Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 12. April 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/12292 18. Wahlperiode 10.05.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/11865 – Effektivität eines sogenannten Migrationsberatungszentrums in Tunesien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller hat am 3. März 2017 ein sogenanntes Migrationsberatungszentrum in Tunis eröffnet, das gemeinsam mit tunesischen Behörden betrieben wird (www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2017/maerz/170303_pm_026_ Minister-Mueller-eroeffnet-deutsch-tunesisches-Migrationsberatungszentrum/ index.jsp). Der Bundesminister Dr. Gerd Müller begründete die Eröffnung des Zentrums damit, „Menschen ohne Bleibeperspektive in Deutschland“ eine „Chance in ihrer Heimat“ zu eröffnen. Aufgrund der vorliegenden Zahlen scheint es fragwürdig, ob diese Erwartungshaltung erfüllt werden kann. Das in Tunis ansässige Zentrum soll nach Auskunft der Bundesregierung bis Ende dieses Jahres 2 000 Menschen beraten und in Beschäftigungsverhältnisse vermitteln, was angesichts der wirtschaftlichen Krise in Tunesien schwierig umzusetzen sein wird. In dem Land sind besonders hohe Jugendarbeitslosenzahlen von zuletzt gut 35 Prozent (www.swp-berlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2012A34_adt_pop.pdf) – in ruralen Gebieten des Südens liegen sie mitunter höher – zu verzeichnen. Die entwicklungspolitische Sinnhaftigkeit des Vorhabens steht damit nach Ansicht der Fragesteller grundsätzlich in Frage. Entwicklungspolitische Ansätze wie ein Beratungszentrum und Jobprogramme für Rückkehrer nach Tunesien stehen auch im Widerspruch zur neoliberalen Handelspolitik der EU, die den Menschen nach Ansicht der Fragesteller in den Maghreb-Staaten beständig die Grundlage für Wohlstand und Entwicklung entzieht (www.swr.de/report/ruecksichtsloses-abkommen-wie-die-eu-ihrewirtschaftlichen -interessen-gegenueber-afrika-durchsetzt/-/id=233454/did=14 245872/nid=233454/qzsp1f und www.zeit.de/news/2014-11/04/deutschlandafrika -beauftragter-nooke-warnt-vor-eu-freihandelsabkommen-epa-04153006). Vor diesem Hintergrund haben Organisationen der Zivilgesellschaft in Tunesien die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) (www.europarl.europa.eu/atyour service/de/displayFtu.html?ftuId=FTU_6.5.6.html) und die damit einhergehende „Privilegierte Partnerschaft“ immer wieder kritisiert, weil Perspektiven für eine wirtschaftliche Entwicklung des Landes fehlen (www.iz3w.org/zeitschrift/ ausgaben/330_arabischer_fruehling/brocza#!prettyPhoto/0/). Deshalb braucht Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/12292 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode die ENP eine grundlegende Neuausrichtung, die etwa auf gerechten Handel, Zusammenarbeit im Bereich der regenerativen Energien und den Aufbau eigener industrieller Fertigung in Tunesien setzt, statt auf aggressive Marktöffnung und Migrationsabwehr. Die akute und massive Inflation verschlechtert die Perspektiven der Menschen zusätzlich. Bevor diese makroökonomischen Probleme nicht durch einen grundlegenden Wandel der EU-Handelspolitik zumindest gemindert werden, drohen niederschwellig angelegte Berufsberatungsprogramme ins Leere zu laufen: Wo es keine Jobs gibt, können auch keine vermittelt werden. Zwar zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2016 nur noch 8 000 Flüchtlinge (www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Asylzahlen/Asylgesch%C3%A4fts statistik/asylgeschaeftsstatistik-node.html), die aus den drei Maghreb-Staaten in Deutschland erstmals registriert wurden – 2015 waren es demnach noch 25 000 –, doch schon diese Zahl liegt deutlich über der Gesamtkapazität des Beratungszentrums. 1. In welcher Höhe hat die Bundesregierung Finanzmittel für das vom Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller angekündigte Beratungszentrum für abgelehnte Asylbewerber vorgesehen? Die Bundesregierung hat Finanzmittel in Höhe von 575 000 Euro pro Jahr bis 2020 (vorerst) für das Beratungszentrum in Tunis vorgesehen. 