Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 23. März 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11720 18. Wahlperiode 27.03.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/11459 – Widersprüchliche Informationspolitik des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschungen im Fall Dr. Norman Finkelstein V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Fragesteller sehen in der Freiheit von Wissenschaft und Forschung, die grundgesetzlich verankert ist, ein hohes, zu schützendes Gut. Die Lehrfreiheit garantiert, die Lehre inhaltlich und methodisch frei zu gestalten und die wissenschaftliche und künstlerische Lehrmeinung frei zu äußern. Gleichwohl sollten Prinzipien und Standards von Wissenschaftlichkeit, Werturteilsfreiheit und Gewissensfreiheit beachtet werden und in der Ausgestaltung wissenschaftlicher Praxis, insbesondere in Forschungseinrichtungen, die aus dem Bundeshaushalt gefördert werden, Anwendung finden. Auf Einladung des Max-Plank-Instituts für ethnologische Forschungen in Halle hielt Dr. Norman Finkelstein am 16. Januar 2017 einen Vortrag und am 23. Januar 2017 einen Workshop. Aufgrund seiner bisherigen Veröffentlichungen wurde dies von zivilgesellschaftlichen Akteuren im In- und Ausland, von JÜ- DISCHE GEMEINDE und von Seiten der Politiker kritisiert. Dabei spielte die Infragestellung der wissenschaftlichen Haltbarkeit seiner Publikationen eine zentrale Rolle (Wuliger in der JÜDISCHEN ALLGEMEINE vom 19. Januar 2017: „Postfaktisches in Halle“ www.juedische-allgemeine.de/article/view/ id/27521, JÜDISCHE ALLGEMEINE 19. Januar 2017, Proteste gegen umstrittenen Politologen Finkelstein in Halle www.dnn.de/Mitteldeutschland/ News/Proteste-gegen-umstrittenen-Politologen-Finkelstein-in-Halle, DNN 25. Januar 2017). In der Vergangenheit hat sich Dr. Norman Finkelstein antizionistisch geäußert und relativierte Terroraktionen gegen israelische Zivilisten: Am 20. Januar 2008 in einem TV-Interview mit dem libanesischen Fernsehsender „Future TV“ erklärte Finkelstein seine Solidarität mit der Terrororganisation Hizbollah (www. youtube.com/watch?v=bDe65-nF3FQ); im Mai 2016 äußerte er sich relativierend zu Terroranschlägen der Hamas auf israelische Zivilisten während einer Debatte beim Left Forum in New York City: „Unter internationalem Recht, die Hamas, die Palästinenser – nichts im internationalen Recht hindert sie daran, Waffengewalt anzuwenden um die Besatzung zu beenden. [...] Für mich ist das keine wichtige Frage. Gesetzlich haben sie das Recht dazu. Moralisch – meiner Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11720 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Meinung nach – haben sie das Recht.“ („Now, under international law, Hamas, the Palestinians – nothing in international law debars them from using armed force to end the occupation. [...] For me that’s not an important question. Legally , they have the right. Morally, in my opinion, they have the right.“ Quelle: www.youtube.com/watch?v=EcVytIz1gCE). Finkelsteins Buch „Die Holocaust -Industrie: Wie das Leid der Juden ausgebeutet wird“ und seine darin geäußerten falschen Vorwürfe gegen die Jewish Claims Conference werden für fehlende wissenschaftliche Präzision und Sachlichkeit sowie diffamierende Äußerungen kritisiert (www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-holocaustindustrie -debatten-um-das-boese-buch-a-116076.html). Das Buch fand insbesondere auch bei deutschen Rechtsextremisten ein positives Echo. Bei der Kommunikation über die Veranstaltung mit Dr. Norman Finkelstein gibt es eine Reihe von Ungereimtheiten und Widersprüchen, die bei den Fragestellern Zweifel an wissenschaftlicher Haltbarkeit, Wahrhaftigkeit und Transparenz aufkommen lassen. Der Öffentlichkeit wurde am 18. Januar 2017 mitgeteilt, Dr. Norman Finkelstein halte am 23. Januar 2017 einen Workshop zum Thema „Rechtfertigung des Einsatzes von staatlicher Gewalt“ (Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts vom 18. Januar 2017 www.eth.mpg.de/4315830/news_2017_01_18_01). Zu dieser Veranstaltung am Max-Planck-Institut in Halle wurde mit einem Plakat und online auf der Seite von Dr. Norman Finkelstein (Max Planck Institute for