Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 12. Juli 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13101 18. Wahlperiode 13.07.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Kersten Steinke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/12954 – Wahlrecht im Justizvollzug V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Wahlbeteiligung der Insassen von Justizvollzugsanstalten (JVA) an Parlamentswahlen gilt generell als sehr gering (www.minilex.de/a/welche-grund rechte-haben-gefangene). Die Ursachen dafür liegen nach Ansicht der Fragesteller auch in den rechtlichen und tatsächlichen Einschränkungen begründet, denen Strafgefangene bei der Ausübung ihrer politischen Rechte unterworfen sind. Zwar unterliegt der Strafvollzug den Ländern, doch bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag handelt es sich um eine Bundesangelegenheit von hoher Bedeutung, so dass nach Überzeugung der Fragesteller die grundsätzliche Thematik des Wahlrechts im Justizvollzug ebenfalls von Bundesbedeutung ist. Es besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Einrichtung eines beweglichen Wahlvorstandes innerhalb einer JVA, doch in der Regel beschränkt sich die Möglichkeit der Gefangenen, ihr Wahlrecht auszuüben, auf die Briefwahl (Bundestagsdrucksache 18/386). Wie die Fragesteller von Strafgefangenen erfahren haben, ist schon die Notwendigkeit, das Anforderungsschreiben für die Briefwahlunterlagen mit Briefporto zu versehen für solche Gefangenen, die über nur sehr geringe finanzielle Mittel verfügen, eine Hürde. Während Parteien laut Grundgesetz die Funktion zukommt, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, ist dieser gerade im Wahlkampf wichtige Auftrag im Strafvollzug erheblich eingeschränkt. So verlieren Personen, die aufgrund eines Verbrechens zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt wurden, nach § 45 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) für fünf Jahre ihr passives Wahlrecht sowie nach § 10 Absatz 1 Satz 4 das Recht, einer Partei anzugehören oder beizutreten . Letztere Regelung ist ein Relikt eines Ehrenstrafrechts, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte noch kannte. Der dahinterstehende Gedanke lautete, dass sich durch eine kriminelle Tat zugleich die politische Unwürdigkeit eines Täters zeige und er damit nicht ehrbar genug etwa zur Ausübung politischer Ämter oder der Mitgliedschaft in einer Partei sei (www.sueddeutsche.de/ politik/deutsches-strafrecht-wahlbuerger-hinter-gittern-1.1442183). § 45 Absatz 5 StGB sieht zudem die Möglichkeit vor, dass per Richterspruch bei bestimmten politischen Straftaten das aktive Wahlrecht für eine Dauer von zwei bis fünf Jahren aberkannt wird. Die Spannbreite der Straftaten, bei denen Drucksache 18/13101 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode eine solche Sanktionierung möglich ist, reicht von „Verunglimpfung des Bundespräsidenten “ über Hoch- und Landesverrat bis zur „Vorbereitung eines Angriffskrieges “. Dass diese Maßnahme jährlich nur noch in einem unteren einstelligen Bereich zum Tragen kommt, belegt nach Meinung von kritischen Juristen die Überflüssigkeit dieser Vorschriften (www.sueddeutsche.de/politik/ deutsches-strafrecht-wahlbuerger-hinter-gittern-1.1442183). V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung hat zu den in der Kleinen Anfrage gestellten Fragen bereits in ihren Antworten auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. vom 8. April 2009 auf Bundestagsdrucksache 16/12622, vom 15. Juni 2011 auf Bundestagsdrucksache 17/6203 und vom 29. Januar 2014 auf Bundestagsdrucksache 18/386 umfassend Stellung genommen; auf diese Antworten wird Bezug genommen . 