Deutscher Bundestag Drucksache 18/1164 18. Wahlperiode 14.04.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/943 – Mögliche erneute Überprüfung des Entzuges von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und von fiktiven Nachversicherungen für Angehörige der Waffen-SS Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Wer für die Wehrmacht oder im Rahmen eines „militärähnlichen Dienstes“ für das Deutsche Reich eine Gesundheitsbeschädigung erlitten hat, kann Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz beziehen. Das gilt auch für Angehörige der Waffen-SS (SS – Schutzstaffel) und von Polizeibataillonen. In den 1990er-Jahren hatte es eine öffentliche Debatte gegeben, weil es damals zahlreiche Anträge von früheren Kollaborateuren aus Osteuropa gegeben hat, darunter auch solcher, die sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatten. Dass diese Nazihelfer Leistungen beziehen konnten, während es noch kaum Entschädigungen für osteuropäische NS-Opfer (NS – Nationalsozialismus) gab, sorgte für erhebliche Empörung. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1998 in § 1a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) eine sog. Kriegsverbrecherklausel eingefügt, die vorsieht, dass bei Verstößen „gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit“ die Leistungen versagt werden. Die Fraktion DIE LINKE. hatte sich zuletzt in zwei Kleinen Anfragen während der 17. Legislaturperiode nach der Umsetzung dieser Ausschlussklausel erkundigt . Aus den Antworten der Bundesregierung (Bundestagsdrucksachen 17/6270 und 17/7708) ging hervor, dass von einem Gesamtbestand von 940 000 Versorgungsberechtigten (Stand 1998) bis zum Jahr 2010 lediglich 99 Personen die Leistungen entzogen worden sind. Der Anteil der identifizierten Kriegsverbrecher unter den Versorgungsberechtigten betrug damit circa 0,01 Prozent – aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist es offensichtlich, dass damit nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Kriegsverbrecher ermittelt worden ist. Die Bundesregierung hatte bei ihren Antworten auf objektive Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Kriegsverbrechern hingewiesen, da die VerDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 10. April 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sorgungsakten diesbezüglich kaum konkrete Hinweise enthielten. Deswegen blieb es neben einer Gesamtbestandsprüfung von 10 000 Personen, die sich freiwillig zum Dienst in der Waffen-SS gemeldet hatten, bei einer Überprüfung auf der Grundlage eines einfachen Namensabgleichs mit den Datenbeständen Drucksache 18/1164 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode des Simon Wiesenthal Centers, des Berlin Document Centers und der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller bietet das Demjanjuk-Urteil des Landgerichts (LG) München aber neue Möglichkeiten, § 1 BVG anzuwenden . Das LG München hatte den ukrainischen SS-Mann ohne konkreten Tatnachweis der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden, weil er an der Bewachung des Vernichtungslagers Sobibór beteiligt war. Somit sei er „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen. Auf dieser Rechtsauffassung basieren auch die seit Februar 2014 vorgenommenen Festnahmen von früheren Wächtern des KZ Auschwitz. Auf Grundlage dieses Urteils wäre aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller zu prüfen, ob nicht weiteren der heute noch lebenden BVG-Leistungsbeziehern die Leistungen entzogen werden können. Gerade Angehörige osteuropäischer Polizeiverbände haben bei der Ermordung der jüdischen Bevölkerung sowie bei der sog. Partisanenbekämpfung unter deutschem Kommando eine wichtige Rolle gespielt. Angehörige solcher Einheiten waren ebenfalls Teil einer Vernichtungsmaschinerie, sodass ihnen unter Umständen ebenfalls ohne individuellen konkreten Tatnachweis die Leistungen des BVG zu entziehen sind. Die zuletzt auf Bundestagsdrucksache 17/7708 zum Ausdruck gekommene Haltung, ein vollständiger Aktensturz verspreche keine wesentlichen Erkenntnisse, die eine Leistungsversagung begründen könne, muss daher ggf. aufgegeben werden. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist es schon nicht nachvollziehbar , dass Personen, die sich freiwillig zur Waffen-SS oder zu einem anderen Militärdienst für die Nazis gemeldet haben und damit dazu beitrugen, dass die Vernichtungslager noch etwas länger betrieben werden konnten, überhaupt Leistungen beziehen. Noch weniger nachvollziehbar wäre es, nicht alles zu versuchen, um wenigstens die Kriegsverbrecher unter ihnen auszuschließen. Das gilt auch hinsichtlich regulärer Rentenzahlungen an berufsmäßige oder freiwillig länger dienende Angehörige der Waffen-SS, die für ihre Dienstzeit einen Anspruch auf fiktive Nachversicherung haben. 1. Wie hat sich seit dem Jahr 2010 die Gesamtzahl der rechtskräftigen Versagungen und Entziehungen nach § 1a BVG entwickelt? Die Gesamtzahl rechtskräftiger Versagungen und Entziehungen hat sich gegenüber dem auf Bundestagsdrucksache 17/6270 mitgeteilten Stand für das Jahr 2010 mit 61 Beschädigten und 38 Hinterbliebenen nicht verändert. 2. Wie viele versorgungsberechtigte Beschädigte und Hinterbliebene gibt es gegenwärtig insgesamt (bitte möglichst nach Bundesländern aufschlüsseln )? Nach welchen Kriterien werden die Zuständigkeiten der Bundesländer für im Ausland lebende Beschädigte und Hinterbliebene geregelt (bitte soweit möglich für die betroffenen Länder aufgliedern)? Zum Stand April 2014 gibt es insgesamt 66 393 versorgungsberechtigte Beschädigte und 89 855 versorgungsberechtigte Hinterbliebene nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Aufgeschlüsselt nach Bundesländern ergeben sich folgende Zahlen: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1164 Zudem leben 2 437 Beschädigte und 2 437 Hinterbliebene im Ausland. Die Zuständigkeit für die Durchführung des BVG im Hinblick auf Berechtigte mit Wohnsitz im Ausland ist nach Herkunftsstaaten auf die Länder verteilt. Dadurch wird das erforderliche Spezialwissen auf wenige Stellen konzentriert. Die Zuständigkeitsverteilung ist in der Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland (Auslandszuständigkeitsverordnung – AuslZustV) geregelt. Im Einzelnen sind zuständig: Bundesland Beschädigte Hinterbliebene Baden-Württemberg 10 025 12 181 Bayern 10 441 15 127 Berlin 1 858 2 271 Brandenburg 1 827 2 327 Bremen 1 119 846 Hamburg 1 387 1 353 Hessen 5 303 7 162 Mecklenburg-Vorpommern 1 233 1 544 Niedersachsen 6 567 8 675 Nordrhein-Westfalen 13 545 16 347 Rheinland-Pfalz 3 634 4 596 Saarland 921 1 045 Sachsen 3 202 7 897 Sachsen-Anhalt 1 631 2 644 Schleswig-Holstein 2 017 3 120 Thüringen 1 683 2 409 Für BVG-Berechtigte in Land Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden Schleswig-Holstein Luxemburg Rheinland-Pfalz Andorra, Frankreich, Monaco Saarland Griechenland, Italien, Österreich, San Marino, Vatikanstadt Bayern Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien, Mazedonien, Slowenien, Slowakei, Tschechische Republik Hessen Belgien, Niederlande, Rumänien, Ungarn, Polen (nur Gebiete innerhalb der deutschen Grenzen von 1937) Nordrhein-Westfalen Großbritannien, Irland, Malta, Türkei, sonstige Staaten außerhalb Europas Hamburg Portugal, Spanien, Liechtenstein, Schweiz, Polen (Gebiete außerhalb der deutschen Grenzen von 1937), Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, übriges Europa Baden-Württemberg Kanada, USA, Lateinamerika, Karibik Bremen Drucksache 18/1164 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 3. Welche Kriterien wurden von den Versorgungsämtern bislang für eine Leistungsversagung nach § 1a BVG zugrunde gelegt? a) Ist dafür regelmäßig eine rechtskräftige Verurteilung erforderlich, oder genügen auch schwerwiegende diesbezügliche Indizien, die sich aus den Akten ergeben? b) Welche einschlägige Rechtsprechung gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung zu dieser Frage (bitte die Aktenzeichen der wichtigsten Urteile nennen)? Wie bereits in der Vorbemerkung der Bundesregierung zu der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Entzug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz für Kriegsverbrecher“ auf Bundestagsdrucksache 17/6270 ausgeführt, verfügt die Bundesregierung nicht über eigene Erkenntnisse zu einzelnen Verwaltungsverfahren im Bereich der Kriegsopferversorgung. Sie kann daher keine Auskunft darüber geben, wie jeweils der nach § 1a BVG erforderliche Nachweis eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit während der Herrschaft des Nationalsozialismus erbracht wurde. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat sich das Bundessozialgericht bislang in folgenden Entscheidungen mit Fragen der Leistungsversagung nach § 1a BVG befasst: ● Urteil vom 9. Dezember 1998 (B 9 V 46/97 R) ● Urteil vom 16. April 2002 (B 9 V 2/01 R) ● Urteil vom 24. November 2005 (B 9a/B 9 V 8/03 R) ● Urteil vom 6. Juli 2006 (B 9a V 5/05 R) ● Urteil vom 30. September 2009 (B 9 V 1/08 R) Auf eine Nennung von Entscheidungen unterer Instanzen wird verzichtet. Im Übrigen wird auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen. 4. Inwiefern schließt sich die Bundesregierung dem Gedanken der Fragestellerinnen und Fragesteller an, es sei jedenfalls bezüglich bestimmter Einheiten der Hilfs- oder Ordnungspolizei, Schutzmannschaften usw. in Osteuropa, die nach Erkenntnissen der historischen Forschung an Verbrechen beteiligt waren, denkbar, deren Angehörigen auch ohne individuell -konkreten Tatnachweis nach § 1a BVG die Leistungen zu entziehen, weil sie Teil einer Vernichtungsmaschinerie waren (bitte begründen)? a) Welche diesbezüglichen rechtlichen und praktischen Erwägungen hat sie diesbezüglich angestellt? b) Inwiefern hat sie diese Frage mit den Bundesländern erörtert, und welche Schlussfolgerungen wurden dabei gezogen? Das Bundessozialgericht hat hierzu in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. November 2005 (s. o.) Folgendes ausgeführt: „(…), dass ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten bewiesen werden muss, das individuellpersönlich zuzurechnen und vorzuwerfen, schuldhaft ist (…). Dabei reicht es allerdings aus, wenn dem Täter die Unrechtmäßigkeit seines Handelns bei zumutbarer Gewissensanspannung zumindest hätte offenkundig werden müssen (…). Bei der Versagung oder Entziehung von Versorgungsleistungen handelt es sich nämlich nicht um eine strafrechtliche Sanktion, sondern um einen sich im Leistungsrecht niederschlagenden ethischen Schuldvorwurf des Staates (...). Sie setzt mithin weder eine bestimmte strafrechtliche Teilnahmeform noch eine Strafbarkeit als Verbrechen oder Vergehen voraus. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Berechtigte an einer unmenschlichen oder menschenunwürdigen Handlung beteiligt war, ihr – durch eigenes Handeln – zum Erfolg verholfen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1164 hat (…). (…) muss dem Betreffenden, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1a Absatz 1 Satz 2 BVG ergibt, die Tat individuell zur Last gelegt werden können. Ein persönlich schuldhaftes Verhalten muss ihm nachgewiesen werden. Ein solches Handeln liegt immer dann vor, wenn der Betroffene die Tatsachen kannte, aus denen sich das unmenschliche oder rechtsstaatswidrige Verhalten ergibt, ihm die Unmenschlichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit bewusst war oder bei der ihm zumutbaren Gewissensanspannung hätte bewusst sein müssen und nicht besondere Gründe die Schuld ausschließen.“ Diese Grundsätze hat das Bundessozialgericht in späteren Entscheidungen bestätigt . Die Bundesregierung teilt diese Auffassung und sieht für den Bereich der Kriegsopferversorgung keinen Grund, davon abzuweichen. Sie hat auch bei Besprechungen mit den Bundesländern entsprechend argumentiert. 5. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung anhand des nach dem im Jahr 1998 erfolgten Abgleichs der Namen der Versorgungsberechtigten mit den Unterlagen des Simon Wiesenthal Centers, des Berlin Document Centers und der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen gewährleistet, dass sämtliche Leistungsbezieher, die das sog. Bandenbekämfungsabzeichen erhalten haben und/oder Angehörige bestimmter Polizei- und SS-Bataillone waren, auch den Versorgungsämtern bekannt sind? Wenn nein, enthalten die Versorgungsakten selbst nach Kenntnis der Bundesregierung zumindest teilweise Hinweise darauf, a) in welchen Zeitabschnitten die Leistungsbezieher bestimmten Polizeioder SS-Formationen angehört haben, b) ob den Leistungsbeziehern das sog. Bandenbekämpfungsabzeichen verliehen wurde, so dass es möglich wäre, jedenfalls Indizien für ihre Anwesenheit an Schauplätzen von Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit zu erhalten? Wenn ja, inwiefern haben die Versorgungsämter nach Kenntnis der Bundesregierung nach dem Demjanjuk-Urteil die Versorgungsakten erneut überprüft , um anhand der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Polizeiformation während eines bestimmten Zeitabschnitts oder der Verleihung des „Bandenbekämpfungsabzeichens “ ggf. Leistungsversagungen wegen des dringenden Verdachts auszusprechen, die Leistungsbezieher seien Teil einer Vernichtungsmaschinerie gewesen? 6. Falls nicht gewährleistet ist, dass den Versorgungsbehörden vollständig bekannt ist, welche Leistungsbezieher in welchen Zeitabschnitten bestimmten Polizeieinheiten angehörten und/oder das „Bandenbekämpfungsabzeichen“ erhalten haben, welche Maßnahmen könnten aus Sicht der Bundesregierung ergriffen werden, um die Versorgungsbehörden in eine entsprechende Kenntnis gelangen zu lassen, und was will sie diesbezüglich unternehmen (falls sie nichts unternehmen will, bitte begründen)? 7. Hat die Bundesregierung den Bundesländern nach dem Demjanjuk-Urteil konkrete Angebote gemacht, die Akten im Sinne der obigen Ausführungen der Fragesteller erneut zu prüfen, wenn ja, wie haben die Bundesländer darauf reagiert, und wenn nein, warum nicht? Die Fragen 5 bis 7 werden gemeinsam beantwortet. Für die Durchführung des BVG und damit auch die Überprüfung, ob im Einzelfall ein Versagungs- oder Entziehungsgrund gemäß § 1a Absatz 1 BVG vorliegt, sind allein die Bundesländer zuständig. Die Bundesregierung verfügt nicht über eigene Erkenntnisse zum Inhalt von Versorgungsakten, so dass zu den ge- Drucksache 18/1164 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode wünschten Angaben keine Aussagen getroffen werden können. Die Frage, welche Maßnahmen zu einer Verbesserung der Kenntnisse der zuständigen Versorgungsbehörden über die Zugehörigkeit von Leistungsbeziehern zu bestimmten Einheiten oder die Verleihung bestimmter Abzeichen während der nationalsozialistischen Herrschaft dienen könnten, betrifft die Gesetzesdurchführung und liegt daher nicht in der Zuständigkeit des Bundes. Wegen der alleinigen Zuständigkeit der Bundesländer für die Gesetzesdurchführung hat die Bundesregierung den Ländern nach dem Demjanjuk-Urteil auch keine Angebote zur Überprüfung einzelner Versorgungsakten gemacht. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. 8. Welche weiteren Schlussfolgerungen hinsichtlich des BVG zieht die Bundesregierung aus der Begründung des Demjanjuk-Urteils? Wie sich aus den in der Antwort zu Frage 4 wiedergegebenen Ausführungen des Bundessozialgerichts in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. November 2005 ergibt, die von der Bundesregierung geteilt werden, ist für die Entziehung oder Versagung von Leistungen nach § 1a BVG weder eine bestimmte strafrechtliche Teilnahmeform noch eine Strafbarkeit des Handelns als Verbrechen oder Vergehen erforderlich. Vielmehr ist eine Prüfung vorzunehmen, ob dem Leistungsberechtigten ein ethischer Schuldvorwurf gemacht werden kann. Das Demjanjuk -Urteil, welches sich mit der Frage der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens in einem konkreten Einzelfall befasst, kann daher keine unmittelbare Wirkung auf die Anwendung von § 1a BVG haben. 