Deutscher Bundestag Drucksache 18/1242 18. Wahlperiode 25.04.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1089 – Aktuelle Entwicklungen in Tschernobyl und an den weiteren ukrainischen Atomstandorten Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 26. April 2014 jährt sich bereits zum 28. Mal die verheerende Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Damals versuchten tausende so genannte Liquidatoren mit einem Einschluss des havarierten Reaktors die radioaktive Verseuchung Europas zu stoppen. Die meisten von ihnen bezahlten diesen Einsatz in den folgenden Tagen und Jahren mit ihrem Leben. Hunderttausende verloren ihre Heimat und mussten evakuiert werden. Bis heute gibt es stark verseuchte Regionen in der Ukraine und vor allem in Belarus. Die damaligen Sicherungsbauten in Tschernobyl sind in die Jahre gekommen und brüchig geworden. Seit Jahren bemüht sich deshalb die internationale Gemeinschaft gemeinsam mit der Ukraine darum, die andauernden Risiken nuklearer Verseuchung mit neuen Sicherungsmaßnahmen einzudämmen. Tschernobyl wird auch für kommende Generationen eine große Herausforderung darstellen. Seine Sicherung wird erhebliche Finanzmittel in Anspruch nehmen und von dem weiterhin strahlenden Reaktor eine anhaltende Umweltgefährdung ausgehen. Tschernobyl ist damit ein mahnendes Beispiel für die mit der Atomenergie verbundenen Risiken und für die Bürde, die mit ihrer Nutzung kommenden Generationen auferlegt wird. Auch 28 Jahre nach der Katastrophe ist die Lage vor Ort nicht wirklich unter Kontrolle. Es kommt immer wieder zu Verzögerungen am Bau des neuen sicheren Einschlusses und des neuen Sarkophags. Im Februar 2012 kam es zu einem Teileinsturz am Maschinenhaus, weswegen die weiteren Arbeiten am Sarkophag zeitweilig unterbrochen werden mussten. Auch werden erst nach und nach vorgeschädigte Strukturen (z. B. Risse) an Gebäudeteilen entdeckt, die aufgrund der hohen Strahlung bisher nicht untersucht werden konnten. WeiterDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 17. April 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. hin wurden minderwertige Baumaterialien verwendet, die den Verlauf der Arbeiten behindern und vermutlich auch in der Zukunft für Probleme sorgen werden. Derzeit ist die Konzeptionierung zur Entnahme der kontaminierten Materialien und der brennstoffhaltigen Massen und deren späterer Endlagerung noch nicht vollständig entwickelt. Ein geeignetes Endlager steht nicht zur Ver- Drucksache 18/1242 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode fügung (vgl. „Bericht zu Neuschäden im KKW Tschernobyl“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 28. März 2013). Die Finanzierung der Arbeiten in Tschernobyl wird im Rahmen des Chernobyl Shelter Fund (CSF) auch über deutsche Steuergelder geregelt. 1. Welche Maßnahmen werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in Tschernobyl durchgeführt (bitte mit ausführlicher Darstellung)? Neben den Aktivitäten des Betreibers des stillgelegten KKW Tschernobyl werden mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft im Rahmen des Chernobyl Shelter Fonds (CSF) sowie des Nuclear Safety Accounts (NSA) weitere Arbeiten zur Überführung des Unfallstandortes in ein ökologisch sicheres Gebiet realisiert. Derzeit durchgeführte Maßnahmen hat die Bundesregierung ausführlich im Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) zur öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags am 19. März 2014 beschrieben. 2. Welche speziellen Stabilisierungsmaßnahmen müssen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit durchgeführt werden? Derzeit sind nach Kenntnis der Bundesregierung keine speziellen Stabilisierungsmaßnahmen erforderlich. 3. In welcher aktuellen Phase befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeiten in Tschernobyl (bitte mit ausführlicher Darstellung)? Zurzeit erfolgt der Aufbau der Westhälfte des neuen sicheren Einschlusses (New Safe Confinement). Die Osthälfte des neuen sicheren Einschlusses wurde bereits fertig gestellt. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 4. Wie sind die radiologischen Bedingungen am Sarkophag nach Kenntnis der Bundesregierung? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über Veränderungen der radiologischen Situation am Sarkophag vor. Nach Kenntnis der Bundesregierung werden permanent Messungen der Ortsdosisleistung am Sarkophag vorgenommen und ausgewertet. Es werden die erforderlichen Strahlenschutzmaßnahmen am Standort durchgeführt, um die radiologische Sicherheit der tätigen Personen zu gewährleisten. So wurde z. B. vor Errichtung des Technologiegebäudes am westlichen Ende des Sarkophags bzw. des künftigen neuen sicheren Einschlusses eine spezielle Wand zur Strahlenabschirmung errichtet. 5. Wie gehen nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeiten an der Errichtung des neuen sicheren Einschlusses voran? Über den Fortschritt der Arbeiten hat die Bundesregierung im Bericht des BMUB zur öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 19. März 2014 informiert. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1242 6. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung der neue sichere Einschluss – wie geplant – bis in das Jahr 2015 bzw. 2016 fertiggestellt werden? Wenn nein, wie wird sich die Bundesregierung dazu verhalten? Der Bundesregierung ist bekannt, dass es zu einer Verschiebung des aktuellen Zeitplans kommen wird. Ein neuer, belastbarer Termin für die Fertigstellung des neuen sicheren Einschlusses liegt noch nicht vor. Die Bundesregierung hat keinen Einfluss auf die Zeitplanung des Projekts. 7. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung das 600m2 Loch im Maschinenhaus , welches in Teilen am 12. Februar 2013 einstürzte (vgl. Bericht der Bundesregierung), wieder geschlossen? Wenn nein, wie verhält sich die Bundesregierung dazu? Ein Reparatursegment wurde fertiggestellt und steht zum Einsetzen in das Dach des Maschinenhauses bereit. Der Abschluss der Reparaturarbeiten ist für Mai 2014 geplant. 8. Wie weit ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Konzeptionierung zur Entnahme der kontaminierten Materialien vorangeschritten? Der Bundesregierung ist bekannt, dass das Ukrainische Akademie-Institut für Fragen der Sicherheit von Kernkraftwerken in Kiew entsprechende Untersuchungen zur Entnahme von kontaminierten Materialien durchführt, aber noch nicht abgeschlossen hat. 9. Welchen langfristigen Plan gibt es für die Entnahme der kontaminierten Materialen? Derzeit existieren nur konzeptionelle Ansätze. Ein langfristiger Plan liegt noch nicht vor. 10. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit dem Ventilationsrohr geschehen, das im Jahr 2011 – trotz einer geplanten Lebensdauer von 100 Jahren – bereits Korrosionsschäden aufwies und laut Expertenmeinung nicht länger als zwei bis drei Jahre halten sollte (vgl. Bericht der Bundesregierung)? Der neue Abluftkamin wies Mängel an den Schweißnähten auf, die beseitigt wurden. Dieser Abluftkamin ist selbst nicht Bestandteil des neuen sicheren Einschlusses , der eine Standzeit von 100 Jahren haben soll. Der neue sichere Einschluss wird über einen eigenen Abluftkamin verfügen. 11. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung vor Ort verhindert, dass minderwertige Arbeitsmaterialien verwendet werden? Der Bundesregierung liegen keine Informationen über die Verwendung minderwertiger Arbeitsmaterialien vor. Drucksache 18/1242 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 12. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über vorgeschädigte Strukturen (z. B. Risse) an den Gebäudeteilen, die erst jetzt, nachdem die Strahlung abgesunken ist, entdeckt werden konnten? Informationen zu neu entdeckten vorgeschädigten Gebäudestrukturen liegen der Bundesregierung nicht vor. Die radiologische Situation ist unverändert. 13. Wie sieht nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit die finanzielle Situation bezüglich notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen aus? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Die Ukraine hat diesbezüglich bisher keine Probleme mitgeteilt. 14. Wie geht die Bundesregierung damit um, dass wegen fehlender Finanzmittel notwendige Maßnahmen in Tschernobyl nicht durchgeführt werden konnten (vgl. Bericht der Bundesregierung)? Im Dialog zwischen der Ukraine und den internationalen Gebern zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit in Tschernobyl werden die notwendigen Maßnahmen besprochen. Dabei wurden immer wieder alle notwendigen Schritte einvernehmlich vereinbart, um den sicheren Einschluss zu gewährleisten. 15. Ist laut Einschätzung der Bundesregierung ein solcher Umgang mit Sicherheitsrisiken üblich? Auf Antwort zu Frage 14 wird verwiesen. 16. Welche Auswirkungen hat nach Kenntnis der Bundesregierung die momentane Krisensituation in der Ukraine auf die Arbeiten in Tschernobyl? Die Krisensituation in der Ost-Ukraine hatte bisher nach Kenntnis der Bundesregierung am Standort Tschernobyl keine wesentlichen Auswirkungen auf die technischen Arbeitsabläufe. Es kam aber in Kiew zu zeitweiliger Einschränkung der für das Projekt tätigen ausländischen Experten. 17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Sicherheitslage an den fünf ukrainischen Atomstandorten? Der Bundesregierung liegen aktuell keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefährdungslage der kerntechnischen Anlagen vor. 18. Wird die Bundesregierung der Ukraine bezüglich der Sicherung ihrer Atomstandorte Unterstützung anbieten? Wenn ja, welche (bitte mit Erläuterung)? Wenn nein, warum nicht (bitte mit Erläuterung)? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden die Sicherungsmaßnahmen an den ukrainischen kerntechnischen Anlagen erhöht. Sicherungsmaßnahmen von Nuklearmaterial liegen gemäß der Konvention für den physischen Schutz von Kernmaterial in der alleinigen Verantwortung des jeweiligen Staates. Bitten der Ukraine um Unterstützung zur Sicherung kerntechnischer Anlagen ergingen bis- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1242 lang keine an die Bundesregierung, die sich in internationalen Organisationen dazu unterstützend verhält. 19. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Sicherheitsstandards der elf Reaktoren des Tschernobyl-Typs (RMBK-1000), die heute noch im Einsatz sind? Die Russische Föderation berichtet auch im Rahmen der Überprüfungskonferenzen des Übereinkommens über nukleare Sicherheit (Convention on Nuclear Safety – CNS) über systematische Sicherheitsverbesserungen der RBMK-Anlagen . Die Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit mbH (GRS) verfolgt im Auftrag der Bundesregierung diese Maßnahmen anhand der öffentlich zugänglichen Informationen. Auch wenn die durchgeführten Maßnahmen zu einer Erhöhung der Anlagensicherheit geführt haben, genügen die RBMK-1000- Anlagen auf keinen Fall den hohen deutschen Sicherheitsstandards. 20. Werden vonseiten der Bundesregierung Gespräche mit der russischen Regierung bezüglich der verbliebenen Reaktoren des Typs RBMK-1000 und deren Sicherheitsrisiken geführt, und wenn ja, bitte erläutern, und wenn nein, bitte begründen, warum nicht? Die Bundesregierung nimmt soweit möglich auf Basis der russischen Verpflichtungen aus internationalen Konventionen und Verträgen Einfluss auf eine weitere Verbesserung der Sicherheit russischer Kernkraftwerke. Ein Beispiel hierfür sind die Überprüfungskonferenzen des Übereinkommens über nukleare Sicherheit (CNS). Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333