Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 24. August 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13422 18. Wahlperiode 28.08.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Martina Renner, Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/13301 – Instrument des Bundeskriminalamtes zur Risikobewertung potentieller islamistischer Gewalttäter V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Bundeskriminalamt (BKA) implementiert derzeit ein Instrument, das die Risikobewertung „potentiell gewaltbereiter Personen des militant-salafistischen Spektrums“ ermöglichen soll. Das Instrument soll den Polizeibehörden ermöglichen , die von diesen Personen ausgehenden Gefährdungen in ein hohes, ein auffälliges und moderates Risiko zu unterscheiden. Dies wiederum soll im Anschluss „individuell passende Interventionsmaßnahmen“ ermöglichen (www. bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2017/Presse2017/170202_ Radar.html). Im Wesentlichen gründet die „regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus “ („RADAR-iTE“) auf einer Auswertung biographischer Informationen, die sich „auf beobachtbares Verhalten“ beziehen sollen. Die Sachbearbeiter sollen „möglichst viele Informationen zu Ereignissen aus dem Leben der Person heran[ziehen], die zum besseren Gesamtverständnis einer aktuell bestehenden Problemsituation notwendig sind“. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Instruments hatte nach Medienberichten der stellvertretende Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Züricher Amtes für Justizvollzug, Jérȏme Endrass. In einem Interview vertritt er die These, man müsse „nach Gewalt fragen, losgelöst von Extremismus oder Religion “ (Luzerner Zeitung, 11. Juni 2017). Als entscheidenden Faktor bezeichnet Endrass nicht Extremismus oder Religion, sondern individuelle Gewalterfahrungen . Um das Risiko einzuschätzen, werte das System Informationen aus, die auf eine Gewaltbereitschaft hindeuten. Dazu zählt Endrass unter anderem etwaige Gewaltdelikte, Gewalterfahrungen in der Kindheit oder während eines Krieges, sadistische Neigungen oder eine Faszination für Waffen. „Wenn eines dieser Kriterien erfüllt ist, genügt eine leichte Affinität zum religiösen Extremismus, damit das System eine Person als extrem gefährlich einstuft“, wird Endrass paraphrasiert (www.letemps.ch/monde/2017/06/11/lallemagneutilise -un-systeme-suisse-detecter-terroristes). Die Fragestellerinnen und Fragesteller halten es für geboten, hierbei zu berücksichtigen , dass gerade bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten eine durchlebte Gewalterfahrung bzw. -traumatisierung eher die Regel als die Ausnahme ist. Das Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13422 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode RADAR-iTE-Instrument darf nicht dazu führen, dass die Opfer militärischer oder polizeilicher Gewalt wegen dieser Gewaltanwendung von vornherein als terror-affin eingestuft werden. Aus den Darstellungen des BKA geht nicht eindeutig hervor, wie bei RADARi TE die Zusammenarbeit mit den Ländern gestaltet werden soll und inwiefern auch Daten von in- oder ausländischen Geheimdiensten herangezogen werden können. Problematisch erscheint aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller auch, dass das Bewertungssystem von vornherein nur unterschiedliche Risikobewertungen enthält, die Möglichkeit, dass eine überprüfte Person mit „kein Risiko“ bewertet wird, aber nicht vorsieht. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller wäre es darüber hinaus erforderlich , den Personenkreis, der mittels RADAR-iTE geprüft werden soll, genauer zu definieren. Hierzu würde dann auch eine gesetzliche Definition des Begriffs „Gefährder“ gehören, schon um Rechtssicherheit für Bürger und Behörden zu schaffen. