Deutscher Bundestag Drucksache 18/1240 18. Wahlperiode 25.04.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/1138 – Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Stuttgart 21 wird gebaut, während der in der Planrechtfertigung zentrale Aspekt der Leistungsfähigkeitssteigerung durch den Bahnhofsneubau inzwischen stärker in Zweifel steht als je zuvor. Von Kritikern des Projekts Stuttgart 21 (S21) wurde inzwischen dargelegt (vgl. Abschnitt „Leistungsfähigkeit für die Züge“), dass die Auslegung sowohl für die Züge wie für die Fußgänger auf eine Maximalbelastung unter dem damaligen wie heutigen Bedarf erfolgte. Das geplante Wachstum ist in der Spitzenstunde nicht erreichbar, was durch die Gutachten der Planfeststellung selber belegt ist. Außerdem haben die Deutsche Bahn AG (DB AG) und ihre Gutachter Aussagen zu höheren Leistungsfähigkeitswerten inzwischen selbst zurückgenommen bzw. Fehler in den zugrunde liegenden Studien eingeräumt. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die Fortsetzung des Baus unter Einsatz erheblicher Mittel aus Steuergeldern fragwürdig . Leistungsfähigkeit für die Züge Bezüglich der Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 für den Zugverkehr argumentierte die Bundesregierung in früheren Antworten mit dem Planfeststellungsverfahren und seiner gerichtlichen Bestätigung (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 19. Oktober 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/3333, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 31. Januar 2012 auf Bundestagsdrucksache 17/8529, jeweils zu Frage 1). Auch gab die Bundesregierung an, im sogenannten Stresstest wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich eingehalten“ worden (Bundestagsdrucksache 17/8529, zu den Fragen 21 und 22). Hierzu hat sich seither eine grundlegend neue Situation ergeben , nachdem diesen Entscheidungen durch neue Aussagen der DB AG und Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 24. April 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. ihrer Gutachter sowie neue Analysen die sachliche Basis bezüglich der angenommenen Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 entzogen ist, wie in der Einwendung von Dr. Christoph Engelhardt im Anhörungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3 dargelegt ist (im Folgenden kurz „Einwendung“, goo.gl/Xze6jP; siehe auch „Kritik an den Plänen der Bahn“, www.stuttgarter- Drucksache 18/1240 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode zeitung.de vom 24. Februar 2014). Diese Einwendung liefert nach Auffassung der Fragesteller den umfassenden Nachweis eines Leistungsrückbaus durch das Projekt Stuttgart 21. Sie gibt auch die Erläuterungen zu den folgenden Ausführungen . Es ist fachlich unstrittig und wurde auch ausdrücklich im Planfeststellungsbeschluss zum PFA 1.1 (S. 150) wie auch im Finanzierungsvertrag des Projekts vom 30. März 2009 (Anlage 3.2a Anhang 1.1 S. 5 Nummer 1.3.3) festgehalten, dass für die Bemessung der Infrastruktur die Spitzenstunde „maßgeblich“ ist. In dem der Planfeststellung zugrunde liegenden Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Wulf Schwanhäußer war ermittelt worden, dass der neue Tiefbahnhof in der geplanten Form auf maximal „32,8 Züge pro Stunde“ limitiert ist (vgl. Wulf Schwanhäußer, „Stuttgart 21.: – Ergänzende betriebliche Untersuchungen , Teil 3“, 20. Juli 1997, S. 58). In der Ergebnisdarstellung (S. 65/66, ebd.) waren auch nur „32 bis 35 Gleisbelegungen je Stunde“ für eine „optimale Bemessung “ angegeben worden. Das genehmigende Eisenbahn-Bundesamt (EBA) übersah nach Auffassung der Einwendung bei der Genehmigung dieser Planung, dass diese Planung