des geltenden Rechts alle Ermessensspielräume [zu nutzen], um vollziehbar Ausreisepflichtigen , die Opfer einer rechten Gewaltstraftat geworden sind, zu einem Bleiberecht zu verhelfen“. Diese Maßnahme begründet die Landesregierung wie folgt: Ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt sei notwendig, um ihre Anwesenheit als Opferzeuginnen bzw. -zeugen sicherzustellen. Ein Bleiberecht solle Betroffenen rechter Gewalt in die Lage versetzen, notwendige medizinische bzw. psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen . Ein Bleiberecht stelle eine spezifische Form der „Wiedergutmachung“ dar. Aus Sicht der Fragesteller kann ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt zudem generalpräventiv wirken, da rechte Täterinnen und Täter fortan damit rechnen müssen, dass die Opfer aufgrund der gegen sie verübten Straftaten die Möglichkeit erhalten, in Deutschland zu bleiben. Die Richtlinie 2012/29/EU der Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI schließt eine Ungleichbehandlung von Opfern von Straftaten aufgrund ihres Aufenthaltsstatus u. a. im Hinblick auf den Zugang zum Rechtsschutz aus. Dieses Recht auf Gleichbehandlung ist im Zuge des 3. Opferrechtsreformgesetzes nicht in deutsches Recht umgesetzt worden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11059 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode In Brandenburg sollen Betroffene rechter Gewalt fortan unter bestimmten Voraussetzungen (Schwere der Tat und der Tatfolgen; keine Mitverursachung der rechten Straftat durch das Tatopfer; keine vorherige Begehung spezifischer Straftaten durch das Tatopfer) in einem zweistufigen Verfahren ein Bleiberecht erhalten: Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) für die Dauer des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens; Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Absatz 5 Satz 1 AufenthG aufgrund der Annahme, dass das erhebliche öffentliche Interesse an einem Verbleib des Opfers einer rechten Gewalttat sowie die dringenden humanitären Gründe nach Beendigung des Strafverfahrens fortwirken und so zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis werden. Die Frage eines Bleiberechts für Betroffene rechter Gewalt gewinnt zunehmend an bundespolitischer Bedeutung. Die Fraktionen DIE LINKE., SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben auch in Thüringen diese Forderung in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Auch das Land Berlin hat angekündigt, sich dem Brandenburger Vorbild anschließen zu wollen (TSP, 9. Januar 2017). Der Landtagsbeschluss sowie der Erlass der Brandenburger Landesregierung fußen auf einem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Brandenburg (Landtagsdrucksache 6/3928), setzen das Petitum aber nicht vollständig um. Denn in dem Antrag wurde eine rechtssichere Regelung für die Betroffenen rechter Gewalt gefordert. Um das zu erreichen, könnte und müsste eine Regelung gefunden werden, die (ähnlich wie auch auf Bundestagsdrucksache 18/2492 gefordert) „über das bereits bestehende Recht hinausgeht“. Der Landesregierung wurde hierfür eine entsprechende Bundesratsinitiative anempfohlen . Wie sinnvoll nach Auffassung der Fragesteller ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt – allein schon aus Gründen der Rechtspflege – ist, wird aus der Praxis der Opferberatungsstellen deutlich. Der in Potsdam ansässige Verein „Opferperspektive e. V.“ illustrierte die Folge dessen, dass Betroffene rechter Überfälle – wie bislang – immer wieder vor der Durchführung eines Strafverfahrens abgeschoben werden, in einer Pressemitteilung vom 9. März 2016. Darin heißt es: „Durch die Abschiebung fehlen nun wichtige Zeugen in einem laufenden Ermittlungsverfahren. Der Landkreis schützt somit im Endeffekt rassistische Gewalttäter vor Strafverfolgung. Dies steht im eindeutigen Widerspruch zu sämtlichen Versprechungen aus der Politik, rechte Straftaten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verfolgen. Aus unserer Beratungspraxis wissen wir, dass viele Strafverfahren eingestellt werden oder mit einem Freispruch für die Täter_innen enden, wenn die Zeug_innen für Aussagen fehlen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Landkreis eine Abschiebung forcierte, nachdem die Betroffenen sich Hilfe suchend an unsere Beratungsstelle wandten.