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Zum Begriff „Gefährder“ und „Relevante“ Personen liegen polizeifachlich bundeseinheitlich abgestimmte Definitionen vor. Es handelt sich dabei um Definitionen , die im polizeilichen Bereich zur Anwendung kommen. Demnach ist im polizeilichen Sinne ein Gefährder eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung , insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird. Zudem ist eine Person als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle a) einer Führungsperson , b) eines Unterstützers/Logistikers, c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d) es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung , insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt. 1. Wer bestimmt, welcher Personenkreis und welche konkreten Einzelpersonen mittels RADAR-iTE auf ihr Risikopotential überprüft werden, und welche Kriterien werden hierbei zugrunde gelegt? Die Zuständigkeit für die Durchführung von Risikobewertungen mittels RADAR-iTE liegt in der Regel bei den Länderdienststellen des polizeilichen Staatsschutzes. In Einzelfällen wird die Risikobewertung durch das Bundeskriminalamt (BKA) vorgenommen. a) Beschränkt sich der Personenkreis auf solche, die von der Polizei als Gefährder oder „Relevante“ Person eingestuft sind, oder schließt er jene ein, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz dem militant-salafistischen Spektrum zugeordnet werden? Es handelt sich um ein Instrument der Polizeibehörden, das keine Anwendung bei ausschließlich vom Verfassungsschutz bearbeiteten Personen findet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13422 b) Welche Kriterien werden generell zugrunde gelegt? Personen des militant-salafistischen Spektrums müssen entweder im Zusammenhang mit gefahrenabwehrenden Maßnahmen oder aufgrund ihrer Beschuldigteneigenschaft im Rahmen von Ermittlungsverfahren im polizeilichen Fokus sein. 2. Warum ist nicht vorgesehen, dass im Ergebnis einer Risikobewertung auch der Befund „kein Risiko“ stehen kann? Im Rahmen der Risikobewertung gibt es Kriterien, bei deren Vorliegen empfohlen wird, auf eine zukünftige Anwendung von RADAR-iTE zu verzichten. Die Bewertung liefert damit auch eine Gefahren verneinende Einschätzung zur Person . 3. Obliegen Durchführung der Analyse und Auswertung dem BKA oder den jeweiligen Landeskriminalämtern, bzw. welche Arbeitsteilung wird hierbei vorgenommen? Inwiefern und wem gegenüber werden die Ergebnisse kommuniziert? Zur ersten Fragestellung wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die Ergebnisse der Risikobewertungen der Länder werden dem BKA als Zentralstelle übermittelt . a) Welche Behörden sollen berechtigt sein, das Ergebnis der Risikobewertung zur Kenntnis zu nehmen, und welche Regeln sollen hierfür gelten? Die Entscheidung, welche Behörden außer dem BKA berechtigt sein sollen, das Ergebnis der Risikobewertung zur Kenntnis zu nehmen, ist einzelfallabhängig und wird durch die für die Risikobewertung zuständige Behörde getroffen. In der Regel werden die im hohen Risiko eingestuften Personen im Rahmen der AG Risikomanagement im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) behandelt . Verbindliche Regelungen für anders eingestufte Personen bestehen nicht. b) Ist die Einrichtung einer eigenen Datenbank beabsichtigt, auf der die unterschiedlichen Risikostufen der gefilterten Personen dargestellt werden, und wenn ja, wie soll sie lauten? Wenn nein, wie sollen diese dann für die berechtigten Behörden erkennbar sein? Es ist die Einrichtung einer Datenbank im Rahmen des Projekts RISKANT beabsichtigt . Die genaue Ausgestaltung wird im Rahmen des Projektes erarbeitet. Die im Projekt vorgesehene rechtliche Begleitforschung soll sicherstellen, dass die Datenbank allen rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird. c) Sollen sämtliche Länder von den Ergebnissen der Auswertung unterrichtet werden, oder nur jene, in denen die gefilterten Personen gemeldet sind? Auf die Antwort zu Frage 3a wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13422 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode d) Wie soll sichergestellt werden, dass ein Land, in das eine gefilterte Person zieht, rasch Kenntnis vom Ergebnis der Auswertung erhält? Im Rahmen der Zusammenarbeit im GTAZ werden alle betroffenen Länder fortlaufend über Umzugsaktivitäten der entsprechenden Person informiert. Dies ist bereits gängige Praxis unabhängig von der Anwendung von