weder den damaligen Bedarf von rund 38 Zügen in der morgendlichen Spitzenstunde (Fahrplan Sommer 1996) abzuwickeln vermochte, noch das geplante Wachstum von +50 Prozent im Fernverkehr und +80 Prozent im Regionalverkehr (vgl. Die Machbarkeitsstudie Projekt „Stuttgart 21“, 1995). Die Bundesregierung verweist auch auf die gerichtliche Bestätigung der Planfeststellung (Verwaltungsgerichtshof [VGH] Baden-Württemberg vom 6. April 2006, Az. 5 S 1200/12, Rn. nach http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/ document.py?Gericht=bw&Art=en&sid=f65f846338c6eac4c2cfa04a675cdac0&nr =6718&pos=2&anz=3). Dieses Urteil übersah nach Auffassung der Einwendung jedoch ebenfalls den Widerspruch zwischen Kapazitätsrückbau und geplantem Wachstum. Darüber hinaus unterlag es einem weiteren gravierenden Missverständnis aus dem Vergleich von Mittel- mit Spitzenwerten der Betriebsprogramme , wodurch Stuttgart 21 scheinbar Reserven aufwies, die jedoch tatsächlich nicht gegeben waren. Insbesondere stützt sich der VGH-Entscheid auch maßgeblich auf das Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin aus dem Jahr 2005. In Randnummer 72 der Urteilsbegründung wird als Grundlage für die „überlegene Aufnahmefähigkeit“ von S21 der „optimale Leistungsbereich“ von „41 bis 50 Zügen je Stunde“ genannt (im Gutachten 42 bis 51 Züge). Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin hat diese Aussage jedoch inzwischen dahingehend korrigiert , dass hier die Kapazität des Bahnhofs eher am unteren Ende der Spanne, also nahe 42 Zügen zu sehen ist (vgl. „Wie viele Züge verkraftet der Tiefbahnhof ?“, www.stuttgarter-zeitung.de vom 18. Oktober 2013, „Initiatoren: Bürgerbegehren auf gutem Weg“, www.stuttgarter-zeitung.de vom 7. November 2013, Erläuterung: http://www.leistungsrueckbau-s21.de/fragen/details/#MartinGutachten ). Nach Korrektur der unrealistisch niedrigen durchschnittlich 1,6 Minuten Haltezeit rechtfertigt die Martin-Untersuchung laut der Einwendung nicht mehr als rund 32 Züge pro Stunde. Dem VGH-Urteil aus dem Jahr 2006 ist somit nach Auffassung der Fragesteller in drei wesentlichen Punkten die sachliche Basis entzogen. Die Deutsche Bahn AG verwies zur Leistungsfähigkeit zuletzt nicht mehr auf die Planfeststellung oder das Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin, sondern vielmehr auf den sogenannten Stresstest. Die Aussage der Bundesregierung , im Stresstest wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich eingehalten“ worden (Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 21 und 22 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8529) ist jedoch inzwischen zu korrigieren: Von März 2012 bis September 2013 hatte dazu ein Austausch von Argumenten zwischen der DB AG sowie der SMA und Partner AG (SMA) auf der einen Seite und Vertretern von WikiReal auf der anderen Seite stattgefunden , vermittelt über das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur BadenWürttemberg (MVI). Im Verlauf dieser indirekten Diskussion hatten DB AG und SMA verschiedene Verstöße gegen die Richtlinie 405 eingeräumt (abgestimmtes Protokoll der „Besprechung railsys wikireal“ von Vertretern des MVI, der DB AG und der SMA vom 14. März 2012; „Fragen des Landes zum Stresstest “, undatiert, offenbar Mai 2012). Die DB AG und die SMA wurden mit die- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1240 sen Eingeständnissen und auch weiteren Widersprüchen in ihren bisherigen Darstellungen in einem Fragenkatalog von WikiReal (www.wikireal.org) vom 27. Mai 2013 konfrontiert (Dr. Christoph Engelhardt „Fragenkatalog zum Stresstest an die Deutsche Bahn AG und die SMA und Partner AG“), worauf das MVI am 30. September 