Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 12. Juli 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13125 18. Wahlperiode 14.07.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/13042 – Neue Befunde in den belgischen Atomkraftwerken Tihange 2 und Doel 3 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Atomkraftwerk Tihange ist nicht einmal 60 km und das Atomkraftwerk Doel nur rund 115 km von der deutsch-belgischen Grenze entfernt. Für das Rheinland und insbesondere für die grenznahe StädteRegion Aachen besteht deswegen ein starkes öffentliches Interesse an den Atommeilern. Im Sommer 2012 wurden in Doel 3 und Tihange 2 mehrere tausend Ultraschallanzeigen im Grundmaterial der geschmiedeten Reaktordruckbehälter (RDB) festgestellt. Der RDB ist das Herzstück des Reaktors. In dem Behälter befinden sich die Brennelemente , dort entsteht die nukleare Kettenreaktion. Er ist eine von mehreren Barrieren, die das Austreten radioaktiver Stoffe verhindern sollen. Beide Atommeiler sind weiterhin in Betrieb. Noch im Mai dieses Jahres gab die FANC nach weiteren Untersuchungen in den Jahren 2016/2017 bekannt, es gebe keine Veränderung zu den vorherigen Untersuchungsergebnissen (vgl. FANC 2017: „Pas d'évolution des flocons d'hydrogène à Tihange 2“. Online unter URL: www. fanc.fgov.be/fr/news/pas-d-evolution-des-flocons-d-hydrogenea-tihange-2/878. aspx). Erst auf eine parlamentarische Anfrage der belgischen Grünen wurde öffentlich, dass es in Doel 3 309 bzw. in Tihange 2 70 weitere Anzeigen gibt. Der Betreiber besteht darauf, dass es sich bei den Befunden um Variationen handele, die man aufgrund veränderter Prüfbedingungen entdeckt habe (vgl. FANC 2017: „Doel 3 & Tihange 2: flaw indications in the reactor pressure vessel steel“. Online unter: www.fanc.fgov.be/fr/page/doel-3-tihange-2-flawindications -in-the-reactor-pressure-vessel-steel/1989.aspx). 1. Was versteht die Bundesregierung im Zusammenhang mit den neuen Befunden unter „Variationen“? Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Fragesteller nach der Verwendung des Begriffs „variation“ in der englischen Unterlage auf der Internetseite www. fanc.fgov.be/fr/page/doel-3-tihange-2-flaw-indications-in-the-reactor-pressurevessel -steel/1989.aspx der zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde Federaal Agentschap voor Nucleaire Controle (FANC) fragen. Der Bundesregierung liegt keine Definition der FANC zum Begriff „variation“ vor. FANC stellte in der Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13125 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Unterlage fest, dass im Rahmen der Messgenauigkeit keine Hinweise auf Veränderungen weder in der Anzahl noch in der Größe der Befunde festgestellt worden seien. Im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen aus dem Jahr 2014 sei eine Abweichung in den Messergebnissen festzustellen, die Auswirkung auf die Anzahl der bewertungspflichtigen Anzeigen hat. Demnach haben aus dem Jahr 2014 nicht bewertungspflichtige Anzeigen die festgelegten Bewertungskriterien für Wasserstoffflocken im Jahr 2017 erfüllt und seien somit nun bewertungspflichtig geworden. Diese lassen sich aus Sicht der FANC mit den erwarteten verfahrensbedingten Messabweichungen erklären und sie seien daher nicht als neu entstandene Befunde zu betrachten. 2. Inwiefern und warum wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bei der erneuten Untersuchung die Prüfbedingungen verändert? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden die Untersuchungen unter möglichst unveränderten Prüfbedingungen durchgeführt. Jedoch lassen sich die Prüfbedingungen bei Wiederholungsprüfungen nicht exakt reproduzieren. Das betrifft eine Reihe von Parametern, u. a. die exakte Positionierung der Prüfköpfe. Daraus ergeben sich geringe Abweichungen bei der Bestimmung der Lage, Form und Größe der Anzeigen. 