Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11708 18. Wahlperiode 28.03.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/11496 – Umgang mit den Opfern der Blockade von Leningrad V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Vom September 1941 bis zum Januar 1944 belagerte die deutsche Wehrmacht die sowjetische Großstadt Leningrad. Für die Bevölkerung der Stadt hatte diese Belagerung katastrophale Folgen. Durch das Abschneiden der Stadt von jeder Versorgungsmöglichkeit kam es schnell zu einer Lebensmittelknappheit und in der Folge zu einem stetigen Anstieg der Todesopfer aufgrund dieser Unterversorgung . Nach Schätzungen von Historikern fielen zwischen 800 000 und 1,2 Millionen Menschen der Belagerungspolitik durch die Wehrmacht zum Opfer . Die Blockade von Leningrad steht im Zusammenhang mit der verbrecherischen Kriegsführung der Nazis in Osteuropa, die mit der Bezeichnung „Vernichtungskrieg “ charakterisiert wird. Die auch an anderen Orten von der Wehrmacht und den deutschen Einheiten betriebene „Hungerpolitik“, wie sie z. B. in der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ beschrieben wurde, wurde im Rahmen der Leningrader Blockade exzessiv zur Anwendung gebracht. Der Jenaer Historiker Jörg Ganzenmüller sieht in der Leningrader Blockade, ähnlich wie in der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, ein Beispiel der von der Wehrmacht zu verantwortenden „Hungerpolitik“ und beschreibt sie als Kriegsverbrechen (www.dw.com/de/ganzenm%C3%BCllerverbrechen -der-wehrmacht/a-17373574). Bis heute hat es nach Kenntnis der Fragesteller keinerlei Entschädigung für die Hinterbliebenen und Opfer dieses Kriegsverbrechens seitens der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Eine Ausnahme bilden die jüdischen Opfer der Leningrader Blockade, für die die Jewish Claims Conference im Jahr 2008 unter bestimmten Voraussetzungen eine einmalige Entschädigungszahlung von 2 556 Euro erreichen konnte. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11708 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Hat es seitens der Bundesrepublik Deutschland jemals Entschädigungsleistungen für Opfer und/oder Hinterbliebene der Leningrader Blockade gegeben ? Wenn ja, wann, für welche Gruppen, und in welcher Form? Jüdische Überlebende der Blockade von Leningrad konnten auf der Grundlage von Artikel 2 der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) von der Jewish Claims Conference (JCC) seit 2008 eine Einmalzahlung in Höhe von 2 556 Euro erhalten , wenn sie sich während der Zeit von September 1941 bis Januar 1944 in Leningrad aufgehalten haben oder von dort geflüchtet sind. 2. Hat es jemals Verhandlungen oder Gespräche zwischen der Sowjetunion bzw. der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland über mögliche Entschädigungsleistungen für die Opfer und/oder Hinterbliebenen der Leningrader Blockade gegeben? Wann waren diese Verhandlungen gegebenenfalls, und was waren im Einzelnen die Themen? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. 3. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, die noch lebenden Opfer der Leningrader Blockade in irgendeiner Form zu entschädigen? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. 4. Wie sehen diese Überlegungen gegebenenfalls aus, gibt es dazu Gespräche, und welchen Stand haben mögliche Gespräche? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. 5. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass es für jüdische Opfer der Leningrader Blockade seit dem Jahr 2008 die Möglichkeit einer Entschädigung gibt, dies aber für die anderen Opfer der Blockade bis heute nicht möglich ist? Jüdische Überlebende der Blockade von Leningrad erhalten im Rahmen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts Leistungen auf der Grundlage der Artikel 2-Vereinbarung. Die in der Antwort zu Frage 1 genannte Entschädigungsleistung wurde ermöglicht, weil unter Verfolgungsgesichtspunkten der Aufenthalt in Leningrad während der genannten Zeit einer Flucht von besetztem Territorium gleichgestellt werden kann, da die Betroffenen unter gleichem Verfolgungsdruck waren, aber allein aufgrund der Belagerungssituation die Leistungsvoraussetzung einer „Flucht“ vor national-sozialistischer Verfolgung in ihrer Person nicht vorliegt. Schädigungen, die nicht aus rassisch motivierter Verfolgung, sondern aus allgemeinen Kriegshandlungen herrühren, fallen unter das allgemeine Völkerrecht und werden nicht durch individuellen Schadenersatz, sondern durch Reparationsvereinbarungen von Staat zu Staat geregelt. Es obliegt dem Staat, der Reparationen empfangen hat, die individuellen Schäden auf seinem Territorium auszugleichen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11708 und seine durch den Krieg geschädigten Bürger in angemessener Weise zu entschädigen . Die frühere Sowjetunion hat in erheblichem Umfang Reparationen vereinnahmt und im August 1953 auf weitere deutsche Reparationsleistungen verzichtet. Die Bundesregierung wertet den Holocaust als historisch und menschlich einmaliges Verbrechen, das spezielle Wiedergutmachungsleistungen von deutscher Seite erforderlich macht. Die spezifische NS-ideologische rassische Verfolgung und die Erwartung des sicheren Todes im Fall der Ergreifung durch staatliche Organe des Deutschen Reiches unterschied – auch in Leningrad – die Situation der jüdischen deutlich von der nicht jüdischer sowjetischer Bürger. 6. Bewertet die Bundesregierung die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht als Kriegsverbrechen und Ausdruck der NS-Hungerpolitik analog zur Behandlung der sowjetischen Kriegsverbrechen, wie begründet sie ihre Bewertung, und welche Folgerungen ergeben sich aus dieser Bewertung für mögliche Entschädigungszahlungen an noch lebende Opfer? Die Blockade von Leningrad ist eines der vielen schrecklichen deutschen Kriegsverbrechen im Krieg gegen die Sowjetunion, an die die Erinnerung weiterhin wachgehalten werden muss. Unter dem Blickwinkel von rechtlichen Entschädigungs -leistungen ist das Thema im deutsch-russischen Verhältnis allerdings abgeschlossen . 7. Gibt es seitens der Bundesregierung Gespräche oder Planungen mit Verantwortlichen der Stadt Sankt Petersburg, welche Hilfen bzw. Unterstützungsleistungen für die noch lebenden Opfer der Leningrader Blockade durch die Bundesregierung geleistet bzw. unterstützt werden können, und wie sehen solche Planungen gegebenenfalls aus? Gespräche mit Verantwortlichen der Stadt Sankt Petersburg haben bisher nicht stattgefunden. Die Bundesregierung schließt Gespräche über Möglichkeiten gemeinsamer Akte der Erinnerung jedoch nicht aus und ist dazu mit der Regierung der Russischen Föderation in Kontakt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333