2013 mitteilte, dass DB AG und SMA von einer Beantwortung dieses Fragenkatalogs absehen wollen. Damit sind die im Fragenkatalog thematisierten Eingeständnisse der Richtlinienverstöße unwidersprochen : – Ein Verspätungsaufbau von einer Minute markiert nicht, wie von der DB AG in der Stresstestdokumentation dargestellt, die Grenze zur risikobehafteten , sondern zur mangelhaften Betriebsqualität. – Die Zulaufstrecken wurden entgegen der Richtlinie nur so weit ausgewertet , wie sie noch eine günstige Betriebsqualität aufwiesen. – Die Belegungsgrade waren nicht, wie von der Richtlinie gefordert, ausgewiesen worden. Die DB AG behauptet, das nicht tun zu müssen, kann aber die entsprechende Passage der Richtlinie nicht nennen. – Die eingebrachten Verspätungen wurden entgegen der in der Richtlinie geforderten Statistik gekappt. – Die Verwendung von nicht zugelassenen Zeitanteilen im Verspätungsabbau wurde von der DB AG damit gerechtfertigt, dass man immerhin darauf verzichtet habe, auch andere nicht zugelassene Zeitanteile zu verwenden. – Durch eine Fehleingabe in das Simulationsprogramm wurden Verspätungen schon abgebaut, bevor sie überhaupt in die Simulation Eingang gefunden hatten. Darüber hinaus war verschiedentlich auch die Forderung der Richtlinie nach realistischen Prämissen verletzt worden: – Die Belastung des Bahnhofs in der morgendlichen Spitzenstunde war unrealistisch um die in dieser Zeit in Stuttgart eingesetzten Züge entlastet worden. Für diese Züge wird aber auch zukünftig Bedarf sein. – Nicht erklären konnte die DB AG, warum für die S-Bahn ein Pünktlichkeitswert von 98 Prozent verwendet wurde, für die zuvor ein Wert von 82,3 Prozent veröffentlicht worden war. Die Abschätzung der nötigen Fehlerkorrekturen im Stresstest lässt laut der Einwendung nur noch rund 30 bis 32 Züge als plausible Kapazität für Stuttgart 21 erscheinen. Die Kapazität von Stuttgart 21 reicht damit nicht, um den heutigen Spitzenstundenbedarf zu bewältigen, geschweige denn, das geplante Wachstum von 30 bis 50 Prozent zu ermöglichen. Demnach erscheint aus Sicht der Fragesteller gleich eine Reihe von Kriterien erfüllt, die es erlauben bzw. erforderlich machen, die Planfeststellung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zurückzunehmen (§§ 44, 48, 49, 75 VwVfG, § 18e Absatz 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes – AEG): Das Projekt Stuttgart 21 leidet „offensichtlich “ unter einem „besonders schwerwiegenden Fehler“, die Realisierung eines deutlichen Verkehrswachstums mittels einer Kapazität unter dem aktuellen Bedarf kann „aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen“, der als Ausbau deklarierte Rückbau verstößt „gegen die guten Sitten“, die Täuschung über die wahren Verhältnisse wurde „mit unrichtigen und unvollständigen Angaben erwirkt“ und die Behörde ist „auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen“, da „ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde“ und „schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten“ sind sowie „offensichtliche“ Mängel „auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind“. Der Kopfbahnhof hat, wie von dem Planungsbüro Vieregg-Rössler GmbH ermittelt und vom MVI und von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH (NVBW) bestätigt, eine Kapazität von rund 50 Zügen pro Stunde (vgl. „Kopfbahnhof könnte heute schon mehr Züge abwickeln als S21“, mvi.baden-wuerttemberg.de vom 22. November 2011). Stuttgart 21 reduziert also die Kapazität um rund ein Drittel. Im Unterschied dazu hatte die Bundes- Drucksache 18/1240 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode regierung in dem Antrag auf EU-Förderung