Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 1. März 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11375 18. Wahlperiode 06.03.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/11060 – Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention durch die Türkei und die Folgen für Rechtshilfeersuchen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Rechtshilfe im Sinne des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) ist jede Unterstützung, die für ein ausländisches Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit gewährt wird. Dazu zählt beispielsweise die Zustellung von Urkunden oder die Vernehmung von Zeugen (www.bundesjustizamt. de/DE/Themen/Gerichte_Behoerden/IRS/Rechtshilfe_node.html). Der türkische Staat hat im Fall von Ali C. aus Elmshorn ein Rechtshilfeersuchen an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, woraufhin das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein, Sachgebiet 322. aktiv wurde. Grund für das Ermittlungsverfahren : Propagandabetreibung der Terrororganisation/Artikel 7/2-2 Satz des Antiterrorgesetzes (www.welt.de/politik/deutschland/article157885373/Wegen- Erdogans-Jagdmodus-steckt-Deutschland-im-Dilemma.html). Dass das Landeskriminalamt in Schleswig-Holstein nun Amtshilfe für die türkischen Behörden betreibt, verwundert deshalb, weil es um das umstrittene türkische Anti-Terror- Gesetz geht, dessen Änderung die Europäische Union (EU) von Ankara im Gegenzug für die Visafreiheit für türkische Staatsangehörige fordert (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/8581). Inzwischen gibt es ein neues, ein zweites Strafverfahren . Strafanzeige hat der türkische Staatspräsident gestellt. Das Verfahren läuft nicht in Deutschland, sondern in der Türkei (www.ln-online.de/Nachrichten/ Norddeutschland/Der-lange-Arm-von-Erdogan). Auch ein Prozess vor dem Oberlandesgericht München, bei dem sich zehn Männer und Frauen seit Sommer 2016 in München wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verantworten müssen, steht seit Beginn in der Kritik, eine Art Auftragsverfahren zur Befriedung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu sein. Unter den Betroffenen befinden sich auch eine Nürnberger Ärztin und ein Mann, der in türkischer Haft schwer gefoltert worden war und deshalb seinen Anhängern als Held wider die Unterdrückung gilt. Sie alle leben seit vielen Jahren in Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz (Süddeutsche Zeitung vom 24. Januar 2017, S. 5). Die vermeintlichen Beweise gegen die zehn Angeklagten sind unter Verletzung deutscher Strafvorschriften, also auf ungesetzlichem Weg, gesammelt worden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11375 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Laut dem Verteidiger der Nürnberger Ärztin, Peer Stolle, bestätigt sich der lang gehegte Verdacht, dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden egal sei, unter welchen Bedingungen die Informationen in der Türkei erlangt wurden, wobei selbst vor der Verwertung von Informationen aus geheimdienstlicher Spionagetätigkeit in Deutschland nicht zurückgeschreckt wird (Süddeutsche Zeitung vom 24. Januar 2017, S. 5). Obwohl die Gefahr besteht, dass Recep Tayyip Erdoğan und die AKP-Regierung hiesige Ermittler als Handlager im Kampf gegen Oppositionelle und Kritiker einspannen könnten, wird in einem Erlass aus dem Bundesministerium des Innern an das Bundeskriminalamt (BKA) vom 5. August 2016 bezüglich „einer ressortübergreifenden Besprechung zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit mit TUR (Türkei)“ nach dem gescheiterten Putschversuch lediglich „eine erhöhte Sensibilität und Prüfung von Ersuchen und Anfragen, nicht jedoch eine (vorweggreifende) substanzielle Beschränkung der Zusammenarbeit auf Arbeitsebene “ gefordert (www.welt.de/politik/deutschland/article157885373/Wegen- Erdogans-Jagdmodus-steckt-Deutschland-im-Dilemma.html). Mit Massenverhaftungen und Entlassungen wird in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 gegen Oppositionelle vorgegangen: Mehr als 40 000 Menschen wurden festgenommen, rund 20 000 offiziell inhaftiert, mehr als 130 Soldaten befinden sich in Haft, davon neun Generäle und Admirale . Circa 100 Journalisten sitzen im Gefängnis. Hinzu kommen etwa 80 000 Menschen, die als mutmaßliche Mitverschwörer ihre Jobs verloren haben – darunter auch Richter, Staatsanwälte und Lehrer. Gegen mehr als 100 Akademiker gibt es Haftbefehle (www.welt.de/politik/deutschland/article157885373/Wegen- Erdogans-Jagdmodus-steckt-Deutschland-im-Dilemma.html). 1. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis (auch nachrichtendienstliche), dass in der Türkei in den vergangenen sechs Monaten 1 656 Menschen wegen ihrer Beiträge in sozialen Medien in Untersuchungshaft genommen worden sind (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/verhaftungswelle-in-tuerkeitausende -verfahren-gegen-nutzer-sozialer-medien-14592235.html), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? 2. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis (auch nachrichtendienstlich), dass in der Türkei insgesamt gegen 3 710 Verdächtige Verfahren wegen Terrorpropaganda oder anderer Straftaten in sozialen Medien eingeleitet worden sind (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/verhaftungswelle-in-tuerkeitausende -verfahren-gegen-nutzer-sozialer-medien-14592235.html), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Der Bundesregierung sind entsprechende Berichte bekannt, sie kann die genannten Zahlen jedoch nicht bestätigen. Die Bundesregierung verfolgt die aktuellen Entwicklungen in der Türkei – insbesondere im Bereich der Presse- und Meinungsfreiheit – mit großer Sorge. Sie steht mit verschiedenen lokalen und internationalen Organisationen in Kontakt, um sich fortlaufend über die Lage zu informieren . Das Thema der Pressefreiheit ist zudem regelmäßiger Gegenstand diplomatischer und politischer Gespräch mit türkischen Vertretern. Zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11375 3. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Republik Türkei, ein Vertragsstaat der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention), durch offizielle Meldung an den Europarat von der Möglichkeit des Artikels 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Gebrauch gemacht und auf diese Weise die in der Konvention kodifizierten Rechte eines Beschuldigten weitgehend außer Kraft gesetzt hat (www.rechtslupe.de/strafrecht/ auslieferung-strafverfolgung-strafvollstreckung-3118679)? Die Türkei hat dem Generalsekretär des Europarats am 21. Juli 2016 offiziell mitgeteilt , dass sie von der Möglichkeit des Artikels 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Gebrauch machen wird, im Notstandsfall von den in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abzuweichen. Sie hat den Generalsekretär des Europarats seitdem mehrfach gemäß Artikel 15 Absatz 3 EMRK über die nach dieser Erklärung getroffenen Maßnahmen unterrichtet. 4. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass nach dem Inhalt des innerstaatlich in der Republik Türkei zugrunde liegenden „Ministerratsbeschlusses Nr. 667“ u. a. a) die Möglichkeiten effektiver Verteidigung eines Beschuldigten drastisch eingeschränkt worden sind, Die Bestimmungen des Dekretes Nr. 667 (Ministerratsbeschluss vom 22. Juli 2016, in Kraft mit Veröffentlichung im türkischen Gesetzesblatt vom 23. Juli 2016) wurden am 18. Oktober 2016 mit Gesetz Nr. 6749 umgesetzt und gelten für die Dauer des Notstandes. Sie finden bei folgenden Straftaten Anwendung: Straftaten gegen die Sicherheit des Landes (Artikel 302-308 des türkischen Strafgesetzbuchs – tStGB), Straftaten gegen die Verfassungsordnung und ihr Funktionieren (Artikel 309-316 tStGB), Straftaten gegen die nationale Verteidigung (Artikel 317-325 tStGB), Straftaten gegen Staatsgeheimnisse und Spionage (Artikel 326-339 tStGB), alle Straftaten, die vom Antiterrorgesetz erfasst werden, gemeinschaftlich begangene Straftaten (Definition in Artikel 2 Absatz 1k der türkischen Strafprozessordnung – tStPO). Das Dekret enthält folgende Regelungen, die eine effektive Verteidigung beeinträchtigen können: Möglichkeit der Einschränkung/Untersagung der Kommunikation mit dem Anwalt (siehe Antwort zu Frage 4d); Möglichkeit des Ausschlusses des Verteidigers (siehe Antwort zu Frage 4c); es dürfen höchstens drei Anwälte pro Verdächtigem/Angeklagtem anwesend sein; zusammengefasstes Vortragen der Anklageschrift ausreichend, die Anklageschrift wird dem Beschuldigten im Vorfeld jedoch zur Kenntnis gegeben; Einwände, Anträge auf Überprüfung der U-Haft und Haftentlassungen können nach Aktenlage ohne Anhörung des Beschuldigten entschieden werden; keine Verpflichtung der Anwesenheit des Beschuldigten oder Angeklagten bei der Verhandlung, Teilnahme per Videokonferenz ausreichend. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11375 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode b) ein Beschuldigter von der Polizei ohne richterliche Entscheidung bis zu 30 Tagen in Haft gehalten werden kann, Die zulässige Dauer des Polizeigewahrsams ohne richterliche Entscheidung wurde mit dem Dekret Nr. 667 auf 30 Tage verlängert und jüngst mit einem weiteren Dekret (Nr. 684 vom 2. Januar 2017 in Kraft durch Veröffentlichung im Amtsblatt vom 23. Januar 2017) auf sieben Tage herabgesetzt. Die Frist kann um weitere sieben Tage auf insgesamt 14 Tage verlängert werden. Allerdings gilt die neue Frist nicht in allen Fällen, so beispielsweise nicht für Altfälle, d. h. Verdächtige, die vor Inkrafttreten der Neuregelung (23. Januar 2017) in Polizeigewahrsam genommen wurden, sind von der Neuregelung ausgenommen. c) die Staatsanwaltschaft befugt ist, ohne Zustimmung eines Beschuldigten den von ihm gewählten Verteidiger auszuwechseln und Sind gegen Pflichtverteidiger und Prozessbevollmächtige selbst Ermittlungen oder ein Strafverfahren wegen einer der obengenannten Straftaten eingeleitet, kann der Anwalt auf Antrag des Staatsanwaltes durch richterliche Entscheidung von der Verteidigung ausgeschlossen werden. Der Verdächtige sowie die Anwaltskammer werden darüber unverzüglich unterrichtet, damit ein neuer Pflichtverteidiger bestellt werden kann. d) die Staatsanwaltschaft sogar die Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandant vollständig untersagen kann Für die in der Antwort zu Frage 4a genannten Taten besteht die Möglichkeit der Einschränkung oder vollständigen Untersagung der Kommunikation zwischen Verteidiger und Untersuchungshäftling bei Verdacht der Übermittlung von Nachrichten , Aufträgen oder Weisungen Dritter. Auf Anordnung des Staatsanwaltes können die Gespräche mit technischen Geräten aufgezeichnet werden oder müssen im Beisein einer Aufsichtsperson geführt werden. Die Überprüfung von Unterlagen , Akten und Gesprächsnotizen des Verteidigers ist erlaubt. Die Besuchszeiten des Verteidigers können eingeschränkt werden. und sofern dies zutrifft, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus, dass in der Türkei mit der Meldung nach Artikel 15 EMRK an den Europarat die Grundrechte eines Beschuldigten aus Artikel 6 EMRK (Verhandlung über eine Anklage innerhalb angemessener Frist, Unterrichtung über Art und Grund der erhobenen Beschuldigung in allen Einzelheiten, Recht auf Verteidigung durch einen Verteidiger eigener Wahl) offiziell außer Kraft gesetzt sind (www.rechtslupe.de/strafrecht/auslieferung-strafverfolgung -strafvollstreckung-3118679)? Zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11375 5. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass in der Türkei die anzutreffenden Haftbedingungen gegen die Grundrechte eines Beschuldigten aus Artikel 3 EMRK (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ) unter den zumindest derzeit herrschenden Umständen nicht eingehalten werden und dass es sich hierbei um eine Vorschrift handelt, die selbst in Anwendung des Artikels 15 EMRK nicht abgewichen werden darf (www.rechtslupe.de/strafrecht/auslieferung-strafverfolgung-strafvollstreckung- 3118679) und sofern dies zutrifft, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? Der Bundesregierung liegen Informationen verschiedener Nichtregierungsorganisationen und internationaler Organisationen vor, denen zufolge es in zeitlicher Nähe zum Putschversuch Fälle von Misshandlung in Polizeigewahrsam gegeben haben könnte. So enthält der vorläufige Bericht des VN-Sonderberichterstatters über Folter Anhaltspunkte dafür, dass es im Südosten bei als PKK-Sympathisanten inhaftierten Personen vereinzelt zu Misshandlungen gekommen sein könnte. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis von systematisch gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßenden Haftbedingungen. Berichte über Einzelfälle unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Gefangenen können von der Bundesregierung nicht verifiziert werden. Zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 6. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass es in Gerichtsverfahren in der Türkei derzeit ausreicht, einen Beschuldigten nur summarisch über den Inhalt der gegen ihn erhobenen Anklage zu informieren (www.rechtslupe.de/strafrecht/auslieferung-strafverfolgung-strafvollstreckung- 3118679) und sofern dies zutrifft, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? Die Anklageschrift wird gemäß Artikel 191 Absatz 3-b t StPO nicht mehr verlesen , sie wird aber wie bisher dem Angeklagten zusammen mit der Vorladung vor Gericht gemäß Artikel 176 tStPO zugestellt. Bei Inhaftierten muss zwischen dem anberaumten Verhandlungstermin und der Zustellung mindestens eine Woche liegen . Zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 7. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass in der Türkei ein uneingeschränktes Recht des Beschuldigten, in der gegen ihn geführten Verhandlung anwesend zu sein, nicht mehr besteht (www.rechtslupe.de/ strafrecht/auslieferung-strafverfolgung-strafvollstreckung-3118679), und sofern dies zutrifft, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? Grundsätzlich hat ein Angeklagter gemäß der türkischen Strafprozessordnung weiterhin das Recht auf und die Pflicht zu persönlicher Anwesenheit während der gegen ihn geführten Verhandlung. Das Dekret 667 regelt abweichend für die in der Antwort zu Frage 4a genannten Straftaten für die Dauer des Notstandes, dass das Recht des Angeklagten auf persönliche Anwesenheit auf Teilnahme per Videokonferenz beschränkt werden kann. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11375 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 8. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche ), dass die Gerichte der Türkei seit dem Putsch auch solche Aussagen als Beweis verwerten, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, und sofern dies zutrifft, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit der Türkei daraus? Die Bundesregierung hat von einer gerichtlichen Verwertung von Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt wurden, keine Kenntnis. Im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit werden alle Ersuchen einer vertieften Einzelfallprüfung unterzogen. Im Auslieferungsverkehr prüft das Bundesamt für Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und erforderlichenfalls unter Beteiligung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz die Bewilligungsfähigkeit eines jeden Einzelfalls sorgfältig und unter Berücksichtigung der vorgeworfenen Taten sowie des Personenkreises, dem der Verfolgte angehört. Über die Zulässigkeit einer Auslieferung entscheiden die Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften auf Grundlage des zwischen der Türkei und Deutschland anwendbaren Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 nebst dem 2. Zusatzprotokoll unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Verpflichtungen. Rechtshilfeersuchen übermittelt die Türkei grundsätzlich unmittelbar an die deutsche Justiz. Der Bundesregierung werden diese nur bei besonderer politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Bedeutung vorgelegt. Auch hier erfolgt eine vertiefte Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der derzeitigen Situation in der Türkei und menschenrechtlicher Verpflichtungen. 