RADAR-iTE. e) Inwiefern soll das Ergebnis der Risikobewertung auch Nachrichtendiensten und Polizeibehörden im In- und Ausland mitgeteilt werden (diese bitte ggf. vollständig nennen)? Grundsätzlich ist ein inländischer polizeilicher Informationsaustausch vorgesehen . Bei Personen, über die im GTAZ-Verbund gesprochen wird, können auch inländische Nachrichtendienste beteiligt sein. Nach § 14 Absatz 1 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) kann das BKA an Polizei- und Justizbehörden sowie an sonstige für die Verhütung oder Verfolgung von Straftaten zuständige öffentliche Stellen anderer Staaten personenbezogene Daten übermitteln, soweit dies erforderlich ist u. a. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Gleiches gilt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden sollen. 4. Hat das BKA schon vor Beginn der Arbeit an RADAR-iTE die Prämisse von Jérȏme Endrass geteilt, den Fokus der Analyse weniger auf Religion oder „Extremismus“ zu legen, sondern mehr auf individuelle Gewalterfahrungen bzw. Affinität zu Waffen, und teilt es diesen Ansatz jetzt, und wenn ja, welcher Stellenwert kommt demzufolge der Religiosität in diesem Kontext zu, und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Präventionsarbeit ? Das BKA hat sich bereits vor Beginn der Arbeit an RADAR-iTE mit Parallelen von Gewalttätern, die sich unabhängig von einer Ideologie oder einem sonstigen Motiv zeigen, beschäftigt. Dabei konnte auch festgestellt werden, dass die Ideologie häufig zu Legitimierungs- oder Neutralisierungszwecken herangezogen wird. Vor diesem Hintergrund erscheinen als Schlussfolgerung für die Präventionsarbeit neben Deradikalisierungsmaßnahmen auch allgemein gewaltpräventive Ansätze als zielführend. a) Welche Arten von Gewalterfahrungen oder Gewaltaffinität sollen in die Auswertung einfließen? b) Welche praktische Bedeutung kommt dem Erleben ggf. traumatisierender Gewalterfahrung in Krieg oder Bürgerkrieg zu, und inwiefern sieht die Bundesregierung das Problem, dass dieses Kriterium für zahlreiche Flüchtlinge zutrifft, die häufig gerade vor Gewaltereignissen in ihren Herkunftsländern fliehen bzw. auch auf ihrer Flucht vielfach Gewalt erleiden, so dass die Aufnahme eines solchen Kriteriums den Kreis der Untersuchten unverhältnismäßig ausweiten könnte? Die Fragen 4a und 4b werden zusammenhängend beantwortet. Erfahrungen als Opfer von Gewalt spielen bei der Bewertung mit RADAR-iTE keine Rolle. Von Bedeutung für die Risikobewertung mittels RADAR-iTE sind ausschließlich Gewalterfahrungen, die im Rahmen der eigenen Anwendung von Gewalt gemacht werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13422 5. Inwiefern ist RADAR-iTE so aufgebaut, dass bei Vorliegen auch nur eines der Kriterien aus dem Bereich von Gewalterfahrungen eine „leichte Affinität zum religiösen Extremismus ausreicht, damit das System die Person als extrem gefährlich kategorisiert“, wie Jérȏme Endrass in Medienberichten zusammengefasst wird (vgl. www.letemps.ch/monde/2017/06/11/lallemagneutilise -un-systeme-suisse-detecter-terroristes)? Hinsichtlich der Gewalterfahrung fokussiert RADAR-iTE auf Täterverhalten und nicht auf Opfererfahrungen. Das gemeinsame Vorliegen von bisher ausgeübter Gewalt und der Zugehörigkeit zum militantsalafistischen Spektrum wirkt risikoerhöhend . Dies führt jedoch nicht automatisch zu einer Einstufung in das hohe Risiko; hierzu bedarf es weiterer Merkmale. 6. In welchem Verhältnis bewertet RADAR-iTE Faktoren wie Gewalterfahrungen (diese bitte möglichst untergliedern) und eine Affinität zum religiösen Extremismus? a) Wie wird der Begriff des „religiösen Extremismus“ bzw. eine Neigung hierzu definiert? b) Welche religiösen Richtungen, Strömungen oder Einstellungen fallen hierunter bzw. sind für die Anwendung von RADAR-iTE von Belang (bitte möglichst vollständig benennen)? Die Fragen 6, 6a und 6b werden zusammenhängend beantwortet. Eine „Affinität zum religiösen Extremismus“ oder eine vergleichbare Einstellung wird durch RADAR-iTE nicht erfasst. Es wird lediglich das Verhalten einer Person in der radikalen (militant-salafistischen) Szene betrachtet. Es findet keine unterschiedliche Gewichtung der Merkmale statt. 