social Anthroopology: 23. January 2017 Norman Finkelstein: GAZA: an inquest into its martyrdom. „preregistration requested by 20 January to marencakova @eth.mpg.de“ http://normanfinkelstein.com/wp-content/uploads/2016/ 12/Workshop_Finkelstein_KM161221-2.pdf, gespiegelt nur noch erreichbar unter : http://nokrauts.org/wp-content/uploads/2017/01/Workshop_Finkelstein_ KM161221-2.pdf) geworben, dass den Selbstverteidigungscharakter der israelischen Militäraktionen im Rahmen der Operation „Gegossenes Blei“ 2014, den Abschuss von Raketen durch die Hamas auf israelische Zivilisten und die Existenz von illegalen Tunneln aus dem Gazastreifen nach Israel bezweifelt. Das Plakat ist mit dem offiziellen Logo des Max-Planck-Instituts Halle versehen worden, womit die darauf gemachten Angaben als Aussagen des Max-Planck- Instituts gewertet werden können. Aus dem Plakat geht hervor, dass es sich bei dem Veranstaltungsformat um einen Vortrag von Dr. Norman Finkelstein über den israelischen Militäreinsatz „Protective Edge“ im Sommer 2014 handelt. Zudem wird auch das bald erscheinende Buch von Dr. Norman Finkelstein mit dem Titel „Gaza: an inquest into its martyrdom“ erwähnt. Es wird um eine Voranmeldung gebeten. Ein Hinweis darauf, dass es sich um eine interne, nichtöffentliche Veranstaltung handelt, findet sich auf dem Plakat nicht. Laut Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle, die bis zum 22. Januar 2017 aktuell war, sollte das Thema des Seminars „Rechtfertigung des Einsatzes von staatlicher Gewalt“ sein. Seit dem 23. Januar 2017 ist jedoch aufgrund eines Addendum klar, dass das Thema des Seminars „Gaza: an inquest into its martyrdom“ war. Der Präsident der Max Planck Gesellschaft (MPG), Prof. Dr. Martin Stratmann, schreibt dazu: „Unter dem Logo des Institutes und damit auch der MPG werden Dinge behauptet, die vielleicht faktisch falsch sind. Der Flyer enthält eben doch politische Aussagen (keine Selbstverteidigung Israels, keine Raketen durch Hamas ...), die sich kaum durchhalten lassen und als Aussagen der MPG gewertet werden können. Offen gesagt weiß ich nicht, wie wir mit diesem Flyer in einen öffentlichen Disput gehen können. Musste das sein? Ist das vom Institut autorisiert oder von Herrn Finkelstein lanciert?“ (Mail vom 22. Januar 2017, Stratmann an den Abgeordneten Volker Beck und Verantwortliche der MPG). In einem undatierten Addendum (vom 23. Januar 2017) einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung Halle vom 18. Januar 2017 wird behauptet, dass es sich von Anfang an um eine interne Veranstaltung gehandelt hätte. Dem steht der Umstand entgegen, dass sich zum einen Externe Drucksache 18/11720 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11720 haben anmelden können, da spezifische Anmeldekriterien nicht genannt waren. Zum anderen wurden externe Interessenten per E-Mail erst am 22. Januar 2017 um 21.50 Uhr (16 Stunden vor Veranstaltungsbeginn) ausgeladen, nachdem also die Kritik an der Veranstaltung bereits öffentlich war. Der Workshop sei nur „Teil einer Reihe“ von Seminaren, „in der die unterschiedlichsten Positionen zu diesem sicher sehr schwierigen Thema beleuchtet werden sollen“, behauptet Prof. Dr. Marie-Claire Foblets in einer Mail an Volker Beck, der die Veranstaltung kritisiert hatte.“ (Alan Posener: „Umstrittener Politologe: Max-Planck-Institut bietet Israel-Hasser ein Podium“, www. welt.de/politik/deutschland/article161430779/Max-Planck-Institut-bietet-Israel- Hasser-ein-Podium.html, DIE WELT vom 23. Januar 2017). Über weitere Veranstaltung in dieser „Reihe“ ist bislang trotz Nachfragen nichts bekannt. In einem Schreiben des MPG-Präsidenten an die Bundesministerin für Bildung und Forschung heißt es u. a. Gutachter würden über das Buchmanuskript sagen: „Das Manuskript von Dr. Finkelstein ist genial“. In einem Artikel der Zeitung „DIE WELT“ vom 23. Januar 17 wird die Unabhängigkeit der internationalen Gutachter zu Dr. Norman Finkelsteins Oeuvre angezweifelt. Unter Berufung auf die MPG-Pressesprecherin Dr. Christina Beck berichtet „DIE WELT“: „Mit dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit ist das anders, so Kiewitz. „Die Peer Review zu seinen aktuellen Papers sind hier wirklich deutlich“. Sprich: Kollegen von Finkelstein haben sein Gaza-Buch gelobt. Sie heißen John J. Mearsheimer, der bislang nicht als Experte für Gaza in Erscheinung getreten ist, wohl aber als Koautor eines Buches über den üblen Einfluss der „Israel-Lobby“ auf die Politik der USA; Avi Shlaim, der zu einem Boykott Israels aufgerufen hat; William Quandt, der in Mearsheimers Buch zustimmend zitiert wird als Kritiker des „Pro-Israel-Chors“; Talal Asad, der als Kritiker des Säkularismus hervorgetreten ist; und John Dugard, der Israels Politik in der Westbank als „ähnlich der Apartheid“ bezeichnet hat.