9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, der Anspruch berufsmäßiger oder freiwillig länger dienender Angehöriger der Waffen-SS auf fiktive Nachversicherung in der Rentenversicherung sei angemessen, angesichts des Leids, das die Waffen-SS über Millionen unschuldiger Menschen gebracht hat (bitte begründen)? Die Regelungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, auch für Angehörige der Waffen-SS, stammen aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts . Die Bundesregierung konzediert, dass die Regelungen zu Unverständnis führen können. Es ging und geht aber keinesfalls darum, mittels der rentenrechtlichen Regeln Verbrechen zu belohnen. Mit den Regelungen zur Nachversicherung von Angehörigen der Waffen-SS sollte insoweit lediglich eine Gleichstellung im Rentenrecht mit Soldaten der Wehrmacht erfolgen. Von daher war die Nachversicherung auch begrenzt auf berufsmäßige Angehörige der Waffen-SS, die im Fronteinsatz waren. Aufgabe des Rentenrechts war und ist nicht eine strafrechtliche Beurteilung von Tätigkeiten im Einzelfall. Eine Ahndung von Verbrechen (auch) durch Schlechterstellung im Sozial- bzw. Rentenrecht hätte zudem neue Probleme und Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich gebracht. 10. Wie viele Angehörige der früheren Waffen-SS erhalten für ihre Dienstzeit fiktive Nachversicherungen? 11. Wie hoch sind die daraus entstehenden Rentenanwartschaften im Durchschnitt ? 12. Welche finanzielle Belastung ergibt sich hieraus für die Rentenkassen? Die Fragen 10 bis 12 werden gemeinsam beantwortet. Die Nachversicherungsfälle wurden nicht differenziert erfasst; deswegen liegen der Bundesregierung hierzu keine Angaben vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1164 13. Warum wird die Nachversicherung versagt, wenn das Ausscheiden aus der Waffen-SS „in Unehren erfolgte“ (vgl. DRV R3.10.3)? a) Inwiefern ist es aus Sicht der Bundesregierung berechtigt, einen SSFreiwilligen , der einen Dienst zur Zufriedenheit der Nazis verrichtet hat, besserzustellen als einen SS-Angehörigen, der von den Nazis „in Unehren“ entlassen wurde, weil er womöglich nicht die erwünschte Mordlust gezeigt hat, mit den Opfern sympathisiert hat, desertiert ist usw.? b) Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Regelung zügig zu überarbeiten , und wenn ja, inwiefern, und bis wann? Es ist zwar zutreffend, dass bei unehrenhafter Entlassung keine Nachversicherung nach § 72 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) erfolgt ist. Eine Nachversicherung fand in diesen Fällen jedoch nach § 99 Absatz 1 Satz 2 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) statt. Die in der Fragestellung angeführte rechtliche Arbeitsanweisung R 3.10.3 ist hier nicht einschlägig. Sie bezieht sich auf die Anerkennung von Ersatzzeiten im Sinne von § 250 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). In der hier einschlägigen rechtlichen Arbeitsanweisung zu § 233 SGB VI, R 6.1.2. ist die Rechtslage zur fiktiven Nachversicherung nach § 99 AKG zutreffend beschrieben . Die in der Fragestellung angenommene „Schlechterstellung“ derjenigen Angehörigen der Waffen-SS, die in Unehren entlassen wurden, besteht daher nicht. 14. Welche Möglichkeiten gibt es, Personen von der Nachversicherung jedenfalls für solche „Beschäftigungsverhältnisse“ auszuschließen, die sie für die Begehung von Kriegsverbrechen genutzt haben? a) Wie oft wurde in der Vergangenheit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht? b) Welche Mechanismen gibt es für eine entsprechende Überprüfung? c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung diesbezüglich aus dem Demjanjuk-Urteil? Die Fälle wurden nicht differenziert erfasst; deswegen liegen der Bundesregierung hierzu keine Angaben vor. Wie schon in der Antwort zu Frage 9 ausgeführt, wurden nur diejenigen Angehörigen der Waffen-SS nachversichert, die – vergleichbar den Wehrmachtssoldaten – Verbänden/Einheiten angehörten, die im unmittelbaren Kriegseinsatz waren. Hierzu gehörten insbesondere KZ-Aufseher und Angehörige von SSTotenkopfverbänden nicht. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 72 G 131 oder die Aberkennung dieses Status trifft die zuständige Versorgungsdienststelle (bzw. hat die zuständige Versorgungsdienststelle getroffen), heute ist das die Bundesfinanzdirektion West, Service-Center Versorgung. Weitergehende Entscheidungsmöglichkeiten im Einzelfall bestanden nicht. An diese dienstrechtlichen Feststellungen der zuständigen Versorgungsdienststelle sind bzw. waren die Rentenversicherungsträger bei ihrer Entscheidung über die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen gebunden . Gesamtherstellung: H. 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