“ V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung misst dem Kampf gegen Extremismus und politisch motivierter Gewalt jedweder Art eine hohe Bedeutung bei. Dies gilt für den Kampf gegen den Islamismus, gegen rechtsextremistische und linksextremistische Gewalt sowie gegen jede andere Form des Extremismus gleichermaßen. Seit Jahren unterstützt die Bundesregierung zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen oder Vereine bei ihren Aktivitäten zur Extremismus-Prävention und Demokratieförderung . Die Präventionsstrategie der Bundesregierung bündelt und optimiert die Programme und Maßnahmen, die die Bundesregierung aufgelegt hat oder finanziell unterstützt. Die Bundesregierung verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz zur Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11059 Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, der darauf zielt, alle gesellschaftlichen Ebenen zu erreichen. Er umfasst sowohl Prävention als auch Repression. Zu diesem Ansatz zählen auch die Beobachtung extremistischer Organisationen durch die Verfassungsschutzbehörden und die Initiierung von Aussteigerprogrammen für die rechtsextreme Szene. Die Bundesregierung hat am 13. Juli 2016 die von der Bundesministerin für Familie , Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesminister des Innern vorgelegte „Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung “ beschlossen. Die Strategie setzt auf ein gemeinsames Handeln des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie der Zivilgesellschaft. Damit folgt sie den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages und setzt einen Auftrag des Koalitionsvertrages um, die Anstrengungen des Bundes bei der Extremismusprävention und der Demokratieförderung zu bündeln und zu optimieren. Die Strategie zielt darauf ab, bundesweit an die für die Extremismusprävention und Demokratieförderung entscheidenden Orte zu gehen – in die Sozialräume, Kommunen und Landkreise, in die Institutionen, Vereine und Verbände, an die Schulen, und auch an viele andere Orte, an denen sich Menschen für die Stärkung der Demokratie und die Verteidigung der Menschen- und Freiheitsrechte einsetzen. Aber auch online will die Bundesregierung verstärkt Präsenz zeigen. Überall soll mit Jugendlichen diskutiert, sollen Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und sonstige Bezugspersonen unterstützt, soll Ausstiegswilligen geholfen und Hass- und Hetztiraden im Netz entgegengetreten werden. Auch in Gefängnissen soll aktiv Extremismusprävention stattfinden. Außerdem soll die Strategie auch zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Extremismusprävention und der Demokratieförderung beitragen. Nur wenn sicherheitsorientierte , präventive und demokratiefördernde Maßnahmen Hand in Hand gehen, kann der Kampf gegen jegliche Formen von Extremismus und für die Demokratie erfolgreich sein. Für aufenthaltsrechtliche Fragen enthält das Aufenthaltsgesetz in der derzeitigen Fassung den notwendigen Spielraum, um für Opfer von Gewalt zu sachgerechten Lösungen im konkreten Fall zu kommen. So sieht die geltende Rechtslage zum Beispiel die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Strafverfahrens wegen eines Verbrechens vor, wenn die vorübergehende Anwesenheit des Betroffenen im Bundesgebiet von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird (vgl. § 60a Absatz 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes – Aufenth G). Zudem kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (vgl. § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG). Nach § 25 Absatz 5 AufenthG kann einem vollziehbar Ausreisepflichtigen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Hindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist; zudem kommt nach einem entsprechenden Votum einer Härtefallkommission auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG in Betracht. Für nicht vollziehbar Ausreisepflichtige sieht die Regelung des § 25 Absatz 4 AufenthG die Möglichkeit der Titelerteilung für einen vorübergehenden Aufenthalt vor, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Dem deutschen Rechtssystem ist es hingegen grundsätzlich fremd, ein bestimmtes Fach-Recht (hier das Aufenthaltsrecht) aus generalpräventiven Gründen gegenüber vermeintlichen Tätern und zur Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11059 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode einzusetzen, indem z. B. das Opfer wegen seiner