“ (www.welt.de/politik/deutschland/article 161430779/Max-Planck-Institut-bietet-Israel-Hasser-ein-Podium.html, DIE WELT vom 23. Januar 2017). Die Bundesregierung betrachtet den Vorgang mit Sorge: „Die Ministerin und damit auch die Bundesregierung teilt Ihre kritische Sicht auf die Veranstaltung des Max-Planck-Instituts in Halle. Sie wissen, dass der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft – der Brief liegt Ihnen ja ebenfalls vor – hier bereits dazu Stellung genommen hat, und ich darf dazu zitieren: Das BMBF sieht mit Sorge, wenn im Kontext kontroverser Wissenschaftsdiskussionen möglicherweise antisemitischen Thesen eine Plattform geboten werden könnte. Dann wird auf das eingegangen, auf das Sie jetzt auch Bezug nehmen, dass wir die Max-Planck-Gesellschaft auffordern, diesen Vorgang auch noch einmal aufzuarbeiten. Eine Antwort der Max-Planck-Gesellschaft liegt bislang nicht vor.“ (Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Stefan Müller laut Plenarprotokoll 18/214, 21427) V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hat sich zu den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Vorwürfen öffentlich mehrfach eindeutig positioniert. Dr. Finkelsteins wissenschaftliche Arbeiten und politische Äußerungen sind umstritten . Weder die MPG noch das Max-Planck-Institut (MPI) für ethnologische Forschung machen sich die Positionen von Dr. Finkelstein zu eigen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11720 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11720 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Hat die Max-Planck-Gesellschaft ihren Bericht über den Vorgang inzwischen zugesagt? a) Wann wird die Max-Planck-Gesellschaft den Bericht vorlegen? Die MPG hat den Bericht am 28. Februar 2017 übermittelt. b) Wird die Bundesregierung den Bericht dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen? Die Stellungnahme der MPG ist als Anlage beigefügt. c) Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass damit alle Fragen an die wissenschaftliche Begründetheit der Veranstaltung transparent, umfassend und wahrhaftig beantwortet wurden? Ja d) Wie beurteilt die Bundesregierung die widersprüchliche Kommunikation des Max-Planck-Instituts zu den Komplexen wissenschaftliche Rechtfertigung , Problematik intern/extern, Titel der Veranstaltung, angebliche Veranstaltungsreihe zu Nahost? Die Bundesregierung bewertet die öffentliche Darstellung der Veranstaltungen kritisch. Dass sich ein Institut für ethnologische Forschung, das auch die Konfliktforschung zu seinem Themenspektrum zählt, auch mit umstrittenen Positionen befassen muss, liegt in der Natur der Sache. Die genannten Veranstaltungen hätten aber von einer deutlichen forschungspolitischen Einordnung durch das Institut begleitet werden sollen. 2. Was hat die Max-Planck-Gesellschaft zu den nachfolgenden Fragen in dem Bericht an die Bundesregierung oder auf Nachfrage gegenüber der Bundesregierung geäußert? Auf die nachfolgenden Antworten wird verwiesen. 3. Wie erklärt die Max-Planck-Gesellschaft gegenüber der Bundesregierung, weshalb den extern Teilnehmenden erst am Sonntagabend, 22. Januar 2017, vor dem Workshop von Dr. Norman Finkelstein abgesagt wurde? Auf die Antwort zu Frage 3e wird verwiesen. a) Wie viele Teilnehmer haben nach Kenntnis der Bundesregierung sich bis zum 23. Januar 2017 jeweils intern und extern angemeldet? Es gab 32 interne Teilnehmer. 