9. Inwieweit trifft es zu, dass Voraussetzung für die Rechtshilfe ist, dass ein Delikt in beiden Ländern strafbar sein muss? Nach Artikel 5 Nummer 1a des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens ist die Erledigung von Rechtshilfeersuchen betreffend Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen nur unter der Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit möglich. Bei allen anderen Rechtshilfemaßnahmen gilt diese Bedingung nicht. 10. Inwieweit leistet Deutschland Rechtshilfe, auch dann, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach deutscher Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat? Rechtshilfe kann nach Artikel 2a des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens verweigert werden, wenn sich das Ersuchen auf politische Straftaten bezieht. Die Entscheidung wird stets anhand des Einzelfalls getroffen. In Fällen der Strafverfolgung wegen politischer Taten wird weiterhin keine Rechtshilfe geleistet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/11375 11. Wie viele Rechtshilfeersuchen (Zustellung gerichtlicher Mitteilungen, Befragung von Zeugen oder Beschaffung und Herausgabe von Beweismitteln) wurden 2010 bis 2015 seitens der Türkei an Deutschland gestellt (bitte entsprechend der Jahre die strafrechtlichen Angelegenheiten auflisten)? 12. Wie viele Rechtshilfeersuchen (Zustellung gerichtlicher Mitteilungen, Befragung von Zeugen oder Beschaffung und Herausgabe von Beweismitteln) wurden 2016 seitens der Türkei an Deutschland gestellt (bitte entsprechend vor und nach dem gescheiterten Putschversuch die strafrechtlichen Angelegenheiten auflisten)? Die Fragen 11 und 12 werden gemeinsam beantwortet. Beim Bundesamt für Justiz (BfJ) sind im Jahre 2010 288 türkische Ersuchen eingegangen , im Jahre 2011 waren es 212, im Jahre 2012 179, im Jahre 2013 182, im Jahre 2014 194, im Jahre 2015 142 und im Jahre 2016 125, davon 83 bis zum 15. Juli 2016. Hiervon sind Ersuchen um Zustellung, Vernehmung von Zeugen, Beschuldigten und Sachverständigen nicht erfasst, da diese entsprechend dem Verbalnotenaustausch vom 4./7. November 1974 zwischen den Regierungen der Türkei und Deutschlands auf direktem Weg von den türkischen Generalkonsulaten an die deutschen Justizbehörden übermittelt werden. Nach Erledigung erfolgt die Rücksendung auf gleichem Wege. Die Landesregierungen setzen sich nur in Fällen besonderer Bedeutung mit der Bundesregierung ins Benehmen. Die Gesamtzahl der bei den zuständigen Behörden der Länder eingegangenen Ersuchen wird daher beim BfJ statistisch nicht erfasst. 13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention durch die Türkei, die nach innerstaatlichen Maßstäben zugleich Grundrechtsverletzungen (Artikel 2, 103, 104 des Grundgesetzes) sind, eine Auslieferung im Lichte des § 73 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) – der jegliche Leistung von Rechtshilfe davon abhängig macht, dass sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht widersprechen darf – unzulässig macht (www.rechtslupe.de/strafrecht/auslieferung-strafverfolgungstrafvollstreckung -3118679)? Die Bundesregierung äußert sich nicht zu Entscheidungen der unabhängigen Gerichte . Im Rahmen ihrer eigenen Entscheidung über die Bewilligung des Auslieferungsersuchens berücksichtigt die Bundesregierung rechtstaatliche Erwägungen in dem unter der Antwort zu Frage 8 dargestellten Verfahren. Ersuchen ausländischer Staaten werden nach § 73 IRG zurückgewiesen, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen. § 73 IRG bindet die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention ein. Damit ergeben sich aus § 73 IRG auch Gründe, die zur Zurückweisung von Auslieferungsersuchen führen können. 14. Inwieweit trifft es zu, dass die Bundes- und Landesjustizministerien in einer gemeinsamen Besprechung im Januar 2017 übereingekommen sind, dass Deutschland der Türkei künftig keine Rechtshilfe leistet, wenn es um politische Taten geht (www.tagesspiegel.de/politik/keine-ermittlungen-wegenpraesidentenbeleidigung -deutschland-stoppt-rechtshilfe-fuer-tuerkei/19299 090.html)? Bei der genannten Besprechung wurde lediglich die bisherige Praxis bestätigt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11375 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 15. Inwieweit teilt die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis (auch nachrichtendienstlichen ) die Auffassung, dass infolge der Verfolgung politischer Gegner es in der Türkei, bspw. für das BKA in der Türkei schon bald keine verlässlichen oder kompetenten Ansprechpartner mehr gibt (www.welt.de/ politik/deutschland/article159832376/BKA-fuerchtet-Folgen-von-Erdogans- Saeuberungen.html)? 