des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm vom 12. Juli 2007 (vgl. http://www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/ EU-Subventionsantrag-S21.pdf) als „erwartetes Ergebnis“ der Förderung angegeben , dass der neue Bahnhof die doppelte Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs habe. In der Beschreibung des Bahnhofs wurde außerdem angegeben, alle acht Bahnsteigkanten wären aus allen Richtungen in alle Richtungen befahrbar. Tatsächlich sind jeweils nach dem Gleisplan jeweils nur maximal fünf Bahnsteigkanten von jedem Zulaufgleis erreichbar. Die Bewilligung der Europäischen Kommission enthält in ihren Anhängen die „Bedingungen“ der Förderung . Dort wurden die beiden Angaben als „Hauptziel“ bzw. „Beschreibung“ der Aktivität genannt (12. Dezember 2008, http://ec.europa.eu/transparency/ regdoc/rep/3/2008/DE/3-2008-8055-DE-F-0.Pdf). Das EBA hatte den unter anderem mit den obigen Argumenten im Detail begründeten Antrag auf Rücknahme der Planrechtfertigung des Projekts (goo.gl/ v7piM8) mit Schreiben vom 29. Oktober 2013 abgelehnt (goo.gl/vapDZ4). Zur Begründung wurde angeführt, in der laut Antrag aufgrund von „unrichtigen und unvollständigen“ Angaben erwirkten Planfeststellung hätte die fehlende Planrechtfertigung im Anhörungsverfahren geltend gemacht werden können. Tatsächlich war jedoch die systematische Verdeckung des Leistungsrückbaus erst jetzt, rund acht Jahre später aufgedeckt worden. Laut EBA ist „eine Fehlerhaftigkeit der den Planfeststellungsbeschlüssen zugrundeliegenden Gutachten zudem nicht erkennbar“ – eine Aussage, zu der keine weiteren Begründungen angeführt oder Belege geliefert wurden. Der VGH Baden-Württemberg hätte am 13. August 2012 (Az. 5 S 1200/12, siehe oben) zudem entschieden, die Kapazitätsberechnungen wären nicht zu beanstanden. Tatsächlich hatte der VGH zu diesen Kapazitätsberechnungen jedoch keine Bewertung vorgenommen . Leistungsfähigkeit für die Fußgänger Der Leistungsrückbau bei Stuttgart 21 betrifft auch die Reisendenströme im Bahnhofsgebäude, die sicher und komfortabel bewältigt werden müssten. Die DB AG hatte Personenstromanalysen als Grundlage der „Dimensionierung der Fußgängeranlagen“ erstellen lassen. Hierzu legte Dr. Christoph Engelhardt von der Faktencheck-Plattform www.wikireal.org am 27. Februar 2013 für die Fraktion SÖS und LINKE. im Stuttgarter Gemeinderat eine kritische Analyse vor (goo.gl/ BMZ8sG). Demnach verringert sich auch bei den bezeichnenderweise ausdrücklich nur auf die Reisenden aus 32 Zügen pro Stunde dimensionierten Fußgängeranlagen die Kapazität erheblich und es wird der Vorwurf erhoben, dass die Vertreter der DB AG am 24. Juli 2012 den Stuttgarter Gemeinderat und damit einen Finanzierungspartner des Projekts zu wesentlichen Eigenschaften des Projekts getäuscht hatten. Das S21-Kommunikationsbüro hatte die Vorwürfe als „haltlos“ bezeichnet und eine „detaillierte Prüfung“ der Studie angekündigt (vgl. „Zweifel an den Fluchtwegen“, stuttgarterzeitung .de vom 1. März 2013), die bis heute jedoch nicht veröffentlicht wurde. Die Aufsichtsräte der Bundesregierung und der Aufsichtsratsvorsitzende waren am 4. März 2013 über diese Umstände informiert worden (vgl. Dr. Christoph Engelhardt, Positionspapier, goo.gl/vRbwX1 und E-Mail-Anschreiben , goo.gl/QBJEHf), wie schon zuvor am 7. Dezember 2012 über den Leistungsrückbau bei den Zügen (vgl. Dr. Christoph Engelhardt, Positionspapier , goo.gl/YQz51E und E-Mail-Anschreiben, goo.gl/ YHhnwk). Ein neueres Gutachten der Firma PTV Planung Transport Verkehr AG für das MVI kommt zwar zum Schluss, die Ergebnisse der früheren Personenstromanalyse seien „auf der sicheren Seite“. Das neue Gutachten hatte jedoch ausdrücklich nicht die Eingangsparameter der Untersuchungen geprüft, die die Ergebnisse wesentlich geschönt hatten. Nach Korrektur dieser teils regelwidrigen Prämissen erfüllt Stuttgart 21 selbst bei der untersuchten, gegenüber den geplanten Betriebsprogrammen reduzierten Belastung nicht die Minimalanforderungen an den Bewegungskomfort (vgl. Analyse von 27. Februar 2013). Das Projekt ist somit auch ein Rückbau der Kapazität der Fußgänger- anlagen des Stuttgarter Hauptbahnhofs (www.