Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 10. August 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13319 18. Wahlperiode 15.08.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/13196 – Aufenthalts-, asyl- und auslieferungsrechtliche Auswirkungen der Antiterrormaßnahmen der tschetschenischen Regierung – Umgang des Bundesministeriums des Innern mit Berichtsbitten der Oppositionsfraktionen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 13. April 2017 hat der Innenausschuss das Bundesministerium des Innern (BMI) um einen Bericht zu den aufenthalts-, asyl- und auslieferungsrechtlichen Auswirkungen der Antiterrormaßnahmen der tschetschenischen Regierung gebeten . Eine Nachfrage zu der Berichtsbitte ist am 28. Juni 2017 an das BMI weitergeleitet worden. Das BMI hat bislang keinen Bericht vorgelegt und auf die Berichtsbitte auch nicht anderweitig reagiert. Die Fragesteller halten diesen Umgang mit Berichtsanforderungen für inakzeptabel. Sie beobachten zudem die menschenrechtliche Lage in Tschetschenien mit großer Sorge. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über islamistische terroristische Organisationen im Nordkaukasus? Als bedeutendste Organisation galt bisher das sogenannte „Kaukasische Emirat“ (KE), das im Oktober 2007 proklamiert wurde und vorrangig im russischen Nordkaukasus aktiv ist bzw. war. Ihr langfristiges Ziel ist die Gründung eines islamischen Zentralstaates. Das KE bekannte sich u. a. zu den Anschlägen auf die Moskauer Metro 2010 sowie zu dem Sprengstoffanschlag auf den Flughafen Domodedovo Anfang 2011 in Moskau. Die Organisation steht seit vielen Jahren unter hohem Verfolgungsdruck der russischen Sicherheitsbehörden. Das KE verliert seit 2012 kontinuierlich an Bedeutung: Viele seiner Kämpfer wanderten nach Syrien ab, zudem erlitt es im Nordkaukasus schwere Verluste auf Führungsebene. Im Jahr 2011 wurde die Organisation in die al-Qaida Sanktionsliste der Vereinten Nationen aufgenommen (Resolutionen 1267 (1999) und 1989 (2011)). In Deutschland ist das KE als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft, belegbare Aktivitäten des KE in Deutschland sind nicht bekannt. Ab dem 23. Juni 2015 sollen Angehörige des KE dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13319 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Treue geschworen haben, woraufhin die IS-loyale Gruppe „Vilayat Kavkaz“ gebildet wurde. So leistete im Juni 2015 Aslan Byutukayev, einer der ehemals einflussreichsten Kommandeure des KE, mittels einer Audiobotschaft seinen Treueeid gegenüber dem sog. IS. In der Folge wurde Ende Juni 2015 die „IS- Provinz Kaukasus“ mit Rustam Aselderov als Emir an der Spitze ausgerufen. Diese Provinz umfasst die Regionen Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien und Karbadino-Balkarien. Unter der Flagge des IS sollen bis zu 7 000 Jihadisten aus Russland und anderen GUS-Staaten kämpfen. Allein aus Dagestan sollen 1 200 dieser Kämpfer stammen. Dies ließ die größte nordkaukasische Republik im Dezember 2016 offiziell verlauten. Seit dem Tod von Aselderov Anfang Dezember 2016 hat die „Provinz Kaukasus“ des sogenannten IS keinen Emir mehr. Daneben existieren weitere kleinere teilweise unabhängig agierende Zellen, die zahlenmäßig weniger bedeutend sind. Von Aktivitäten islamistischer terroristischer Organisationen besonders betroffen sind die Teilrepubliken Inguschetien und Dagestan. 2. Welche aufenthalts-, asyl- und auslieferungsrechtlichen Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Antiterrormaßnahmen der tschetschenischen Regierung? Aufenthalts-, asyl- und auslieferungsrechtliche Änderungen des geltenden Rechts im Sinne der Fragestellung sind nach Auffassung der Bundesregierung nicht veranlasst . Über Asylanträge ist stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Bei Asylanträgen russischer Staatsangehöriger, die vorbringen, von Maßnahmen der Regionalregierung der autonomen Republik Tschetschenien betroffen zu sein, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) daher einzelfallbezogen am Maßstab des geltenden Asylrechts, ob Schutz (Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Gewährung subsidiären Schutzes oder Feststellung eines Abschiebungsverbots) zu gewähren ist. Bei der Entscheidung über Auslieferungsersuchen sind bereits nach geltendem Recht die Fragen einer möglichen politischen Verfolgung und der menschenrechtskonformen Behandlung nach einer Auslieferung zu untersuchen. 