1. Welche Statistiken oder Schätzungen über die Höhe der Wahlbeteiligung der Insassen von Justizvollzugsanstalten an Bundestagswahlen – und nach Kenntnis der Bundesregierung Kommunal- und Landtagswahlen – liegen der Bundesregierung vor? Statistiken über die Höhe der Wahlbeteiligung von Insassen von Justizvollzugsanstalten an Bundestagswahlen liegen der Bundesregierung nicht vor. Schätzungen sind nicht bekannt. 2. Was kann die Bundesregierung generell über die Wahlbeteiligung von Untersuchungs - und Strafgefangenen sagen? Welche Gründe für eine gegebenenfalls niedrige Wahlbeteiligung sind ihr bekannt? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Inwieweit hält die Bundesregierung die Wahlbeteiligung von Strafgefangenen im Sinne der Resozialisierung für wünschenswert? Die Bundesregierung begrüßt generell die Wahrnehmung des Wahlrechts durch die Wahlberechtigten. Inwieweit die Wahlbeteiligung von Strafgefangenen zur Resozialisierung beitragen kann und aus diesem Grunde wünschenswert wäre, unterliegt primär der Beurteilung durch die für den Strafvollzug zuständigen Länder . 4. Welche generellen Möglichkeiten haben Parteien nach Kenntnis der Bundesregierung , um auch innerhalb von Justizvollzugsanstalten gegenüber Untersuchungs - und Strafgefangenen sowie Sicherungsverwahrten ihrem grundgesetzlichen Auftrag der Mitwirkung an der politischen Willensbildung nachzukommen sowie Wahlkampf zu betreiben? a) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen haben Untersuchungs- und Strafgefangene sowie Sicherungsverwahrte das Recht, sich Informations- und Werbematerialien von politischen Parteien ins Gefängnis schicken zu lassen? b) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen können politische Parteien Informations- und Werbematerialien zur Verteilung durch die JVA-Bediensteten an Untersuchungs- und Strafgefangenen sowie Sicherungsverwahrte schicken? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13101 c) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen besteht für politische Parteien die Möglichkeit, Informations- und Wahlkampfveranstaltungen für Untersuchungs- und Strafgefangenen sowie Sicherungsverwahrte innerhalb von JVAs durchzuführen? d) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen bestehen die in den Fragen 4a bis 4c erfragten Rechte auch für ausländische politische Parteien gegenüber inhaftierten ausländischen Staatsbürgern, etwa im Hinblick auf die Möglichkeit der Teilnahme an Referenden oder Parlamentswahlen im jeweiligen Herkunftsland des Gefangenen? Die Fragen 4 bis 4d werden gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen wegen der Zuständigkeit der Länder für den Vollzug der Untersuchungshaft, der Strafhaft und der Sicherungsverwahrung keine Erkenntnisse hierzu vor. Auf die Antwort der Bundesregierung vom 15. Juni 2011 zu Frage 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6203, S. 5 f. wird verwiesen. 5. Inwieweit und unter welchen Umständen befürwortet die Bundesregierung grundsätzlich die Einrichtung mobiler Wahlvorstände und Urnen in JVAs, um die Wahlbeteiligung von Strafgefangenen zu erleichtern? Zur Einrichtung mobiler Wahlvorstände in Justizvollzugsanstalten hat der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags (Bundestagsdrucksache 17/6300, Anlage 3, Seite 19 ff.) festgestellt, dass die Wahlvorschriften keine generelle Verpflichtung der Wahlbehörden zur Einrichtung einer Gelegenheit zur Urnenwahl in Justizvollzugsanstalten vorsehen, sondern den Gemeindebehörden ein großer Entscheidungsspielraum eingeräumt wird. Bei dieser Entscheidung könne berücksichtigt werden, dass stets die Möglichkeit der Briefwahl bestehe, so dass Strafgefangene für eine Stimmabgabe auf die Bildung eines beweglichen Wahlvorstandes nicht angewiesen seien. Zudem könnten personelle und organisatorische Gegebenheiten, insbesondere auch Sicherheitserwägungen, eine Rolle spielen . Das Bundesverfassungsgericht hat die daraufhin eingelegte Wahlprüfungsbeschwerde verworfen. Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Deutschen Bundestages. Zudem ist wie in der Antwort der Bundesregierung vom 29. Januar 2014 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/386, S. 7 zu Frage 16 darauf hinzuweisen, dass zahlreiche Strafgefangene nicht am Ort der Justizvollzugsanstalt, sondern an ihrer vorherigen Wohnortanschrift in das Wählerverzeichnis eingetragen sind und darum nur in dem Wahlkreis , wo sie gemeldet sind, und nicht bei einem beweglichen Wahlvorstand im Wahlkreis der Justizvollzugsanstalt wählen können. 6. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das zur Anforderung von Wahlunterlagen notwendige Briefporto für Gefangene mit äußerst begrenzten finanziellen Mitteln eine Hürde zur Teilnahme an Wahlen darstellen kann, und welche Alternativen gibt es? Die Briefwahl kann nach § 27 Absatz 1 der Bundeswahlordnung (BWO) schriftlich oder mündlich bei der Gemeindebehörde beantragt werden. Die Schriftform wird auch durch Telefax, E-Mail oder durch sonstige dokumentierbare elektronische Übermittlung gewahrt. Soweit Strafgefangene im Rahmen von Vollzugslockerungen das Wahlamt aufsuchen oder mithilfe eines Faxgeräts oder per E-Mail einen Wahlscheinantrag stellen können, fallen Portokosten nicht an. Wahlscheinanträge werden teilweise auch per Dienstpost befördert, so dass Drucksache 18/13101 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Kosten nicht entstehen. Die Briefwahl kann nach § 27 Absatz 3 BWO bei Vorlage einer schriftlichen Vollmacht – zum Beispiel mithilfe des auf der Rückseite der Wahlbenachrichtigung nach Anlage 4 zu § 19 Absatz 2 BWO abgedruckten Antrags – auch durch einen Dritten für einen wahlberechtigten Strafgefangenen beantragt werden. Die Briefwahlunterlagen werden dem Wahlberechtigten daraufhin – für den Empfänger kostenlos – von der Gemeinde übersandt. Die nach § 66 BWO ausgefüllten Briefwahlunterlagen werden bei der Rücksendung unentgeltlich befördert, wenn sie sich in amtlichen Wahlbriefumschlägen befinden (§ 36 Absatz 4 BWahlG). 7. Inwieweit hält die Bundesregierung §10 Absatz 1 Satz 4 des Parteiengesetzes (PartG) noch für zeitgemäß angesichts der Tatsache, dass das Ehrenstrafrecht mit der großen Strafrechtsreform der 1950er- und 1960er-Jahre als resozialisierungsfeindlich eingestuft wurde? a) Wie begründet die Bundesregierung die aufgrund dieses Gesetzes bestehende Notwendigkeit, Personen bei einer Freiheitstrafe von mehr als einem Jahr das Recht auf Mitgliedschaft in einer Partei zu entziehen? b) Hält die Bundesregierung an ihrer auf Bundestagsdrucksache 17/6203 in der Antwort zu Frage 2 geäußerten Ansicht fest, wonach der Einfluss von erheblich straffällig gewordenen Personen auf die politische Willensbildung innerhalb einer Partei und durch eine Partei beschränkt werden müsse? Wenn ja, wie begründet sie ihre Ansicht? c) Hält die Bundesregierung an ihrer in der Antwort zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 17/6203 geäußerten Ansicht fest, wonach §10 Absatz 1 Satz 4 PartG lediglich eine „gewisse Beschränkung“ des Einflusses einer Person auf die politische Willensbildung darstelle? Wenn ja, welche sonstigen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die politische Willensbildung hat eine