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/ Personenzugänge). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1240 Leistungsfähigkeit für die Züge 1. Inwieweit kann die Planfeststellung noch als Beleg für eine ausreichende Kapazitätsbemessung gelten, wenn Stuttgart 21 laut eben dieser Planfeststellung auf rund 32 Züge pro Stunde limitiert ist, damals aber schon 38 Züge in der morgendlichen Spitzenstunde im Hauptbahnhof fuhren und der Bahnhofsneubau erhebliches Wachstum ermöglichen sollte? 2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das EBA bei der Genehmigung durch unrichtig und unvollständig gemachte Angaben getäuscht wurde (vgl. dazu die Einwendung und Dr. Christoph Engelhardt, „Warum der Rückbau übersehen werden konnte“, goo.gl/M2zXeN; bitte mit Begründung )? 3. Kann die Bundesregierung als Fach- und Rechtsaufsicht über das EBA und mit ihrer Verantwortung für die Schieneninfrastruktur ausschließen, dass infolge fehlerhafter Leistungsnachweise bzw. fehlerhafter Darstellungen in der Planfeststellung sowie aufgrund unzureichender Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 eine Rücknahme der S21-Planfeststellung durch das EBA nach den §§ 44, 48, 49, 75 VwVfG und § 18e Absatz 4 AEG oder auf anderem Wege geboten wäre? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die im Planfeststellungsbeschluss vom 19. August 2005 in Bezug genommene Prognose der Zugzahlen für das Großprojekt „Stuttgart 21“ wurde der Planrechtfertigung zugrunde gelegt und auch in der gerichtlichen Kontrolle durch den VGH Baden-Württemberg (Az.: 5 S 2257/05) so akzeptiert. Eine Täuschung des Eisenbahn-Bundesamtes durch die Vorhabenträgerin wurde in dem Gerichtsverfahren nicht festgestellt. Es besteht auf Grundlage der rechtskräftigen Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (Az.: 5 S 2257/05) keine Veranlassung , den Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf die Prognose der Zugzahlen nicht als Grundlage für das Vorhaben anzusehen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur beantragten Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zum Planfeststellungsabschnitt 1.1 wurde durch den VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 13. August 2012, Az.: 5 S 1200/12) festgestellt, dass eine Aufhebung auch aus anderen Gründen (§ 49 VwVfG) nicht geboten ist. 4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Behauptung, im Stresstest wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich eingehalten“ worden, durch die Eingeständnisse der DB AG und der SMA mittlerweile widerlegt ist (bitte mit Begründung)? Der Bundesregierung sind diesbezügliche Eingeständnisse nicht bekannt. Drucksache 18/1240 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 5. Trifft es zu, dass für Stuttgart 21 in der jeweils „für die Bemessung maßgeblichen “ Spitzenstunde entsprechend dem geplanten Wachstum eine Leistungsfähigkeit von rund 50 Zügen pro Stunde zu fordern wäre, entsprechend einem Wachstum des „Zugangebots“ von „ca. 50 Prozent“ gegenüber dem Jahr 2001 laut dem Finanzierungsvertrag (www.bahnprojekt-stuttgartulm .de/details/kosten-und-finanzierung/) von 2. April 2009, Anlage 3.2a Anhang 1, S. 