Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 10. März 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11524 18. Wahlperiode 15.03.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/11308 – Aktueller Sachstand zu den belgischen Atomkraftwerken Doel und Tihange V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das belgische Atomkraftwerk (AKW) Tihange liegt nicht einmal 60 Kilometer von der deutsch-belgischen Grenze entfernt. Auch das AKW Doel liegt nicht viel weiter entfernt. Für das Rheinland und insbesondere für die StädteRegion Aachen besteht deswegen ein starkes öffentliches Interesse – insbesondere in Hinblick auf die unzähligen Störfälle dieser AKWs in den vergangenen Jahren und Monaten. Dass Atomkraft unsicher ist, haben die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima bereits auf tragische Weise gezeigt. Ein Unfall in Belgien beträfe die Menschen in dieser Region mit als Erste, wie auch eine Studie des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien aufzeigt (vgl. Arnold et al. 2016: „Mögliche radiologische Auswirkungen eines Versagens des Reaktordruckbehälters des KKW Tihange 2“). Im Sommer 2012 sind in den belgischen AKWs Doel 3 und Tihange 2 mehrere tausend Ultraschallanzeigen im Grundmaterial der geschmiedeten Reaktordruckbehälter (RDB) festgestellt worden. Der RDB ist das Herzstück des Reaktors . In dem Behälter befinden sich die Brennelemente, dort entsteht die nukleare Kettenreaktion. Er ist eine von mehreren Barrieren, die das Austreten radioaktiver Stoffe verhindern sollen. Beide Atommeiler sind weiterhin in Betrieb. Aus diesen und weiteren Störfällen kann es nach Auffassung der Fragesteller nur eine Konsequenz geben: Die Bundesregierung muss sich bei der belgischen Regierung für eine rasche Abschaltung der Pannenreaktoren einsetzen. 1. Für wann sind nach Kenntnisstand der Bundesregierung die jährlichen Konsultationen der deutsch-belgischen Kommission geplant (bitte mit Angabe der Teilnehmer und Tagesordnung)? Das erste Treffen der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission ist für Juni 2017 geplant. Teilnehmer und Tagesordnung stehen noch nicht abschließend fest. Neben den nach dem Deutsch-Belgischen Nuklearabkommen zuständigen Stellen, der belgischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde Federaal Agentschap voor Nucleaire Controle (FANC) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11524 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), werden auf deutscher Seite die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vertreten sein. 2. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen der Ausarbeitung des deutschbelgischen Abkommens über den Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit, des Strahlenschutzes und der Sicherheit der Entsorgung von abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen dafür einsetzen, dass die betroffenen Menschen in der Grenzregion jeweils eine/n Sachverständige/n in die bilaterale Kommission entsenden dürfen (wenn nein, bitte erläutern)? Bei bilateralen Kommissionen, wie auch der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission , handelt es sich um Konsultationen zwischen Behörden. Das BMUB wird von seiner Seite aus sicherstellen, dass Vertreter der zuständigen Behörden der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz teilnehmen, welche insbesondere die Belange der grenznahen Region repräsentieren. 3. Welche Expertengruppen sollen nach Kenntnis der Bundesregierung auf Grundlage des bilateralen Abkommens eingesetzt werden, und zu jeweils welchem Zeitpunkt? Ob und wenn ja welche Arbeitsgruppen sich die Deutsch-Belgische Nuklearkommission geben wird, ist noch offen. Dies wird frühestens beim ersten Treffen der Kommission entschieden. 4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass der, gemäß Gesetzlage beschlossene, belgische Atomausstieg bis zum Jahr 2025 nicht mehr sicher sein soll (vgl. „Belgien: Zeitpunkt für Ausstieg aus der Atomenergie ungewiss“ vom 31. Januar 2017, online unter URL: www1.wdr.de/ nachrichten/tihange-parlamentarier-100.html), und wie bewertet die Bundesregierung dies? Die Bundesregierung hat keine näheren Erkenntnisse zu einer Verschiebung des belgischen Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung. Einzelheiten der in diesem Zusammenhang in Belgien geführten politischen Debatte bewertet die Bundesregierung nicht. 5. Unterstützt die Bundesregierung Belgien bei der Umstellung auf erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz, und falls ja, mit welchen Programmen etc. konkret? Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen der Verhandlungen zu dem am 30. November 2016 von der Europäischen Kommission vorgestellten Legislativpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ für einen klaren und verlässlichen EUweiten Rechtsrahmen zur Ausgestaltung der Fördersysteme für erneuerbare Energien ein. Im Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien leistet der im Planungsverfahren befindliche Interkonnektor zwischen Deutschland und Belgien (ALEGrO, Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG)-Vorhaben Nr. 30) künftig einen zusätzlichen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Darüber hinaus wird eine mögliche zweite Interkonnektorverbindung zwischen Deutschland und Belgien untersucht. Außerdem unterstützt die Bundesregierung das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene, EU-weit verbindliche Ziel zur Steigerung der Energieeffizienz um 30 Prozent bis 2030. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11524 6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Gutachten von der BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH Aachen im Auftrag von NRW-Umweltminister Johannes Remmel (vgl. Diskussionsbeitrag zur Stromversorgung Belgiens im Falle eines Atomausstieges vom 9. Dezember 2017, online unter URL: http://tihange-abschalten.eu/wpcontent /uploads/2017/01/20161209_Studie-Versorgungssicherheit-Belgien_ stc14564.pdf), wonach Belgien aus der Atomkraft aussteigen kann und die Versorgungssicherheit gewährleistet ist, und welche eigenen Berechnungen gibt es innerhalb der Bundesregierung? Die Bundesregierung begrüßt das Engagement der Landesregierung Nordrhein- Westfalens und nimmt das in deren Auftrag erstellte Gutachten zur Analyse der länderübergreifenden Versorgungssicherheit bei einem teilweisen bzw. vollständigen Kernenergieausstieg Belgiens zur Kenntnis. Gleichzeitig respektiert die Bundesregierung die souveräne Entscheidung Belgiens, seinen Energiemix selbst zu bestimmen. 7. Wie weit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeiten an der geplanten Stromtrasse von Deutschland nach Belgien (bitte mit Zeitplan)? Das Bundesbedarfsplangesetzvorhaben Nr. 30 (Oberzier – Bundesgrenze (Belgien )), auch bekannt als ALEGrO, ist die erste direkte Verbindung auf Übertragungsnetzebene zwischen den Ländern Belgien und Deutschland. Die Inbetriebnahme der Leitung auf deutscher Seite wird seitens des Vorhabenträgers Amprion GmbH für das Jahr 2020 geplant. Amprion bereitet derzeit die Antragsunterlagen für das in den kommenden Monaten bei der Bezirksregierung Köln beginnende Planfeststellungsverfahren vor. Es handelt sich um ein Vorhaben in Zuständigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Die jeweiligen Verfahrensfortschritte sind auch aus dem vierteljährlichen Monitoring der BNetzA zum Stand und Fortschritt der BBPlG Vorhaben ersichtlich (www.netzausbau.de/leitungsvorhaben/de.html). Das Vorhaben soll in HGÜ-Technik (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) und als Erdkabel ausgeführt werden. 8. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu der konkreten Ursache der Defekte in den jeweiligen Reaktoren (bitte unter Angabe, wann und mit welchem Inhalt die Infos von Seiten Belgiens die Bundesregierung erreichten)? Die Bundesregierung geht auf der Basis der von FANC veröffentlichten Berichte und der auf dem Workshop im Januar 2016 von FANC vorgetragenen Argumente davon aus, dass es sich bei den Befunden um sogenannte Wasserstoffflocken handelt . Diese Annahme stützt sich auf das Erscheinungsbild von Wasserstoffflocken bei der Herstellung in anderen Fällen, auf vergleichende Ultraschalluntersuchungen an den betroffenen Reaktordruckbehältern und auf zerstörend untersuchten Werkstoffproben. 9. Gibt es noch offene Fragen seitens der Bundesregierung bzw. der Reaktorsicherheitskommission zu den Defekten und der Ursachenanalyse, und wenn ja, welche (bitte erläutern)? Die Bundesregierung und die Reaktorsicherheitskommission haben keine offenen Fragen zu den Ursachen der Befunde. Diskussionen der Reaktorsicherheitskommission mit den belgischen Experten beziehen sich auf die Methoden zur Bewertung des Verhaltens der Reaktordruckbehälter mit Wasserstoffflocken unter den Beanspruchungen von Thermoschocks bei Störfällen mit Notkühleinspeisung. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11524 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 10. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass eine verlässliche Ursachenanalyse ausschließlich durch eine zerstörende Werkstoffprüfung erfolgen kann (bitte erläutern)? Die Bundesregierung hält die Analyse der Ursache wie auch die Bewertung der Ursache durch FANC für ausreichend abgesichert. Es wird auf die Antwort zu Frage 8 Bezug genommen. 