7. Welche Ereignisse aus dem Leben der jeweiligen Person sollen für die Bewertung herangezogen werden? Inwiefern wird hier nach relevanten und irrelevanten Ereignissen unterschieden , und anhand welcher Kriterien wird eine solche Unterscheidung vorgenommen ? Es werden Informationen zu unterschiedlichen Themenkomplexen herangezogen , u. a. zu den Themen Gewalt, Spreng-, Explosivstoffe und Waffen, militärische Erfahrungen, Ausreise in Kriegs- oder Krisengebiete, Angehörigkeit zu einer radikalen Szene und soziale Eingebundenheit. Die Bewertung wird auf objektiv vorliegende und abgesicherte Informationen gestützt, die Relevanz im Hinblick auf die Beantwortung der Merkmale besitzen. 8. Aus welchen Quellen sollen die Daten stammen, die für die Risikobewertung genutzt werden (bitte möglichst vollständig aufzählen)? Welche gesetzlichen Grundlagen sollen für die Nutzung dieser Daten in Anspruch genommen werden? Richtet sich das BKA hierbei nach dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung (1 BvR 966/09)? Es werden Daten genutzt, die den Polizeibehörden nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen bereits vorliegen oder aufgrund einer gültigen Rechtslage (im Wesentlichen StPO, BKAG, Polizeigesetze der Länder) erhoben werden dürfen. Dem Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung wird dabei Rechnung getragen . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13422 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode a) Inwiefern entspricht es den Zwecken der genutzten Dateien, Informationen über Gewalterfahrungen in Form erlittener Gewalt zu enthalten, Informationen über etwaige sadistische Neigungen, sofern sie nicht Gegenstand von Straf- oder Ermittlungsverfahren waren? RADAR-iTE fokussiert auf Täterverhalten und nicht auf Opfererfahrungen. Sofern Täter in der Vergangenheit sadistische Neigungen gezeigt haben und diese in Straf- oder Ermittlungsverfahren dokumentiert sind, wird geprüft, inwieweit sie für eine Risikobewertung relevant sind. b) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien ausländischer Polizeibehörden zu nutzen? Informationen ausländischer Polizeibehörden können für die Risikobewertung von Bedeutung sein und werden im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse im internationalen polizeilichen Dienstverkehr erhoben. c) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien von deutschen Geheimdiensten zu nutzen? In Einzelfällen können Informationen inländischer Nachrichtendienste für eine Risikobewertung von Bedeutung sein. d) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien ausländischer Geheimdienste zu nutzen? In Einzelfällen können Informationen ausländischer Nachrichtendienste für eine Risikobewertung von Bedeutung sein. 9. Worin macht sich der spezifisch auf islamistischen Terrorismus fokussierte Ansatz von RADAR-iTE fest? RADAR-iTE basiert auf Merkmalen, die im Rahmen von Studien als valide festgestellt wurden, den mit dem Instrument in den Fokus genommenen Personenkreis hinsichtlich ihres Risikos zur Begehung einer schweren Gewaltstraftat zu differenzieren. a) Inwiefern bzw. mit welchen Einschränkungen ist das Analyseverfahren auf andere Bereiche der politisch motivierten Kriminalität übertragbar bzw. anwendbar, und welche Modifikationen müssten ggf. vorgenommen werden? b) Beabsichtigt die Bundesregierung, in Hinsicht auf rechtsextremen Terror ein ähnliches Risikobewertungssystem zu entwickeln, und wenn ja, bis wann? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 9a und 9b werden zusammenhängend beantwortet. Grundsätzlich ist die Anwendung des methodischen Ansatzes von RADAR-iTE auch für andere Phänomenbereiche denkbar. Vor einer dementsprechenden Prüfung ist zunächst jedoch die geplante Evaluation und weitergehende Validierung von RADAR-iTE abzuwarten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/13422 10. Inwiefern sieht die Bundesregierung ein Problem darin, dass sie zwar nach einheitlichen Kriterien für eine Risikobewertung und ein anschließendes Risikomanagement sucht, es aber noch keine gesetzlich definierte einheitliche Regelung für die Einstufung von Gefährdern bzw. „Relevanten“ Personen gibt? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 11. Wie setzt sich der Risikobewertungsbogen zusammen? a) Welche Fragen und Antwortkategorien sind darin enthalten? Die Fragen 11a und 11b werden zusammenhängend beantwortet. Der Risikobewertungsbogen besteht aus insgesamt 73 Merkmalen, die inhaltlich sieben Themenkomplexen (siehe Frage 7) zugeordnet sind. Die Merkmale beziehen sich u. a. auf bisher verübte Gewaltdelikte, die Erfahrungen im Umgang mit Waffen oder Sprengstoffen, die Einbindung in die radikale Szene, Aufenthalte in Kriegsgebieten und dortige Beteiligung an Kampfhandlungen sowie Aspekte einer problembehafteten Persönlichkeit, z. B. diagnostizierte psychische Auffälligkeiten. Die Beantwortung der Merkmale erfolgt anhand standardisierter Antwortkategorien: Ja, nein bzw. keine ausreichende Informationslage . b) Welche Merkmale gelten als risikosteigernd, welche als risikomindernd? RADAR-iTE stellt ein Hilfsmittel zur Priorisierung von gewaltgeneigten Personen der militantsalafistischen Szene dar. Informationen über risikosteigernde oder risikomindernde Merkmale betreffen polizeitaktische Erwägungen. Aus Gründen des Staatswohls können daher hierzu keine Angaben erfolgen. c) Nach welchem Prinzip wird im Ergebnis das Risiko bewertet? Die Zuordnung der bewerteten Person zur dreistufigen Risikoskala (hohes, auffälliges , moderates Risiko) erfolgt anhand eines wissenschaftlich geprüften Verrechnungsmodells , das sowohl quantitative als auch qualitative Elemente enthält. 12. Was bedeutet die Aussage, die Bewertung sei „transparent und nachvollziehbar “ (www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2017/ Presse2017/170202_Radar.html)? Für wen soll sie dies sein? Ist vorgesehen, die jeweiligen betroffenen Personen vom Ergebnis zu unterrichten ? Die Begrifflichkeiten „transparent und nachvollziehbar“ beziehen sich in diesem Kontext darauf, dass im polizeilichen Informationsaustausch für alle beteiligten Akteure deutlich wird, wie das Ergebnis der Risikobewertung zustande gekommen ist. Mit RADAR-iTE ist erstmals eine bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten Salafisten möglich, die die Kommunikation und Zusammenarbeit im Rahmen des polizeilichen Nachrichtenaustausches und der gemeinsamen Risikoanalyse der beteiligten Behörden im GTAZ erleichtert. Eine Unterrichtung der bewerteten Person nach Abschluss der Risikobewertung ist nicht vorgesehen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13422 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 13. Wie genau verlief die empirische Untersuchung der wissenschaftlichen Güte des Instruments, und ist die Bundesregierung bereit, die entsprechenden Dokumentationen dem Bundestag zugänglich zu machen (andernfalls bitte begründen und zusammenfassen)? Bei der Entwicklung von RADAR-iTE hat sich das BKA an etablierten Konstruktionswegen für Risikobewertungsinstrumente orientiert. In diesem Rahmen ist die erfolgreiche Prüfung der hierbei üblichen wissenschaftlichen Gütekriterien Objektivität , Reliabilität und Validität erfolgt. Aufbauend auf den bisherigen Arbeiten zu RADAR-iTE soll im Rahmen des Projekts RISKANT eine Evaluation, weitergehende Validierung und ggf. Anpassung des Instruments erfolgen. Wissenschaftliche Publikationen und eine Übermittlung einer entsprechenden Dokumentation werden erst im Rahmen dieses Projektes erfolgen. 14. Wie weit ist der Umsetzungsprozess von RADAR-iTE mittlerweile gediehen ? Alle Länder sind in der Anwendung von RADAR-iTE beschult. a) Welche quantitativen und qualitativen Angaben kann die Bundesregierung hierzu machen? Eine Bewertung mittels RADAR-iTE erfolgt für das polizeilich bekannte Personenpotenzial (stufenweise zunächst bei Gefährdern). RADAR-iTE kann zu einer Differenzierung und einer Priorisierung von Maßnahmen auf Personen mit hohem Risiko genutzt werden. b) Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung diesbezüglich mit den Ländern gemacht, welche Schwierigkeiten haben sich gezeigt, und wie sollen diese gelöst werden? Die Einführung von RADAR-iTE wurde von den Ländern begrüßt. Die Bearbeitung der mittels RADAR-iTE zu überprüfenden Personen wird sukzessive durch beschulte Mitarbeiter der Länderpolizeien vorgenommen. Weiterer Schulungsbedarf ist beim BKA angemeldet. In Einzelfällen unterstützt das BKA bei der Bewertung von Personen. 