6 (2001 fuhren laut Fahrplan in der Spitzenstunde ab 7.00 Uhr 33,5 Züge) und einem Wachstum von +30 Prozent gegenüber dem Jahr 2011 laut Erläuterungsbericht zum PFA 1.3 (www.rpbwl.de/stuttgart/s21/A-01- Erl%e4uterungsbericht/A%2001%20Teil%20I/A-1-Teil-I_110929_EB_ Teil_I_Stand_Stept_11.pdf), S. 30 (im Jahr 2011 fuhren 38,5 Züge in der Spitzenstunde ab 6.50 Uhr)? a) Wenn nicht 50 Züge pro Stunde, welche andere Leistungsfähigkeit in der „für die Bemessung maßgeblichen“ Spitzenstunde ist für Stuttgart 21 zu erzielen, und wo ist diese Anforderung beschrieben? b) Welches Gutachten, das nicht selbst einen Leistungsrückbau beschreibt oder von seinen Autoren später relativiert wurde, weist eine solche Leistungsfähigkeit nach? Der in der Frage zitierte Finanzierungsvertrag wurde zwischen dem Land Baden-Württemberg, der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Verband Region Stuttgart und der Flughafen Stuttgart GmbH mit der DB AG und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen geschlossen. Der Bund ist kein Vertragspartner und kann zu den Zielen dieses Vertrags keine Aussage treffen. Zur Finanzierungsentscheidung des Bundes wird auf die Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zum Thema „Stuttgart 21 – Richtlinienkonformität des Stresstests und fraglicher Rückbau von Bahn-Infrastruktur“ (Bundestagsdrucksache 17/8529) verwiesen. 6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem der Auslegung von Stuttgart 21 zugrunde gelegten Betriebsprogramm , das voraussetzt, dass nachts, wenn der Verkehr üblicherweise auf null zurückgeht, mehr Züge fahren müssten als mittags (32 Züge jeweils in den typisch vier Stunden der Hauptverkehrszeit und 19 Züge jeweils in den typisch 7,5 Stunden der Nebenverkehrszeit und 530 Züge am Tag laut dem Betriebsszenario nach dem Bundesverkehrswegeplan [BVWP] 2003 der Planfeststellung)? 7. Inwieweit kann die Bundesregierung darlegen, dass der Anspruch des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) „Ohne eine moderne und leistungsfähige Schieneninfrastruktur ist ein attraktiver, nachhaltiger und an den Kundenbedürfnissen ausgerichteter Schienenverkehr nicht zu leisten. Eine gut ausgebaute Schieneninfrastruktur ist Voraussetzung für Wachstum im Schienenverkehr. Ein Schwerpunkt der Verkehrspolitik ist deshalb, die Qualität der Verkehrswege zu sichern und dort, wo es nötig ist, durch Neu- und Ausbau Engpässe zu beseitigen.“ (www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/LA/weiterfuehrung-der-bahnreformzukunft -der-bahn.html) erfüllt ist durch den auf 32 Züge ausgelegten und limitierten Bahnhof, der nach Auffassung der Fragesteller einen Engpass auf der europäischen Magistrale Paris–Bratislava schaffen wird (vgl. Vorbemerkung der Fragesteller)? Die Fragen 6 und 7 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit dem Projekt Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen–Ulm die im Zuge der Bedarfsplanüberprüfung für das Zielnetz 2025 ermittelten Zugzahlen bewältigt werden können. Der Schlussbericht zur Bedarfsplanüberprüfung ist auf der Webseite des BMVI einzusehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1240 8. Wie bewertet die Bundesregierung als Fach- und Rechtsaufsicht des EBA dessen Begründung der Ablehnung der Rücknahme der Planfeststellung vom 29. Oktober 2013? a) Sieht die Bundesregierung hierin eine Täuschung, und ist diese im Nachhinein nicht mehr zu beanstanden (bitte mit Begründung)? b) Ist in einem Planfeststellungsgutachten kein Fehler „erkennbar“, das nach Auffassung der Fragesteller dem Bahnhofsumbau, der ein Verkehrswachstum ermöglichen soll, einerseits eine Kapazität unterhalb des aktuellen Bedarfs