13 externe Anmeldungen lagen vor. b) Von wann bis wann erfolgten nach Kenntnis der Bundesregierung die internen und externen Anmeldungen? Anmeldungen waren ab der 1. Kalenderwoche 2017 intern möglich. Drucksache 18/11720 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11720 c) Wie viele extern Angemeldeten wurde nach Kenntnis der Bundesregierung zu welchem Zeitpunkt abgesagt (im Fall von mehreren Absageterminen bitte Anzahl der Absagen zum jeweiligen Termin aufführen)? Allen 13 externen Angemeldeten wurde am Sonntag, dem 22. Januar 2017 abgesagt . d) Wer verantwortet nach Kenntnis der Bundesregierung die Einladung und Ausladung von Externen für den Workshop beim MPI Halle und bei der MPG? Das MPI hat zu keinem Zeitpunkt externe Teilnehmer zu dem Workshop eingeladen . Externe waren nur zu dem öffentlichen Vortrag von Dr. Finkelstein am 16. Januar 2017 geladen. Dieses Missverständnis hat Prof. Foblets mit Mail vom 22. Januar 2017 an die externen Angemeldeten ausgeräumt und mitgeteilt, dass eine Teilnahme an einem internen Workshop nicht möglich ist. 4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch das Zuverfügungstellen des Template/Plakats sich das Max-Planck-Institut Halle auch für den Inhalt mitverantwortlich macht? Auf die Antworten zu den nachfolgenden Teilfragen wird verwiesen. a) Teilt die Bundesregierung die Ansicht des MPG-Präsidenten, dass „[u]nter dem Logo des Institutes und damit auch der MPG Dinge behauptet [werden], die vielleicht faktisch falsch sind“? Die hier zitierte Äußerung des MPG-Präsidenten ist ein Beitrag zur internen Diskussion des Vorgangs innerhalb der MPG. Er selbst hat sich mehrfach dahingehend geäußert, dass sich weder das genannte Institut noch die MPG die Thesen Dr. Finkelsteins zu eigen macht. b) Teilt die Bundesregierung die Ansicht des MPG-Präsidenten, dass „[d]er Flyer eben doch politische Aussagen (keine Selbstverteidigung Israels, keine Raketen durch Hamas ...) [enthält], die sich kaum durchhalten lassen und als Aussagen der MPG gewertet werden können“? Auf die Antwort zu Frage 4a wird verwiesen. c) Wie beantwortet das MPI nach Kenntnis der Bundesregierung die Frage des MPG-Präsidenten: „Ist das vom Institut autorisiert oder von Herrn Finkelstein lanciert?“ Es handelt sich hierbei um eine institutsinterne Seminarankündigung. Das MPI nutzt dafür ein Template, der Ankündigungstext zum Seminar wird vom jeweiligen Referenten geliefert. Das MPI bedauert, den Text vorab nicht sorgfältig geprüft zu haben. d) Wer war nach Kenntnis der Bundesregierung ab wann bei der MPG und dem MPI über das Template/Plakat informiert? Die Generalverwaltung wie auch der Präsident der MPG werden über Ankündigungstexte zu institutsinternen Veranstaltungen nicht informiert. Beiden ist der Text dieser Seminarankündigung erst wenige Tage vor dem institutsinternen Workshop bekannt geworden. Der Text war Grundlage für die institutsinterne Ankündigung und lag dem MPI seit der 1. Kalenderwoche 2017 vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11720 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11720 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode e) Wer verantwortet nach Kenntnis der Bundesregierung das MPI-Template /Plakat „GAZA: an inquest into its martyrdom“ beim MPI Halle und bei der MPG? Auf die Antwort zu Frage 4c wird verwiesen. f) Falls das MPI Halle oder die MPG von dem Template/Plakat nichts wusste, welche Konsequenzen hatte die Eigenmächtigkeit für die Verantwortlichen ? Das MPI wird zukünftig die internen Seminar- und Workshop-Ankündigungen von Gastwissenschaftlern – unabhängig von einer ggf. notwendigen Prüfung – mit einem Disclaimer versehen („Speakers abstract“), um deutlich zu machen, dass der Inhalt nicht vom MPI stammt. g) Wie beurteilt die Bundesregierung die politischen Aussagen im Template /Plakat „GAZA: an inquest into its martyrdom“, insbesondere hinsichtlich der Aussagen „keine Selbstverteidigung Israels“, „keine Raketen durch Hamas“ etc. auf ihre wissenschaftliche Vertretbarkeit, und teilt sie diese Aussagen? Die Bundesregierung teilt die Aussagen nicht. h) Ist „martyrdom“ nach Kenntnis der Bundesregierung ein politikwissenschaftlicher Fachbegriff oder ein Begriff aus der religiösen oder politischen Propaganda? Selbstredend ist für die Benutzung solcher Schlagworte der textliche und inhaltliche Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Der Begriff wird gegenwärtig häufig im Kontext islamistischer Propaganda verwendet. i) Welche anderen Politikwissenschaftler benutzten nach Kenntnis der Bundesregierung diesen Begriff „martyrdom“ in der internationalen Konfliktforschung in welchem Zusammenhang? Auf die Antwort zu Frage 4h wird verwiesen. 