15. Soll mit RADAR-iTE nur eruiert werden, wie hoch das Risiko ist, dass die betroffene Personen einen Anschlag in Deutschland verübt, oder auch, ob von ihr ein hohes Risiko ausgeht, im Ausland eine schwere Straftat zu verüben ? RADAR-iTE ist für den hiesigen Kulturkreis entwickelt worden und erlaubt daher hierauf bezogene Aussagen. Aussagen über künftiges Verhalten z. B. in Kriegs- und Krisengebieten sind nicht möglich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/13422 16. Soll RADAR-iTE ausschließlich bei Personen angewandt werden, die in Deutschland leben, oder auch bei solchen, die im Ausland leben, wenn die Sicherheitsbehörden eine Wahrscheinlichkeit dafür sehen, dass sie einen Anschlag in Deutschland plant? RADAR-iTE ist konzipiert worden, um das Risiko der Begehung schwerer Gewalttaten durch Personen des militant-salafistischen Spektrums in Deutschland bzw. dem hiesigen Kulturkreis bewerten zu können. Zur Anwendung von RADAR-iTE ist ein Mindestmaß an Informationen erforderlich. Dies ist in der Regel erst dann gewährleistet, wenn die zu bewertende Person zumindest eine gewisse Zeit in Deutschland aufhältig war. 17. In welchem Umfang wird bei RADAR-iTE mit ausländischen Behörden (Polizeien und Geheimdiensten) zusammengearbeitet? a) Inwiefern kann ausländischen Polizeien oder Geheimdiensten das Ergebnis der Risikobewertung übermittelt werden? Die Fragen 17 und 17a werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort auf Frage 3e wird verwiesen. b) Inwiefern soll deutschen Geheimdiensten das Ergebnis der Risikobewertung übermittelt werden? Im Rahmen der Zusammenarbeit im GTAZ (u. a. AG Risikomanagement) werden gemäß der rechtlichen Rahmenbedingungen insbesondere des BKAG, BVerf SchG und des BNDG Informationen ausgetauscht. Dies betrifft hauptsächlich Personen, bei denen ein hohes Risiko für die Begehung einer Gewalttat festgestellt wurde. 18. Wie kam die Entscheidung zur Entwicklung von RADAR-iTE zustande, und welche anderen Modelle oder Optionen waren zuvor erwogen worden (bitte darlegen, warum diese letztlich verworfen wurden)? Die Entscheidung zur Entwicklung von RADAR-iTE kam vor dem Hintergrund der wachsenden Anzahl von islamistischen Gefährdern und Relevanten Personen zustande. Sie stellte die Polizei vor die Herausforderung, das von ihnen ausgehende Risiko sachgerecht und bundesweit einheitlich beurteilen zu können, um zielgerichteter Maßnahmen bei den Personen einleiten zu können, bei denen ein hohes Risiko für die Begehung schwerer Gewalttaten besteht. Es konnte hierbei auf kein bestehendes Instrument zurückgegriffen werden, das sich auf die fokussierte Zielgruppe und den hiesigen Kulturkreis bezog, die relevanten wissenschaftlichen Gütekriterien in ausreichendem Maß erfüllte und zudem für die Implementierung in die Strukturen der deutschen Polizei geeignet war. 19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung davon, inwiefern in anderen Staaten ähnliche Prognose- bzw. Risikobewertungssysteme entwickelt worden sind bzw. in der Entwicklung sind, worin sich diese von RADAR-iTE unterscheiden und inwiefern bereits eine Evaluation über sie vorliegt? Der Bundesregierung ist kein Prognose- bzw. Risikobewertungssystem bekannt, das die zu Frage 18 dargelegten Kriterien erfüllt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13422 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 20. Wie weit ist mittlerweile die Implementierung des Systems fortgeschritten, und welche Schwierigkeiten gibt es dabei? Auf die Antwort zu Frage 14 wird verwiesen. 21. Worum handelt es sich bei dem in der BKA-Präsentation genannten achtstufigen Prognosemodell, das Wahrscheinlichkeitsaussagen hinsichtlich eines potentiellen Schadenseintritts erlauben soll (bitte die acht Stufen und die Kriterien für die jeweiligen Einstufungen nennen)? Der Polizei wird regelmäßig eine Vielzahl von Sachverhalten bekannt, aus denen sich ein Schadenseintritt für polizeilich geschützte Rechtsgüter ergeben könnte. Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität werden solche „Gefährdungssachverhalte “ (liegt vor, wenn „im Einzelfall ein Schadenseintritt für ein bedeutendes Rechtsgut mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten ist“) zentral dem BKA gemeldet. Das BKA sichtet alle vorliegenden und rechtzeitig zu beschaffenden Informationen zu diesem Fall und bewertet auf dieser Grundlage die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in dem jeweils bewerteten Einzelfall. Dabei bedient es sich eines achtstufigen Prognosemodels. Stufe 1 entspricht der höchsten Wahrscheinlichkeit eines potentiellen Schadeneintritts und Stufe 8 der niedrigsten Wahrscheinlichkeit. Das Prognosemodell ist zwischen Bund und Ländern abgestimmt. 22. Inwiefern soll angesichts der föderal aufgeteilten Zuständigkeiten der Polizei ein bundesweit einheitliches Risikomanagement hergestellt werden? Welche Schritte will die Bundesregierung diesbezüglich unternehmen, welche Vereinbarungen mit den Ländern strebt sie an, und wie schätzt sie die Bereitschaft der Länder ein, sich auf ein einheitliches Vorgehen einzulassen? Mit RADAR-iTE steht ein zusätzliches Hilfsmittel für eine einheitliche Bewertung und Differenzierung des bekannten Personenpotenzials zur Verfügung. Mittelfristig soll mit der „Risikoanalyse bei islamistisch motivierten Tatgeneigten (RISKANT)“ ergänzend ein System für ein einzelfallorientiertes Bedrohungsmanagement implementiert und der Gesamtprozess zusätzlich methodisch optimiert werden. Zielführend dabei ist eine länderübergreifende Koordinierung in der Gefährdersachbearbeitung , geschäftsführend durch das BKA im GTAZ bei Fortbestehen der Zuständigkeit und Verantwortung in den Ländern. Die Länder haben die Weiterentwicklung der AG Gefährdungsbewertung zu einer AG Risikomanagement (Gefährdungs- und Gefährderbewertung) im GTAZ begrüßt und mitgetragen . 23. Wie soll die Entwicklung eines einheitlichen Maßnahmenkonzeptes für den Umgang mit Hochrisikopersonen vorangetrieben werden, und welche legislativen Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene sind dazu erforderlich? Wer ist auf Seiten der Länder hierfür Ansprechpartner des BKA, und welche Gremien sind mit der Entwicklung betraut? Die diesbezüglichen Abstimmungsprozesse werden auf Ebene der AG Kripo bzw. der Kommission Staatsschutz vorgenommen. Es wird auf die vorhandenen Strukturen im GTAZ zurückgegriffen. Die Zuständigkeiten und Verantwortungen in den Ländern bleiben unberührt. In dieser Hinsicht sind keine legislativen Maßnahmen erforderlich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 22 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/13422 24. Welchen Entwicklungsstand hat das auf RADAR-iTE aufbauende Risiko- Analyse-System RISKANT? a) Auf welcher Funktionsweise und welchen Informationen basiert dieses System? b) Worin unterscheiden sich Struktur und Zielsetzung von RADAR-iTE und RISKANT? c) Wer hat sich diese Systembezeichnungen ausgedacht, und wurden erst die vollen Bezeichnungen oder erst die Abkürzungen festgelegt? Die Fragen 24, 24a bis 24c werden zusammenhängend beantwortet. Mit der Anwendung von RADAR-iTE ist die Bewertung des Risikos einer Person zur Begehung schwerer Gewaltdelikte nicht abgeschlossen, denn hierdurch werden nur erste Priorisierungsentscheidungen ermöglicht. Um polizeiliche Interventionsmöglichkeiten zielgenau auszurichten, ist eine detailliertere Betrachtung der individuellen Merkmale eines Falls erforderlich. Es wird daher auf RADAR-iTE aufbauend das zweistufige Risiko-Analyse-System RISKANT entwickelt, das in der ersten Stufe weiterhin die standardisierte Risikobewertung mittels RADARi TE beinhaltet und auf der zweiten Stufe eine einzelfallorientierte Bedrohungsbeurteilung und individuelle Maßnahmenberatung für die festgestellten Hoch-Risiko -Personen ermöglicht. Für die Anwendung von RISKANT wird auf die gleiche Informationslage wie bereits für die Anwendung von RADAR-iTE zurückgegriffen . Die Akronyme wurden BKA-intern abgestimmt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333