erheblich straffällige Person nach Kenntnis der Bundesregierung außer der Mitwirkung in einer Partei? d) Wie verträgt sich §10 Absatz 1 Satz 4 PartG mit dem in Artikel 9 des Grundgesetzes garantierten Recht auf Vereinigungsfreiheit? e) Wie ist §10 Absatz 1 Satz 4 PartG nach Ansicht der Bundesregierung praktisch umzusetzen, und welche Probleme bei der Umsetzung – etwa durch fehlende Kenntnis einer Partei über die Verurteilung ihres Mitgliedes – ergeben sich nach Kenntnis der Bundesregierung? Die Fragen 7 bis 7e werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung hat zu der Frage bereits in ihren Antworten zu den Fragen 1 und 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6203 ausführlich Stellung genommen. Im Übrigen teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass im Bereich der Parteienfreiheit Artikel 21 des Grundgesetzes (GG) als die speziellere Verfassungsbestimmung zu sehen ist und nicht Artikel 9 GG (BVerfGE 12, 296 [304], 25, 69 [78]). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13101 8. In wie vielen Fällen und bei welchen Delikten, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Jahren, kam § 45 Absatz 5 StGB seit dem Jahr 1990 zur Anwendung? Angaben zur Anwendung allein des § 45 Absatz 5 des Strafgesetzbuches (StGB) liegen der Bundesregierung nicht vor. In der insoweit einschlägigen Statistik zur Strafverfolgung, die vom Statistischen Bundesamt herausgegeben wird (Fachserie 10 Reihe 3), werden die gesuchten Daten nicht gesondert erfasst. Dort wird lediglich die Aberkennung von Bürgerrechten nach § 45 StGB insgesamt ausgewiesen . Während in den Jahren von 1990 bis 1996 diese Zahl zwischen 8 und 15 schwankte, wird die Aberkennung von Bürgerrechten seit 1997 nur noch in Einzelfällen (0 bis 2) ausgesprochen. 9. Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts der laut Bundestagsdrucksachen 18/386 und 16/12622 sich in einem niedrigen einstelligen Bereich bewegenden Aberkennungen des aktiven Wahlrechts nach § 45 Absatz 5 StGB diesen Paragraphen noch für sinnvoll und zeitgemäß? Die relativ geringe Anzahl der zeitweisen Aberkennungen des aktiven Wahlrechts ist aus Sicht der Bundesregierung allein nicht notwendig ein Grund für die Abschaffung dieser Nebenfolge, sondern kann auch als Beleg für den verantwortungsvollen Umgang der Rechtspraxis mit dieser Sanktionsmöglichkeit gewertet werden. Die Bundesregierung prüft, ob diese strafrechtliche Nebenfolge kriminalpolitisch sinnvoll und gerechtfertigt ist. 10. Inwieweit besteht durch Bundes- oder, nach Kenntnis der Bundesregierung, Landesgesetze ein Überwachungsverbot von Wahlpost eines Gefangenen (Wahlbenachrichtigungen, Wahlscheinantrag, Wahlschein, Stimmzettel)? Welchen gesetzgeberischen Bedarf sieht die Bundesregierung hier gegebenenfalls ? Soweit mit den „Gefangenen“ auch Untersuchungshäftlinge gemeint sein sollen, sind in § 119 der Strafprozessordnung (StPO) haftgrundbezogene Beschränkungen näher geregelt, die auch die Überwachung des Schriftverkehrs betreffen können . Diese Beschränkungen sind grundsätzlich vom Gericht anzuordnen. Ein ausdrückliches Überwachungsverbot für Wahlpost enthält § 119 Absatz 4 Satz 2 StPO nicht, allerdings unterliegt auch die Durchführung der Überwachung nach § 119 Absatz 1 StPO dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Im Übrigen gehört die Überwachung der Post von Gefangenen zum Justizvollzug, der in die Zuständigkeit der Länder fällt. Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse dazu, inwieweit durch Landesgesetze ein Überwachungsverbot von Wahlpost eines Gefangenen besteht. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333