5. Inwiefern handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Einladung von Dr. Norman Finkelstein zu Vortrag und Workshop angesichts seiner aus Sicht der Fragesteller pseudo- oder populärwissenschaftlichen Werke um einen wissenschaftlich begründeten oder begründbaren Vorgang, insbesondere hinsichtlich der wissenschaftlichen Objektivität und wissenschaftlichen Pluralität? Auf die Antworten zu den Fragen 1c und 1d sowie den nachfolgenden Teilfragen wird verwiesen. Drucksache 18/11720 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/11720 a) Auf welche Gutachter bezieht sich nach Kenntnis der Bundesregierung Prof. Dr. Marie-Claire Foblets in ihrem Schreiben an den Abgeordneten Volker Beck vom 24. Januar 2017, die Dr Norman Finkelsteins wissenschaftliches Oeuvre insgesamt loben (bitte Namen mit jeweiliger Quelle nennen)? Das MPI hat um Stellungnahme zum wissenschaftlichen Werk von Dr. Norman Finkelstein gebeten und hat Gutachten u. a. von den folgenden Personen erhalten: John J. Mearsheimer, Talal Asad, John Dugard, Sara Roy, Stephen Reyna, Avi Shlaim und William Quandt. b) Auf welche Quellen beziehungsweise Gutachter bezieht sich Prof. Dr. Martin Stratmann nach Kenntnis der Bundesregierung in seinem Schreiben vom 23. Januar 2017 an die Bundesministerin Prof. Dr. Johanna Wanka auf Seite 2 des Briefes? Die Gutachten zu dem im Herbst 2017 in der California University Press erscheinenden Buch von Dr. Norman Finkelstein liegen dem MPI und der MPG vor. Der Präsident zitiert in seinem Schreiben aus diesen Gutachten. Die MPG und das MPI sind nicht autorisiert, die Namen der Gutachter für das Buch öffentlich zu machen. Sie verweisen in dieser Angelegenheit an den Verlag in den USA. c) Sind die im Artikel der Zeitung „DIE WELT“ genannten Namen nach Kenntnis der Bundesregierung falsch? Im Artikel der WELT werden die Gutachter für das Buch verwechselt mit den Verfassern der in der Antwort zu Frage 5a genannten, vom MPI eingeholten Gutachten zur Einordnung der wissenschaftlichen Arbeiten von Dr. Norman Finkelstein. Prof. Foblets hat darauf in einem persönlichen Schreiben an den Abgeordneten Volker Beck bereits hingewiesen. d) Sind folgende Personen nach Kenntnis der Bundesregierung Teil des zitierten Peer Review: John J. Mearsheimer, Avi Shlaim, William Quandt, Talal Asad, John Dugard? Auf die Antworten zu Fragen 5a und 5b wird verwiesen. e) Sind folgende Personen nach Kenntnis der Bundesregierung definitiv nicht Teil des zitierten Peer Review: John J. Mearsheimer, Avi Shlaim, William Quandt, Talal Asad, John Dugard? Auf die Antworten zu Fragen 5a und 5b wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/11720 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/11720 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Zu welcher „Reihe“ von Seminaren am MPI für ethnologische Forschung, „in der die unterschiedlichsten Positionen zu diesem sicher sehr schwierigen Thema beleuchtet werden sollen“ (Zitat nach Prof. Dr. Marie-Claire Foblets in ihrer E-Mail an Volker Beck), gehören nach Kenntnis der Bundesregierung die Veranstaltungen mit Dr. Norman Finkelstein? Auf die Antworten zu den nachfolgenden Teilfragen wird verwiesen. a) Welche weiteren Referenten und Themen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der von Prof. Dr. Marie-Claire Foblets angekündigten internen Veranstaltungsreihe bis Januar 2017 bereits aufgetreten? Das umfassende Gastwissenschaftler-Programm ist zentral für die Forschung am Institut. Jährlich sind im Schnitt 25 Wissenschaftler aus anderen Institutionen am MPI zu Gast. In der Abteilung von Prof. Dr. Foblets sind fortlaufend Experten geladen, die sich mit Konfliktforschung befassen. Von Interesse ist dabei die Frage, wie in unterschiedlichen Ländern Spannungen gelöst werden, die durch verschiedene Religionen, die Verteilung von Land, den Zugang zu Macht und weitere Faktoren ausgelöst werden. b) Welche weiteren Referenten und Themen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der von Prof. Dr. Marie-Claire Foblets angekündigten internen Veranstaltungsreihe noch geplant? Im Sommer 2017 sind u. a. Ido Shachar, Universität Haifa, und Yuksel Sezgin, Syracuse University, geladen. 