2. Wie viele Mitarbeiter hat dieses Zentrum? Das Zentrum wird gemeinsam mit der tunesischen Arbeitsagentur ANETI (Agence Nationale pour l’Emploi et le Travail Indépendant) betrieben. Zurzeit arbeiten dort eine Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und ein Mitarbeiter der tunesischen Arbeitsagentur. Eine Ausweitung des Personals sowohl seitens der GIZ als auch seitens der ANETI ist im Laufe des Jahres 2017 vorgesehen. Darüber hinaus unterstützen Experten der Bundesagentur für Arbeit (BA) kurzzeitig das Beratungszentrum. 3. Wie groß sind die Räumlichkeiten des Zentrums? Der Empfangsbereich beträgt ca. 35 m2. Darüber hinaus stehen ein Seminarraum für Informationsveranstaltungen und bei Bedarf weitere Büroräume innerhalb der tunesischen Arbeitsagentur zur Verfügung. 4. Mit welchem Konzept will die Bundesregierung Rückkehrer nach Tunesien in Jobs bringen? Im Rahmen des BMZ Rückkehrer-Programmes «Perspektive Heimat» erhalten bereits bestehende Vorhaben der GIZ in Tunesien zusätzliche Mittel vom BMZ, um ihre Maßnahmen explizit auch für Rückkehrer öffnen zu können. Darüber hinaus stehen Finanzmittel für die Förderung von privaten Trägern (Stiftungen, NROs etc.) zur Verfügung, damit zusätzliche Projekte zur Berufsbildungs- und Beschäftigungsförderung finanziert werden können. Das Migrationsberatungszentrum in Tunis strebt außerdem eine Zusammenarbeit mit lokalen Umschulungseinrichtungen an. Trainings zur Förderung von Selbstständigkeit von Kleinunternehmen befinden sich ebenfalls in der Konzeption. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12292 5. Wie ist die Kooperation mit tunesischen Behörden im Rahmen des Beratungszentrums angelegt? Das Migrationsberatungszentrum befindet sich in den Räumlichkeiten der tunesischen Arbeitsagentur ANETI, die dem tunesischen Ministerium für Ausbildung und Beschäftigung unterstellt ist. Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur ANETI ist direkt im Migrationsberatungszentrum beschäftigt. 6. Werden der jeweiligen Gegenseite bis dahin nicht vorliegende Personendaten über Beratungsnehmer zugeleitet, und wenn ja, welche? Es findet nur ein Austausch von anonymisierten und nicht von personenbezogenen Daten statt. 7. Wie sollen von der Hauptstadt Tunis aus die vor allem jugendlichen Arbeitsuchenden in den ländlichen Gebieten im Süden des Landes erreicht werden? Die Partnerstruktur der Arbeitsagentur ANETI verfügt landesweit über 120 Büros . Von diesen Mitarbeitern befindet sich mindestens eine/r in jedem der 24 Gouvernorate Tunesiens. Über die Mitarbeiter können interessierte Personen auch an das Zentrum in Tunis verwiesen werden. Es besteht außerdem die Möglichkeit, Beratungsgespräche per Skype durchzuführen, was bereits mehrfach in Anspruch genommen wurde. Zurzeit befindet sich das digitale Angebot des Migrationsberatungszentrums noch in der Erarbeitung, aber auf der Internetseite der ANETI können sich interessierte Personen bereits jetzt über Beschäftigungsmöglichkeiten in Tunesien informieren. 8. Wie viele arbeitslose Menschen soll das genannte Zentrum in den kommenden Jahren beraten? Bis zu 2 000 Personen sollen vor Ort zu Startchancen und Perspektiven informiert werden. Durch digitale Medien sollen 100 000 Personen erreicht werden. Durch Karriere- und Informationstage wie z. B. Jobmessen sollen 1 000 Personen erreicht werden. 9. Wie viele und welche Arbeitsplätze stehen den 2 000 zu beratenden Arbeitslosen in diesem Jahr gegenüber? 10. Wie viele und welche Ausbildungsplätze stehen den 2 000 zu beratenden Arbeitslosen in diesem Jahr gegenüber? Die Fragen 9 und 10 werden zusammen beantwortet. In Tunesien werden in diesem Jahr durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Ausbildungsmaßnahmen vor allem in den Bereichen Tourismus, Landwirtschaft , Informations- und Telekommunikationstechnologie, Textil und Handwerk angeboten. Über diese Maßnahmen werden ca. 3 500 junge Tunesier ausgebildet. Die meisten Arbeitsplätze werden durch die Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in diesem Jahr voraussichtlich in den Bereichen Tourismus , Landwirtschaft, Informations- und Telekommunikationstechnologie und Handwerk