und weit unter dem geplanten Verkehrswachstum bescheinigt, andererseits dieser Planung aber gleichzeitig auch das Prädikat einer „optimalen Bemessung“ erteilt? c) Ist in einem Planfeststellungsgutachten kein Fehler „erkennbar“, wenn nach Auffassung der Fragesteller dort am Tag eine günstigere Betriebsqualität ermittelt wurde, indem ein Großteil des geplanten Verkehrs aus der Simulation herausgenommen und in die nicht betrachtete Nacht verlagert wurde? d) Aufgrund welcher Aussagen im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 13. August 2012 (Az. 5 S 1200/12, http://lrbw.juris.de/cgi-bin/ laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Art=en&az=5%20 S%201200/12&nr=16034) ist der VGH laut EBA der Auffassung, die „Kapazitätsberechnungen“ wären „nicht zu beanstanden“? Mit Bescheid vom 29. Oktober 2013 hat das Eisenbahn-Bundesamt, Außenstelle Stuttgart, einen Antrag auf Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 für die PFA 1.1, 1.5 und 1.6a des Großprojekts „Stuttgart 21“ abgelehnt. Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurde von den Antragstellern nicht erhoben. Der Antrag wurde damit begründet, dass auf Grundlage neuerer Erkenntnisse die Planrechtfertigung entfallen sei; das Projekt „Stuttgart 21“ begründe einen Rückbau der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs. Die vorgetragene Leistungskritik schaffe einen neuen Sachverhalt. Der Antrag wurde als unbegründet zurückgewiesen. Unter anderem wurde auf den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 13. August 2012 (Az. 5 S 1200/12) verwiesen. Dort hat der VGH Baden-Württemberg in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass die gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen für die Aufhebung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses nicht gegeben seien (siehe auch Antworten zu den Fragen 1 bis 3). Aussagen zu den Fragen 8b und 8c wurden in der Begründung des Bescheides vom 29. Oktober 2013 so nicht getroffen. Es wurde lediglich dargelegt, dass eine Fehlerhaftigkeit der den Planfeststellungsbeschlüssen zugrundeliegenden Gutachten nicht erkennbar sei. 9. Seit wann sind der Bundesregierung, ihren Vertretern im Aufsichtsrat der DB AG und dem EBA die folgenden, aus der Sicht der Fragesteller gegebenen Fakten bekannt und wie reagierte/reagierten sie jeweils auf a) Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerls Auslegung von S21 auf 32 Züge pro Stunde, b) Prof. Dr.-Ing. Wulff Schwanhäußers Limitierung von S21 auf 32,8 Züge pro Stunde, c) die Rücknahme der 51 Züge auf rund 42 Züge durch Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin, Drucksache 18/1240 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode d) die eingestandenen Richtlinienverstöße im Stresstest? Die Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerl und Prof. Dr.-Ing. Schwanhäußer wurden im Rahmen der o. g. Planfeststellungsverfahren der Planfeststellungsbehörde zur Kenntnis gebracht. An dem sogenannten Stresstest war die Bundesregierung nicht beteiligt und macht sich die Ergebnisse auch nicht zu Eigen. 10. In welchem Umfang sind aus Sicht der Bundesregierung „Bedingungen“ von Förderanträgen zu erfüllen? a) Können also auch als „Hauptziel“ erwartete Verbesserungen schon vor der Projektumsetzung als deutliche Verschlechterungen erkennbar sein wie das aus Sicht der Fragesteller vorliegende Minus an Leistungsfähigkeit durch Stuttgart 21 anstelle der zugesagten Verdopplung? b) Können Projektbeschreibungen vollkommen unzutreffend sein, wie im Fall der wahlfreien Erreichbarkeit der Bahnsteigkanten bei Stuttgart 21, die aus Sicht der Fragesteller gar nicht gegeben ist? c) Unter welchen