7. Wer war nach Kenntnis der Bundesregierung an der Abstimmung der Pressemitteilung vom 18. Januar 2017 beteiligt, und wer ist dafür verantwortlich, dass die Öffentlichkeit mit dem Titel „Rechtfertigung des Einsatzes von staatlicher Gewalt“ zunächst in die Irre geführt und erst durch das Addendum vom 23. Januar 2017 über den tatsächlichen Veranstaltungstitel und -inhalt informiert wurde? Es handelt sich um eine Pressemitteilung des MPI. Es ging in dem internen Workshop ganz zentral um die Frage der Rechtfertigung des Einsatzes von staatlicher Gewalt. Der Gaza-Konflikt diente hier als Beispiel. 8. Was will nach Kenntnis der Bundesregierung das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle mit der Aussage „auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit jüdischem Hintergrund sind heute – 70 Jahre nach dem Holocaust – wieder forschend in der Max-Planck-Gesellschaft tätig“, (wie sie in der Stellungnahme vom 18. Januar 2017 zu lesen ist) bezwecken? Die MPG hält es für unangemessen, die Einladung von Dr. Finkelstein mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegenüber der MPG zu verknüpfen und weist diesen als vollkommen unbegründet zurück. Drucksache 18/11720 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 1 MPI Halle, Abteilung ‚Recht & Ethnologie‘ Workshop mit Dr. Norman Finkelstein, 23. Januar 2017 – Zusammenfassung Am Montag, den 23. Januar, führte die Abteilung „Recht und Anthropologie“ im Rahmen unserer wissenschaftlichen Nachwuchsausbildung einen Workshop durch unter dem Titel „Gaza: An Inquest into its Martyrdom“ (so auch der Titel einer im Herbst 2017 bei California U.P. erscheinenden Monographie des Referenten). Der Workshop gliederte sich in drei Teile: erstens, eine Einführung durch den Referenten, zweitens, Fragen und Antworten zum Thema sowie drittens, juristische Fachdiskussionen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zwei Texte: erstens, der Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission, die gemäß der Resolution des UN-Menschenrechtsrats S-21/1 über die Menschenrechtssituation in Palästina eingerichtet worden war, mit den wesentlichen Ergebnissen und Empfehlungen (UN-Generalversammlung, A/HRC/29/52 vom 24. Juni 2015) sowie zweitens, Kapitel 13 der demnächst erscheinenden Monographie von Dr. Finkelstein („Gaza: An Inquest into its Martyrdom“, California University Press, im Druck). Das Thema war der „legitime Einsatz staatlicher Gewalt“ in Konfliktsituationen und insbesondere im Konflikt zwischen Israel und Gaza. Der dritte und gleichzeitig wichtigste Teil des Workshops entfiel auf juristische Fachdiskussionen darüber, welche – durch Beweise belegten – Sachverhalte in Konfliktzeiten rechtlich als „unverhältnismäßige“,„ willkürliche“ oder „vorsätzliche“ Angriffe auf Zivilpersonen zu betrachten sind. Es wurde aber auch über die Rolle von Recht, Moral und öffentlicher Meinung in solchen Zusammenhängen debattiert. Zudem wurde auch über mögliche Zukunftsoptionen gesprochen; und Dr. Finkelstein gab uns einen Einblick, wie sich seine Positionen im Laufe der Zeit entwickelt haben, beginnend mit seiner Kindheit in den USA als Sohn von zwei Holocaust -Überlebenden, Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte zusammengefasst, die in den einzelnen Workshop-Teilen thematisiert wurden: Teil I: Präsentation (Einführung) durch Dr. Finkelstein Dr. Finkelstein eröffnete seine Präsentation mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Jahres 2017 für den israelisch-palästinensischen Konflikt. In diesem Jahr werden die Jahrestage von drei weichenstellenden Ereignissen begangen: 1. Der 100. Jahrestag der Balfour-Deklaration (1917). Dies war der erste große diplomatische Erfolg der zionistischen Bewegung, der schließlich 1948 zur Gründung des Staates Israel führte. 2. 50 Jahre israelische Besatzung von Gazastreifen und Westbank (und der syrischen Golanhöhen), Sechstagekrieg 1967 3. 