entstehend. Mindestens 650 Personen sollen in Beschäftigung gebracht und ca. 270 bei einer eigenen Existenzgründung unterstützt werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/12292 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 11. In welchen Bereichen sind die nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entstandenen 13 500 Arbeitsplätze durch neu gegründete Unternehmen in Tunesien angesiedelt? Die Arbeitsplätze entstanden z. B. über die Gründung von 430 neuen Unternehmen u. a. in den Bereichen Tourismus, Landwirtschaft, Informations- und Telekommunikationstechnologie und Handwerk. Weitere Arbeitsplätze entstanden durch die Schaffung bzw. den Erhalt von Arbeitsplätzen in bestehenden kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen (KKMUs, weniger als 200 Mitarbeiter). Geförderte Unternehmen kommen aus den Bereichen Apotheken, Baubranche, Schmuckhändler, Lebensmittelindustrie, Lebensmittelhandel, Büro- und IT-Ausstatter , Automobilzulieferer, Textilindustrie und Landwirtschaft. 12. Woher stammt die Zahl? Die Zahl stammt aus dem GIZ Wirkungsmonitoring. Beim Wirkungsmonitoring werden regelmäßig Zahlen zu den erreichten Wirkungen während der Laufzeit eines Projekts erhoben, um die Zielerreichung zu überprüfen. In diesem Fall wurde unter anderem die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze ermittelt. 13. Wie viele Flüchtlinge aus Tunesien sind in Deutschland derzeit registriert? Ausweislich des Ausländerzentralregisters (AZR) hielten sich zum Stichtag 28. Februar 2017 33 062 Tunesier in Deutschland auf. Hiervon waren 68 Tunesier als anerkannte Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention registriert (als Asylberechtigte anerkannt oder mit Flüchtlingseigenschaft nach §3 Absatz 4 AsylG). Zudem war bei fünf Personen ein subsidiärer Schutz nach § 4 Absatz 1 AsylG gespeichert. 14. Wie viele von ihnen sind nach Ansicht der Bundesregierung rückreisepflichtig ? Im AZR waren zum Stichtag 28. Februar 2017 1 488 ausreisepflichtige tunesische Staatsangehörige erfasst. 15. Hat die Bundesregierung neben dem Beratungszentrum in Tunesien weitere arbeitsmarkt-, sozial- oder entwicklungspolitische Maßnahmen für Rückkehrer in die Maghreb-Staaten geplant, und wenn ja, welche? Im Maghreb hat die Bundesregierung ein Rückkehrer-Programm in Tunesien und Marokko aufgelegt. Ansätze sind Ausbildung und Qualifizierung, Unterstützung von Existenzgründungen, Arbeitsmarktmaßnahmen, soziale und schulische (Re-)Integrationsbegleitung. Das Programm unterstützt die Reintegration von Rückkehrern in ihrem Heimatland und mindert durch den Einbezug der lokalen Bevölkerung den Migrationsdruck nach Deutschland. Grundsätzlich stehen alle Vorhaben der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Tunesien und Marokko Rückkehrern offen. Die deutsch-tunesische Entwicklungszusammenarbeit fördert u. a. beschäftigungswirksame öffentliche Investitionen, Erhöhung landwirtschaftlicher Erträge, den Bau kommunaler Infrastruktur, Beratung bei Unternehmensgründungen, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, sowie das Empowerment von Frauen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12292 Die deutsch-marokkanische Entwicklungszusammenarbeit fördert u. a. den Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz, Trinkwasserversorgung , Abwassermanagement und nachhaltige Bewässerung in der Landwirtschaft sowie nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Beschäftigungsförderung ist Querschnittsthema in all diesen Bereichen der deutsch-marokkanischen Entwicklungszusammenarbeit . 16. In welcher Weise beeinträchtigt die Entscheidung des Bundesrates vom 10. März 2016 (www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2017/ Plenarprotokoll-954.pdf?__blob=publicationFile&v=2) gegen eine Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Aufnahmestaaten die Pläne zur Einrichtung eines Beratungszentrums in Tunesien? Die Einrichtung des Migrationsberatungszentrums in Tunesien wird durch die zitierte Entscheidung des Bundesrates nicht beeinträchtigt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333