Opfereigenschaft mit einer aufenthaltsrechtlichen Besserstellung bedacht wird. Regelungen zur Wiedergutmachung finden ihren Niederschlag in den Opfer- oder Entschädigungsregelungen, nicht aber in von strafrechtlichen Wertungen unabhängigen Fachgesetzen. Die Erteilung eines Aufenthaltsrechts als Wiedergutmachung für im Bundesgebiet erlittenes Unrecht entspricht nicht dem Zweck des Aufenthaltsgesetzes. Ein allgemeines gruppenbezogenes Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt wird nicht zuletzt auch aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes kritisch bewertet, da eine Privilegierung ausländischer Opfer rechter Gewalt gegenüber anderen, ausländischen wie deutschen Gewaltopfern, erfolgen würde. 1. Wie viele politisch motivierte Gewaltdelikte wurden in den Jahren 2014 bis 2016 innerhalb des „Themenfeldkatalogs – Politisch motivierte Kriminalität – (PMK)“ im Unterthema „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“ registriert (bitte nach Jahren, Bundesländern sowie den vier PMK-Phänomenbereichen PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländer und PMK-Sonstige aufschlüsseln )? Mit Wirkung zum 1. Januar 2016 wurde die Erfassung von Straftaten im Kontext der Asylthematik weiter ausdifferenziert, um einen noch genaueren Lageüberblick zu erhalten. Der Themenfeldkatalog des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes – Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) wurde u. a. durch das neue Unterthema „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“ ergänzt. Es handelt sich hierbei nicht um eine neue oder zusätzliche Voraussetzung zur Erfassung von Sachverhalten , sondern um eine verbesserte Möglichkeit zur Zuordnung und Auswertung dieser Sachverhalte zum Asylthema innerhalb der Politisch motivierten Kriminalität (PMK). Diese Taten wurden auch vorher schon als politisch motivierte Straftaten erfasst. Mit Stand vom 19. Januar 2017 wurden für den Erfassungszeitraum 2016 insgesamt 552 Gewaltdelikte mit dem Unterthema „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“ erfasst. Davon entfallen 527 Straftaten auf den Phänomenbereich PMK – rechts, 9 Straftaten auf den Phänomenbereich PMK – Ausländer und 16 Straftaten konnten keinem Phänomenbereich zugeordnet werden. Die Verteilung auf die Bundesländer stellt sich wie folgt dar: Baden-Württemberg 18, Bayern 40, Berlin 48, Brandenburg 96, Bremen 3, Hamburg 6, Hessen 3, Mecklenburg-Vorpommern 46, Niedersachen 30, Nordrhein-Westfalen 54, Rheinland-Pfalz 9, Saarland 1, Sachsen 66, Sachsen-Anhalt 78, Schleswig-Holstein 33 und Thüringen 21 Delikte. Es wird darauf hingewiesen, dass die bisherigen Deliktszahlen für 2016 nicht abschließend sind und durch die laufende Erfassung Änderungen unterliegen. 2. Wie nimmt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Stellung zu den im „Jahrbuch Rechte Gewalt“ der Journalistin Andrea Röpke veröffentlichten 1 000 rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Angriffen im Jahr 2016? Im KPMD-PMK werden politisch motivierte Straftaten anhand von bundesweit geltenden Kriterien erfasst. Den o. g. Gewaltdelikten werden – allgemein und auch im Unterthema „gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“– Straftaten in den Deliktsbereichen Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brand- und Sprengstoffdelikte , Landfriedensbruch, Gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahn- und Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte und Sexualdelikte zugeordnet. Ob und inwiefern diese Erhebungsmethodik mit den Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11059 „rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Angriffe“ im „Jahrbuch Rechte Gewalt“ übereinstimmt, ist der Bundesregierung nicht bekannt. 3. Wie viele Tatopfer hatten einen unsicheren Aufenthaltsstatus (bspw. Aufenthaltsgestattung , sog. Grenzübertrittsbescheinigung, Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende, Ankunftsnachweis oder Duldung; bitte aufschlüsseln )? Der Bundesregierung liegen über den Status des Tatopfers als „Asylbewerber /Flüchtling“ hinaus keine weiteren Erkenntnisse vor. 4. Wie viele Betroffene rechter Gewalt wurden – nach Kenntnis der Bundesregierung – in den Jahren 2014 bis 2016 vor Beendigung der Strafverfahren gegen die Täter abgeschoben und konnten somit im Prozess nicht mehr aussagen ? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Wie viele Betroffene des Menschenhandels (§ 232 des Strafgesetzbuches – StGB), der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) bzw. der Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung (§ 233a StGB) haben in den Jahren 2014 bis 2016 zur Sicherstellung eines Strafverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 AufenthG erhalten (bitte nach Jahren und den Fallgruppen §§ 232, 233 und 233a StGB aufschlüsseln)? Im Zeitraum vom Januar 2014 bis Dezember 2016 haben ausweislich des Ausländerzentralregisters (AZR) zum Auswertungsstichtag 31. Dezember 2016 insgesamt 173 Personen einen Aufenthaltstitel nach § 25 Absatz 4a Satz 1 AufenthG erhalten, davon 76 im Jahr 2014, 54 im Jahr 2015 und 43 im Jahr 2016. Eine weitere Differenzierung im Sinne der Frage wird im AZR nicht erfasst. 6. Wie vielen dieser Personen wurde gemäß § 25 Absatz 4a Satz 3 AufenthG aufgrund humanitärer bzw. persönlicher Gründe oder aus Gründen der öffentlichen Interessen ein Aufenthalt auch über das Strafverfahren hinaus erlaubt (bitte aufschlüsseln)? Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor. Im AZR wird der erfragte Sachverhalt nicht gesondert erfasst. 7. Haben sich die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zum aufenthaltsrechtlichen Schutz von Betroffenen des Menschenhandels bzw. der Arbeitsausbeutung aus Sicht der Bundesregierung bewährt, und wenn nein, warum nicht? Diese Ausnahmeregelungen bezwecken – europarechtlich begründet – die Sicherung des Aufenthalts von Opferzeuginnen und -zeugen primär mit dem Ziel der Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs. Dies kommt dem Opferschutz und dem Schutz der potentiellen künftigen Opfer durch effektive Strafverfolgung der Täter zugute. Inwieweit ein vergleichbares Ergebnis wie mit nach § 25 Absatz 4a Satz 1 und Absatz 4b Satz 1 AufenthG erteilten Titeln auch nach den allgemein geltenden Möglichkeiten zur Sicherung des Aufenthalts eines Zeugen für ein Gerichtsverfahren nach § 60a Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie §§ 23a, 25 Absatz 4 oder § 25 Absatz 5 AufenthG erzielt worden wäre, kann von der Bunderegierung nicht bewertet werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11059 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 8. Hält es die Bundesregierung vor diesem Hintergrund – aber auch im generellen Interesse einer ordnungsmäßen Rechtspflege – für notwendig bzw. sinnvoll, Betroffenen rechter Gewalt ein Bleiberecht zu ermöglichen, um deren Anwesenheit als Opferzeuginnen bzw. Opferzeugen im Strafprozess sicherzustellen ? Wenn nein, warum sollen Betroffene rechter Gewalt schlechter gestellt werden als Betroffene von Menschenhandel bzw. Arbeitsausbeutung? In der Praxis reichen die aufgezeigten Möglichkeiten grundsätzlich aus, um auch Opfern rechter Gewalt einen gesicherten Verbleib im Bundesgebiet für ihre Anwesenheit als Opferzeugen im Strafprozess zu verschaffen. 9. Warum war und ist es aus Sicht der Bundesregierung sachgerecht und notwendig , das Bleiberecht für Betroffene von Menschenhandel bzw. Arbeitsausbeutung im Aufenthaltsrecht zu verankern – dass also bewusst nicht der Weg beschritten wurde, ein solches Bleiberecht mithilfe eines Erlasses der jeweils zuständigen Landesregierung zu erreichen? Die Spezialregelungen der § 25 Absatz 4a und Absatz 4b AufenthG erfolgten in Umsetzung zwingender europarechtlicher Vorgaben, die bundeseinheitlich zu veranlassen waren. In Bezug auf die Regelung des § 25 Absatz 4a AufenthG ist dies im Übrigen aufenthaltsrechtlich besonders nachvollziehbar, da ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einreise und Opferstatus besteht. 10. Wäre es für Betroffene rechter Gewalt – vor dem Hintergrund der Regelung in § 25 Absatz 4a AufenthG – nicht die rechtssichere und bundeseinheitliche Lösung, ein Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt im Aufenthaltsgesetz zu verankern? Wenn nein, warum nicht? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 11. Stellt die derzeitige Ungleichbehandlung nichtdeutscher Betroffener rechter Gewaltstraftaten (z. B. gegenüber Betroffenen von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung ) nach Ansicht der Bundesregierung mit Blick auf den 9. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/29/EU eine Benachteiligung aufgrund des Aufenthaltsstatus und damit eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung dar? Wenn ja, wann gedenkt die Bundesregierung die Gleichbehandlung aller nichtdeutschen Betroffenen rechter Gewaltstraftaten im deutschen Recht sicherzustellen und damit das 3. Opferrechtsreformgesetz, mit dem die Richtlinie 2012/29/EU eigentlich hätte vollständig umgesetzt werden sollen, zu ergänzen? Wenn nein, warum nicht? Eine Ungleichbehandlung von nichtdeutschen Opfern im Strafverfahrensrecht gibt es nicht. Die opferschützenden Vorschriften der Strafprozessordnung gelten für Verletzte nach Maßgabe der jeweiligen Voraussetzungen. Die Vorschriften knüpfen aber gerade nicht an die Staatsangehörigkeit oder Herkunft an. Es gibt Regelungen, die für alle Verletzte einer Straftat gelten, z. B. die Informationsrechte nach §§ 406i ff. der Strafprozessordnung. Besonders schutzbedürftige Verletzte können weitere Rechte haben, z. B. einen Anspruch nach § 397a Absatz 1 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/11059 der Strafprozessordnung auf Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Staatskosten ohne Rücksicht auf ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (sog. Opferanwalt ) oder einen Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung nach § 406g Absatz 3 der Strafprozessordnung. 12. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass nichtdeutsche Betroffene rechter Gewaltstraftaten als besonders schutzbedürftige Personen im Sinne der Richtlinie 2012/29/EU (38. Erwägungsgrund) anzusehen sind und dass sie infolgedessen Anspruch auf spezialisierte Unterstützung (zur „Erholung und Überwindung von einer etwaigen Schädigung oder einem etwaigen Trauma“ bzw. Rechtsberatung) sowie Gewährung rechtlichen Schutzes haben? Wenn ja, wann gedenkt die Bundesregierung diese Rechte im deutschen Recht zu verankern? Wenn nein, warum nicht? Die besondere Schutzbedürftigkeit ist in der Strafprozessordnung nicht definiert. Eine Definitionspflicht ergibt sich auch nicht aus Erwägungsgrund 38 der Richtlinie 2012/29/EU, der lediglich Beispiele benennt, wann eine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegen kann. In § 48 Absatz 3 der Strafprozessordnung als zentraler Einstiegsnorm ist vorgesehen, dass die besondere Schutzbedürftigkeit eines Zeugen, der zugleich der Verletzte ist, zu jeder Zeit des Strafverfahrens zu berücksichtigen ist. Alle den Verletzten betreffenden Handlungen, Vernehmungen und Untersuchungshandlungen sind unter der Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten durchzuführen. Dabei sind die persönlichen Verhältnisse des Zeugen sowie Tat und Umstände der Straftat zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die besondere Schutzbedürftigkeit jeweils individuell zu prüfen ist. Darüber hinaus sieht die Strafprozessordnung für besonders schutzbedürftige Verletzte, die Opfer bestimmter Straftaten geworden sind, bestimmte Rechte vor. Insofern wird auch auf die Beantwortung der Frage 11 (Opferanwalt und psychosoziale Prozessbegleitung) verwiesen. 13. Inwiefern wäre ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt aus Sicht der Bundesregierung hilfreich bzw. notwendig, um Betroffene rechter Gewalt in die Lage zu versetzen, ggf. notwendige medizinische bzw. psychotherapeutische Hilfe ohne den Stress eines unsicheren Aufenthaltsstatus und ohne die Einschränkungen des § 6 Asylbewerberleistungsgesetzes in Anspruch nehmen zu können? Wenn nein, warum nicht? 14. Hält es die Bundesregierung für sachgerecht, Betroffenen rechter Gewalt – über die Angebote des Bundesamtes für Justiz hinaus (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1938) – ein Angebot zur Wiedergutmachung zu machen? Wenn ja, könnte ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt die aufenthaltsrechtliche Form einer solchen Wiedergutmachung sein? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 13 und 14 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11059 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 15. Welche rechtlichen und tatsächlichen Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Betroffene rechter Gewalt keine Härteleistungen des Bundesamtes für Justiz bzw. Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes in Anspruch nehmen, weil Strafverfahren eingestellt wurden oder in einem Freispruch mündeten, weil das Tatopfer zuvor abgeschoben wurde? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Betroffene rechter Gewalt keine Härteleistungen nach der „Richtlinie zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe aus dem Bundeshaushalt (Kapitel 0708 Titel 681 01)“ in Anspruch nehmen, weil Strafverfahren eingestellt wurden oder in einem Freispruch mündeten, weil das Tatopfer zuvor abgeschoben wurde, da nur die beim Bundesamt für Justiz tatsächlich eingegangenen Anträge auf Gewährung einer Härteleistung bekannt sind. Härteleistungen nach der Richtlinie werden jedoch grundsätzlich unabhängig von der Einleitung von Strafverfahren und deren Ausgang geprüft und bei Vorliegen der Voraussetzungen gewährt . Hinsichtlich des Opferentschädigungsgesetzes liegen der Bundesregierung solche Erkenntnisse nicht vor. 16. Spricht aus Sicht der Bundesregierung etwas gegen die Annahme, dass ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt eine generalpräventive Wirkung entfalten könnte bzw. würden rechte Täterinnen und Täter möglicherweise dann von der Begehung von Straftaten abgehalten werden, wenn sie damit rechnen müssten, dass die Betroffenen infolge der Tat die Möglichkeit erhielten , in Deutschland zu bleiben? Generalpräventive Wirkungen lassen sich üblicherweise nur durch methodisch aufwändige Studien belegen. Solche Studien liegen für den angesprochenen, vermuteten Zusammenhang zum jetzigen Zeitpunkt nach Kenntnis der Bundesregierung nicht vor. Daher lässt sich der von den Fragestellern formulierte Zusammenhang weder verifizieren noch falsifizieren. 17. Sind aus Sicht der Bundesregierung – jenseits der Frage des Bleiberechts – andere Hilfestellungen für nichtdeutsche Betroffene rechter Gewalt sinnvoll (z. B. Ausnahmen von der aufenthalts- oder asylrechtlichen Verteilung, die dem Tatopfer den Umzug ermöglichen würden, um sich von den Täterinnen und Tätern zu entfernen bzw. um geeignete medizinische oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen)? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Soweit Gewaltopfer im Einzelfall Bedarf an besonderer Hilfestellung haben, bietet das Aufenthaltsrecht bereits Handlungsmöglichkeiten. Dazu zählt beispielsweise die Möglichkeit zur Aufhebung einer Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG. So ist nach § 12a Absatz 5 Satz 1 Nummer 2 AufenthG auf Antrag des Ausländers eine Verpflichtung oder Zuweisung zur Wohnsitznahme zur Vermeidung einer Härte aufzuheben. Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus: „Eine unzumutbare Beschränkung durch eine Wohnortbindung besteht beispielsweise auch dann, wenn die Verpflichtung oder Zuweisung einen gewalttätigen oder gewaltbetroffenen Partner an den Wohnsitz des anderen Partners bindet, einer Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz entgegensteht oder sonstigen zum Schutz vor Gewalt erforderlichen Maßnahmen entgegensteht.“ Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/11059 Das Asylgesetz überlässt die Entscheidung über die konkrete Zuweisung des Asylantragstellers innerhalb des zuständigen Bundeslandes den Landesbehörden, § 50 Asylgesetz (AsylG); nach § 50 Absatz 4 Satz 5 AsylG sind dabei humanitäre Gründe von besonderer Bedeutung zu berücksichtigen. Soweit ein länderübergreifender Umzug erforderlich ist, gilt § 51 AsylG, wonach auf Antrag des Asylantragstellers aus humanitären Gründen von besonderer Bedeutung auch eine länderübergreifende Umverteilung grundsätzlich möglich ist. Diese Normen bieten ausreichenden Spielraum, um den Opfern rechter Gewalt nötigenfalls einen Umzug zu ermöglichen. Im Übrigen können auch medizinische Gründe als dringende humanitäre oder persönliche Gründe i. S. d. § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG anzusehen sein und zur Erteilung einer Duldung führen. 18. Hält die Bundesregierung die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für ein Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt sowie die Schaffung weiterer aufenthalts - oder asylrechtlicher Regelungen zugunsten nichtdeutscher Betroffener rechter Gewalt für sinnvoll bzw. erforderlich, um die Wahrnehmung strafprozessualer Rechte von Menschen mit unsicherem Aufenthalt zu gewährleisten und Diskriminierung zu verhindern? Wenn ja, wird sie einen solchen Gesetzentwurf noch in dieser Wahlperiode in den Deutschen Bundestag einbringen? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung plant in dieser Wahlperiode nicht die Einbringung einer Gesetzesinitiative im Sinne der Fragestellung. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333