10 Jahre Blockade des Gazastreifens (die 2007 begann und international als „kollektive Bestrafung“ verurteilt wurde). Dr. Finkelstein wies auf die Veränderungen im demographischen Profil der palästinensischen Bevölkerung in den 100 Jahren seit der Balfour-Deklaration hin und gab einen kurzen historischen Überblick. (Dabei wies er ausdrücklich darauf hin, dass jede verkürzte Diskussion und Berichterstattung über historische Entwicklungen Gefahr läuft, voreingenommen und perspektivisch begrenzt zu sein). „Wo stehen wir heute?“ In Bezug auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina hat man sich nahezu einheitlich auf Grundprinzipien der Konfliktlösung geeinigt (die Grenzen von 1967 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/11720 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 2 und zwei Staaten sowie eine gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage auf der Grundlage eines Rückkehr-und Entschädigungsrechts). Siehe: UN-Generalversammlung (2014: 163 Länder), Internationaler Gerichtshof und bedeutende Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch. Abweichende Standpunkte werden (2014) von sechs Ländern (Israel, USA, Kanada, Palau, Marshall Islands, Mikronesien) vertreten. Dem folgte eine kurze Erläuterung der Termini „exzessive“ bzw. „angemessene“ Gewalt. Schlusserklärung: Man sollte die Zweistaatenlösung auf den Prüfstand stellen. Teil II: Fragen und Antworten Nach der Präsentation von Dr. Finkelstein wurden Fragen erörtert, die von MPI- Wissenschaftlern eingebracht wurden. Wir versuchen hier, einige der in den Fragen aufgegriffenen Themen aufzulisten, um deren Bandbreite wiederzugeben; dies kann jedoch nicht der Fülle der komplexen Gesamtdebatte Rechnung tragen: das Konzept der „Selbstverteidigung “ im internationalen Recht, gewaltfreie Massenproteste (vgl. Gandhis Doktrin des gewaltlosen Widerstands), Wahrheitskommissionen und die Rolle der Versöhnung sowie nicht zuletzt die Rolle des verwendeten Vokabulars. Teil III: Fallpräsentation und Diskussion Grundsätzlich sind die Prinzipien des humanitären Völkerrechts eindeutig. Ihre Interpretation (im konkreten Kontext) gestaltet sich jedoch kompliziert. Der Workshop beschäftigte sich mit den Regeln des humanitären Völkerrechts und ihrer Rolle im konkreten Fall der Operation „Protective Edge“ (2014) sowie dem Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission, die gemäß Resolution des UN-Menschenrechtsrats Nr. 5-21/1 eingesetzt wurde. Humanitäres Völkerrecht oder Kriegsrecht: Was ist im Kriegsfall zulässig und was ist im Kriegsfall unzulässig? Regel 1: Prinzip der Unterscheidung. Im Krieg dürfen Angriffe nicht gegen Zivilisten oder zivile Objekte, sondern nur gegen Kombattanten und militärische Objekte gerichtet werden. Regel 7: (über Objekte) (Graubereiche …) Zivile Wohnhäuser sind ausschließlich zivile Objekte und keine militärischen Ziele. Regel 11: Unterschiedslose Angriffe sind verboten. Regel 12: Unterschiedslose Angriffe sind: (a) Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet sind (b) Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können; oder (c) Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des humanitären Völkerrechts begrenzt werden können, und die daher in jedem dieser Fälle militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können. Regel 14: Prinzip der Verhältnismäßigkeit Drucksache 18/11720 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 3 Verbot von Angriffen, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen , die Beschädigung ziviler Objekt und mehrere derartige Folgen zusammen verursachen, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Daran schloss sich eine Diskussion über Kollateral-/Folgeschäden an sowie darüber, was hinsichtlich des zu erwarteten Ergebnisses als „exzessiv“ bezeichnet werden muss. Das Grundprinzip der „Angemessenheit“ ist im Recht gut bekannt, aber nicht einfach umzusetzen . Regel 15: Das Prinzip der Vorsichtmaßnahmen Bei der Durchführung von militärischen Operationen ist stets darauf zu achten, dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte verschont bleiben. Es sind alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte, die