Deutscher Bundestag Drucksache 18/1110 18. Wahlperiode 09.04.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/903 – Staatsleistungen an die Kirchen Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Staatsleistungen nach Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung sind finanzielle Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die zum Ausgleich für die weitreichende Enteignung von kirchlichem Eigentum im Rahmen der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts erbracht werden. Diese Entschädigungszahlungen werden noch heute an die beiden großen Amtskirchen (die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen) in allen neuen und, mit Ausnahme von Hamburg und Bremen, auch in allen alten Bundesländern gezahlt . Insgesamt liegen diese Staatsleistungen im gesamten Bundesgebiet gegenwärtig bei rund 480 Mio. Euro jährlich. Die Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 hatte bereits die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vorgesehen. Nach Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 ist der Bund verpflichtet, ein Grundsätzegesetz zu schaffen, nach dessen Vorgaben die Länder ihrerseits Gesetze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften zu erlassen haben. Der Fraktionsvorsitzende der FDP im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, forderte im Oktober 2013 in einem Artikel in der Zeitschrift „FOCUS“ ein schnellstmögliches Ende der Staatsleistungen an die Kirchen („Kubicki erklärt: Warum der Staat die Zahlungen an die Kirchen stoppen muss“, 30. Oktober 2013). Dabei schlug er die Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen vor, „die einerseits in einer Art Eröffnungsbilanz die 1803 verstaatlichen Kirchengüter bewertet und anderseits die Summe der seitdem an die Kirchen geflossenen Entschädigungen ermittelt“. Selbst die beiden großen Kirchen in Deutschland haben mehrfach die Bereitschaft geäußert, über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln. Laut einer Meldung des Evangelischen Pressedienstes (epd) vom 6. Februar 2014 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7. April 2014 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. hält nun auch der Vizepräsident Dr. Volker Knöppel der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck eine Ablösung der Staatsleistungen für denkbar. Demnach halte Dr. Volker Knöppel eine Ablösung nach dem Modell Hessens für möglich, wo vor zehn Jahren Kirchenbaulasten der Kommunen gegen eine Drucksache 18/1110 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Entschädigungszahlung an die Kirchen abgelöst wurden. Der wohl prominenteste Kirchenvertreter war und ist der ehemalige Papst Benedikt XVI., der sich während seiner Amtszeit für eine „Entweltlichung“ der Kirche aussprach, da die Streichung von kirchlichen Privilegien eine positive Wirkung für den christlichen Glauben habe (Rede von Papst Benedikt XVI. im Konzerthaus in Freiburg am 25. September 2011). 1. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag Wolfgang Kubickis, eine Kommission beim Bundesministerium der Finanzen einzurichten, die den Umfang und Wert des im Jahr 1803 verstaatlichten Kirchenbesitzes und die Summe der bisher gezahlten staatlichen Entschädigungen an die Kirchen ermitteln soll? 2. Plant die Bundesregierung die Einrichtung einer solchen Kommission? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Keine. Nach Auffassung der Bundesregierung besteht auf Seiten des Bundes weder Handlungsbedarf für die Bildung einer solchen Kommission noch für den Erlass eines Grundsätzegesetzes des Bundes nach Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 Satz 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Die Bundesregierung verweist insoweit auf die Antworten zu den Fragen 3 und 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion Die LINKE. zu Beginn dieser Legislaturperiode auf Bundestagsdrucksache 18/45 vom 13. November 2013. Es ist seitdem keine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, die eine andere Bewertung erfordert. 3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Äußerungen von Wolfgang Kubicki im Magazin „Focus“ vom 30. Oktober 2013 (www.focus.de/politik/gastkolumnen/kubicki/affaereum -limburger-bischof-kubicki-erklaert-warum-der-staat-die-zahlungen-andie -kirchen-endlich-stoppen-muss_aid_1142553.html) und die Bereitschaft von Kirchenvertretern, wie Dr. Volker Knöppel, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, in Verhandlungen über die Ablösung der Staatsleitungen zu treten (epd-Meldung vom 6. Februar 2014: www.epd.de/zentralredaktion/epd-zentralredaktion/kurhessischervizepräsident -ablösung-von-staatsleistungen-denk)? Die Bundesregierung sieht in diesen Äußerungen keinen Anlass, die Initiative zu einer Ablösung der Staatsleistungen zu ergreifen. Der Bund selbst ist nicht Schuldner der Staatsleistungen. Den Ländern als Träger der Staatsleistungen steht es dagegen frei, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrundlagen zu schaffen. Das Verfassungsrecht steht dieser Lösung nicht entgegen. 4. Besteht von Seiten der Bundesregierung das Interesse, in Verhandlungen mit den Kirchen über eine Ablösung der Staatsleistungen zu treten, oder plant die Bundesregierung gar in Verhandlungen mit den Kirchen zu treten? Wenn nein, warum nicht? Nein. Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. Wenn auf Seiten der Länder oder der Kirchen der Wunsch nach Änderung der Staatsleistungen bestehen sollte, ist nach Auffassung der Bundesregierung die jeder Zeit mögliche, einvernehmliche Lösung auf Landesebene der einfachere und sachgerechtere Weg. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1110 5. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung das in Hessen praktizierte Modell , wobei die kommunalen Kirchenbaulasten in einem Vertrag mit den Kirchen im Jahr 2003 gegen eine Entschädigungszahlung abgelöst wurden? Hält sie dieses für eine mögliche und praktikable Vorgehensweise zur schrittweisen Ablösung der Staatsleistungen auch in anderen Bundesländern ? Ohne dieses Modell im Einzelnen zu bewerten, bestärkt das Beispiel die Bundesregierung in ihrer Auffassung, dass Änderungen bei den Staatsleistungen am besten auf Länder- oder Gemeindeebene zusammen mit den Kirchen vereinbart werden sollten. 6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der früheren, von CDU, CSU und FDP getragenen Bundesregierung, derzufolge kein Handlungsbedarf bestand , durch ein Grundsätzegesetz des Bundes, die Länder zu verpflichten, die von diesen gewährten Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 18/45) und damit nicht dem Verfassungsauftrag aus dem Jahr 1919 nachzukommen und ein Grundsätzegesetz zu schaffen, das die Ablösung der Staatsleistungen auf Länderebene regelt? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. Das Ablösegebot des Artikels 140 GG in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 WRV, das eine einseitig-hoheitliche Regelung voraussetzt, schließt eine einvernehmliche Regelung durch Vertrag seitens der Länder und Kirchen nicht aus. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333