16. Inwieweit trifft es zu, dass in einem internen Schreiben ein BKA-Verbindungsbeamter bereits vor erheblichen Defiziten in der Zusammenarbeit aufgrund der anhaltenden Massenentlassungen im türkischen Sicherheitsapparat gewarnt hat (www.welt.de/politik/deutschland/article159832376/BKAfuerchtet -Folgen-von-Erdogans-Saeuberungen.html)? Die Fragen 15 und 16 werden zusammen beantwortet. In Folge der Ereignisse vom 16. Juli 2016 sind eine erhebliche Anzahl von Mitarbeitern der türkischen Polizei und Justiz entlassen worden, darunter auch Ansprechpartner der deutschen Behörden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zusammenarbeit mit den neuen und den bisherigen Ansprechpartnern weiter insgesamt professionell funktionieren wird. 17. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, dass sich die Polizeibehörde Interpol nicht von der türkischen Regierung für die Verfolgung von Oppositionellen missbrauchen lassen will und in einer internen Anordnung angeordnet haben soll, dass bei türkischen Fahndungsersuchen, die seit dem gescheiterten Putschversuch eingereicht wurden, keine weiteren Maßnahmen erfolgen sollen – also die Haftbefehle faktisch ignoriert werden sollen – und diese im System inzwischen gesperrt sind (www.welt.de/politik/deutschland/ article157885373/Wegen-Erdogans-Jagdmodus-steckt-Deutschland-im- Dilemma.html)? Das Generalsekretariat von INTERPOL (IPSG) unterzieht internationale Fahndungsersuchen , für deren Übermittlung der INTERPOL-Weg genutzt wird, generell einer Prüfung auf etwaige Verstöße gegen die Regularien von INTERPOL. Hierunter fällt insbesondere Artikel 3 der INTERPOL-Statuten. Diese Vorschrift untersagt INTERPOL jegliche Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters. Auf die Einhaltung der Regularien von INTERPOL überprüft IPSG alle internationalen Fahndungsersuchen der 190 Mitgliedstaaten von INTERPOL, also auch türkische Fahndungen. INTERPOL Ankara wurde von IPSG ersucht, die Nutzung des INTERPOL-Weges bezüglich der Ereignisse vom 15. Juli 2016 zu unterlassen. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere eine Reihe von Sachfahndungen nach türkischen Reisedokumenten aus den INTERPOL-Systemen gelöscht. Eine Anordnung des IPSG, türkische Personenfahndungen zu ignorieren oder zu sperren, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/11375 18. In wie vielen Fällen haben türkische Geheimdienste im Rahmen offizieller Kooperationen bei deutschen Geheimdiensten um Übermittlung personenbezogener Daten von türkischen Staatsangehörigen in Deutschland gebeten (bitte auflisten nach Person, Art der Daten, auf welcher Grundlage und zu welchem Zweck)? 19. In wie vielen Fällen haben türkische Geheimdienste im Rahmen inoffizieller Kooperationen bei deutschen Geheimdiensten um Übermittlung personenbezogener Daten von türkischen Staatsangehörigen in Deutschland gebeten (bitte auflisten nach Person, Art der Daten, auf welcher Grundlage und zu welchem Zweck)? Die in den Fragen 18 und 19 erbetenen Auskünfte betreffen geheimhaltungsbedürftige Informationen, die ein ausländischer Nachrichtendienst einem deutschen Nachrichtendienst zur Verfügung gestellt hat. Derartige Informationen berühren regelmäßig in besonders hohem Maße das Staatswohl. Sie können im vorliegenden konkreten Fall – auch in eingestufter Form – nicht zur Verfügung gestellt werden. Das verfassungsrechtlich verbürgte Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung wird insoweit durch das gleichfalls Verfassungsrecht genießende schutzwürdige Interesse des Staatswohls sowie durch das Interesse der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer funktionsgerechten und organadäquaten Aufgabenwahrnehmung begrenzt. Das Frage- und Informationsrecht des Parlaments muss in diesem konkreten Fall nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zurückstehen. Zugunsten des Informationsinteresses des Parlaments war zu berücksichtigen, dass die Fragen 18 und 19 der Aufhellung des bilateralen Verhältnisses zwischen Behörden der Türkei und deutschen Nachrichtendiensten dienen. Auf der anderen Seite war zu berücksichtigen, dass eine Offenlegung der angefragten Informationen dazu führen würde, dass der Kenntnisstand, die Leistungsfähigkeit , die Ausrichtung und gegebenenfalls auch technische Fähigkeiten eines ausländischen Nachrichtendienstes offengelegt würden. Auch die Anzahl der Fälle, in denen ein ausländischer Nachrichtendienst bei einem deutschen Dienst angefragt hat, kann nicht offengelegt werden, da diese Zahl Rückschlüsse auf die Intensität der gemeinsamen Kooperation zuließe. Die Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten erfolgt jedoch auf der Grundlage strikter gegenseitiger Vertraulichkeit. Dies bedeutet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen, die ein ausländischer Nachrichtendienst an einen deutschen Nachrichtendienst übermittelt , nicht ohne Freigabe durch den ausländischen Partner an Dritte weitergegeben werden darf. Eine solche Freigabe liegt nicht vor. Verfassungsrechtlich ist anerkannt, dass die internationale Zusammenarbeit im nachrichtendienstlichen Bereich die Einhaltung strikter Vertraulichkeit voraussetzt (vgl. BVerfG, Beschl. vom 13. Oktober 2016, Az. 2 BvE 2/15, Rz. 128). Zudem ist anerkannt, dass der herausgebende Staat nach den Regeln der so genannten „Third Party Rule“ die Herrschaft über die von ihm übermittelten Informationen behält (a. a. O., Rz. 162 ff.). Eine Übermittlung erfolgt danach nur unter der Maßgabe eines Weitergabeverbots mit Zustimmungsvorbehalt. Der Austausch zwischen deutschen und internationalen Nachrichtendiensten zu Personen, die im gemeinsamen Fokus nachrichtendienstlicher Beobachtung stehen , ist im besonderen Maße vom gegenseitigen Vertrauen geprägt, da hierdurch der jeweilige Kenntnisstand und die Ausrichtung der eigenen Arbeit, ggf. auch die Leistungsfähigkeit und technische Fähigkeiten offengelegt werden. Würde die Bundesregierung die angefragten Informationen entgegen der „Third Party Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11375 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Rule“ zur Verfügung stellen, so wäre zu befürchten, dass der konkret betroffene ausländische Dienst auch seinerseits die Vertraulichkeit übermittelter deutscher Informationen nicht oder nur noch eingeschränkt wahren würde. Dies würde dem deutschen Staatswohl zuwiderlaufen. Gleichfalls könnten Nachrichtendienste aus Drittstaaten die deutschen Nachrichtendienste als weniger vertrauenswürdig ansehen . In der Konsequenz würde es zum Entfall oder dem Rückgang der Informationsübermittlung von ausländischen Nachrichtendiensten an die deutschen Nachrichtendienste kommen. Dies hätte signifikante Informationslücken und negative Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland zur Folge. Eine VS-Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen in der Geheimschutzstelle ist nicht möglich. Die „Third Party Rule“ betrifft nicht die Frage der Einstufung von Informationen, sondern die Weitergabe an Dritte. Dies würde auch dann der Fall sein, wenn die Information auf der Geheimschutzstelle hinterlegt werden würde. 20. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis (auch nachrichtendienstlich), ob der ehemalige Direktor der Abteilung für Terrorbekämpfung, Ö. K., seit zwei Jahren wegen des Vorwurfes der Dokumentenfälschung, der illegalen Telefonüberwachung, Verletzung der Privatsphäre, Beweisfälschung und der Preisgabe von Ermittlungsinformationen in Haft ist (Süddeutsche Zeitung vom 24. Januar 2017, S. 5)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine über die Presseberichterstattung hinausgehenden Informationen vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333