3. In wie vielen Fällen hat die Russische Föderation die Bundesrepublik Deutschland um Auslieferung russischer Staatsangehöriger wegen des Tatvorwurfs der Unterstützung von islamistischer terroristischer Organisationen ersucht (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? In wie vielen Fällen wurden die Betroffenen ausgeliefert, und in wie vielen Fällen wurde die Auslieferung verweigert? Auf welcher Grundlage wurden die Tatvorwürfe vor der Auslieferung überprüft ? Welche weiteren terroristischen Gruppen wurden von der Russischen Föderation im Rahmen von Auslieferungsgesuchen genannt? Wie viele Auslieferungsverfahren sind noch anhängig? Statistische Daten, die russische Auslieferungsersuchen nach der Staatsangehörigkeit der verfolgten Personen und der dem Ersuchen zu Grunde liegenden Straftat differenzieren, liegen der Bundesregierung nicht vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13319 4. Wie viele russische Staatsangehörige aus Tschetschenien halten sich derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland auf, und welchen aufenthaltsrechtlichen Status haben sie (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Hierzu können keine belastbaren Angaben gemacht werden. Im Ausländerzentralregister werden Volkszugehörigkeiten nicht erfasst. 5. Wie viele in Deutschland aufhältige russische Staatsangehörige aus Tschetschenien sind nach Kenntnis bzw. Einschätzung der Bundesregierung propagandistisch oder anderweitig für die tschetschenische Regierung tätig, und welchen aufenthaltsrechtlichen Status haben sie (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln) (vgl. ZDF, ZDFzoom „Putins kalter Krieg“, 8. Februar 2017)? Von den in Deutschland aufhältigen russischen Staatsangehörigen aus Tschetschenien treten nur vereinzelt Personen offiziell im Auftrag des Oberhaupts der Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, auf, wie die Führungsperson einer tschetschenischen Gruppierung im Raum Hamburg/Kiel, der als Vertreter Kadyrows in Deutschland agiert. Bei der Unterstützung Kadyrows reicht die Bandbreite von einer offenen Anhängerschaft mit teilweise ausgeprägtem Personenkult um Kadyrow bis zur inoffiziellen anlassbezogenen Unterstützung. In sozialen Netzwerken oder bei Demonstrationen bekennen sich seine Anhänger aber immer öfter und deutlicher zu ihrer politischen Gesinnung. Über die Anzahl dieser Personen liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. 6. Wie viele russische Staatsangehörige aus Tschetschenien haben nach Kenntnis bzw. Einschätzung der Bundesregierung seit 2007 Asyl in der Bundesrepublik Deutschland beantragt (bitte nach Jahren und Verfahrensstand aufschlüsseln )? Asylanträge und Asylentscheidungen des BAMF bezogen auf russische Staatsangehörige , die im Rahmen des Asylverfahrens eine tschetschenische Volkszugehörigkeit angegeben haben, können der nachfolgenden Statistik entnommen werden : Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13319 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Asyl- ENTSCHEIDUNGEN über Asylanträge anträge insge- Anerken-nungen als Anerkennungen als Gewährung von Feststellung eines Ableh- sonstige anhängige samt Asylberechtigte Flüchtling subsidiärem Schutz Abschiebungsverbotes nungen Verfahrens- Verfahren (Art. 16a u. gem. § 3 I gem. § 4 I gem. § 60 V/VII erledigungen Familienasyl ) AsylG AsylG AufenthG Jahr 2007 453 547 14 152 4 17 163 197 205 Jahr 2008 445 394 14 104 - 16 80 180 288 Jahr 2009 555 384 8 101 6 5 110 154 474 Jahr 2010 662 778 2 179 3 56 224 314 406 Jahr 2011 992 563 4 72 - 25 139 323 793 Jahr 2012 2.339 670 2 86 2 23 236 321 2.507 Jahr 2013 13.603 10.938 11 96 24 58 768 9.981 4.869 Jahr 2014 3.891 5.237 3 122 70 102 888 4.052 3.912 Jahr 2015 4.472 3.873 1 123 50 118 581 3.000 5.129 Jahr 2016 9.850 10.040 2 232 77 120 4.090 5.519 6.524 01.01. - 30.06.2017 2.278 7.914 12 246 204 116 4.498 2.838 2.811 Hinweis: Rechtsgrundlage für Entscheidungen zu Flüchtlingsschutz, subsidiärem Schutz und Abschiebungsverboten, die bis zum 30. November 2013 getroffen wurden, war § 60 Absatz 1, § 60 Absatz 2, 3 oder 7 Satz 2 bzw. § 60 Absatz 5 oder 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). 