dadurch mit verursacht werden könnten, zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Mindestmaß zu beschränken. Manchmal ist das Element der Überraschung von entscheidender Bedeutung. In solchen Fällen ist Warnung nicht möglich. Einleitende Bemerkung von Dr. Finkelstein: Das humanitäre Völkerrecht richtet sich an zwei Zielgruppen: Juristen und die Öffentlichkeit. Juristen diskutieren darüber, ob sich die Intentionalität (Vorsätzlichkeit) nachweisen lässt und folglich aus juristischer Sicht eine strafrechtliche Verfolgung möglich ist. Unverhältnismäßige/unterschiedslose Angriffe und vorsätzliche Angriffe sind zwar nach humanitärem Völkerrecht gleichermaßen strafbar. Diese Perspektive entspricht aber nicht der öffentlichen Einstellung: Die Öffentlichkeit reagiert oft mit größerer Entrüstung auf vorsätzliche Angriffe. Anwendung der Prinzipien auf den Text des Berichts des UN-Menschenrechtsrats [Diskussion]: Es schloss sich eine lebhafte Diskussion darüber an, was als „vorsätzlicher“ Angriff auf Zivilpersonen zu betrachten ist. Die anwesenden Juristen begannen darüber zu debattieren, wie man die Kriterien „unterschiedslos“, „verhältnismäßig“ und „vorsätzlich“ gegeneinander abwägen kann. Es folgte eine lange Diskussion, bis einer der Teilnehmer (selbst kein ausgebildeter Jurist) protestierte und die folgende kritische Überlegung einbrachte: „Wenn ich dieser Diskussion zuhöre, erscheint es mir, als ob das Recht die Schlupflöcher bereitstellt, um ungestraft davon zu kommen.“ Sein Einwurf war in gewissem Sinne hilfreich weil er das Publikum damit vor der „Tyrannei“ des Rechts warnte: Es gibt eine Rechtswahrheit, aber es gibt auch eine faktische Wahrheit und internationales Recht sollte beide Aspekte berücksichtigen. Nach fünfstündigem Austausch und konzentrierter gemeinsamer Reflexion über die Frage, was angesichts der jeweiligen Umstände als gerechtfertigt anzusehen ist, wenn es um Gewaltanwendung geht, waren sich alle Teilnehmer einig, dass eine ausgewogene Abschätzung jeder Art von Gewaltanwendung die Einbeziehung aller verfügbaren Beweise im Kontext voraussetzt: Welche sozialen Auswirkungen hat das humanitäre Völkerrecht? Wie werden Fakten (Beweise) in rechtliche Bewertungen übersetzt? Was ist bei falschen Vergleichen? Wie geht man mit den Risiken falscher Schlussfolgerungen um? Wie lässt sich die Verfahrensgerechtigkeit verbessern? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/11720 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 4 Das war mit Sicherheit eine herausfordernde Erfahrung. Es wurden Fragen darüber aufgeworfen , wie man in Situationen anhaltender Konflikte mit Gewaltanwendung umgeht und ebenso, ob das humanitäre Völkerrecht angemessene Antworten gibt. Die Gespräche konzentrierten sich auf den Konflikt in Gaza und die Art und Weise, wie die UN-Generalversammlung auf die Situation reagiert. Wesentlich war auch Dr. Finkelsteins Einschätzung der Frage, in welchem Maße internationales Recht auf die Bewältigung von humanitären Fragen eingerichtet ist. Aus akademischer Sicht war der Workshop mit Dr. Finkelstein sehr produktiv und inspirierend, auch wenn die Diskussionen nicht zu eindeutigen Ergebnissen führten. Die In-situ-Bewertung von Gewaltsituationen wirft komplexe Fragen auf, die verschiedene Faktoren betreffen: (1) Beschaffenheit der Quellen, auf denen die Bewertung basiert , (2) Gültigkeit der Beweise, (3) Objektivität der Personen, die im Rahmen des humanitären Völkerrechts einen Situationsbericht erstellen sollen, (4) Auswirkungen des historischen Zusammenhangs, in dem der Konflikt steht, (5) Rolle der internationalen Interessenvertreter und nicht zuletzt (6) wie man sich am besten auf die Zukunft vorbereiten kann: ob die traditionelle Rechtsprechung (mit Verurteilung) die beste vorstellbare Möglichkeit ist oder ob die Aussöhnung (Konfliktbeilegung) eine nachhaltige Option wäre, und falls das der Fall ist, unter welchen Bedingungen. Keine dieser Fragen kann eindeutig beantwortet werden. Aber der Workshop von Dr. Finkelstein bot die Möglichkeit, sich einmal intensiver mit diesen Fragen zu beschäftigen. Halle, 5. Februar 2017 Drucksache 18/11720 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333