Bedingungen ist dann Subventionsbetrug überhaupt möglich? Maßgeblich für ein mit TEN-Mitteln gefördertes Projekt ist die Entscheidung (Förderbewilligung). Die darin festgeschriebene Zielstellung, insbesondere die einzelnen Aktivitäten sind maßgeblich für die Abrechnung der im Rahmen der Entscheidung durchgeführten Leistungen gegenüber der EU. Auf dieser Basis erfolgt dann auch die Auszahlung der TEN-Mittel. Die EU prüft die Umsetzung der Projekte. Insoweit ist Subventionsbetrug ausgeschlossen. Leistungsfähigkeit für die Fußgänger 11. Ist die Bundesregierung oder sind ihre Vertreter im Aufsichtsrat über das Ergebnis der vom S21-Kommunikationsbüro angekündigten „detaillierten Prüfung“ der Analyse von Dr. Christoph Engelhardt vom 27. Februar 2013 informiert (um Veröffentlichung des Prüfberichts wird gebeten)? Was unternimmt die Bundesregierung oder unternehmen ihre Vertreter im Aufsichtsrat, um den in dieser Analyse benannten möglichen Verdacht der Täuschung eines Finanzierungspartners auszuräumen bzw. die Information der Finanzierungspartner richtigzustellen, oder wird der Verdacht hingenommen ? 12. Kann die Bundesregierung in ihrer Verantwortung für die Schieneninfrastruktur ausschließen, dass für den Tiefbahnhof allein schon durch die auf die Reisenden aus lediglich 32 Zügen pro Stunde dimensionierten Fußgängeranlagen ein Engpass für den Bahnverkehr auf der europäischen Magistrale Paris–Bratislava entsteht, und ist dabei gutachterlich berücksichtigt , dass die Gemeinschaftsflächen bei rund 50 Zügen pro Stunde sowie die Bahnsteige bei den geplanten Doppelbelegungen gegebenenfalls erheblich höher belastet wären und dass sich die Situation für die Fußgänger nach Einplanung der Fluchttreppenhäuser, neben denen nur minimale Durchgänge verbleiben, möglicherweise verschärft hat (bitte mit Begründung )? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1240 13. Besteht aus Sicht der Bundesregierung angesichts der hier dargestellten Fakten Handlungsbedarf bei EBA oder DB AG in dem Sinne, dass weitere Baumaßnahmen und Kosten vermieden werden sollten, solange die möglichen Zweifel an Kostenkalkulation und Planrechtfertigung nicht ausgeräumt sind (bitte mit Begründung)? Die Fragen 11 bis 13 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Projekt des Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, sondern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG (DB AG). Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind Vorhabenträger und Bauherr. Das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und die Flughafen Stuttgart GmbH beteiligen sich als Aufgabenträger an der Finanzierung. Der Bund übernimmt mit einem Festbetrag in Höhe von 563,8 Mio. Euro inklusive TEN-Mitteln für das Projekt Stuttgart 21 den Anteil, der für die Einbindung der Neubaustrecke (NBS) Wendlingen–Ulm in den Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung von Stuttgart 21 erforderlich gewesen wäre. Die NBS Wendlingen–Ulm ist Bestandteil des im Vordringlichen Bedarf eingeordneten Bedarfsplanvorhabens Ausbaustrecke/NBS Stuttgart–Ulm–Augsburg. Die Fußgängeranlagen sind nicht Bestandteil der Bundesverkehrswegeplanung. Deren Dimensionierung richtet sich nach vorgegebenen Richtlinien. Die Deutsche Bahn hat im März 2013 den fortgeschriebenen Entwurf eines neuen Brandschutz - und Sicherheitskonzeptes für den neuen Hauptbahnhof den zuständigen Fachbehörden übergeben. Derzeit erfolgt die weitere Detailabstimmung. Das abschließende Konzept wird dann dem Eisenbahn-Bundesamt zur weiteren Prüfung und Genehmigung übergeben. Inwiefern externe Analysen in diesen Prozess einfließen, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333