7. In wie vielen Fällen wurden seit 2007 Asylanträge russischer Staatsangehöriger aus Tschetschenien abgelehnt, weil die Antragsteller einen Ausschlusstatbestand gemäß § 3 Absatz 2 des Asylgesetzes (AsylG) erfüllten (bitte nach Jahren und Tatbestandsalternativen aufschlüsseln)? Ablehnungen des BAMF von Asylanträgen zu russischen Staatsangehörigen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit können der Antwort zu Frage 6 entnommen werden. Zu Ablehnungen aufgrund § 3 Absatz 2 AsylG liegen keine Erkenntnisse vor, da die Asylstatistik des BAMF keine in diesem Sinne differenzierten Daten erfasst. 8. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um zu verhindern, dass russische Staatsangehörige aus Tschetschenien in der Bundesrepublik Deutschland durch die Tätigkeit von Sympathisanten des tschetschenischen Regimes bedroht und gefährdet werden? Für die polizeiliche Gefahrenabwehr sind grundsätzlich die Bundesländer zuständig . Im Falle etwaiger Bedrohungen oder Gefährdungen russischer Staatsangehöriger aus Tschetschenien durch Sympathisanten der politischen Führung der autonomen Republik Tschetschenien nimmt die Polizei des betreffenden Landes eine Bewertung der Gefährdungslage vor und prüft die Erforderlichkeit geeigneter polizeilicher Maßnahmen, wie etwa Gefährdetenansprachen bzw. Sensibilisierungsgespräche oder polizeiliche Schutzmaßnahmen (Personen- bzw. Objektschutz ). Soweit auf Bundesebene entsprechende Hinweise bzw. Erkenntnisse auf Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13319 mögliche Gefährdungen einzelner Personen vorliegen, erfolgt hierzu unverzüglich eine Unterrichtung der zuständigen Landesbehörden. Im Übrigen stehen Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz mit den Landeskriminalämtern und den Landesbehörden für Verfassungsschutz in Bezug auf sicherheitsrelevante Aktivitäten der tschetschenischen bzw. nordkaukasischen Szene in Deutschland in einem dauerhaften Informationsaustausch. 9. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Menschen, denen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch das tschetschenische Regime drohen, und die sich derzeit (noch) in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation befinden, effektiven Schutz zu bieten? Die Bundesregierung thematisiert regelmäßig in Gesprächen auf unterschiedlichen Kanälen gegenüber der Regierung der Russischen Föderation menschenrechtliche Fragen, darunter auch solche, welche die Lage in der Autonomen Republik Tschetschenien betreffen. Im Falle der Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien hat die Bundesregierung die Regierung der Russischen Föderation zum Schutz und zur Wahrung der Grund- und Menschrechte aufgerufen, u. a. in einem von Bundesminister Sigmar Gabriel initiierten Brief Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, der Niederlande und Schwedens an Außenminister Lawrow sowie durch aktive Ansprache des Themas durch Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gegenüber Präsident Putin. In besonderen Einzelfällen ist eine Aufnahme aus dringenden humanitären Gründen nach § 22 Satz 1 AufenthG möglich. Im Zusammenhang mit dem o. g. Fall der Verfolgung Homosexueller konnte insgesamt in vier Fällen ein Visum zur humanitären Aufnahme nach § 22 Satz 1 AufenthG erteilt werden. Zudem fördert die Bundesregierung mehrere Menschenrechtsprojekte in Russland , darunter auch solche mit Bezug zur autonomen Republik Tschetschenien. 10. Inwiefern stellt die Bundesregierung sicher, dass russischen Staatsangehörigen aus Tschetschenien infolge einer Rückführung nach Tschetschenien keine Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder andere Rechtsgüter droht? Im Rahmen des Asylverfahrens in Deutschland wird in jedem Einzelfall umfassend geprüft, ob Schutz (Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung der Flüchtlings-eigenschaft, Gewährung subsidiären Schutzes oder Feststellung eines Abschiebungsverbots) zu gewähren ist. Die entsprechenden Regelungen stehen in Einklang mit den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben. Die eingehende Prüfung des Asylantrags, in der sämtliche individuellen Belange des Antragsstellers Berücksichtigung finden, kann allerdings auch zu dem Ergebnis führen , dass keine asylrechtlich relevante Gefahrenlage vorliegt. In diesen Fällen führt die Ablehnung des Asylantrags letztlich in der Regel zur Ausreisepflicht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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