11. Wie schätzt die Bundesregierung die Repräsentativität der beiden herangezogenen Materialproben ein (ein Stück aus einem Dampferzeuger, das „Hydrogen Flakes“ aufweist [VB395] und Stutzenausschnitte (nozzle cuts) aus dem RDB von Doel 3; bitte mit ausführlicher Erläuterung)? Die Bundesregierung sieht aufgrund der Ähnlichkeit des Werkstoffs und der Befunde , die als Wasserstoffflocken identifiziert worden sind, die Materialprobe aus dem verworfenen Dampferzeuger VB395 als repräsentativ in Bezug auf das Erscheinungsbild und die Ultraschallsignale der Wasserstoffflocken an. Die Stutzenausschnitte werden als repräsentativ für die Schmiederinge der Reaktordruckbehälter von Doel-3 und auch von Tihange-2 ohne Wasserstoffflocken angesehen, da sie aus dem gleichen Werkstoff und vom selben Hersteller aus dem gleichen Herstellungszeitraum stammen. Dabei sind, insbesondere in Hinsicht auf das Bestrahlungsverhalten, stets individuelle Unterschiede in der chemischen Analyse und den mechanischen Kennwerte der einzelnen Chargen zu berücksichtigen . 12. Ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke unverantwortlich, solange die Ursache der Risse nicht zweifelsfrei geklärt ist (bitte erläutern)? Auch wenn die Bundesregierung die Entscheidung zum Weiterbetrieb der belgischen Atomkraftwerke für den falschen Weg hält, liegt die Bewertung der nuklearen Sicherheit sowie die Entscheidung über deren Weiterbetrieb in der souveränen Verantwortung der belgischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde FANC. Die Reaktorsicherheitskommission stellt in einer Kurzbewertung fest: „Aufgrund der umfangreichen Untersuchungen und geführten Nachweise zu den RDB Doel-3 und Tihange-2 sowie der vorliegenden Erkenntnisse aus Forschungsvorhaben im Rahmen der Reaktorsicherheitsforschung in Deutschland kann davon ausgegangen werden, dass unter Betriebsbelastungen ein Integritätsverlust der drucktragenden Wand der RDB nicht zu unterstellen ist. […] Aus heutiger Sicht gibt es keine konkreten Hinweise, dass die Sicherheitsabstände aufgezehrt sind. Es kann aber auch nicht bestätigt werden, dass diese sicher eingehalten werden.“ Vor dem Hintergrund dieser Kurzbewertung hatte Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks bereits im April letzten Jahres die belgische Regierung gebeten, die beiden Reaktorblöcke vorübergehend vom Netz zu nehmen, jedenfalls so lange, bis die weiteren Untersuchungen abgeschlossen sind. 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur entzogenen Lizenz für die Entsorgung nuklearer Abfälle (vgl. „Atommüll stapelt sich in Tihange und Doel“ vom 16. Dezember 2016, online unter URL: www1.wdr.de/ nachrichten/rheinland/nukleare-abfaelle-tihange-doel-100.html)? Nach Kenntnis der Bundesregierung ist in Belgien die ONDRAF/NIRAS (Belgian National Agency for Radioactive Waste and Fissile Materials) für die sichere Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11524 Behandlung radioaktiver Abfälle verantwortlich. Dafür werden zentrale Konditionierungseinrichtungen und Zwischenlager für die radioaktiven Abfälle an den Standorten Dessel und Doel durch das Tochterunternehmen BELGOPROCESS bereitgehalten. Die Konditionierung radioaktiver Abfälle wird zum Teil auch von den Betreibern an den Standorten Doel und Tihange selbst durchgeführt. Sämtliche Konditionierungseinrichtungen und Zwischenlager einschließlich Annahmekriterien für die radioaktiven Abfälle müssen jedoch durch ONDRAF/NIRAS qualifiziert werden. Diese Qualifizierungen müssen regelmäßig von den Betreibern bei der ONDRAF/NIRAS erneuert werden. Im Rahmen dieser Erneuerungen werden die Prozesse und die Abfallcharakterisierung von ONDRAF/NIRAS bewertet . Derzeit werden diese Qualifizierungen für Doel und Tihange erneuert. An den belgischen Kernkraftwerksstandorten werden daneben nach Kenntnis der Bundesregierung bedarfsgerecht Zwischenlagerkapazitäten für bestrahlte Brennelemente vorgehalten. 14. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die belgische Atomaufsicht mittlerweile auch die Reaktoren Doel 1 und Doel 2 mit einem Ultraschallprüfverfahren untersucht hat? Falls ja, mit welchem Ergebnis? Falls nein, wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass diese Untersuchungen vorgenommen werden, um weitere unerwartete Befunde auszuschließen ? Die Reaktordruckbehälter von Doel 1 und Doel 2 wurden vor der Genehmigung zum Wiederanfahren auf Wasserstoffflocken geprüft. Dabei wurde der ordnungsgemäße Zustand der Reaktordruckbehälter festgestellt (siehe auch http://afcn. fgov.be/fr/news/l-afcn-donne-son-feu-vert-au-redemarrage-de-doel-1-et-2/795. aspx). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333