3. Wie kann nach Ansicht der Bundesregierung bei den offenbar bestehenden Unsicherheiten bei der Bestimmung der Anzeigen im RDB von Tihange 2 und Doel 3 ein Zuwachs oder Wachstum definitiv ausgeschlossen werden (bitte erläutern)? Die Ergebnisse von wiederholten Ultraschalluntersuchungen werden statistisch ausgewertet. Statistische Auffälligkeiten bei der Größenbestimmung einer Population von Anzeigen können ein Hinweis auf eine Größenveränderung sein. Laut FANC liegen im Rahmen der Messgenauigkeit keine Hinweise auf Veränderungen vor. 4. Würde die Bundesregierung der Aussage zustimmen, dass man unter diesen Bedingungen keine identischen Beobachtungsmöglichkeiten herstellen kann und somit die Ergebnisse einzelner Anzeigen nicht miteinander vergleichbar sind (wenn nein, bitte erläutern)? Die Prüfbedingungen bei Wiederholungsprüfungen lassen sich nicht exakt reproduzieren . Das betrifft eine Reihe von Parametern, unter anderem die exakte Positionierung der Prüfköpfe. Es ergeben sich geringe Abweichungen bei der Bestimmung der Lage, Form und Größe der Anzeigen. Insofern lässt sich keine identische Beobachtungsmöglichkeit herstellen. Bei Ultraschalluntersuchungen ist es Stand von Wissenschaft und Technik, die Ergebnisse aufeinanderfolgender Wiederholungsprüfungen zu vergleichen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Es wird darüber hinaus auf die Antwort zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. 5. Worauf fußt die Einschätzung der Bundesregierung in der 122. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 21. Juni 2017, dass die gestiegene Anzahl von gemessenen Anzeigen auf höherer Messgenauigkeit beruht und nicht etwa auf einem Wachstum vorher nicht messbarer Anzeigen? Die neu hinzugekommenen bewertungspflichtigen Anzeigen sind solche, die im Jahr 2014 nicht bewertungspflichtig waren und bei der Messung im Jahr 2016 in Doel 3 bzw. im Jahr 2017 in Tihange 2 die festgelegten Bewertungskriterien für Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13125 Wasserstoffflocken erfüllt haben und somit nun bewertungspflichtig geworden sind. FANC berichtet auf ihrer Internetseite auch über Anzeigen, die im Jahr 2014 bewertungspflichtig waren und bei der Wiederholungsprüfung im Jahr 2017 nun die festgelegten Bewertungskriterien für Wasserstoffflocken nicht mehr erfüllt haben. Diese festgestellten Abweichungen seien auf die bei Wiederholungsprüfungen nicht exakt reproduzierbaren Prüfbedingungen zurückzuführen. Es wird weiterhin auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 6. Kann man nach Einschätzung der Bundesregierung unter den Prüfbedingungen ein Wachstum in einer bestimmten Größenordnung überhaupt ausschließen ? Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, dass die belgische Atomaufsicht nicht mehr nachvollziehen kann, warum die vielen tausend Anzeigen nicht bei der Betriebsgenehmigung dokumentiert worden sind? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/12295 verwiesen. 8. Fehlen nach Kenntnis der Bundesregierung die Dokumente oder ist unvollständig dokumentiert worden? Wenn nein, welchen Grund gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für die fehlende Dokumentation der Wasserstoffflocken vor der Inbetriebnahme der Reaktoren? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 9. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Dokumente unvollständig sind, aber deren Erkenntnisse (keine Anzeigen bei der Genehmigung ) als heutige Argumentationsgrundlage für den Weiterbetrieb der Reaktoren genutzt wird (bitte erläutern)? Nach Kenntnis der Bundesregierung beruht die Genehmigung zum Wiederanfahren im Hinblick auf den Zustand der Reaktordruckbehälter auf den zum Zeitpunkt dieser Genehmigung vorliegenden Unterlagen und Nachweisen. 10. Wie kann nach Meinung der Bundesregierung auf Basis der fehlenden Dokumentation tatsächlich ausgeschlossen werden, dass die Defekte bereits bei der Herstellung entstanden sind und ein Wachstum während des Betriebs ausgeschlossen ist? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 21 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/7220 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13125 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 11. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussagen des ehemaligen Abteilungsleiters für Reaktorsicherheit im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz , Bau und Reaktorsicherheit Prof. Wolfgang Renneberg, dass es einen massiven Verdacht gebe, dass die Dokumentationen über die Risse vom Betreiber bzw. Hersteller unterdrückt worden sind und alleine die fehlende Dokumentation zur vorläufigen Einstellung des Betriebes der Anlage führen müsste, denn einerseits sei die Dokumentation bei der Herstellung für die aktuelle Sicherheitsbeurteilung zwingend notwendig, andererseits stehe die Zuverlässigkeit von Hersteller und Betreiber seit der Genehmigung der Anlage damit in Frage (Renneberg 2017: „Zur Entscheidung des Bundesumweltministeriums über die Genehmigung der Ausfuhr von Brennelementen nach Belgien“. Online unter: www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/ Renneberg_Stgn_Verbot_der_Ausfuhr_BR.pdf)? Die sicherheitstechnische Bewertung der belgischen Atomkraftwerke liegt in der Verantwortung der dafür zuständigen belgischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde FANC. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen oder Vermutungen. Es wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. 12. Kann die Bundesregierung sicher bestätigen, dass die Anzeigen trotz fehlender Dokumentation bei der Betriebsgenehmigung berücksichtigt worden sind? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 13. Wäre nach Kenntnis der Bundesregierung ein AKW mit einem Materialzustand wie in Tihange 2 oder Doel 3 in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen? Gemäß dem belgischen Gutachter Bel V (siehe www.fanc.fgov.be/GED/000000 00/4000/4028.pdf) stellen Anzeigen, wie sie in Doel 3 und Tihange 2 heute vorliegen , eine Abweichung von der Anforderung dar, Materialien mit höchster Qualität einzusetzen und schwächen somit die erste Ebene des gestaffelten Sicherheitskonzepts („Defense in Depths Concept“) (vgl. Antwort zu Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 18/12295). Aus Sicht der Bundesregierung sind Schmiederinge , bei denen solche Anzeigen bei der Fertigung festgestellt werden, bereits bei der Fertigung zu verwerfen. 14. Ist der Bundesregierung bekannt, ob der gesamte RDB mit den Ultraschall- Prüfknöpfen erreichbar ist? Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es Prüfeinschränkungen. Bereiche mit Prüfeinschränkungen liegen hinter den auf der Innenseite des RDB aufgeschweißten Kernführungspratzen. 15. Welche weiteren Untersuchungen bzw. Überprüfungen werden nach Kenntnis der Bundesregierung noch in Tihange 2 und Doel 3 in welchem Zeitraum durchgeführt? Nach Kenntnis der Bundesregierung fordert die belgische atomrechtliche Aufsichtsbehörde , dass die kernnahen Schmiederinge alle drei Jahre wiederkehrend einer Ultraschallprüfung unterzogen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13125 16. Wie lautet der genaue Prüfauftrag, den die Bundesregierung an die Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart vergeben hat? Das Bundesumweltministerium hat die Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart (MPA) beauftragt, die Berichte und die ausgewählte Vorgehensweise auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit auszuwerten. Im Verlauf der Auswertung wird ggf. eine Konkretisierung des Auftrags erfolgen. 17. Bis wann rechnet die Bundesregierung mit einem Untersuchungsergebnis? Die Bundesregierung rechnet Anfang August mit einem ersten Ergebnis. 18. Wird sich die Bundesregierung gegenüber Belgien dafür einsetzen, dass die Ultraschalluntersuchungen häufiger als alle drei Jahre durchgeführt werden (wenn nein, bitte erläutern)? Die Verantwortung zur Entscheidung der ausgewählten Vorgehensweise der wiederkehrenden Ultraschallprüfungen trägt die zuständige belgische atomrechtliche Aufsichtsbehörde FANC. 19. Welche konkreten Rahmenbedingungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung für die künftige Zusammenarbeit und gemeinsame Kommunikation beim ersten Treffen der Deutsch-Belgischen-Nuklearkommission (DBK) vom 7. und 8. Juni 2017 festgelegt? Die Formulierung in der Pressemitteilung zu dem Treffen „Rahmenbedingung für die künftige formalisierte Zusammenarbeit“ bezieht sich auf die Verabschiedung der Geschäftsordnung. Die Formulierung „Verfahren für die gemeinsame Kommunikation “ bezieht sich auf eine Vereinbarung zwischen FANC, den zuständigen Ministerien der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie dem Bundesumweltministerium über Informationswege und Ansprechpartner. 20. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Arbeitsgruppen festgelegt , und wenn ja, welche? Bei dem ersten Treffen der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission (DBNK) wurde keine Arbeitsgruppe eingerichtet. 21. Für wann ist das nächste Treffen der DBK oder ggf. einer Arbeitsgruppe geplant? Das zweite Treffen der DBNK ist für den Juni im Jahr 2018 geplant. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333